Ra 2018/22/0195 2 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem minderjährigen Unionsbürger und dem Drittstaatsangehörigen, dem ein Aufenthaltsrecht verweigert wird, kann die praktische Wirksamkeit der Unionsbürgerschaft beeinträchtigen, weil diese Abhängigkeit dazu führt, dass der Unionsbürger sich als Folge einer solchen Verweigerung de facto gezwungen sieht, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Zur Beurteilung dieses Risikos ist zu ermitteln, welcher Elternteil die tatsächliche Sorge für das Kind wahrnimmt und ob ein tatsächliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Kind und dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit besteht. Für diese Beurteilung bildet der Umstand, dass der andere Elternteil, der Unionsbürger ist, wirklich in der Lage und bereit ist, die tägliche und tatsächliche Sorge für das Kind allein wahrzunehmen, einen Gesichtspunkt von Bedeutung, der aber allein nicht für die Feststellung genügt, dass zwischen dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und dem Kind kein Abhängigkeitsverhältnis in der Weise besteht, dass sich das Kind zum Verlassen des Unionsgebiets gezwungen sähe, wenn dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht verweigert würde. Einer solchen Feststellung muss die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls im Interesse des Kindeswohles zugrunde liegen, so insbesondere des Alters des Kindes, seiner körperlichen und emotionalen Entwicklung, des Grades seiner affektiven Bindung sowohl zu dem Elternteil, der Unionsbürger ist, als auch zu dem Elternteil mit Drittstaatsangehörigkeit und des Risikos, das mit der Trennung von Letzterem für das innere Gleichgewicht des Kindes verbunden wäre (vgl. EuGH 10.5.2017, Chavez-Vilchez, C-133/15; 8.5.2018, K.A. u.a., C-82/16). Der Umstand des Zusammenlebens des drittstaatsangehörigen Elternteils mit dem minderjährigen Unionsbürger zählt zu den relevanten Gesichtspunkten, die zu berücksichtigen sind, um das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zu bestimmen (vgl. EuGH C-82/16).