E3792/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit insgesamt € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Salzburg (im Folgenden: LPD Salzburg) vom 19. April 2023 wurden über den Beschwerdeführer zwei Geldstrafen wegen Übertretungen des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) in der Höhe von jeweils € 200,– bzw im Falle der Uneinbringlichkeit zwei Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils drei Tagen verhängt. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Protestaktion zum Thema Klimaschutz in der Salzburger Innenstadt sei zwar als Versammlung, jedoch nicht als Spontanversammlung zu qualifizieren. Der Beschwerdeführer sei zum einen als "Veranstalter" gemäß §§2, 19 VersG zu bestrafen, weil er die Abhaltung der beabsichtigten Versammlung nicht rechtzeitig bei der Behörde angezeigt habe. Zum anderen liege eine Verwaltungsübertretung nach §§14, 19 leg cit vor, weil es der Beschwerdeführer nach Auflösung der Versammlung unterlassen habe, den Versammlungsort zu verlassen und auseinanderzugehen. Gegen dieses Straferkenntnis hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben.
2. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg wies diese Beschwerde mit Erkenntnis vom 23. Oktober 2023 – nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung – mit näherer Maßgabe als unbegründet ab.
Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Salzburg zusammengefasst aus, der Beschwerdeführer habe über die sozialen Medien von der in Rede stehenden Protestaktion in der Salzburger Innenstadt erfahren, wobei er und die weiteren vor Gericht einvernommenen Versammlungsteilnehmer behauptet hätten, nicht (mehr) zu wissen, wer die Einladung für diese Zusammenkunft versandt hätte. Die Versammlung sei nicht angemeldet worden, wobei ein Veranstalter bzw jemand, der den Ablauf der Demonstration vorgegeben oder organisatorische Maßnahmen getroffen habe, nicht habe festgestellt werden können. Bei insgesamt nur vier Versammlungsteilnehmern komme allen vier Personen eine gemeinsame Verantwortung für die Veranstaltereigenschaft zu. Demnach sei auch der Beschwerdeführer als Veranstalter auf Grund der unterlassenen Versammlungsanzeige nach §2 Abs1 iVm §19 VersG zu bestrafen. Hinsichtlich der Verwaltungsübertretung gemäß §14 iVm §19 leg cit führte das Landesverwaltungsgericht aus, dass die Versammlung auf Grund der Störung der öffentlichen Ordnung sowie wegen Verkehrsbeeinträchtigungen rechtmäßig aufgelöst worden sei. Dadurch, dass der Beschwerdeführer nach der Auflösung der Versammlung den Versammlungsort nicht sogleich verlassen habe, sei er nach den angeführten Bestimmungen zu bestrafen. Es liege außerdem weder ein rechtfertigender noch ein entschuldigender Notstand vor.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Versammlungsfreiheit, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
4. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg und die LPD Salzburg haben die Gerichts- bzw Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch jeweils abgesehen.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes 1953 (im Folgenden: VersG), BGBl 98 (§14), idF BGBl I 63/2017 (§2) bzw BGBl I 50/2012 (§19) lauten wie folgt:
" §2. (1) Wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, muß dies wenigstens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muß spätestens 48 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.
(1a) Gemäß Abs1 anzuzeigen ist auch die beabsichtigte Teilnahme von Vertretern ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte. In diesem Fall muss die Anzeige spätestens eine Woche vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde (§16) einlangen.
(2) Die Behörde hat auf Verlangen über die Anzeige sofort eine Bescheinigung zu erteilen. Die Anzeige unterliegt keiner Stempelgebühr.
§14. (1) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, sind alle Anwesenden verpflichtet, den Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen.
(2) Im Falle des Ungehorsams kann die Auflösung durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug gesetzt werden.
§19. Übertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998, 16.488/2002 und 20.299/2018) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002 und 20.402/2020).
3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem Landesverwaltungsgericht Salzburg mit der Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Verwaltungsübertretung gemäß §2 Abs1 iVm §19 VersG Willkür anzulasten:
3.1. Der Beschwerdeführer macht auf das Wesentliche zusammengefasst im Ergebnis zutreffend geltend, dass die Annahme einer "Kollektivveranstaltereigenschaft", wonach auf Grund der geringen Teilnehmerzahl allen Teilnehmenden der Versammlung eine führende Rolle und sohin die Veranstaltereigenschaft zukomme, nicht zuträfe. Dies stehe auch im Widerspruch zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung (Hinweis auf VfSlg 14.773/1997, VwGH 22.3.2018, Ra 2017/01/0359) und sei zudem durch die vom Landesverwaltungsgericht Salzburg selbst getroffenen Feststellungen nicht gedeckt. Da der Beschwerdeführer nicht Veranstalter, sondern nur Teilnehmer der nicht angezeigten Versammlung sei und die bloße Teilnahme nach §19 VersG nicht strafbar sei, sei die Verhängung der Verwaltungsstrafe über den Beschwerdeführer willkürlich erfolgt.
