JudikaturVwGH

0868/67 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
06. Dezember 1967

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Vizepräsidenten Dr. Dietmann, und die Hofräte Dr. Strau, Dr. Mathis, Dr. Härtel und Dr. Zach als Richter, im Beisein des Schriftführers, Landesgerichtsrates Dr. Pichler, über die Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Wien, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Kolschitzkygasse 15/5, geizen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. April 1967, Zl. M. Abt. 14-H 11/66 (mitbeteiligte Partei: AH in X, Argentinien, vertreten durch Dr. Hugo Ebner, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Leopoldsgasse 51), betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff. ASVG, nach Durchführung einer Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, Rechtsanwaltes Dr. Alfred Kasamas, des Vertreters der belangten Behörde, Obermagistratsrates Dr. AH und des Vertreters der mitbeteiligten Partei, Rechtsanwaltes Dr. Hugo Ebner, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, soweit mit ihm festgestellt worden ist, daß auf Grund des § 502 Abs. 4 ASVG für die Zeit der Emigration vom 1. September 1941 bis 31. März 1959 Beitragszeiten anzurechnen sind. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 2.200,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Mit dem Bescheid vom 25. Oktober 1965 hatte die beschwerdeführende Anstalt den Antrag der mitbeteiligten AH auf begünstigte Anrechnung der Zeiten ihrer Emigration mit der Begründung abgelehnt, die mitbeteiligte Partei habe nach jahrelanger Arbeitslosigkeit am 17. Mai 1938 eine Stellung angetreten, Österreich bzw. Deutschland aber während ihres Urlaubes am 15.August 1939 verlassen. Einen sozialversicherungsrechtlichen Schaden habe sie durch die Ereignisse des Jahres 1938 nicht erlitten, weshalb eine begünstigte Anrechnung von Schädigungszeiten abgelehnt werde.

Dem Einspruch der mitbeteiligten Partei gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid Folge. Sie stellte gemäß §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG fest, daß der mitbeteiligten Partei in der Pensionsversicherung der Angestellten

a) auf Grund des § 502 Abs. 1 ASVG für die Zeit vom 1. September 1959 bis 31. August 1941 Pflichtbeitragszeiten mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage und

b) auf Grund des § 502 Abs. 4 ASVG. für die Zeit der Emigration vom 1. September 1941 bis 31. März 1959 Beitragszeiten anzurechnen sind.

Die belangte Behörde nahm als erwiesen an, daß die mitbeteiligte Partei nach dem 13. März 1938 auf Grund ihrer persönlichen Beziehungen zu einem jüdischen Arzt von einem hohen nationalsozialistischen Funktionär bedroht worden sei, weshalb sie einen Urlaub in der Schweiz dazu benützt habe, um nach Argentinien auszuwandern.

Die beschwerdeführende Anstalt bestreitet, daß die mitbeteiligte Partei im August 1939 aus politischen Gründen ausgewandert sei. Überdies bestreitet die beschwerdeführende Anstalt, daß die belangte Behörde ihrer Entscheidung die Bestimmungen der 19. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz zugrunde legen durfte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.) Die Beschwerde versucht darzutun, die mitbeteiligte Partei habe Österreich im Jahre 1939 aus Gründen verlassen, die einzig und allein in ihrem persönlichen Schicksal gelegen gewesen seien. Zur Begründung dieser Auffassung verweist die Beschwerde zunächst darauf, irgendwelche Nachweise, daß zwischen der mitbeteiligten Partei und dem jüdischen Arzt ein Verlöbnis bestanden habe, seien nicht erbracht worden. Es sei auch nicht hervorgekommen, daß zwischen beiden eine Lebensgemeinschaft bestanden habe.- Durch die Machtergreifung des Nationalsozialismus in Österreich habe die mitbeteiligte Partei trotz ihres angeblichen Verlöbnisses mit einem Juden in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht keinen Nachteil erlitten, da sie nach langjähriger Unterbrechung am 17. Mai 1938 wieder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung antreten konnte. Das Verhalten des erwähnten nationalsozialistischen Funktionärs gegenüber der mitbeteiligten Partei sei offenkundig damit zu erklären, daß dieser auf Grund seiner früheren Beziehungen zur mitbeteiligten Partei auf den jüdischen Arzt eifersüchtig gewesen sei. Er habe dieser Eifersucht auf Grund der ihm nach dem 13. März 1938 verliehenen Machtbefugnis entsprechend Nachdruck verliehen. Schließlich führt die beschwerdeführende Anstalt aus, bei der Auswanderung sei der mitbeteiligten Partei ein bereits in Argentinien befindlicher Ingenieur G. behilflich gewesen, den sie sofort nach ihrer Einwanderung geheiratet habe.

