JudikaturVfGH

E544/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
05. Juni 2025
Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin – eine 2004 geborene somalische Staatsangehörige – stellte am 8. Oktober 2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen wie folgt begründete: Ihr Onkel mütterlicherseits, der Mitglied von Al Shabaab sei, habe sie mit einem fremden Mann verheiraten wollen. Sie habe zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Monate eine Liebesbeziehung zu einem anderen Mann, einem Händler aus Mogadischu, unterhalten und sei auch zu ihrem Freund nach Mogadischu gezogen. Ihr Onkel habe ihren Freund wegen deren Liebesbeziehung bedroht, weshalb sie Somalia verlassen habe.

2. Mit Bescheid vom 13. Februar 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Zugleich erkannte es ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

3. Die ausschließlich gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 27. Jänner 2025 als unbegründet ab.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, in dem verfassungsgesetzlich gewähreisteten Recht auf Leben und in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Beurteilung, ob Beschwerdeführerinnen im Falle einer Rückkehr nach Somalia geschlechtsspezifischer Verfolgung ausgesetzt sein können, bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine bereits vorgenommene weibliche Genitalverstümmelung eine asylrelevante Verfolgung auch wegen der Gefahr einer Vornahme weiterer Genitalverstümmelungen (anderer Form), etwa anlässlich einer Eheschließung oder der Geburt eines Kindes, begründen kann. Eine bereits vorgenommene Genitalverstümmelung rechtfertige daher keinesfalls ohne weitere Ermittlungen die Annahme, dass die individuelle Situation der Beschwerdeführerin von vornherein nicht asylrechtlich relevant wäre und keine weitere Beschneidung drohe (siehe zuletzt VfGH 25.2.2025, E3443/2024 mwN).

3.2. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vorgebracht,

"dass eine bereits vorgenommene Genitalverstümmelung aufgrund der Einschätzung von UNHCR auch asylrelevant sein kann, insbesondere wegen der Gefahr einer Vornahme weiterer Genitalverstümmelungen (anderer Form), etwa anlässlich einer Eheschließung oder Geburt eines Kindes. Dies könnte insbesondere der BF, die eine längere uneheliche Beziehung geführt und sich allein im westlichen Ausland aufgehalten hat, drohen."

Das Bundesverwaltungsgericht stellt im angefochtenen Erkenntnis fest, dass der Beschwerdeführerin in Somalia "keine weitere Genitalverstümmelung" droht. Dies begründet das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung folgendermaßen:

"Abschließend gab die Beschwerdeführerin in der Beschwerde an, dass in Somalia eine Genitalverstümmelung an ihr vorgenommen worden sei […]. Darauf bezogene Befürchtungen für die Zukunft machte sie zu keinem Zeitpunkt geltend und ergibt sich auch aus den Länderberichten nicht die Gefahr einer weiteren Genitalverstümmelung der Beschwerdeführerin."

3.3. Wie das Bundesverwaltungsgericht angesichts des oben wiedergegebenen Vorbringens in der Beschwerde (an das Bundesverwaltungsgericht) zu der Aussage kommen kann, dass die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt Befürchtungen in Bezug auf eine (neuerliche) zukünftige Genitalverstümmelung geltend gemacht habe, ist nicht nachvollziehbar. Auch unterlässt es das Bundesverwaltungsgericht darzulegen, aus welchen Aussagen in Länderberichten sich ergäbe, dass für die Beschwerdeführerin keine "Gefahr einer weiteren Genitalverstümmelung" für den Fall ihrer Rückkehr nach Somalia bestehe. Die vom Bundesverwaltungsgericht in seinen Feststellungen abgedruckten Passagen aus den Länderberichten enthalten zu dieser Frage keine spezifischen Ausführungen.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat damit sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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