Leitsatz
Kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot betreffend die Anordnung der (weiteren) Erfüllung der Schulpflicht in einer Schule anstelle der Teilnahme am häuslichen Unterricht; Anordnung der allgemeinen Schulpflicht für bestimmte Schuljahre oder die gesamte restliche Schulpflicht auf Grund der Prognoseentscheidung der Bildungsdirektion, der mangelnden Mitwirkung der Parteien oder des Fehlens eines Erfolgsnachweises zur Wahrung eines dem öffentlichen Pflichtschulwesen gleichwertigen Unterrichts
Spruch
Die Anträge werden abgewiesen.
Entscheidungsgründe
I. Anträge
1. Mit dem zu G3494/2023 protokollierten, auf Art140 Abs1 Z1 lita B VG gestützten Antrag begehrt das Bundesverwaltungsgericht, die Wortfolge "und anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 zu erfüllen hat" in §11 Abs6 des Bundesgesetzes über die Schulpflicht (Schulpflichtgesetz 1985), BGBl 76/1985, idF BGBl I 37/2023 wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben.
In eventu beantragt das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung des gesamten §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985, BGBl 76/1985, idF BGBl I 37/2023 als verfassungswidrig.
2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zu den Zlen G 3496/2023 und G50/2024 zwei weitere, dem Inhalt nach im Wesentlichen gleichlautende Anträge.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Schulpflicht (Schulpflichtgesetz 1985), BGBl 76/1985, idF BGBl I 37/2023 lauten wie folgt (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
" B. Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht durch den Besuch von öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen
Öffentliche und mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schulen
§4. Unter den in den §§5 bis 10 genannten Schulen sind öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schulen zu verstehen.
Schulbesuch in den einzelnen Schuljahren
§5. (1) Die allgemeine Schulpflicht ist durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie von mittleren oder höheren Schulen (einschließlich der land- und forstwirtschaftlichen Fachschulen und der höheren land- und forstwirtschaftlichen Lehranstalten) zu erfüllen.
(2) […]
[…]
C. Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht durch Teilnahme an einem gleichwertigen Unterricht
Besuch von Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht und häuslicher Unterricht
§11. (1) Die allgemeine Schulpflicht kann – unbeschadet des §12 – auch durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im §5 genannten Schule mindestens gleichwertig ist.
(2) Die allgemeine Schulpflicht kann ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im §5 genannten Schule – ausgenommen die Polytechnische Schule – mindestens gleichwertig ist.
(2a) Die Abs1 und 2 gelten nicht für Schülerinnen und Schüler, die eine Deutschförderklasse gemäß §8h Abs2 oder einen Deutschförderkurs gemäß §8h Abs3 des Schulorganisationsgesetzes zu besuchen haben. Diese Schülerinnen und Schüler haben ihre allgemeine Schulpflicht jedenfalls für die Dauer des Bedarfes einer dieser besonderen Sprachförderungen in öffentlichen Schulen oder in mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu erfüllen.
(3) Die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten haben die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs1 oder 2 genannten Unterricht der Bildungsdirektion anzuzeigen. Die Anzeige hat
1. jeweils bis eine Woche nach dem Ende des vorhergehenden Unterrichtsjahres zu erfolgen und
2. jedenfalls die folgenden Angaben und Urkunden zu enthalten:
a) Vor- und Familiennamen, Geburtsdatum und Anschrift jener Person, welche das Kind führend unterrichten wird,
b) den Ort, an dem der Unterricht erfolgen soll,
c) das Jahreszeugnis über das vorangehende Schuljahr oder ein Zeugnis über die Externistenprüfung über die vorangehende Schulstufe,
d) den Lehrplan, nach welchem, und die Schulstufe, auf der der Unterricht erfolgen soll, sowie
e) eine Zusammenfassung des pädagogischen Konzepts für den Unterricht.