Ferner verweist die Beschwerde darauf, dass das angefochtene Erkenntnis mangels erwiesener Veranstaltereigenschaft auch auf Grund der nicht erfolgten Einstellung des Strafverfahrens nach §45 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) willkürlich sei: Es gelte im Verwaltungsstrafverfahren der Grundsatz "in dubio pro reo", sodass im Zweifel zugunsten des Beschuldigten zu entscheiden sei. Das erkennende Gericht wäre somit verhalten gewesen, entweder weitere Ermittlungen anzustellen oder – mangels erwiesener Tat iSd §2 Abs1 VersG – das Strafverfahren einzustellen.
3.2. Der Verfassungsgerichtshof teilt die in der Beschwerde vertretene Auffassung, dass auf Basis der vom Landesverwaltungsgericht Salzburg getroffenen Feststellungen die in Rede stehende Protestaktion von Klimaaktivisten in der Salzburger Innenstadt (ua Blockade der Staatsbrücke durch Halten eines über die Brücke gespannten Banners mit Aufschriften zum Thema Klimakrise und Ankleben an der Fahrbahn) als nicht angemeldete Versammlung zu qualifizieren ist.
3.3. Mit Blick auf die in Art12 StGG und Art11 EMRK verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsfreiheit und die in der Judikatur dazu entwickelten Grundsätze (vgl grundlegend VfGH 15.6.2023, E1135/2022 ua, und die dort nachgewiesene Rechtsprechung zur Voraussetzung eines gemeinsamen Wirkens sowie zur Dauer der Veranstaltung und der Zahl ihrer Teilnehmer) ist der Verfassungsgerichtshof der Ansicht, dass es sich bei der gegenständlichen Protestaktion um eine in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit fallende Zusammenkunft handelt, selbst wenn – wie sich aus den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg ergibt – bloß vier Personen aktiv an der Kundgebung beteiligt waren (vgl implizit VfSlg 15.952/2000 zu einer Anzahl von drei bis fünf Teilnehmenden).
3.4. Gemäß §2 Abs1 VersG ist eine Volksversammlung oder eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste wenigstens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung der Versammlungsbehörde schriftlich anzuzeigen (zu den inhaltlichen Anforderungen an eine Versammlungsanzeige vgl zB VfSlg 9103/1981 und 11.866/1988). Die durch §19 VersG verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte Pflicht, die Versammlung anzuzeigen, trifft den Veranstalter (vgl VfSlg 18.483/2008). Als solcher ist grundsätzlich jene Person anzusehen, die die Versammlung einberuft, also zu ihr einlädt bzw sie organisiert. Bei ordnungsgemäß angezeigten Versammlungen gilt als Veranstalter, wer in der Versammlungsanzeige als solcher aufscheint ( Fessler / Keller , Vereins- und Versammlungsrecht 3 , 2013, 271). Wird hingegen eine Versammlung – wie im vorliegenden Fall – nicht angezeigt, ist jene Person als Veranstalter zu qualifizieren, die in den anderen Versammlungsteilnehmern den "Willen zum Sichversammeln" hervorgerufen hat. Darüber hinaus gilt als Veranstalter eine Person, die in der Öffentlichkeit oder gegenüber der Behörde als solcher auftritt, weiters, wer eine führende Rolle im Rahmen der Versammlung einnimmt ( Eigner / Keplinger , Versammlungsrecht 5 , 2022, 57; s. auch Winkler , Studien zum Verfassungsrecht, 1991, 204; vgl idS auch VwGH 22.3.2018, Ra 2017/01/0359, und 8.4.2024, Ro 2024/01/0001). Die bloße Teilnahme an einer nicht ordnungsgemäß angezeigten Versammlung ist hingegen nach §19 VersG nicht strafbar (vgl Eigner / Keplinger, aaO, 158).
