JudikaturVwGH

2287/64 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
08. November 1965

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Borotha und die Hofräte Dr. Krzizek, Dr. Lehne, Dr. Rath und Dr. Leibrecht als Richter, im Beisein des Schriftführers prov. Landesregierunskommissärs Dr. Weingartner, über die Beschwerde der MP in S, vertreten durch Dr. Kurt Peichel, Rechtsanwalt in Wien IV, Wiedner Gürtel 56, gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid der Magistratsdirektion der Stadt Wien vom 9. Oktober 1964, Zl. MDR B XXII 1/64/R) betreffend Verpflichtung zur Gehsteigherstellung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Magistrat der Stadt Wien, M. Abt. 37, Außenstelle für den XXII. Bezirk, hatte mit Bescheid vom 10. Juni 1950 einem Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin namens JG gemäß § 70 der Bauordnung für Wien die Bewilligung für bauliche Abänderung an dem zur Zl. 338/95 vom Bürgermeisteramt Stadlau genehmigten Stallgebäude in Wien XXII, X Gasse 3, EZ. 4 des Grundbuches Stadlau, erteilt. Durch Errichtung von Scheidemauern und Vergrößerung der bestehenden Fenster sollte nach dem Vorhaben eine Werkstätte errichtet werden. Sie sollte aus zwei Arbeitsräumen, einem Werkmeister- und Garderoberaum, einer Waschanlage, einem Männer- und Frauenabort sowie einem Heizraum bestehen.

Mit Bescheid vom 11. September 1962 erteilte dann der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, Außenstelle für den XXII. Bezirk, der Beschwerdeführerin gemäß § 54 Abs. 1 der Bauordnung für Wien den Auftrag, binnen sechs Wochen nach Rechtskraft des Bescheides den Gehsteig entlang der Baulinie der bezeichneten Liegenschaft herstellen zu lassen. Vor Inangriffnahme der Gehsteigherstellung sei um die Bekanntgabe der Breite und Bauart und die Aussteckung der Höhenlage anzusuchen.

Gegen diesen Bescheid wurde ein Rechtsmittel eingebraucht, in dem zunächst geltend gemacht wurde, daß ein Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin bereits im Jahre 1905 der Pflicht zur Herstellung eines Gehsteiges entsprochen habe und daß dieser Gehsteig damals von der Gemeinde Stadlau übernommen worden sei. Bei der Eingemeindung Stadlau habe dann die Gemeinde Wien den Gehsteig übernommen. Somit könne eine neuerliche Herstellung von den Rechtsnachfolgern nicht mehr begehrt werden. Nach einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. April 1909, Slg. Nr. 6652, erstrecke sich die Verpflichtung zur Herstellung eines Gehsteiges immer nur auf diejenige Seite des Hauses, an der zur Zeit der Bauführung eine öffentliche Straße oder Gasse faktisch oder rechtlich schon bestehe. So könne auch der Umbau keine Verpflichtung zur Herstellung eines Gehsteiges an allen Baulinien begründen. Das Bauvorhaben, dessen Bewilligung in der Sachverhaltsdarstellung eingangs erwähnt wurde, sehe eine Zugänglichkeit nur von der Y-Straße aus vor. In Anbetracht dieses Umstandes könne eine Pflicht zur Herstellung des Gehsteiges in der X-Gasse nicht entstanden sein. Ferner wurde geltend gemacht, daß die vorgesehene Niveauveränderung auch Veränderungen an den Bauwerken, und zwar am Haustor und an der Hofeinfahrt, mit sich bringe und daß mangels einer sachlichen Rechtfertigung für die vorgesehene Niveauveränderung Kostenersatz in Anspruch genommen werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. In der Begründung wurde ausgeführt, daß die Herstellung eines Gehsteiges im Jahre 1905 die neuerliche Verpflichtung zur Herstellung als Rechtsfolge einer weiteren Bauführung nicht ausschließe. Die Umgestaltung des Stallgebäudes stelle ohne Zweifel einen Umbau im Sinne des § 60 Abs. 1 lit. a der Bauordnung für Wien dar, was schon aus der Umwidmung hervorgehe. Ob das Gebäude nur von einer oder auch von einer anderen Seite zugänglich sei, bleibe nach der gesetzlichen Normierung für die Herstellungspflicht unerheblich. Auf die behauptete Beeinträchtigung durch die Veränderung des Straßenniveaus könne in diesem Verfahren nicht eingegangen werden. Die Beschwerdeführerin werde aber auf die Bestimmungen des § 9 Abs. 5 und 6 der Bauordnung für Wien hingewiesen.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht, dies mit der Begründung, daß eine neuerliche Pflicht zur Herstellung eines Gehsteiges nach dem Gesetze nicht entstehen könne; der Gehsteig sei schon im Jahre 1905 hergestellt und übergeben worden. Die Beschwerdeführerin will sich in dieser Hinsicht auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. September 1954, Slg. N. F. Nr. 3507/A, und vom 4. Mai 1955, Slg. N. F. Nr. 3729/A, stützen.

