JudikaturVfGH

E1046/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
16. September 2024

Spruch

I. Die beschwerdeführende Person ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der beschwerdeführenden Person zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die beschwerdeführende Person hat die chinesische Staatsbürgerschaft und bezeichnet sich selber als "Trans-Frau". In (öffentlichen) Dokumenten ist unter der Rubrik "Geschlecht" bei der beschwerdeführenden Person "männlich" eingetragen.

2. Die beschwerdeführende Person reiste am 1. November 2021 auf dem Luftweg nach Österreich ein und stellte am Flughafen Wien-Schwechat einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund brachte sie im Zuge ihrer Erstbefragung am 2. November 2021 vor, dass sie Freiheit wolle. Sie hasse die kommunistische Partei in der Volksrepublik China und wolle außerdem ein Mensch mit zwei Geschlechtern werden. In China werde diese Gruppe von Menschen jedoch verachtet, sowohl politisch als auch gesellschaftlich.

In der Volksrepublik China werde jede Art von politischer Aktivität engmaschig überwacht und auch bekämpft. Die beschwerdeführende Person habe – ihren eigenen Angaben zu Folge – eine Partei gegründet mit dem Namen "Chinese Peaceful Revolutionary Party" (CPRP). Seit ihrer Flucht aus China engagiere sich die beschwerdeführende Person politisch gegen die autoritäre Führung Chinas. Sie sei vor allem im Internet und in sozialen Medien, wie etwa Youtube, Twitter/X und Blogs aktiv. Sie habe etwa auch an diversen Kundgebungen vor der chinesischen Botschaft in Wien teilgenommen und sei ins "Visier des hochrangigen Militärs Chinas" geraten.

3. Im Falle einer Rückkehr befürchte die beschwerdeführende Person Verfolgung, Verurteilung, Haftstrafe und dass man sie durch vorgetäuschte Unfälle mundtot machen würde. Man würde mit einer "Red Notice" nach ihr fahnden.

4. Mit Bescheid vom 7. Februar 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Person auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat China ab (Spruchpunkt II.). Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß §57 AsylG 2005 wurde der beschwerdeführenden Person nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß §52 Abs9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß §46 FPG nach China zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass nicht erkannt werden könne, dass die beschwerdeführende Person in China auf Grund ihrer sexuellen Orientierung von einer asylrelevanten Verfolgung oder Behandlung betroffen gewesen sei bzw nach einer Rückkehr sein würde. Auch auf Grund ihrer politischen Tätigkeiten bestehe keine Verfolgungsgefahr, denn der YouTube-Kanal, der Twitteraccount und der Blog der beschwerdeführenden Person seien kaum frequentiert, sodass nicht ersichtlich sei, dass die chinesischen Sicherheitsbehörden überhaupt einem derartig unauffälligen Internetphänomen nachgehen würden.

5. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 26. Februar 2024 – nach Durchführung von insgesamt drei mündlichen Verhandlungen sowie nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und einer ACCORD-Anfragebeantwortung zur Lage von LGBTIQ-Personen in China vom 30. August 2022 – als unbegründet ab.

In seiner Entscheidung stellt das Bundesverwaltungsgericht zunächst fest, dass es sich bei der beschwerdeführenden Person um eine (Trans-)Frau handle.

In seiner Begründung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die beschwerdeführende Person bis zu ihrer Ausreise ihre politischen Ansichten geheim gehalten habe und es bisher in China keine konkrete (politische) Verfolgung gegen ihre Person gegeben habe, sie sei lediglich vor ihrer legalen Ausreise am Flughafen streng kontrolliert worden. Ihre diesbezüglichen Angaben, dass sie in ein kleines Zimmer geführt worden sei, der Polizist eine Kamera auf der Brust getragen habe und sie bedroht und gewarnt habe, dass sie sich im Ausland nicht an irgendeiner Organisation beteiligen, keine Tätigkeit gegen das Gesetz ausüben und nichts gegen China machen solle und sie dann auch im Ausland festgenommen werden könne, seien – so das Bundesverwaltungsgericht – nicht plausibel: Die beschwerdeführende Person habe zu diesem Zeitpunkt noch keine Artikel veröffentlicht, habe sich nicht sichtbar als (Trans-)Frau zu erkennen gegeben und kenne weder Namen noch Dienstnummer des Grenzpolizisten. Allenfalls habe es sich um eine zufällige, stichprobenartige Kontrolle der beschwerdeführende Person gehandelt. Weiters führt das Bundesverwaltungsgericht wörtlich wie folgt aus:

