Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Senatspräsidenten Dr. Borotha, und die Hofräte Dr. Hrdlitzka, Dr. Krzizek, Penzinger und Dr. Lehne als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Morscher, über die Beschwerde des A und der G R, beide in W, gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid des Wiener Magistrates im selbständigen Wirkungsbereich vom 1. Juli 1964, Zl. M.D.R. B XIX 8/64/R), betreffend einen Abtragungsauftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Hinsichtlich der Vorgeschichte dieser Beschwerde kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Sachverhaltsdarstellung in dem gegenüber den gleichen Parteien ergangenen hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1962, Zl. 1144/62, verwiesen werden. Mit diesem Erkenntnis wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 7. Mai 1962, mit welchem den Beschwerdeführern gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien der Auftrag zur Abtragung des auf der Liegenschaft W bestehenden Gärten und Gerätehauses erteilt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Die Verletzung von Verfahrensvorschriften hat der Verwaltungsgerichtshof darin erblickt, daß die belangte Behörde nicht festgestellt hatte, ob es sich bei dem in Rede stehenden Bau um ein seit Jahren bestehendes Gebäude handelt, bezüglich dessen zwar keine Unterlagen über eine seinerzeitige Baubewilligung auffindbar sind, von dem jedoch andererseits feststeht, daß baubehördliche Beanstandungen aus dem Grunde des fehlenden Konsenses niemals stattgefunden haben. In einem solchen Falle, so heißt es in einem Erkenntnis weiter, spreche die Vermutung dafür, der das Gebäude in seiner derzeitigen Gestalt auf Grund einer nach den im Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschriften erteilten Baubewilligung errichtet wurde, es sei denn, daß Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorlägen.
Auf Grund dieses Erkenntnisses führte die belangte Behörde ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durch, nach dessen Abschluß mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Abtragungsauftrag des Wiener Magistrates neuerdings als unbegründet abgewiesen wurde. In der Begründung dieses Bescheides wird ausgeführt, weder in dem Abteilungsbescheid vom 14. Jänner 1907 noch in dem zugehörigen Abteilungsplan sei das gegenständliche Haus ausgewiesen. Die Wendung „... samt allem gesetzlichem Zubehör ...“ im Kaufvertrag vom 21. Mai 1910 vermöge auch nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Haus bezogen zu werden. Es müsse vielmehr davon ausgegangen werden, daß das Haus als relativ bedeutendes Bauwerk, wenn es schon vorhanden gewesen wäre, im Kaufvertrag ausdrücklich Erwähnung gefunden hätte. Von einem Gartenhaus sei erst im Kaufvertrag aus dem Jahre 1932 die Rede. Hinweis darauf, daß es wesentlich früher entstanden sei, lägen nicht vor. Eine Begutachtung durch Sachverständige der Baubehörde hinsichtlich der Merkmale des Bauwerkes habe solche Hinweise nicht erbracht. Auch die Beschwerdeführer seien nicht in der Lage gewesen, diesbezügliche Hinweise zu geben. Der Nachweis des Bestehens des Gartenhauses nur seit 1932 spreche aber nicht dafür, daß das Gebäude in seiner jetzigen Gestalt auf Grund einer nach den seinerzeitigen Bauvorschriften erteilten Baubewilligung vor vielen Jahren, etwa um die Jahrhundertwende, errichtet worden sei. Es müsse vielmehr angenommen werden, daß an sich um ein in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg ohne Konsens errichtetes Bauwerk handle, für welches die Verpflichtung zur Beseitigung im Sinne des § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien gelte. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In dem eingangs angeführten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den von der belangten Behörde aufrecht erhaltenen Auftrag zur Abtragung des gegenständlichen Bauwerkes ausschließlich deshalb aufgehoben, weil die belangte Behörde nicht geprüft hatte, ob für dieses Bauwerk nicht die Vermutung seines rechtlichen Bestandes bestehe. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGG. 1952 war daher die belangte Behörde verpflichtet, das Ermittlungsverfahren in der im Erkenntnis aufgezeigten Richtung zu ergänzen. Dies hat die belangte Behörde getan. Sie hat sowohl die von den Beschwerdeführern angeführten Urkunden darauf hin überprüft, ob sie über den Zeitpunkt der Errichtung des Hauses irgendwelche Anhaltspunkte enthalten, als auch eine Untersuchung des Bauwerkes durch einen Sachverständigen vornehmen lassen. Auf Grund dieser Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens ist die Behörde zu dem Ergebnis gelangt, daß das Gebäude erst nach dem Ersten Weltkrieg, voraussichtlich erst kurz vor dem Jahre 1932 errichtet wurde. Dies bestreiten die Beschwerdeführer.
Wann ein Gebäude errichtet wurde, ist eine Frage des Sachverhaltes. Die Feststellung des Sachverhaltes obliegt der erkennenden Behörde auf Grund des ihr zustehenden Rechtes der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG.). Die Beweiswürdigung der Behörde kann der Verwaltungsgerichtshof nur insofern überprüfen, als es sich um die Feststellung handelt, ob der in der Beweiswürdigung gelegene Denkvorgang zu einem den Denkgesetzen und den Erfahrungen des Lebens entsprechenden Ergebnis geführt hat bzw. ob der Sachverhalt, der in dem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurde.
