JudikaturVfGH

G84/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
17. September 2024

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

Mit dem auf Art140 B VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller,

"§27 EStG so aufzuheben, dass

in Absatz 1 die Wortfolge 'aus realisierten Wertsteigerungen von Kapitalvermögen (Abs3)'

Absatz 3 zur Gänze

entfällt".

II. Rechtslage

§27 des Bundesgesetzes vom 7. Juli 1988 über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988 – EStG 1988), BGBl 400 idF BGBl I 200/2023, lautet auszugsweise wie folgt (die angefochtenen Stellen sind hervorgehoben):

" Einkünfte aus Kapitalvermögen

§27. (1) Einkünfte aus Kapitalvermögen sind Einkünfte aus der Überlassung von Kapital (Abs2), aus realisierten Wertsteigerungen von Kapitalvermögen (Abs3) , aus Derivaten (Abs4) und aus Kryptowährungen (Abs4a), soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne des §2 Abs3 Z1 bis 4 gehören. Bei Tauschvorgängen ist §6 Z14 sinngemäß anzuwenden.

(2) […]

(3) Zu den Einkünften aus realisierten Wertsteigerungen von Kapitalvermögen gehören Einkünfte aus der Veräußerung, Einlösung und sonstigen Abschichtung von Wirtschaftsgütern, deren Erträge Einkünfte aus der Überlassung von Kapital im Sinne von Abs2 sind (einschließlich Nullkuponanleihen) .

(4) bis (8) […]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Seine Antragslegitimation begründet der Antragsteller wie folgt:

1.1. Der Antragsteller habe mit Valuta 16. Mai 2024 eine Stückzahl von 750 Aktien verkauft. Auf Grund des Kursgewinnes sei die Kapitalertragsteuer von 27,5 % in Höhe von € 3.170,30 von der depotführenden Stelle einbehalten und abgeführt worden.

1.2. Der Antragsteller habe keine zumutbare Möglichkeit, den Vorgang der Besteuerung im Wege der von der depotführenden Stelle einzubehaltenden Kapitalertragsteuer zu beeinflussen oder diesbezüglich die Erlassung eines Bescheides zu erwirken. Es sei ihm insbesondere nicht möglich, einen Antrag gemäß §97 Abs2 EStG 1988 zu stellen, zumal der Antragsteller keinen Verlustausgleich geltend machen könne.

1.3. Dem Antragsteller stehe auch kein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit des §27 EStG 1988 zur Verfügung. Eine Antragstellung gemäß §27a EStG 1988 sei dem Antragsteller nicht zumutbar, zumal eine solche dazu führen würde, dass der Vermögenszuwachs für die konkrete Transaktion mit einem Steuersatz von 50 % statt der geltenden 27,5 % besteuert werde und dies darüber hinaus auch für alle weiteren endbesteuerten Kapitaleinkünfte des Antragstellers gelten würde, sohin auch für dessen Dividenden und Zinsen aus Spareinlagen. Eine solche Antragstellung würde sohin für den Antragsteller eine "enorme finanzielle Einbuße" bedeuten, bloß um den Einkommensteuerbescheid als verfassungswidrig bekämpfen zu können.