"Es ist auch nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der BF bei einer Rückkehr nach VR China eine Verfolgung drohen würde:

Die BF gab an, sie habe am 08.09.2021 die Partei 'Chinese Peaceful Revolutionary Party' (CPRP) gegründet. Sie habe die Gründung der Partei in einem Video am 01.11.2021, als sie bereits in Österreich gewesen sei, veröffentlicht. Die Partei würde ihre Mitglieder über das Internet anwerben. Sie selbst sei bei der ersten Versammlung als Parteivorstand gewählt worden. Sie könne sich nicht erinnern, wann diese Versammlung stattgefunden habe. Ein Zentralkomitee sei noch nicht gewählt worden (1. VHP S. 23). Die Partei habe einige Mitglieder und einige Filialen. Es gebe auch Aktivisten (1. VHP S. 24). Die BF konnte die Anzahl der Mitglieder sowie der Filialen der Partei nicht nennen. Sie gab lediglich an, sie habe alle Personen, die Anträge an sie geschickt hätten, als Mitglieder genehmigt. Diese wären Filialleiter. Das seien derzeit weniger als 100 Personen. Jedes Mitglied habe von ihr eine individuelle Geheimnummer bekommen. Der Hauptsitz liege im Internet (1. VHP S. 25). Die Tatsache, dass die BF, die alle Mitglieder einzeln genehmigte und an jede Person eine individuelle Nummer vergab sowie Vorstand der Partei ist, die Anzahl der Mitglieder nicht nennen konnte, deutet bereits darauf hin, dass die Partei kein besonders ernstzunehmendes Projekt ist. Weiters beschränken sich die Tätigkeiten der Partei auf das Internet und im Wesentlichen auf 'westliche' Internetseiten bzw Apps, die in der VR China ohnehin nicht besonders verbreitet bzw nicht zugänglich sind, insofern ist nicht erkennbar, wieso die chinesische Regierung diese Aktivitäten als ernstzunehmende Gefahr bewerten sollte. Die BF behauptete zwar, dass die Partei auch einige Zweigstellen auf dem chinesischen Festland aufgebaut habe, allerdings gab sie an, zurzeit würden die Parteifilialen geheim gehalten (AS 336). Sie führte die Behauptung nicht näher aus, legte keinerlei Nachweise dafür vor und legte nicht konkret dar, was sie mit 'Zweigstellen' bzw 'Parteifilialen' genau meint sowie welche Handlungen diese Zweigstellen durchführen könnten. Insofern ist auch nicht glaubhaft, dass tatsächlich in der VR China Parteiaktivitäten stattfinden.

Die BF ist aufgrund ihrer Aktivitäten in sozialen Medien zwar erkennbar, weil sie (teilweise) ihren Klarnamen verwendet und sie auch in Videos selbst identifizierbar auftritt, jedoch ist trotzdem nicht von einer Verfolgungsgefahr auszugehen. Hinsichtlich der vorgebrachten großen Reichweite auf sozialen Medien und des großen Einflusses der BF ist festzuhalten, dass diesen Ausführungen nicht gefolgt werden kann. In der Beweismittelvorlage vom 31.08.2023 wurden Screenshots von Tweets mit besonders vielen Aufrufen vorgelegt. Aus diesen geht zwar hervor, dass der erfolgreichste Tweet der BF 257.317 Impressionen aufweist, allerdings ist hiezu anzuführen, dass Impressionen nicht besonders aussagekräftig sind. Dabei wird jede – und nicht nur jede einzigartige – Impression gemessen, das heißt, es wäre theoretisch möglich, dass ein Tweet nur von ein paar wenigen Personen sehr häufig gesehen wurde.

