JudikaturVfGH

E223/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2024

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 17. Jänner 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung sowie der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund an, wegen seiner sexuellen Orientierung geflohen zu sein.

2. Mit Bescheid vom 16. August 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen gewährt (Spruchpunkt VI.).

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem hier angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht begründend aus (vgl Erkenntnis, S 30 ff.):

"Als fluchtauslösendes Ereignis brachte der BF vor, dass er beim Geschlechtsverkehr mit seinem Freund *** von seinem Vermieter in Dhaka erwischt und daraufhin von mehreren Menschen bewusstlos geschlagen worden sei. Außerdem habe sich Monate vor dem fluchtauslösenden Ereignis ein sehr ähnlicher Vorfall ereignet: Der BF sei mit seinem damaligen Freund *** beim geschlechtlichen Verkehr ertappt und daraufhin von der Dorfgemeinschaft mit 100 Stockhieben bestraft worden.

Mag auch ein solches Vorbringen nicht grundsätzlich denkunmöglich sein, so blieben diesbezügliche Angaben des BF äußerst widersprüchlich und somit unglaubhaft. Hervorzuheben in diesem Zusammenhang ist, dass die Angaben hinsichtlich des fluchtauslösenden Ereignisses divergieren. In der Einvernahme vor dem BFA behauptete der BF, dass der Vermieter die Tür der Wohnung von außen aufgesperrt und den BF mit seinem Partner beim Geschlechtsverkehr erwischt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG führte der BF jedoch aus, die Tür selber offengelassen zu haben, weil 'Bachelor-Menschen' wie der BF das so tun. Außerdem hat sich der BF bezüglich des Vorfalles vom Juli 2021 in Widersprüche verwickelt: So führte er im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA aus, dass er nicht geschlagen, sondern mit 100 Stockhieben 'gestreichelt' worden sei. Demgegenüber behauptete er in der mündlichen Verhandlung, dass er gar nicht geschlagen worden sei, da er einen einflussreichen Vater habe. Auf richterliche Nachfrage gab der BF an, 'ein bisschen' geschlagen worden zu sein.

Festzuhalten ist, dass diese Verfolgungsgründe weder bewiesen noch hinreichend belegt worden sind. Daher ist zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, auf die persönliche Glaubwürdigkeit des BF und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen.

[…]

Der BF machte mehrfach widersprüchliche Angaben zu seinen Fluchtgründen und konnte sein Vorbringen weder schlüssig darlegen noch durch hinreichende Beweis- oder Bescheinigungsmittel glaubhaft machen. Die vom BF vorgelegten Fotos, die den BF in Gesellschaft von anderen Personen zeigen, sind nicht geeignet, sein Vorbringen zu stützen. Es ist nicht erkenntlich, welche Personen darauf abgebildet sind bzw in welchem Verhältnis der BF zu diesen Personen steht. Daraus lässt sich eine damit einhergehende Verfolgungsgefahr des BF nicht schließen. Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des BF im gesamten Verfahren ergibt sich somit, dass der BF mit dem genannten Vorbringen eine Verfolgung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Bangladesch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht glaubhaft gemacht hat."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die Aufhebung des angefochte-nen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes willkürlich ergangen sei, weil das Bundesverwaltungsgericht Widersprüche annehme, die sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers nicht ableiten ließen. So habe der Beschwerdeführer zum Vorfall im Februar 2022 angegeben, dass der Hausbesitzer die nicht versperrte Wohnung des Beschwerdeführers betreten habe, um die Miete einzukassieren. Nachdem der Hausbesitzer den Beschwerdeführer und seinen Freund bei sexuellen Handlungen gesehen habe, habe er deren Wohnung von außen zugesperrt und nicht, wie vom Bundesverwaltungsgericht angenommen, aufgesperrt. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht nur pauschal behauptet, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei weder schlüssig noch hinreichend durch Beweismittel glaubhaft gemacht worden, ohne sich mit der gleichbleibenden Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers, beispielsweise der Entdeckung seiner Homosexualität, des Verstoßenwerdens durch seine Familie, der symbolischen Bestrafung mit 100 Stockhieben, der Flucht nach Dhaka und der Übergriffe durch den Vermieter, seiner beginnenden Integration in der Queer-Szene in Wien und mit den dazu vorgelegten Fotos, beziehungsweise mit dem Hinweis auf die Narben, die der Beschwerdeführer auf der Innenseite beider Arme sowie auf beiden Schienbeinen zum Beweis dafür gezeigt habe, dass sich das von ihm geschilderte Ereignis im Februar 2022 zugetragen habe, auseinanderzusetzen.

5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltung- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages geht das Bundesverwaltungsgericht knapp und pauschal davon aus, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen nicht glaubhaft sei.

2.2. Die vom Bundesverwaltungsgericht gewählte Begründung, wonach der Beschwerdeführer zum fluchtauslösenden Ereignis widersprüchliche Angaben getätigt habe, ist im Lichte des Akteninhaltes und der protokollierten Aussagen des Beschwerdeführers (vgl Niederschrift der mündlichen Verhandlung, S 10) nicht tragfähig. Auch die Alternativbegründung, wonach der Beschwerdeführer "mehrfach widersprüchliche Angaben zu seinen Fluchtgründen" gemacht habe und "sein Vorbringen weder schlüssig darlegen noch durch hinreichende Beweis- oder Bescheinigungsmittel glaubhaft machen" habe können (vgl Erkenntnis, S 31) ist nicht schlüssig, zumal das Bundesverwaltungsgericht einerseits nicht näher ausführt, worin es die "mehrfach widersprüchlichen Angaben" sieht und es andererseits völlig unterlässt, sich beispielsweise mit den Verletzungen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen.

2.3. Vor dem Hintergrund der Umstände des Falles und des seit der Erstbefragung im Wesentlichen gleichbleibenden und detaillierten Fluchtvorbringens sowie der sonstigen vom Beschwerdeführer gleichbleibenden Angaben zu seiner Person, vermag somit das Bundesverwaltungsgericht die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens nicht substantiiert zu begründen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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