(4) Der zureichende Erfolg eines im Abs1 oder 2 genannten Unterrichtes ist jährlich zwischen dem 1. Juni und dem Ende des Unterrichtsjahres durch eine Prüfung an einer in §5 genannten entsprechenden Schule nachzuweisen, wenn die Schülerinnen und Schüler dieser Schulen am Ende des Schuljahres beurteilt werden. Bei Teilnahme am häuslichen Unterricht gemäß Abs2 hat ein Reflexionsgespräch über den Leistungsstand bis spätestens zwei Wochen nach Ende der Semesterferien stattzufinden, wobei ein Rechtfertigungsgrund gemäß §9 Abs3 diese Frist hemmt. Das Reflexionsgespräch ist
1. mit Kindern oder Jugendlichen, die am häuslichen Unterricht auf der Vorschulstufe oder der 1. bis 8. Schulstufe teilnehmen, an jener Schule, die bei Untersagung des häuslichen Unterrichts zu besuchen wäre, oder, wenn gemäß Abs3 Z2 litd der Lehrplan einer allgemeinbildenden höheren Schule angegeben wurde, an einer Schule dieser Schulart, und
2. mit Kindern oder Jugendlichen, die am häuslichen Unterricht auf der 9. Schulstufe teilnehmen an einer Schule, an welcher der gemäß Abs3 Z2 litd angegebene Lehrplan geführt wird,
durchzuführen.
Wenn das Kind gemäß Z1 vor Ablauf dieser Frist aus dem Sprengel dieser Schule verzogen ist und bei Reflexionsgesprächen gemäß Z2, hat das Reflexionsgespräch mit zumindest einem Mitglied der Prüfungskommission gemäß Abs5 zu erfolgen.
(5) Die Prüfung des zureichenden Erfolges gemäß Abs4 erster Satz muss an einer Schule im örtlichen Zuständigkeitsbereich jener Schulbehörde abgelegt werden, die für die Einhaltung der Schulpflicht zuständig ist. Die Schulbehörden haben mit Verordnung gemäß §42 Abs4 des Schulunterrichtsgesetzes zumindest zwei Prüfungskommissionen einzurichten.
(6) Die Bildungsdirektion hat die Teilnahme an einem solchen Unterricht zu untersagen und anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 zu erfüllen hat , wenn
1. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist, oder
2. gemäß Abs2a eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist, oder
3. das Reflexionsgespräch gemäß Abs4 nicht durchgeführt wurde, oder
4. eine Prüfung aufgrund der Bestimmung gemäß §42 Abs6 letzter Satz des Schulunterrichtsgesetzes vor dem Ende des Unterrichtsjahres, für welche der häusliche Unterricht angezeigt wurde, nicht möglich ist, oder
5. Umstände hervortreten, aufgrund welcher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Teilnahme am häuslichen Unterricht gemäß Abs2 dem Besuch einer öffentlichen Schule nicht mindestens gleichwertig ist, oder
6. der Nachweis des zureichenden Erfolges vor dem Ende des Unterrichtsjahres nicht erbracht wurde. Treten Umstände hervor, die eine Gefährdung des Kindeswohls befürchten lassen, so sind, wenn nicht gemäß §78 der Strafprozessordnung 1975, BGBl Nr 631/1975 vorzugehen ist, die Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung oder die Kinder- und Jugendhilfe zu informieren."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. In dem zu G3494/2023 protokollierten Verfahren zeigten die Erziehungsberechtigten des am 17. Oktober 2015 geborenen schulpflichtigen Kindes am 23. Juni 2022 der Bildungsdirektion für Wien die Teilnahme des Kindes an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2022/2023 auf der 1. Schulstufe an. Die Teilnahme an häuslichem Unterricht wurde in der Folge von der Bildungsdirektion für Wien zur Kenntnis genommen und nicht untersagt. Das Kind trat vor Ende des Unterrichtsjahres nicht zu einer Externistenprüfung über die 1. Schulstufe an. Mit angefochtenem Bescheid vom 3. Oktober 2023 ordnete die Bildungsdirektion für Wien an, dass das Kind fortan seine Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule im Sinne des §5 Schulpflichtgesetz 1985 zu erfüllen habe. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.
