JudikaturVwGH

1100/61 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
17. Dezember 1963

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Porias und die Hofräte Dr. Strau, Dr. Striebl, Dr. Dolp und Dr. Skorjanec als Richter, im Beisein des Schriftführers, Ministeraloberkommissär Dr. Svoboda, über die Beschwerde des HM in F gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 4. Mai 1961, Zl. IVa 818/19, betreffend Fürsorgeleitung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Mit Eingabe vom 21. Mai 1960 an den Bezirksfürsorgeverband (BVF) F hatte der Beschwerdeführer den Antrag gestellt, ihm einen Betrag von S 551,40 zusätzlich seiner Postauslagen auszubezahlen. Gleichzeitig legte er ein Mahnschreiben der Eisenwaren- und Kohlenhandlung A vom 17. Mai 1960 vor, demzufolge der Beschwerdeführer ersucht wurde, die Rechnung vom 8. Jänner 1960 für Kohlen im Betrage von S 275,70 und die Rechnung vom 10. Februar 1960 für Kohlen im selben Betrage, insgesamt also einen Betrag von S 551,40 sofort zu begleichen. Der BFV F wies diesen Antrag mit Bescheid vom 25. Mai 1960 mit der Begründung ab, es bedeute der Betrag von S 551,40 für den Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Schuld, und es komme die öffentliche Fürsorge aus grundsätzlichen Erwägungen für Schulden nicht auf. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 30. Mai 1960 Einspruch an die Bezirkshauptmannschaft F, in der er vor allem betonte, daß die Fürsorge ihr Eingreifen nicht von einem Antrag abhängig machen dürfe, sondern erforderlichenfalls von Amts wegen einsetzen müsse. In diesem Zusammenhang verwies der Beschwerdeführer darauf, daß er schon in seiner Berufung vom 6. Dezember 1959 (gegen einen die Einstellung der laufenden Fürsorgeunterstützung betreffenden Bescheid der Bezirkshauptmannschaft F vom 28. November 1959, Zl. V 5/2) ersucht habe, die Nachzahlungen vor Weihnachten vornehmen zu lassen, um ....... das allernötigste Brennmaterial besorgen zu können. Am 24. Februar 1960 habe er in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (betreffend die gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 30. Dezember 1959, Zl. IVa 479/1, erhobene Verwaltungsgerichtshofbeschwerde) seine Kohlenschuld in der Höhe von S 551,40 mitgeteilt. In einem Schriftsatz vom 5. April 1960 an den BVF F habe er die Erhöhung seiner Kohlenschuld um einen Betrag von S 180,40 (Kohlenbezug vom 1. April 1960) bekanntgegeben. Der BFV F sei daher zeitgerecht und mehrfach von seinem fürsorgerechtlichen Sachverhalt unterrichtet gewesen. Da die Bezirkshauptmannschaft F innerhalb von sechs Monaten über diesen Einspruch nicht entschieden hatte, stellte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 3. Dezember 1960 an die Vorarlberger Landesregierung einen Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 2 AVG 1950, in dem er ersuchte, die Vorarlberger Landesregierung möge ihm „die Zuerkennung der Bezahlung der Kohlenschulden von S 551,40 + S 180,40 + S 50,-- Unkosten (Porto, Papier, Schreibmaschinenabnützung) = Summe: S 781,80 zuerkennen“. Mit Bescheid vom 4. Mai 1961 hat die Vorarlberger Landesregierung dem Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des BVF F vom 25. Mai 1960 keine Folge gegeben. In der Begründung dieses Bescheides ist ausgeführt, wenn der Beschwerdeführer vermeine, die Fürsorge sei nach den §§ 9 Abs. 2 und 11 Abs. 2 der Reichsgrundsätze verpflichtet, für Schulden aufzukommen, so erweise sich diese Meinung also vollkommene Verkennung der Sachlage. Die vom Beschwerdeführer angeführten Bestimmungen der Reichsgrundsätze befaßten sich überhaupt in keiner Weise mit der Frage der Bezahlung von Schulden den Hilfsbedürftigen durch die Fürsorge, sondern besagten lediglich, daß bei Zutreffen der dort bestimmten Voraussetzungen die erforderliche Hilfe auch in der Form eines Darlehens an den Hilfsbedürftigen gewährt werden können. Ob und inwiefern die öffentliche Fürsorge für Schulden des Hilfsbedürftigen aufzukommen habe, sei in den fürsorgerechtlichen Vorschriften nicht ausdrücklich geregelt. Diese Frage könne nur aus den der Fürsorge gesetzlich obliegenden Aufgaben beantwortet werden. Aufgabe der Fürsorge sei es, dem Hilfsbedürftigen den notwendigen Lebensbedarf zu gewähren. Die Bezahlung von Schulden des Hilfsbedürftigen stelle sich