Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Borotha, und die Hofräte Dr. Hrdlitzka, Dr. Krzizek, Dr. Mathis und Dr. Striebl als Richter, im Beisein des Schriftführers Polizeikommissärs Dr. Primmer, über die Beschwerde der W K in W gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid des Wiener Magistrates im selbständigen Wirkungsbereich vom 5. März 1962, Zl. M.Abt.64 B XV 19/61), betreffend einen baupolizeilichen Auftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Mit Bescheid des Wiener Magistrates vom 18. Juli 1961 wurde der Beschwerdeführerin als Eigentümerin des Hauses W, gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien der Auftrag erteilt, die ohne Baubewilligung hergestellte Kanalanlage im Bereiche der Wäscherei links von der Hauseinfahrt zu entfernen. Hinzugefügt wurde, daß diese Verpflichtung nicht bestehe, wenn innerhalb der für die Erfüllung des Auftrages festgesetzten Frist für die Kanalanlage um die nachträgliche Baubewilligung angesucht, diese in der Folge erwirkt und die erforderlichen Abänderungen durchgeführt werden. In der Begründung dieses Bescheides heißt es, durch amtliche Erhebungen sei festgestellt, daß links von der Hauseinfährt eine Kanalanlage hergestellt worden sei. Der Bau sei ohne Baubewilligung abgeändert worden und weiche von den Bauvorschriften insofern ab, als Rohrleitungen T förmig angeschlossen, keine entsprechenden Putzmöglichkeiten vorhanden seien und daher die Kanalanlage zum Teile nicht der Norm B 2501 entspreche. Eine Baubewilligung für diese Anlage liege weder bei der Behörde auf noch habe der Hauseigentümer eine solche nachweisen können. Durch einen langen Bestand einer Bauanlage allein werde kein Konsens erworben. Gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführerin Berufung ein, in der sie ausführte, es sei unrichtig, daß die Kanalanlage ohne Baubewilligung hergestellt oder abgeändert worden sei. Bisher habe sie bei der Kanalanlage noch keinen Anstand gehabt. Erst jetzt, da im Haus eine Wäscherei modernisiert werde, sollte den Mietern, die ohnedies „durch § 7“ einen höheren Zins bezahlen, der Zins noch ein mal erhöht werden. Da die Kanalanlage seit Bestehen des Hauses in diesem Zustand gut gewesen sei, sei nicht einzusehen, warum sie nicht auch weiter gut sein solle. Alle Hausbelege seien durch Kriegseinwirkungen abhanden gekommen. Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde dieser Berufung keine Folge gegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Eigentümerin der im Hause befindlichen Wäscherei habe mit Zustimmung des Vertreters der Beschwerdeführerin selbst am 12. Juni 1959 um die nachträgliche Genehmigung für die Kanalisationsanlage der Wäscherei angesucht. Dieses Ansuchen sei gemäß der Niederschrift vom 2. Juli 1960 mit dem Bemerken zurückgezogen worden, daß innerhalb von 5 Wochen ein neuerliches Ansuchen gestellt werden würde. Da ein solches Ansuchen nicht eingebracht worden sei, sei von der Baubehörde ein Auftrag im Sinne des § 129 Abs. 10 der Bauordnung erlassen worden, welcher auch die Möglichkeit offen lasse, eine nachträgliche Baubewilligung zu. erwirken. Der Hinweis darauf, daß angeblich keine Mängel an der Kanalanlage bestünden und die Anlage selbst schon seit längerer Zeit bestehe, könne einen baubehördlichen Konsens, welcher weder bei der Baubehörde vorliege noch von der Beschwerdeführerin nachgewiesen werden konnte, nicht ersetzen. Auch könne eine Baubewilligung für die vorhandene Kanalanlage schon deshalb nicht vorliegen, weil diese Anlage in mehrfacher Hinsicht den einschlägigen Vorschriften nicht entspreche. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes (unrichtige Anwendung des § 129 Abs. 10 der Bauordnung) und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes) geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der erteilte baupolizeiliche Auftrag wurde auf die Bestimmungen des § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien (Gesetz vom 25. November 1929, LGBl.Nr. 11/1930, mit Änderungen) gestützt. Nach dieser Gesetzesstelle sind Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen. Vorschriftswidrig ist jeder Bau, für den eine baubehördliche Bewilligung nicht vorliegt oder der später abgeändert wurde, ohne daß die bewilligungspflichtige Abänderung baubehördlich genehmigt wurde. Weder der erstinstanzliche Bescheid noch der Berufungsbescheid läßt erkennen, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung davon ausgegangen ist, daß die bestehende Kanalanlage überhaupt ohne Baubewilligung hergestellt wurde, oder davon, daß zwar eine Baubewilligung vorliegt, der bestehende Zustand jedoch vom genehmigten Zustand abweicht. Im erstinstanzlichen Bescheid ist nämlich einerseits davon die Rede, daß die bestehende Kanalanlage ohne Baubewilligung hergestellt wurde. Anderseits heißt es aber unmittelbar darauf, daß der Bau ohne Baubewilligung abgeändert wurde. Aus den Bescheiden der Baubehörden geht auch nicht einwandfrei hervor, ob für die gesamten Baulichkeiten und die zugehörigen Nebenanlagen auf dieser Liegenschaft oder nur für die Kanalanlage keine Baubewilligung und keine Baupläne festgestellt werden konnten. In der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hat die Beschwerdeführerin bestritten, daß der Bau ohne Baubewilligung abgeändert wurde, und behauptet, daß die Kanalanlage sich seit dem Bestand des Hauses im gleichen Zustand befinde. Diesem Vorbringen ist die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides nur damit entgegengetreten, daß der lange Bestand einer Baulichkeit eine Baubewilligung nicht zu ersetzen vermag. Damit kann aber das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren, das darauf hinausläuft, daß der bestehende Zustand konsensgemäß sei, nicht widerlegt werden. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 4. Juni 1957, Slg.N.F.Nr. 4364/A, ausgesprochen, daß dann, wenn hinsichtlich eines seit Jahrzehnten bestehenden Gebäudes Unterlagen über eine seinerzeitige Baubewilligung nicht mehr auffindbar sind, anderseits aber feststeht, daß baubehördliche Beanstandungen aus dem Grunde, weil der Konsens fehle, niemals stattgefunden haben, die Vermutung dafür spricht, daß das Gebäude in seiner derzeitigen Gestalt auf Grund einer nach dem im Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschrift erteilten Baubewilligung errichtet worden ist, es sei denn, daß Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorliegfen. Was hier für ein Gebäude ausgeführt wurde, muß auch für die Zubehöranlagen (Kanalanlagen, Wasserleitungsanlagen) gelten. Wenn im erstinstanzlichen Bescheid in dieser Hinsicht ausgeführt wurde, daß die Kanalanlage verschiedene Mängel aufweise, so kann damit allein die Vermutung der Konsensmäßigkeit eines seit vielen Jahrzehnten bestehenden Bestandes nicht widerlegt werden, weil es, worauf die Beschwerdeführerin in der Beschwerde mit Recht hingewiesen hat, nicht darauf ankommt, ob die Kanalanlage den derzeitigen Vorschriften entspricht, sondern, ob sie den im Zeitpunkte der Errichtung der Kanalanlage bestandenen Vorschriften entsprochen hat. Ist aber die belangte Behörde, wie sich aus der Gegenschrift ergibt, davon ausgegangen, daß an dem Kanal Änderungen vorgenommen wurden, dann hätte sie entsprechende Feststellungen treffen. müssen.
Die belangte Behörde wird sich daher darüber schlüssig werden müssen, ob für die bestehende Kanalanlage überhaupt keine Baubewilligung nachgewiesen werden kann und eine solche auch nicht zu vermuten ist, in welchem Fall allein der Auftrag zur Beseitigung des Kanales gerechtfertigt erscheint, oder ob eine solche Baubewilligung vorhanden ist oder angenommen werden kann, der bestehende Zustand aber mit dem genehmigten Zustand nicht übereinstimmt. In diesem Fall ist nur ein Auftrag zur Herstellung des konsensgemäßen Zustandes im Gesetz begründet. Der Sachverhalt erscheint sohin in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig. Dies führt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zufolge § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG.1952 zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 lit. c VwGG.1952 abgesehen werden.
Wien, 23. November 1962