2. Den beiden anderen Anträgen des Bundesverwaltungsgerichtes liegen folgende Sachverhalte zugrunde:
In dem zu G3496/2023 protokollierten Verfahren zeigte die Erziehungsberechtigte des am 14. April 2014 geborenen schulpflichtigen Kindes der Bildungsdirektion für Niederösterreich die Teilnahme an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2022/2023 auf der 3. Schulstufe an. Die Teilnahme an häuslichem Unterricht wurde in der Folge von der Bildungsdirektion für Niederösterreich zur Kenntnis genommen und nicht untersagt. Das Kind trat vor Ende des Unterrichtsjahres nicht zu einer Externistenprüfung über die 3. Schulstufe an. Am 15. Juni 2023 zeigte die Erziehungsberechtigte der Bildungsdirektion für Niederösterreich die Teilnahme an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2023/2024 auf der 4. Schulstufe an. Mit Bescheid vom 22. August 2023 ordnete die Bildungsdirektion für Niederösterreich an, dass das Kind fortan seine Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule im Sinne des §5 des Schulpflichtgesetzes 1985 zu erfüllen habe. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und diese damit begründet, dass für die Ablegung der Externistenprüfung nur zwei Termine zur Auswahl gestanden seien und beide nicht mit der Teilnahme des Kindes an Proben und Vorstellungen an einer privaten Ballettschule zu vereinbaren gewesen wären.
In dem zu G50/2024 protokollierten Verfahren zeigte die Erziehungsberechtigte der Bildungsdirektion für Niederösterreich die Teilnahme ihres Kindes an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2023/2024 an. Die Teilnahme an häuslichem Unterricht wurde in der Folge von der Bildungsdirektion für Niederösterreich zur Kenntnis genommen und nicht untersagt. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2023 informierte die Bildungsdirektion für Niederösterreich die Erziehungsberechtige darüber, dass für Kinder im häuslichen Unterricht die Teilnahme an einem Reflexionsgespräch bis spätestens zwei Wochen nach Ende der Semesterferien gemäß §11 Abs4 des Schulpflichtgesetzes 1985 verpflichtend vorgeschrieben sei. Die Erziehungsberechtigte teilte der Bildungsdirektion in der Folge mit E-Mail vom 15. Jänner 2024 mit, dass sie auf das Reflexionsgespräch verzichte. Mit Bescheid vom 22. April 2024 ordnete die Bildungsdirektion für Niederösterreich an, dass das Kind mit sofortiger Wirkung eine öffentliche Schule bzw eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Privatschule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen habe. Begründend führte die Bildungsdirektion für Niederösterreich aus, das Kind sei nicht zu einem vorgeschriebenen Reflexionsgespräch erschienen. Daher sei die restliche Schulpflicht an einer öffentlichen Schule bzw einer mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Privatschule zu erfüllen. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und diese damit begründet, dass die bisherigen Reflexionsgespräche keine Hilfe dargestellt hätten. Auch würde das Kind in diesem Schuljahr keine Externistenprüfung mehr ablegen, weil die Erziehungsberechtigten nunmehr einen "selbstbestimmten Bildungsweg" gewählt hätten.
3. Aus Anlass dieser Bescheidbeschwerden sind beim Bundesverwaltungsgericht Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "und anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 zu erfüllen hat" in §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985, BGBl 76/1985, idF BGBl I 37/2023 entstanden. Das Bundesverwaltungsgericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, in dem zu G3494/2023 protokollierten Antrag wie folgt dar (ohne Hervorhebungen im Original):
"[…] 2. Zulässigkeit des Antrages
Ein Antrag im Sinne des Art139 B VG und des Art140 B VG darf nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die (angefochtene) Verordnungs- bzw Gesetzesbestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 14.464/1996, 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003).