3.5. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg stellt zunächst fest, dass sich ein Veranstalter iSd §2 Abs1 VersG nicht herausgestellt habe. Trotz dieser Feststellung kommt es aber letztlich – ohne nähere Begründung – zum Schluss, dass das Beweisergebnis bei insgesamt (nur) vier Versammlungsteilnehmern dahingehend gewürdigt werden könne, dass allen vier Personen eine gemeinsame Verantwortung als Veranstalter zukomme, zumal es bei der Überschaubarkeit dieser Gruppe "abwegig [sei] anzunehmen, dass diese gleichsam von ihnen unbekannter dritter Seite 'ferngesteuert' zur Durchführung der Versammlung veranlasst worden sein sollte". In offenkundigem Widerspruch zu den eigenen Sachverhaltsfeststellungen gelangt das erkennende Landesverwaltungsgericht somit zu dem Ergebnis, dass die Veranstaltereigenschaft dem Beschwerdeführer ebenso wie den anderen Versammlungsteilnehmern zukomme.
Wörtlich führt das Landesverwaltungsgericht Salzburg Folgendes aus:
"Ein Veranstalter im Sinne dieser Ausführungen hat sich nicht herausgestellt, da sowohl der Beschwerdeführer wie auch die Mitbeschuldigten und die nichtamtliche Zeugin angaben, man könne nicht mehr sagen, wer zur Versammlung eingeladen habe, wer am Treffpunkt nächst der Staatsbrücke vorgeschlagen habe, auf die Staatsbrücke zu gehen, wer den Klebstoff für die Versammlungsteilnehmer zur Verfügung gestellt habe und wer den Banner mitgebracht habe.
Dieses Beweisergebnis kann bei insgesamt nur vier Versammlungsteilnehmern im eigentlichen Sinne, nämlich denjenigen, die auf der Straße saßen und von denen sich mit Ausnahme der Mitbeschuldigten […] alle im Laufe der Versammlung, nämlich konkret nach dem Eintreffen der Exekutive, mit einer Hand an der Fahrbahn festgeklebt hatten, nur dahin ausgelegt werden, dass allen vier Personen eine gemeinsame Verantwortung für die Veranstaltereigenschaft zukommt, ist es doch bei der Überschaubarkeit diese Gruppe – zu den sitzenden Personen kam nämlich nur rund eine Handvoll weiterer, von denen zumindest ein Teil medienzugehörig war – abwegig anzunehmen, dass diese gleichsam von ihnen unbekannter dritter Seite 'ferngesteuert' zur Durchführung der Versammlung veranlasst worden sein sollte, was die Versammlungsteilnehmer das Gericht im Rahmen der durchgeführten Verhandlung erkennbar Glauben machen wollten.
Daraus resultiert, dass die Veranstaltereigenschaft des Beschuldigten wie auch den beiden Mitbeschuldigten wie auch der nichtamtlichen Zeugin gleichermaßen zukommt."
3.6. Mit der vom Landesverwaltungsgericht Salzburg vertretenen Rechtsauffassung, von einer "kollektiven Veranstaltereigenschaft" bei nur wenigen Versammlungsteilnehmern auszugehen, wenngleich im Rahmen der Beweiswürdigung keine Person als Veranstalter der Versammlung ermittelt werden konnte, wird dem Begriff des Veranstalters in §2 Abs1 VersG ein (potentiell) verfassungswidriger Inhalt unterstellt. Aus der Nichtfeststellbarkeit eines Veranstalters kann keinesfalls zwingend und quasi automatisch die Schlussfolgerung gezogen werden, dass im Zweifel stets alle Versammlungsteilnehmer zu Veranstaltern werden. Die rechtliche Beurteilung hätte vielmehr im Zweifel zugunsten des Beschwerdeführers als Teilnehmer der Versammlung ausfallen müssen. Würden alle Teilnehmer an einer Versammlung stets auch die Verantwortung des Veranstalters tragen – im Übrigen ohne es in dieser Situation zudem zu wissen –, wäre nicht auszuschließen, dass dies letztlich das Recht, sich zu versammeln, in verfassungswidriger Weise schmälern könnte.
4. Ausgehend von dieser unzutreffenden Auslegung hat das Landesverwaltungs-gericht Salzburg die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet. Das Erkenntnis ist daher – ungeachtet des Umstandes, dass hinsichtlich der Bestrafung wegen Übertretung des §14 Abs1 VersG keine spezifisch verfassungsrechtlichen Überlegungen anzustellen sind – zur Gänze (mangels getrennter Absprüche über die angelasteten Verwaltungsübertretungen) als verfassungswidrig aufzuheben.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.