2. Der Antragsteller legt seine Bedenken zusammengefasst wie folgt dar:

2.1. Die angefochtene Bestimmung verletzte den Antragsteller in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums, zumal sich aus dieser eine Besteuerung von nominalen Wertsteigerungen ergebe, die nicht auf einem realen Zuwachs an Leistungsfähigkeit fußten. Bei inflationärer Entwicklung sei die Kapitalertragsteuer zu zahlen, selbst wenn ein realer Verlust erwirtschaftet werde. Im Falle der Deflation werde – sofern sich der Kurs des Aktienportfolios nicht verändere – hingegen ein realer Gewinn erwirtschaftet, der keiner Besteuerung unterliege. Reale Erträge würden mit unterschiedlichen Steuersätzen je nach Inflationsentwicklung belastet. Die Besteuerung orientiere sich also überhaupt nicht an der Leistungsfähigkeit oder dem Nutzenzuwachs der Steuerpflichtigen, sondern sei im Wesentlichen vom Zufall abhängig.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof habe zwar bereits mehrmals ausgesprochen, dass das Nominalwertprinzip in Einzelfällen nicht verfassungswidrig sei, diese Fälle hätten aber die betriebliche Besteuerung betroffen. Diese Fälle unterschieden sich vom konkreten Fall dahingehend, als bei betrieblicher Besteuerung ein gewisser Ausgleich durch die Abzugsfähigkeit der Finanzierungskosten stattfinde. Im außerbetrieblichen Bereich könnten Finanzierungskosten hingegen nicht vom Kursgewinn abgezogen werden. Das Fehlen der Abzugsfähigkeit von Finanzierungskosten verstärke den Effekt der willkürlichen Belastung. Auch die Inflationsanpassung des §33a EStG 1988 vermöge nichts an diesem Umstand zu ändern, da eine bloß nominale Wertsteigerung lediglich zu einem niedrigeren Tarif besteuert werde, dies aber nichts daran ändere, dass eine Steuer ohne realen Wertzuwachs anfalle .

2.3. Der Antragsteller erachtet sich darüber hinaus in seinem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Die endfällige Besteuerung eines Kapitalertrags führe zu einer höheren Steuerbelastung als bei der Besteuerung einer jährlich ausbezahlten Dividende. Es würden sohin "wirtschaftlich völlig übereinstimmende Vorgänge unterschiedlich besteuert" .

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in welcher sie auszugsweise Folgendes ausführt:

"[…] II. Zur Zulässigkeit:

1. Zur Zumutbarkeit eines Umwegs

1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes auf Antrag einer Person, die durch diese Verfassungswidrigkeit unmittelbar in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das angefochtene Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden ist. Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffs zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002 und 18.891/2003).

Ein derartiger zumutbarer Umweg steht dem Antragsteller nach Auffassung der Bundesregierung aber im vorliegenden Fall offen:

1.2. Gemäß §97 Abs2 EStG 1988 sind der KESt unterliegende Einkünfte auf Antrag mit einem besonderen Steuersatz gemäß §27a Abs1 EStG 1988 zu veranlagen (Verlustausgleichsoption). Einem Steuerpflichtigen steht eine derartige Veranlagung zum besonderen Steuersatz grundsätzlich immer offen. Die Veranlagung nach §97 Abs2 EStG 1988 ist daher nicht ausschließlich zum Zweck des Verlustausgleichs möglich, wie der Antragsteller vermeint. Weitere Anwendungsfälle wären zB die Berücksichtigung der tatsächlichen Anschaffungskosten iZm §93 Abs4 EStG 1988, die Anrechnung von Quellensteuern bzw die Wahrnehmung von Entlastungsverpflichtungen aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen sowie die Berichtigung eines unrichtigen KESt-Abzuges (EB 1212 BlgNR 24. GP 21 zum AbgÄG 2011; EStR 2000 Rz 6238; Lachmayer in Kirchmayr/Mayr/Schlager , Kapitalvermögen, 360 f; Mayr/Schlager , RdW 2011, 427). Die Bezeichnung als Verlustausgleichsoption ist insoweit gewissermaßen irreführend (vgl Kirchmayr/Franke in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn , EStG 23 §97 Tz 40).