Die angefochtene Bestimmung (§11 Abs6 SchPflG) wurde im Verfahren vor der belangten Behörde als Grundlage für den erlassenen Bescheid herangezogen und das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtmäßigkeit des in Rede stehenden verwaltungsbehördlichen Handelns zu überprüfen. Aus diesem Grund hat auch das Bundesverwaltungsgericht die angefochtene Bestimmung (§11 Abs6 SchPflG) anzuwenden; die angefochtene Bestimmung ist daher insgesamt präjudiziell im Sinne des Art89 Abs2 i.V.m. Art135 Abs4 und Art140 Abs1 Z1 lita B VG.
Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu den Verfahrensvoraussetzungen ist der Umfang der zu prüfenden und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden Rechtsvorschrift derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall bildet, dass aber andererseits der verbleibende Teil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt (vgl etwa VfSlg 8.155/1977, 13.965/1994, 16.542/2002, 16.911/2003). Der Verfassungsgerichtshof hat in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und welchem dieser Ziele der Vorrang gebührt (vgl VfSlg 7.376/1974, 7.786/1976, 13.701/1994). Es ist dem Verfassungsgerichtshof verwehrt, der Rechtsvorschrift durch Aufhebung bloßer Teile einen völlig veränderten – dem Normsetzer überhaupt nicht mehr zusinnbaren – Inhalt zu geben, weil dies im Ergebnis geradezu ein Akt positiver Normsetzung wäre (vgl VfSlg 12.465/1990; 13.915/1994, 15.090/1998).
Letztlich ist der Umfang einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Gesetzesbestimmung derart abzugrenzen, dass die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (vgl VfSlg 13.965/1994 m.w.N., 16.542/2002, 16.911/2003). Ein untrennbarer Zusammenhang ist anzunehmen, wenn sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit der vom Verfassungsgerichtshof anzuwendenden Bestimmungen nicht ohne Mitberücksichtigung weiterer Bestimmungen beantworten lässt, insbesondere deshalb, weil sich ihr (gegebenenfalls verfassungsrechtlich bedenklicher) Inhalt erst mit Blick auf diese weiteren Bestimmungen erschließt. Ein solcher Zusammenhang kann sich aber auch daraus ergeben, dass diese weiteren Bestimmungen durch die Aufhebung der verfassungsrechtlich bedenklichen Normen einen völlig veränderten Inhalt erhielten (vgl VfSlg 8.155/1977, 8.461/1978 u.v.a.). Die Grenzen der Aufhebung sind nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes so zu ziehen, dass der verbleibende Teil einer Rechtsvorschrift nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt (vgl VfSlg 13.965/1994 m.w.N., 16.542/2002, 16.911/2003).
Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes besagt zudem, dass eine zu weite Fassung eines Antrags diesen nicht in jedem Fall unzulässig macht. Soweit alle vom Antrag erfassten Bestimmungen präjudiziell sind oder der Antrag mit solchen untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen erfasst, führt dies – ist der Antrag in der Sache begründet – im Fall der Aufhebung nur eines Teils der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zu seiner teilweisen Abweisung (vgl VfSlg 19.905/2014, 19.933/2014, 19.960/2015). Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht nicht präjudiziell sind, führt dies – wenn die angefochtenen Bestimmungen insoweit trennbar sind – im Hinblick auf diese Bestimmungen zur partiellen Zurückweisung des Antrags und nicht mehr zur Zurückweisung des gesamten Antrags (vgl wiederum VfSlg 19.933/2014, 19.960/2015).
3. Bedenken gegen §11 Abs6 SchPflG
Verstoß gegen Art7 Abs1 B VG, Artikel 2 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Artikel 18 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger sowie Art6 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern (BVG Kinderrechte)
3.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (vgl etwa VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002).