Der Verwaltungsgerichtshof kann der Auffassung der Beschwerdeführerin, daß in den angeführten Erkenntnissen der von der belangten Behörde eingenommene Rechtsstandpunkt widerlegt sei, keineswegs folgen. Die angeführten Erkenntnisse beziehen sich, wie in der Gegenschrift zutreffend ausgeführt wird, auf einen anderen Sachverhalt, und zwar auf die Frage, ob eine durch eine Bauführung entstandene Verpflichtung zur Herstellung des Gehsteiges als erfüllt zu gelten hat oder nicht, nicht aber auf die Frage, ob nach einmal erfüllter Verpflichtung die Pflicht zur Herstellung nach dem Gesetz durch eine weitere Bauführung neuerlich entsteht, wenn die vorhandene Ausführungsart den Vorschriften zur Zeit der neuerlichen Bauordnung nicht entspricht (vgl. Erkenntnis vom 30. November 1962, Zl. 1442/62, und vom 30. September 1963, Zl. 1103/63). Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung, so in dem Erkenntnis vom 16. Dezember 1958, Slg. N. F. Nr. 4740/A, und zuletzt in dem Erkenntnis vom 30. September 1963, Zl. 1103/63, der Meinung Ausdruck gegeben und diese eingehend begründet, daß § 54 Abs. 1 der Bauordnung für Wien eine Verpflichtung des Eigentümers eines Neu-, Zu- oder Umbaues zur Gehsteigherstellung festlege und, daß demnach eine Einschränkung der Verpflichtung auf solche Personen, die selbst oder deren Rechtsvorgänger noch niemals einen Gehsteig hergestellt haben, verfehlt sei. Auch die zweite von der Beschwerdeführerin behandelte Frage, ob die Verpflichtung sich nicht nur auf jene Seite beiziehe, von der aus das betreffende Bauwerk zugänglich ist, ist in dem zuletzt angeführten Erkenntnis behandelt und dahin entschieden worden, daß sich die Verpflichtung auf den ganzen Bauplatz beziehe. In dem Erkenntnis vom 22. April 1963, Zl. 1945/62, hat der Verwaltungsgerichtshof zwar dargelegt, daß die durch den Bau einer fundierten Einfriedung ausgelöste Pflicht zur Herstellung eines Gehsteiges eine eingeschränkte sei und sich nur auf jene Baulinie beziehe, an der die Einfriedung errichtet wurde. Gleichzeitig hat der Verwaltungsgerichtshof aber neuerlich der Meinung Ausdruck gegeben, daß bei einem Neu-, Zu- oder Umbau die Gehsteigverpflichtung entlang aller Baulinien entstehe. Der Gerichtshof sieht sich durch die Darlegung der Beschwerdeführerin nicht veranlaßt, von der eben wiedergegebenen Auffassung des Gesetzesinhaltes abzugehen. Die zitierte Rechtsprechung zu älteren Gesetzesstellen kann für die gegenwärtige Rechtslage nicht ins Gewicht fallen. Auch die behauptete Rechtswidrigkeit von Verfahrensvorschriften liegt nicht vor, weil die Verfahrensrüge sich nur auf Fragenbereiche bezieht, die ausschließlich unter Voraussetzungen der vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung bedeutsam gewesen wären. Auch die beim Verwaltungsgerichtshof beantragte Vornahme eines Lokalaugenscheines erübrigt sich - auch abgesehen von der Regelung des § 41 VwGG 1965 aus diesem Grunde. Die Beschwerde mußte somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abgewiesen werden.

Wien, am 8. November 1965

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