Weiters ist festzuhalten, dass Videoanzeigen bereits gezählt werden, wenn nur wenige Sekunden des Videos abgespielt wurden. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Bots, die auf X/Twitter sehr verbreitet sind, zum Einsatz kamen. Die Anzahl der Follower, Reposts, 'Gefällt mir'-Angaben, Lesezeichen und Kommentare zeigen insofern zuverlässiger, wie sehr tatsächlich mit den Tweets interagiert wurde bzw wie groß der Einfluss der BF auf X/Twitter ist. Keiner der vorgelegten Tweets hat mehr als 114 'Gefällt mir'-Angaben, 18 Reposts (bzw 42 inklusive Zitate), 15 Lesezeichen oder 384 Kommentare. Weiters handelt es sich bei diesen Tweets um ungewöhnlich reichweitenstarke Postings, eine nachhaltige derartige Reichweite kann nicht erkannt werden. Aus einem aktuellen Aufruf der X/Twitter-Profile der BF (CPRP_Official, CPRP_Publicity und GaoYi_CPRP) geht hervor, dass keiner ihrer bisherigen Tweets im Februar 2024 mehr als zwei 'Gefällt mir'-Angaben hat (Stand 21.02.2024, 11:30 Uhr). Die X/Twitter-Profile der BF haben nach aktuellem Stand (22.02.2024, 17:15 Uhr) lediglich 3.120 (CPRP_Official) bzw 1.407 (GaoYi_CPRP) bzw 1.237 (CPRP_Publicity) Follower.

Die letzten 20 Videos auf ihrem YouTube-Kanal 'CPRP' haben alle weniger als 20 Aufrufe (Stand 21.02.2024, 11:45 Uhr). Ihr YouTube-Kanal hat lediglich 99 Abonnenten (Stand 22.02.2024, 17:20 Uhr). Auch hinsichtlich ihrer weiteren Accounts/Profile auf verschiedenen Plattformen kann keine relevante Reichweite erkannt werden. Aus den Länderinformationen zu China geht hervor, dass Internetseiten und Social Media Dienste wie Facebook, Twitter, Instagram und YouTube dauerhaft gesperrt sind und Inhalte mit sensiblen Schlüsselwörtern geblockt werden. Insofern ist auch zu bezweifeln, ob selbst mit den reichweitenstärksten Postings ein relevantes chinesisches Publikum erreicht wurde und, da von der BF primär Plattformen genutzt werden, die außerhalb des chinesischen Intranets bestehen, auch fraglich, ob die zuständigen chinesischen Behörden, von den Aktivitäten der BF auf den 'westlichen' sozialen Medien Kenntnis genommen haben. Falls mit den Postings primär lediglich ein 'westliches' Publikum bzw außerhalb von China lebende chinesische Staatsangehörige erreicht werden, ist nicht nachvollziehbar, weshalb die chinesische Regierung diese Inhalte als staatsgefährdend ansehen sollte. Dass Inhalte der BF bzw ihre Profile mit chinesischen Suchmaschinen nach den Angaben der BF nicht gefunden werden können, bedeutet auch nicht zwangsläufig, dass die chinesische Regierung – wie vorgebracht – gezielt Informationen über die BF und ihre Partei gesperrt oder gelöscht hat, denn wie bereits dargelegt, sind Social Media Dienste wie Facebook, Twitter, Instagram und YouTube in China dauerhaft gesperrt und Inhalte mit sensiblen Schlüsselwörtern geblockt. Wenn die genannten 'westlichen' sozialen Medien in China generell gesperrt sind, werden die auf diesen Plattformen verbreiteten Inhalte von Suchmaschinen, die nur das chinesische Intranet durchsuchen, selbstverständlich nicht angezeigt. Bei den nicht bereits ohnehin geblockten Inhalten erfolgt die Sperrung oder Löschung in vielen Fällen, wie bei der Verwendung von sensiblen Schlüsselwörtern, naheliegenderweise durch ein automatisiertes Verfahren und nicht durch eine von Menschen bewusst im Einzelnen durchgeführte Sperrung oder Löschung."