Der Gleichheitssatz bindet auch die Gesetzgebung (vgl VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihr insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, unsachliche, durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen und eine unsachliche Gleichbehandlung von Ungleichem (vgl VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005) sowie sachlich nicht begründbare Regelungen zu schaffen (vgl VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es der Gesetzgebung jedoch von Verfassung wegen nicht verwehrt, ihre (sozial-)politischen Zielvorstellungen auf die ihr geeignet erscheinende Art zu verfolgen (vgl VfSlg 13.576/1993, 13.743/1994, 15.737/2000, 16.167/2001, 16.504/2002). Sie kann im Rahmen ihres rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes einfache und leicht handhabbare Regelungen treffen und darf bei der Normsetzung generalisierend von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (vgl VfSlg 13.497/1993, 15.850/2000, 16.048/2000, 17.315/2004 und 17.816/2006, 19.722/2012, jeweils m.w.N.) sowie Härtefälle in Kauf nehmen (vgl VfSlg 16.771/2002 m.w.N.).
Gemäß Art2 zweiter Satz ZP EMRK hat der Staat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.
Gemäß Art18 StGG steht es jedermann frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will.
Nach Art6 BVG Kinderrechte hat jedes Kind mit Behinderung Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die seinen besonderen Bedürfnissen Rechnung tragen. Zudem ist die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Kindern im Sinne des Art7 Abs1 B VG in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. Demnach sind die Gebietskörperschaften verpflichtet, in Gesetzgebung oder Verwaltung die Diskriminierung von behinderten Kindern im täglichen Leben abzubauen (vgl Grabenwarter/Frank, B VG Art6 BVG Kinderrechte Rz 2 (Stand 20.06.2020, rdb.at)).
3.2. Zur Vorgängerbestimmung (§11 Abs4 SchPflG, BGBl Nr 76/1985 idF BGBl I Nr 170/2021) vertrat das Bundesverwaltungsgericht ursprünglich (siehe etwa hg. E vom 25.11.2021, Zl W203 2248418-1/2E), dass es sich bei dem System des Besuches einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht und der Teilnahme am häuslichen Unterricht gemäß §11 Abs1 und 2 leg.cit. um ein biennales System handelt, bei dem im Rahmen einer Grobprüfung gemäß Abs3 leg.cit. ex ante die Gleichwertigkeit des Unterrichts mit jenem an einer in §5 SchPflG genannten Schule zu prüfen ist und der Erfolg ex post durch eine Prüfung gemäß §11 Abs4 leg.cit. nachzuweisen ist. Wenn dieser Nachweis des Erfolges nicht gelang, hatte die Schulbehörde zwingend die Erfüllung der Schulpflicht im Sinne des §5 SchPflG – nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts für das nächste Schuljahr – anzuordnen, um die entstandenen Defizite auszugleichen. Danach wäre wiederum eine Anzeige der Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht oder am häuslichen Unterricht möglich, und von der Behörde wiederum ex ante die Gleichwertigkeit des Unterrichts mit jenem an einer in §5 SchPflG genannten Schule zu prüfen.
Mit seiner Entscheidung vom 26.01.2023, Ro 2022/10/0004-7, verwarf der Verwaltungsgerichtshof diese Interpretation und führte dazu aus, dass sich für diese Ansicht weder der Wortlaut des §11 Abs4 SchPflG idF BGBl I Nr 170/2021 noch die Materialien zur Stammfassung des Schulpflichtgesetzes 1962 ins Treffen führen ließen.