In dieser Hinsicht bringen die Beschwerdeführer vor, in dem ergänzenden Ermittlungsverfahren seien keine Feststellungen darüber getroffen worden, daß das gegenständliche Gartenhäuschen weder einen Wasseranschluß noch einen Kanalanschluß oder einen Abort besitze und daher für Wohnzwecke nicht geeignet sei. Ebenso fehlen Feststellungen darüber, ob und welche öffentlichen Rücksichten die Beseitigung des Gartenhäuschens notwendig machen. Schließlich habe es die belangte Behörde unterlassen, die im Schriftsatz vom 4. September 1963 beantragte technische Überprüfung des Zeitpunktes der Errichtung des Gartenhäuschens durchführen zu lassen. Mit diesem Vorbringen vermögen jedoch die Beschwerdeführer die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darzutun. Welche Anhaltspunkte die belangte Behörde für die hier allein zur Entscheidung stehende Frage, nämlich den Zeitpunkt der Erbauung des Hauses, daraus gewinnen kann, ob dieses Haus infolge Fehlens eines Wasser und Kanalanschlusses und eines Abortes für Wohnzwecke ungeeignet ist, ist nicht erfindlich, weil das Fehlen dieser Einrichtungen bei einem „Gartenhäuschen“ weder nach der geltenden noch nach der früheren Bauordnung für Wien Voraussetzung für seine Genehmigung war. Das gleiche gilt auch hinsichtlich der öffentlichen Rücksichten, die nach Meinung der Beschwerdeführer gegeben sein müssen, um einen auf § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien gestützten Abtragungsauftrag zu rechtfertigen. Die Erteilung eines auf diese gesetzliche Bestimmung gestützten Auftrages ist nämlich, anders als die Beschwerdeführer meinen, von dem Nachweis eines öffentlichen Interesses an seiner Erlassung nicht abhängig. Was schließlich die Feststellung des Zeitpunktes der Errichtung des gegenständlichen Gartenhäuschens durch eine technische Überprüfung des Bauwerkes anlangt, so bringen die Beschwerdeführer lediglich vor, daß eine solche Feststellung möglich sei. Sie haben aber der ihnen vorgehaltenen Feststellung der bautechnischen Abteilung des Magistrates, daß eine Überprüfung an Ort und Stelle hinsichtlich des Entstehungsjahres kein Ergebnis gezeitigt habe, nichts Konkretes im Sinne der von ihnen vertretenen Meinung entgegengehalten, insbesondere auch keinen Beweis dafür etwa das Gutachten eines von ihnen befragter Sachverständigen angeboten. Wenn bei dieser Sachlage die belangte Behörde auf Grund des ihr zustehenden Rechtes der freien Beweiswürdigung davon ausgegangen ist, daß sich die Entstehungszeit des Bauwerkes im Weg einer Prüfung nach technischen Gesichtspunkten nicht feststellen läßt, so kann darin eine Unschlüssigkeit nicht erblickt werden. Nun meinen die Beschwerdeführer aber auch, daß selbst ein Zeitraum von etwa 45 Jahren (gerechnet vom Ende des Ersten Weltkrieges) oder auch von nur 35 Jahren (gerechnet vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bauordnung) ausreichend sei, um im Sinne des hg. Erkenntnisses vom 4. Juni 1957, Slg. N. F. Nr. 4364/A, zu unterstellen, daß das stets unbeanstandet gebliebene Bauwerk auf Grund einer seinerzeit erteilten Baubewilligung errichtet worden sei. Die Beschwerdeführer verkennen hier den Sinn der in dem erwähnten Erkenntnis zum Ausdruck gekommenen Rechtsansicht. Die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes einer Baulichkeit soll nach diesem Erkenntnis nur dann Platz greifen, wenn der Zeitpunkt der Erbauung desselben offensichtlich so weit zurückliegt, daß, von besonders gelagerten Einzelfällen abgesehen, auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven die Wahrscheinlichkeit, noch entsprechende Unterlagen auffinden zu können, erfahrungsgemäß reicht mehr besteht. Von einem so weitreichenden Zeitraum kann aber vorliegendenfalls nicht gesprochen werden.
Das übrige Beschwerdevorbringen geht aber an dem Kern der hier zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage vorbei. Ob und wie die Bestimmungen des § 84 im Zusammenhang mit Art. III der Bauordnung für Wien auszulegen sind, ist nicht in einem Verfahren, betreffend die Erteilung eines Abtragungsauftrages, sondern nur in einem Baubewilligungsverfahren zu prüfen. Es ist daher entbehrlich, sich mit diesem Vorbringen im einzelnen auseinanderzusetzen.
Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG. 1952 abgewiesen werden mußte.
Wien, 30. November 1964