aber nicht als eine Maßnahme zur Gewährung des notwendigen Lebensbedarfes dar. Die obersten Spruchbehörden hätten daher in ihrer Rechtsprechung ständig den Grundsatz vertreten, daß die Bezahlung von Schulden und die Abnahme von zivilrechtlichen Schuldverpflichtungen die Hilfsbedürftigen nicht im Rahmen der öffentlich rechtlichen Fürsorgepflicht liegen (vgl. Baath Kneip; Fürsorgepflicht, 13. Auflage, Seite 413 und 441). Eine Ausnahme von diesem allgemein geltenden Grundsatz könnte allenfalls dann in Frage kommen, wenn dem Schuldner infolge der vom Gläubiger eingeleiteten Schritte eine die Hilfsbedürftigkeit begründende Notlage unmittelbar drohen und zu ihrer Abwendung die Bezahlung der Schulden durch die Fürsorge das geeignete Mittel darstellen würde. Dies werde beispielsweise dann der Fall sein, wenn wegen rückständiger Mietzinse infolge der deshalb erfolgten Kündigung des Mietverhältnisses der Verlust der Wohnung oder bei Nichtzahlung fälliger Raten für unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Gegenstände, die zur Befriedigung des notwendigen Lebensbedarf gehörigen Gegenstände erheblich höhere Kosten verursachen würde. In derart gelagerten Fällen könne die Bezahlung der Schulden durch die Fürsorge unter Umständen das geeignete Mittel zur Abwehr der drohenden Notlage sein und als eine im Rahmen der Fürsorgepflicht liegende Maßnahme angesehen werden. Ein solcher Ausnahmefall für das pflichtgemäß Einschreiten der Fürsorge durch Bezahlung von Schulden liege aber im vorliegenden Falle, in dem die Schulden durch Anschaffung von Heizmaterial begründet worden seien, jedenfalls nicht vor. Die Ablehnung der beantragten Beihilfe zur Bezahlung der vom Beschwerdeführer bezogenen Kohlen durch den angefochtenen Bescheid sei daher im Gesetz begründet. Der Beschwerdeführer mache des weiteren geltend, die Fürsorge dürfe gemäß den §§ 2 und 3 der Reichsgrundsätze ihr Eingreifen nicht von einem Antrag abhängig machen, sie müsse erforderlichenfalls von Amts wegen einsetzen. Hiezu sei festzustellen, daß Voraussetzung für das Einschreiten der Fürsorge in jedem Falle das Vorliegen von Hilfsbedürftigkeit sei. Für die Fürsorgebehörde könne daher auch eine Verpflichtung zu einem amtswegigen Eingreifen nur dann gegeben sein, wenn ihr eine drohende Notlage erkennbar geworden sei, der der von ihr Bedrohte voraussichtlich mit seinen eigenen Kräften und Mitteln nicht abhelfen könne. Dem Fürsorgeverband sei aus dem vorangegangenen Verfahren über die Einstellung der laufenden Fürsorgeunterstützung bekannt gewesen, daß der Beschwerdeführer seit Juli 1959 eine Kriegsbeschädigtenrente von monatlich S 664,-- zuzüglich einer Sonderzahlung im Oktober im Betrag von S 634,-- und damit ein laufendes Einkommen beziehe, das das Ausmaß der laufenden Fürsorgeunterstützung eines alleinstehenden, vollständig mittellosen Hilfsbedürftigen erheblich übersteige, und zu dem im Juli 1959 eine Rentennachzahlung von S 18.575,-- ausgezahlt erhalten habe. Bei dieser Sachlage habe für die Fürsorgebehörde nicht der geringste Anlaß zu der Annahme bestanden, daß dem Beschwerdeführer durch die im Winter 1959/60 allenfalls erforderliche Beschaffung des notwendigen Heizmaterials eine die Hilfsbedürftigkeit begründende Notlage entstehen könnte. Sie habe vielmehr mit Recht annehmen müssen, daß ein verständig wirtschaftender und versorgender Mensch, dem ein laufendes Einkommen in der festgestellten Höhe zur Verfügung stehe und dem zudem in der zweiten Hälfte des Jahres 1959 einmalige Einkünfte in der Höhe der Rentennachzahlung zugeflossen seien, ohne weiteren und ohne Gefährdung des sonstigen notwendigen Lebensbedarfes in der Lage sei, das erforderliche Heizmaterial aus eigenen Mitteln zu beschaffen. Im Hinblick auf diesen Sachverhalt habe für die Fürsorgebehörde kein Anlaß und keine Verpflichtung zu einem amtswegigen Einschreiten bestanden. Bezüglich der geltend gemachten Kosten werde auf § 74 Abs. 1 AVG 1950 verwesen, wonach jeder Beteiligte die ihm im Verwaltungsverfahren erwachsenden Kosten selbst zu bestreiten habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist grundsätzlich festzuhalten, daß Voraussetzung für das Eingreifen der öffentlichen Fürsorge in allen Fällen das Vorliegen von Hilfsbedürftigkeit ist. Die Frage, wann Hilfsbedürftigkeit vorliegt, ist in den „Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge“ näher umschrieben. Nach § 5 dieser Grundsätze ist hilfebedürftig, wer den notwendigen Lebensbedarf für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderer Seite, insbesondere von Angehörigen, erhält. In einem solchen Falle ist es nach § 1 Abs. 1 der Reichsgrundsätze Aufgabe der Fürsorge, dem Hilfsbedürftigen den notwendigen Lebensbedarf zu gewähren. Nach § 2 Abs. 1 der Reichsgrundsätze muß die Fürsorge rechtzeitig einsetzen; sie ist nicht von einem Antrag abhängig. Damit aber die Fürsorge rechtzeitig eintreten kann, muß den Fürsorgebehörden das Vorliegen bereits eingetretener Hilfsbedürftigkeit oder zumindest drohende Hilfsbedürftigkeit bekannt sein. Nur in einem solchen Fall kann eine Verpflichtung der Fürsorgebehörde entstehen, von Amts wegen tätig zu werden. Andernfall wird das Einsetzen der Fürsorge in der Regel wohl von einem Antrag des Hilfsbedürftigen, seines Vertreters oder der Person, die ihm Unterhalt gewährt, abhängig gemacht werden müssen. Im Falle des Beschwerdeführers hatten die Fürsorgebehörden zunächst sicherlich keinen Anlaß, beim Beschwerdeführer das Vorleigen von Hilfsbedürftigkeit anzunehmen, zumal ihnen aus verschiedenen Verwaltungsverfahren bekannt war, daß dem Beschwerdeführer eine Kriegsopferrente zuerkannt und eine größere Nachzahlung an rückständigen Kriegsopferrenten geleistet worden war. Es hatte daher ein Grund für ein amtswegige Einschreiten für Fürsorgebehörden nicht bestanden. Die Bestimmung des § 2 Abs. 1 der Reichsgrundsätze, daß die Fürsorge nicht von einem Antrag abhängig zu machen sei, hat nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes wohl nur den Zweck, Hilfsbedürftige nicht aus Unkenntnis wohl nur den Zweck, Hilfsbedürftige nicht aus Unkenntnis oder aus Scheu (verschämte Arme) der Hilfe durch die öffentliche Fürsorge verlustig gehen zu lassen. Daß es sich beim Beschwerdeführer um eine solche Person handle, kann nicht behauptet werden. Wenn die Fürsorgebehörde im Falle des Beschwerdeführers nach dem oben Gesagten keine Veranlassung für ein amtswegiges Einschreiten hatte, so ergibt sich daraus, daß der Beschwerdeführer, falls er einen Anspruch auf die Zuverfügungstellung von Brennmaterial durch die öffentliche Fürsorge zu haben glaubte, einen Antrag zu stellen gehabt hätte. Dies hat der Beschwerdeführer aber nicht getan, denn der Hinweis des Beschwerdeführer in Schriftsätzen, die er in anderen Verwaltungsverfahren erstattet hatte, daß er Kehlen beschaffen müsse bzw. bereits beschafft habe, kann eine solche Antragstellung nicht ersetzen. Ein Antrag auf Gewährung einer Fürsorgeunterstützung für den Ankauf von Brennmaterial hat der Beschwerdeführer vielmehr erst mit seiner Eingabe vom 21. Mai 1960 gestellt, also erst zu einer Zeit, nachdem er schon dreimal bei der Firma A Kohlen bezogen hatte. Eine solche Vorgangsweise widerspricht aber den Grundprinzipien jeder öffentlichen Fürsorge, weil es bei einer solchen Übung den Fürsorgebehörden nicht einmal mehr möglich wäre, die Höhe der im Einzelfall zu gewährenden Fürsorgeunterstützung zu bestimmen. Die Fürsorgebehörden haben daher im vorliegenden Fall nicht rechtswidrig gehandelt, wenn sie den vom Beschwerdeführer erst nach vollzogenem Kohlenbezug gestellten Antrag, ihm die hiefür aufgelaufenen Kosten zu ersetzen, abgewiesen haben.

Was das von der belangten Behörde abgewiesene Begehren des Beschwerdeführers nach Ersatz von Unkosten für Porto, Papier und Schreibmaschinenabnutzung anlangt, genügt es, auf die Bestimmung des § 74 Abs. 1 AVG 1950 hinzuweisen, nach der jeder Beteiligte die ihm im Verwaltungsverfahren erwachsenden Kosten selbst zu bestreiten hat. Lediglich § 74 Abs. 2 AVG 1950 sieht die Möglichkeit vor, daß in den Verwaltungsvorschriften in Abweichung von dem Grundsatz der Selbsttragung der im Verwaltungsverfahren entstehenden Kosten ausnahmsweise Sonderbestimmungen über Kostenersatzansprüche gegen andere Beteiligte, nicht aber gegen die Behörden, getroffen werden. Die belangte Behörde hat daher mit Recht das vom Beschwerdeführer gegen die Behörde gerichtete Kostenbegehren abgewiesen.

Die vorliegende Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1952 als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 1963

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