'Bereits nach dem Wortlaut der - seit der Stammfassung des Schulpflichtgesetzes 1962 (das mit dem SchPflG wiederverlautbart wurde) insoweit unverändert gebliebenen - Bestimmung des §11 Abs4 SchPflG hat die Behörde anzuordnen, dass das Kind 'seine Schulpflicht im Sinne des §5 zu erfüllen hat'. Daraus ergibt sich unmissverständlich, dass die - nach Maßgabe der §§2 und §3 SchPflG noch nicht absolvierte - Schulpflicht im Sinne des §5 leg. cit. zu erfüllen ist. Dieser Bestimmung kann nicht entnommen werden, dass diese Anordnung nur für einen bestimmten Zeitraum oder nur für bestimmte Teile der (restlichen) Schulpflicht gelten solle. Auch die vom Verwaltungsgericht erwähnten, oben wiedergegebenen Materialien zum Schulpflichtgesetz 1962 lassen in keiner Weise erkennen, dass im Falle der Nicht-Erbringung des in Rede stehenden Nachweises eine bloß 'befristete' Anordnung der Behörde erfolgen sollte. Sie bringen im Gegenteil zum Ausdruck, dass - anders als nach der bis dahin geltenden Rechtslage, die eine Prüfung an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule lediglich am Ende der (damals) achtjährigen Schulpflicht vorgesehen habe, was den Nachteil gehabt habe, dass 'acht Jahre unter Umständen nutzlos vergingen, ohne dass ein behördlicher Eingriff möglich' gewesen sei, - durch die jährlichen diesbezüglichen Prüfungen Versäumnisse rechtzeitig festgestellt und 'durch die Anordnung des Schulbesuches im Interesse des Kindes noch nachgeholt werden' können. Dass dieser im Interesse des Kindes vorzunehmende behördliche Eingriff in Form der Anordnung des Schulbesuchs im Sinne des §5 SchPflG nicht die restliche Dauer der Schulpflicht umfassen sollte, lässt sich diesen Materialien nicht ansatzweise entnehmen. Die vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Auslegung des §11 Abs4 SchPflG trifft demnach nicht zu.'
Der Gesetzestext gibt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zu erkennen, dass §11 Abs6 SchPflG idF BGBl I Nr 37/2023 in seinem normativen Inhalt dem bisherigen §11 Abs4 SchPflG idF BGBl I Nr 170/2021 entspricht. Auch aus den Materialien ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine zu einem anderen Ergebnis führende historische Interpretation, weshalb die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu §11 Abs4 SchPflG idF BGBl I Nr 170/2021 auf §11 Abs6 SchPflG idF BGBl I Nr 37/2023 zu übertragen ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass auch eine Anordnung gemäß §11 Abs6 SchPflG in der gegenständlich anzuwendenden Fassung BGBl I Nr 37/2023, die restliche Dauer der Schulpflicht umfasst.
3.3. Für den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt bedeutet dies, dass dem Zweitbeschwerdeführer, der unstrittig am Ende der ersten Schulstufe (1. Klasse Volksschule) zum Ende des Unterrichtsjahres 2022/2023 den Nachweis des zureichenden Erfolges des häuslichen Unterrichts nicht erbracht hat, und der laut Bescheid der belangten Behörde vom 20.09.2023, Zl 9132.005/0023-Präs3b/2023 aus medizinischen Gründen für das Schuljahr 2023/2024 vom Schulbesuch befreit wurde – wobei es bei der Anwendung des §11 Abs6 Z6 SchPflG nicht von Bedeutung ist, worin der Grund der Nichterbringung des Nachweises des zureichenden Erfolges lag – sowohl die weitere Teilnahme am häuslichen Unterricht, als auch am Unterricht einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht, für den Rest der Dauer seiner Schulpflicht (das sind gem. §2 Abs1 iVm §3 SchPflG die nächsten acht Schuljahre bis inkl. des Schuljahres 2030/2031) verwehrt ist.