Zur Nichtzuerkennung von Asyl führt das Bundesverwaltungsgericht letztlich aus, dass – auf Grund des festgestellten Sachverhaltes – keine konkreten, überzeugenden Anhaltspunkte bestünden, dass die beschwerdeführende Person (nicht nur möglicherweise, sondern) mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen im Herkunftsstaat China betroffen sei. Die im Entscheidungszeitpunkt zu erstellende Prognose über die Situation der beschwerdeführenden Person im Herkunftsstaat ergebe, dass sie gegenwärtig mit keiner maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität seitens der chinesischen Regierung rechnen müsse. Es sei nicht davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Person auf Grund ihrer politischen Äußerungen ins Visier der chinesischen Behörden geraten sei.

6. Zur Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass keine derart exzeptionellen Umstände vorlägen, die eine Außerlandesschaffung der beschwerdeführende Person im Hinblick auf die Gegebenheiten in der VR China hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage gemäß Art3 EMRK als unzulässig erscheinen ließen.

Es bestehe nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr, weshalb auf Grund der vorgebrachten politischen und religiösen Fluchtgründe der beschwerdeführende Person auch keinerlei Bedrohung iSd §8 AsylG 2005 erkannt werden könne. Ebensowenig könne mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer realen Gefahr, insbesondere einer gegen Art2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung, ausgegangen werden. Die schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die die beschwerdeführende Person nach ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat nach den Länderberichten möglicherweise vorfinden werde, reiche nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können. Zwar bestehe durchaus die Möglichkeit, dass die beschwerdeführende Person als "trans*Frau" in China auch Alltagsdiskriminierungen erfahren werde, allerdings reichten derartige unangenehme Erfahrungen (die auch in Österreich nicht unwahrscheinlich seien) nicht aus, um von einer drohenden Verletzung von Art3 EMRK auszugehen.

7. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, der Art3 und 8 EMRK sowie des Art13 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

"3.2.3 Zu meiner Geschlechteridentität

[…]

Durch die autoritäre Führung wird ein derartiger gesellschaftlicher Druck erzeugt, welcher letztendlich auch die öffentliche Meinung im Hinblick auf die LGBTIQ+ Community prägt. Mitglieder dieser Gemeinschaft können in China nur im Verborgenen ihr Leben führen, da es de facto ausgeschlossen ist, seine wahre Identität offen auszuleben.

Die breite und weit verbreitete Diskriminierung und Ablehnung von Personen der Community mag im alltäglichen Leben für den Einzelnen belastend sein. In meinem Fall kommt jedoch hinzu, dass meine Lebensweise auch Teil meiner politischen Aktivitäten ist. Ich möchte mich daher auch für die Rechte dieser weitgehend unterdrückten Minderheit einsetzen.

Wenn das Erstgericht ausführt, dass es diesbezüglich noch keine Übergriffe auf meine Person aus diesem Grund in China gegeben hat, so bin ich darüber natür-lich sehr froh. Ich möchte dazu aber ausführen, dass ich meine Identität in China im Verborgenen gelebt habe. Erst in meiner Zeit in Österreich habe ich mich offen dazu bekannt und ist diese nunmehr auch Teil meiner politischen Aktivität. Es ist daher klar und nachvollziehbar, dass es in meiner Zeit in China - zum Glück - noch keine Übergriffe auf mich diesbezüglich gegeben hat. Es liegt aber auf der Hand, dass im Falle einer Rückkehr nach China nunmehr jedenfalls damit zu rechnen ist, da ich mich öffentlich zu meinem Leben als Trans-Frau bekannt habe."

8. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Verwaltungsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

9. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichtsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Äußerung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Das Bundesverwaltungsgericht ging zunächst von der Glaubhaftigkeit der Geschlechtsidentität der beschwerdeführenden Person aus und stellt auch fest, dass es sich bei ihr um eine (Trans-)Frau handelt.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht traf Länderfeststellungen (unter anderem) zur Meinungs- und Pressefreiheit in der VR China:

" Die Regierung behindert häufig die Arbeit der Presse, einschließlich der Bürger-Journalisten ['citizen journalists']. Journalisten berichten von physischen Angriffen, Schikanen, Überwachung und Einschüchterung, wenn sie über sensible Themen berichtet haben. Regierungsbeamte nutzen strafrechtliche Verfolgung, Zivilklagen und andere Strafen, einschließlich Gewalt und Inhaftierung um Autoren und Journalisten einzuschüchtern und die Verbreitung nicht genehmigter Informationen zu einem breiten Spektrum von Themen zu verhindern (USDOS 12.4.2022).

Menschenrechtsverteidiger sowie politisch engagierte und sich journalistisch betätigende Bürger riskierten ihr Leben, wenn sie über den Ausbruch der Coronapandemie berichteten, wobei sie eine wichtige Quelle für unzensierte Informationen aus erster Hand waren. Die Regierung setzte sie Drangsalierungen und Repressalien bis hin zur Inhaftierung aus [siehe dazu Kapitel COVID-19, inkl. Informationskontrolle] (Al 29.3.2022).

Die Cyberspace Administration of China (CAC) verwaltet direkt Internetinhalte, einschließlich Online-Nachrichten, und fördert die Propaganda der KPCh. Ein stellvertretender Minister der Propagandaabteilung der KPCh leitet das Tagesgeschäft der Organisation. Sie hat weitreichende Befugnisse bei der Regulierung von Online-Medienpraktiken und spielt eine wichtige Rolle bei der Regulierung und Gestaltung der Online-Informationsverbreitung (USDOS 12.4.2022). Zahlreiche Bürger-Journalisten und Blogger wurden im Jahr 2021 aufgrund ihrer Berichterstattung und ihrer Online-Postings festgenommen, verschwanden oder wurden

strafrechtlich angeklagt (FH 28.2.2022).

[…]

Soziale Medien werden überwacht. Jede Diskussion in sozialen Medien ist für die Behörden sichtbar (DFAT 22.12.2021). Soziale Medien stehen besonders im Fokus der staatlichen Einflussnahme. Kritische Beiträge oder Webseiten werden mit erheblichem personellem und technischem Aufwand zensiert bzw gesperrt (AA 11.10.2021). Internetseiten und Social Media Dienste wie Facebook, Twitter, Instagram und YouTube sind dauerhaft gesperrt, Inhalte mit sensiblen Schlüsselwörtern werden geblockt (ÖB 12.2021). Die Behörden unterdrücken Online-Inhalte, die nicht mit den 'sozialistischen Grundwerten' übereinstimmen (HRW 13.1.2022). Die rigiden Kontrollen und Beschränkungen der Meinungsfreiheit im Internet halten an (Al 29.3.2022). Die Behörden schikanieren, inhaftieren oder verfolgen zahlreiche Personen aufgrund ihrer regierungskritischen Online-Posts und privaten Chat-Nachrichten und brachten Scheinbelastungen wie 'Verbreitung von Gerüchten', 'Anzetteln von Streitigkeiten und Provokationen' und 'Beleidigung der Staatsführung' vor. Immer mehr Menschen werden für Reden, die als 'unpatriotisch' erachtet werden, bestraft. Im März beschloss die Regierung eine Bestimmung, die festlegt, dass die Verleumdung von 'Helden und Märtyrern' mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann (HRW 13.1.2022)."