1.3. Vor diesem Hintergrund kann der Antragsteller im gegenständlichen Fall, im Wege eines Antrages gemäß §97 Abs2 EStG 1988, seine der KESt unterworfenen Einkünfte in seine Einkommensteuerveranlagung einbeziehen. Als selbständiger Rechtsanwalt ist er mit den aus dieser Tätigkeit erzielten Einkünften (§22 Z1 litb EStG 1988) im Übrigen ohnedies veranlagungspflichtig. Ein finanzieller Nachteil erwächst ihm aus der Einbeziehung der Kapitaleinkünfte nicht, weil sie – abweichend von der vom Antragsteller angesprochenen Regelbesteuerungsoption – auch in der Veranlagung mit dem Steuersatz von 27,5% besteuert werden und die KESt in gleicher Höhe angerechnet wird. Gegen den Einkommensteuerbescheid kann Beschwerde an das Bundesfinanzgericht erhoben werden, welches für den Fall, dass es die Bedenken des Antragstellers teilt, gemäß Art89 Abs2 in Verbindung mit Art135 Abs4 B VG einen Antrag auf Aufhebung der entsprechenden Bestimmungen des EStG 1988 an den Verfassungsgerichtshof zu stellen hätte. Im Falle einer abweisenden Entscheidung des Bundesfinanzgerichts stünde wegen der behaupteten Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B VG offen.

1.4. Dem Antragsteller steht damit ein zumutbarer Weg zur Verfügung, seine verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund unzulässig. […]"

In der Sache tritt die Bundesregierung dem Antrag mit näherer Begründung entgegen und beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge die Behandlung des Antrags mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg gemäß Art140 Abs1b B VG ablehnen, in eventu den Antrag als unzulässig zurückweisen, in eventu aussprechen, dass die angefochtenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

3. Nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

4. Der Antragsteller begründet seine Antragslegitimation damit, dass ihm kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung stehe, um die behauptete Verfassungswidrigkeit des §27 EStG 1988 geltend zu machen. Es stehe ihm keine Möglichkeit zur Verfügung, die Einbehaltung der Kapitalertragsteuer "zu beeinflussen oder darüber einen Bescheid zu erhalten". Es sei ihm insbesondere nicht möglich, einen Antrag gemäß §97 Abs2 EStG 1988 zu stellen, zumal er keinen Verlustausgleich geltend mache könne.

5. Diese Rechtsansicht vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu teilen:

5.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 5. Juni 2014, G8/2014, betreffend einen weitestgehend wortgleichen Antrag desselben Antragstellers bereits ausgesprochen hat, ist – entgegen dem Vorbringen des Antragstellers – im vorliegenden Fall ein anderer zumutbarerer Weg gegeben. Der Antragsteller hat die Möglichkeit, gemäß §97 Abs2 EStG 1988 einen Antrag auf Veranlagung der der Kapitalertragsteuer unterliegenden Einkünfte aus Kapitalvermögen zu stellen. Ein Antrag auf Veranlagung zum besonderen Steuersatz gemäß §27a Abs1 EStG 1988 steht dem Steuerpflichtigen stets offen, nicht nur zum Zweck des Verlustausgleiches (RV 1212 BlgNR 24. GP). Der Antragsteller kann sohin gestützt auf §97 Abs2 EStG 1988 die Veranlagung zum besonderen Steuersatz mit dem Begehren beantragen, die auf die betreffenden Einkünfte entfallende Steuer infolge Verfassungswidrigkeit der Besteuerung mit Null anzusetzen.

5.2. Der Antragsteller kann somit im Wege eines Antrages auf Veranlagung zum besonderen Steuersatz gemäß §27a Abs1 EStG 1988 eine bescheidmäßige Steuerfestsetzung erwirken. Dieser Weg ist zumutbar und eröffnet dem Antragsteller die Möglichkeit, ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes zu erwirken, in welchem über die Steuerpflicht dem Grunde nach abgesprochen wird. Gegen ein derartiges Erkenntnis könnte der Antragsteller in der Folge eine auf Art144 B VG gestützte Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erheben und auf diesem Wege seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die von ihm angefochtenen Gesetzesbestimmungen anders als im Wege des – bloß als subsidiären Rechtsbehelf ausgestalteten – Individualantrages an den Verfassungsgerichtshof herantragen.

Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht steht dem Antragsteller zudem die Möglichkeit offen, seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vom Bundesfinanzgericht anzuwendenden Gesetzesbestimmungen vorzutragen und das gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B VG antragsberechtigte Bundesfinanzgericht zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof zu veranlassen.

6. Dem Antragsteller steht somit ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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