3.4. Aus dem verfassungsrechtlichen Gefüge gemäß Art14 Abs7 und 7a B VG sowie Art17 StGG ergibt sich im Zusammenhalt mit §§5 und 11 SchPflG, dass die Schulpflicht, neben dem Besuch von öffentlichen Schulen und Schulen, denen das Öffentlichkeitsrecht verliehen wurde, auch durch die Teilnahme an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht, oder am häuslichen Unterricht erfüllt werden kann.
Damit ist im Sinne des Art2 zweiter Satz ZP EMRK sichergestellt, dass das Recht der Eltern, auf Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen in einem größtmöglichen Umfang beachtet wird. Gerade der häusliche Unterricht und die Schaffung von Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht tragen dafür Sorge, dass auch Eltern, die religiösen Minderheiten angehören oder verfassungskonforme Weltanschauungen vertreten, die allgemein nicht breit etabliert sind, einen Unterricht anzubieten, der ihre Überzeugungen größtmöglich beachtet. Durch die Regelungen des §11 SchPflG wird sichergestellt, dass der Staat, trotz der mit diesen Formen des Unterrichts verbundenen Freiheiten, seiner Aufsicht nachkommen, und bei Missständen oder für den Fall, dass sich herausstellt, dass die Qualität des Unterrichts hinter jener an öffentlichen Schulen zurückbleibt, entsprechende Maßnahmen ergreifen kann.
Nachdem es sich jedoch bei diesen Maßnahmen, wie bei jedem Eingriff in die Erziehung und den Unterricht, um eine Beschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Elternrechte handelt, müssen diese Maßnahmen angemessen und sachlich begründet sein.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist dies bei der angefochtenen Bestimmung nicht gegeben.
Zum einen ist es bei der gemäß §11 Abs6 Z6 SchPflG ex lege vorzunehmenden Anordnung der fortdauernden Erfüllung der Schulpflicht im Sinne des §5 SchPflG unerheblich, warum der Nachweis nicht zeitgerecht erbracht worden ist. Es ist also unerheblich, ob die Prüfung gemäß §11 Abs4 SchPflG nicht bestanden wurde, das Kind gar nicht angetreten ist, oder ob es wegen Krankheit oder körperlichen Gebrechen dazu gar nicht in der Lage war und führt in all diesen Fällen zum selben Ergebnis, nämlich, dass das Kind künftig und für den Rest der Dauer seiner Schulpflicht eine öffentliche Schule oder eine Schule mit Öffentlichkeitsrecht zu besuchen hat.
Zum anderen verhindert diese Anordnung, für den Fall, dass der Nachweis des Erfolges des häuslichen Unterrichts nicht erbracht wurde, auch den künftigen Besuch einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht und umgekehrt, was durch den dauerhaften Wegfall dieser Formen des Unterrichts einen groben Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht im Hinblick auf die Wahlfreiheit des Unterrichts bedeutet.
Überdies ist zu berücksichtigen, dass gerade Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht, ohne das starre Korsett an budgetären Vorgaben und zwingenden schulrechtlichen Vorschriften in Bezug auf Klassengröße und Unterrichtsdauer, den Bedürfnissen von Kindern mit Behinderung entgegenkommen können, wodurch auch eine Verletzung von Art6 BVG Kinderrechte zum Tragen kommt.
3.5. Aus diesen Erwägungen erscheint nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes die beantragte Aufhebung der angefochtenen Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof geboten. Durch den Wegfall der angefochtenen Wortfolge bleibt die restliche Bestimmung dennoch vollziehbar, da sich bereits aus §5 Abs1 SchPflG selbst ergibt, dass die allgemeine Schulpflicht (...) durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie von mittleren oder höheren Schulen (einschließlich der land- und forstwirtschaftlichen Fachschulen und der höheren land- und forstwirtschaftlichen Lehranstalten) zu erfüllen ist. Dies hat daher auch dann zu gelten, wenn der Unterricht im Sinne des §11 Abs1 oder 2 SchPflG untersagt wurde.