Diese Ausführungen der beschwerdeführenden Anstalt sind nicht geeignet, die Annahme der belangten Behörde, daß die mitbeteiligte Partei im August 1939 aus politischen Gründen ausgewandert ist und dadurch einen sozialversicherungsrechtlichen Nachteil im Sinne des § 500 Abs. 1 ASVG erlitten hat, zu widerlegen. Die Beschwerde vermag nicht zu bestreiten, daß die mitbeteiligte Partei und der jüdische Arzt, mit dem diese in Beziehung gestanden ist, Drohungen seitens eines nationalsozialistischen Funktionärs ausgesetzt waren. Es mag zutreffend, daß sich dieser Funktionär auf Grund des Umstandes, daß er früher der beschwerdeführenden Partei nahegestanden ist, von persönlichen Motiven leiten ließ. Dies kann jedoch im vorliegenden Fall nicht ausschlaggebend sein, weil - wie aus übereinstimmenden Zeugenaussagen hervorgeht - die Drohungen mit dem Vorwurf der „Rassenschande“ begründet wurden. Diese Bedrohung stützt sich somit auf typisch nationalsozialistisches Gedankengut. Unbestritten ist auch, daß der Arzt, offenbar eingeschüchtert durch die erhaltenen Drohungen, im Mai 1938 Selbstmord verübt hat und daß nach seinem Tode die Drohungen gegen die mitbeteiligte Partei fortgesetzt wurden. Wenn die mitbeteiligte Partei unter diesen Umständen Österreich verlassen hat, hat die belangte Behörde nicht gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn sie als erwiesen annahm, daß politische Gründe maßgebend waren, daß die mitbeteiligte Partei von ihrem Urlaub in der Schweiz nicht mehr zurückgekehrt ist und daher die Voraussetzungen des § 500 Abs. 1 ASVG gegeben sind. Im Gegensatz zur Meinung der beschwerdeführenden Partei ist es dabei bedeutungslos, ob die mitbeteiligte Partei mit dem erwähnten jüdischen Arzt verlobt war oder ob zwischen beiden eine Lebensgemeinschaft begründet wurde. Ob die mitbeteiligte Partei nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus in Österreich nach längerer Arbeitslosigkeit wieder eine Beschäftigung erhalten konnte, ist nicht entscheidend, weil es vorliegendenfalls darauf anzukommen hat, aus welchen Gründen das sozialversicherungspflichtige Dienstverhältnis aufgegeben wurde. Schließlich ist der Hinweis der beschwerdeführenden Anstalt auf die Beziehungen der mitbeteiligten Partei zu Ing. G. unvollständig. Die beschwerdeführende Anstalt will offenbar daraus, daß Ing. G. der mitbeteiligten Partei bei der Auswanderung behilflich war (Beistellung der Schiffskarte) und beide unmittelbar nach dem Eintreffen der mitbeteiligten Partei in Argentinien geheiratet haben, der Auswanderung persönliche und nicht politische Motive unterstellen. Dabei übersieht die beschwerdeführende Anstalt, daß in denselben Zeugenaussagen, auf die sie sich beruft und in denen auf die Ehe mit Ing. G. hingewiesen wird, betont wird, es habe sich um eine Namensehe gehandelt, die zur Erleichterung) der Einreise der mitbeteiligten Partei nach Argentinien geschlossen und später wieder gelöst wurde; die mitbeteiligte Partei führt auch wieder ihren Mädchennamen. Die Beschwerde erweist sich demgemäß hinsichtlich der Begünstigung nach § 502 Abs. 1 ASVG. nicht als berechtigt.

2.) Die Beschwerde wendet weiter ein, daß Streitgegenstand im vorliegenden Falle nur die Begünstigung in der bis 31. Dezember 1966 in Geltung gestandenen Passung der Bestimmungen der §§ 500 ff. ASVG. sein könne. Die belangte Behörde sei nicht berechtigt gewesen, mit der Entscheidung (in zweiter Instanz) über den Einspruch der mitbeteiligten Partei gleichzeitig auch in erster Instanz über eine Begünstigung gemäß den §§ 500 ff. ASVG auf Grund der 19. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz über den Zeitraum vom 1. April 1952 bis 31. März 1959 abzusprechen, Mit einem solchen Einwand hatte sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. September 1967, Zl. 693/67, zu befassen. Er hat in den Entscheidungsgründen dieses Erkenntnisses unter Berufung auf sein Erkenntnis vom 21. April 19659 Zl. 2162/64, ausgeführt, weil der Wortlaut des § 506 Abs. 1 ASVG eindeutig erkennen lasse, daß der Gesetzgeber der zu treffenden Entscheidung nicht eine rechtsgestaltende, sondern bloß eine rechtsfeststellende Wirkung zuerkennen wollte, hätte die belangte Behörde von der im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides der beschwerdeführenden Anstalt gegebenen Rechtslage und sohin von den Vorschriften des § 502 Abs. 4 ASVG in der bis 31. Dezember 1966 in Geltung gestandenen Fassung ausgehen müssen.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid, soweit mit ihm festgestellt wurde, daß auf Grund des § 502 ASVG für die Zeit der Emigration vom 1. September 1941 bis 31. März 1959 Beitragszeiten anzurechnen sind, gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, im übrien aber die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der dem Antrag der beschwerdeführenden Partei entsprechende Kostenzuspruch stützt sich auf § 47 Abs. 1, § 48 Abs. 1 lit. b und d und § 50 VwGG 1965 und auf Art. I A Z. 1 und 2 der Verordnung des Bundeskanzleramtes vom 4. Jänner 1965, BGBl. Nr. 4.

Wien, am 6. Dezember 1967

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