2.3. Das BVwG stützt seine Beurteilung auf einen Auszug der in der Entscheidung wiedergegebenen Länderfeststellungen und zitiert auch die konkrete Passage:

"Zur gleichen Zeit durchläuft die chinesische Gesellschaft spürbare Wandlungsprozesse. Das ganz überwiegend per Firewall-Sperren auf China beschränkte und systematischer Zensur unterworfene Internet (de facto eine ArtIntra-Net) mit einer extrem hohen Nutzerquote (laut einer offiziellen Statistik vom 27. August 2021 1 Mrd. Nutzer, bei 1,4 Mrd. Einwohnern) und die ebenfalls rein innerchinesischen sozialen Netzwerke sind in manchen Fällen auch zu Sprachrohren von Frustrationswellen und der Aufdeckung von Missständen geworden. Manches wird geduldet, solange es von den allgegenwärtigen Zensurbehörden nicht als substanzieller Angriff auf den Machtanspruch der Partei aufgefasst wird (AA 11.10.2021)."

2.4. Vor dem Hintergrund der im Erkenntnis wiedergegebenen Länderfeststellungen zu LGBTIQ, sowie gestützt auf eine – nicht in der Entscheidung wiedergegebene, nicht im Akt enthaltene und auch nicht öffentlich zugängliche – ACCORD Anfragebeantwortung zur Lage von LGBTIQ-Personen in China vom 30. August 2022 kommt das Bundesverwaltungsgericht letztlich zu dem Ergebnis, dass bei der beschwerdeführenden Person keine "begründete Furcht vor Verfolgung" bestehe, weil bislang keine nachweislichen Verfolgungshandlungen gesetzt wurden und auch in Zukunft nicht zu erwarten seien; es lägen keine derart exzeptionellen Umstände vor, die eine Außerlandesschaffung der beschwerdeführenden Person im Hinblick auf die Gegebenheiten in der VR China gemäß Art3 EMRK als unzulässig erscheinen ließen.

2.5. Damit verkennt das Bundesverwaltungsgericht jedoch grob die Ergebnisse seines eigenen Ermittlungsverfahrens und deren Bedeutung für den Beschwerdefall:

So habe das Bundesverwaltungsgericht selbst das Anhalten von rigiden Kontrollen und Beschränkungen der Meinungsfreiheit im Internet festgestellt; auch würden die Behörden zahlreiche Personen auf Grund ihrer regierungskritischen Online-Posts und privaten Chat-Nachrichten sogar teilweise inhaftieren, jedenfalls jedoch verfolgen. Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes werden zudem öffentliche Veranstaltungen von LGBTIQ Organisationen nicht erlaubt; Einzelpersonen und Organisationen, die sich für LGBTIQ-Angelegenheiten einsetzen, berichteten weiterhin über Diskriminierung und Belästigung durch die Behörden.

Aus diesen vom Bundesverwaltungsgericht selbst getroffenen Feststellungen kann – vor dem Hintergrund des Vorbringens der beschwerdeführenden Person – gerade nicht gefolgert werden, dass die beschwerdeführende Person im Falle ihrer Rückkehr bloß Alltagsdiskriminierungen ausgesetzt sein werde und ein reales Risiko einer Art3 EMRK widersprechenden Behandlung für die Zukunft ausgeschlossen werden könne.

In diesem Zusammenhang ist zudem auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach in Anknüpfung an Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union nicht erwartet werden könne, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsland seine Homosexualität geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden (vgl zB VfSlg 20.170/2017; VfGH 28.2.2023, E233/2023; 28.6.2023, E628/2023 sowie EuGH 7.11.2013, C 199/12 ua, Minister voor Immigratie en Asiel ). Diese zur Homosexualität ergangen Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall auf eine Transgender-Person übertragbar.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat somit bei seiner Entscheidung dadurch Willkür geübt, dass es im Beschwerdefall den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen und sich mit wesentlichen Ermittlungsergebnissen nur unzureichend auseinandergesetzt hat bzw aus diesen Schlüsse gezogen hat, die mit den jeweiligen Ermittlungsergebnissen denkmöglich nicht vereinbar sind.

III. Ergebnis

1. Die beschwerdeführende Person ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

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