3.6. Zum Eventualantrag:
Sollte der Verfassungsgerichtshof zur Auffassung gelangen, dass der Hauptantrag zu eng gefasst sei, wird eventualiter der gesamte Regelungskomplex des – die Untersagungsgründe und Anordnung der Erfüllung der Schulpflicht im Sinne des §5 betreffenden – §11 Abs6 SchPflG angefochten, um den Verfassungsgerichtshof im Falle des Zutreffens der oben ausgeführten Bedenken in die Lage zu versetzen, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann."
4. Die Bundesregierung hat in dem zu G3494/2023 protokollierten Verfahren eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegen tritt (ohne Hervorhebungen im Original):
"[…]
2. Zur Zulässigkeit:
2.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind – wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren dargelegt hat (vgl VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002 und 16.911/2003) – so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen miterfasst werden. Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011 und 20.154/2017). Im Antrag sind all jene Normen anzufechten, die für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (vgl VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012 und 19.903/2014 sowie VfGH 10.3.2015, G201/2014).
2.2. Zur Zulässigkeit des Hauptantrages:
2.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes soll ein Gesetzesprüfungsverfahren dazu dienen, die behauptete Verfassungswidrigkeit – wenn sie tatsächlich vorliegt – zu beseitigen. Unzulässig ist ein Antrag daher dann, wenn die Aufhebung einer Bestimmung beantragt wird, die die angenommene Verfassungswidrigkeit gar nicht beseitigen würde (vgl VfSlg 16.191/2001, 18.397/2008, 18.891/2009, 19.178/2010 und 19.674/2012; VfGH 26.11.2015, G179/2015 sowie 14.12.2016, G573/2015 ua, jeweils mwN).
Ein solcher Fall liegt hier vor:
§11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985 regelt zwei Tatbestände: die Untersagung der Teilnahme am Unterricht gemäß §11 Abs1 und 2 leg. cit. und die Anordnung, 'dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 (leg. cit.) zu erfüllen hat'. Die Bedenken des Bundesverwaltungsgerichts beziehen sich auf den Umstand, dass – nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – im Falle der Anordnung der Schulpflichterfüllung im Sinne des §5 leg. cit. die Schulpflicht für die restliche Dauer in öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen erfüllt werden muss (vgl VwGH 26. Jänner 2023, Ro 2022/10/0004). Das Bundesverwaltungsgericht richtet seinen Antrag gegen die Wortfolge des §11 Abs6 leg. cit., die die Anordnung der Schulpflichterfüllung im Sinne des §5 leg. cit. anordnet.
Dabei wird außer Acht gelassen, dass bereits §5 Abs1 leg. cit. ('Die allgemeine Schulpflicht ist durch den Besuch von (…) zu erfüllen.') in Verbindung mit §4 leg. cit. ('Unter den in den §§5 bis 10 genannten Schulen sind öffentliche oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schulen zu verstehen.') die Erfüllung der Schulpflicht in öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen anordnet. Dies gilt unabhängig von einer Anordnung gemäß §11 Abs6 leg. cit., 'dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 zu erfüllen hat'. Das antragstellende Gericht räumt selbst ein, dass bereits die Untersagung der 'Teilnahme an einem solchen Unterricht (an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht oder an häuslichem Unterricht)' dazu führt, dass die Schulpflicht gemäß dem §5 leg. cit. an einer öffentlichen Schule oder einer Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht zu erfüllen ist; dennoch wird die Regelung über die Untersagung in §11 Abs6 leg. cit. nicht mitangefochten. Da also durch die Aufhebung der angefochtenen Wortfolge die Bedenken nicht beseitigt würden, ist der Anfechtungsumfang des Hauptantrages zu eng gefasst.
2.2.2. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist ein Antrag auch dann zu eng gefasst, wenn nach der angestrebten Aufhebung Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden kann, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (zB VfSlg 15.935/2000, 16.869/2003 und 19.624/2012 sowie VfGH 9.3.2016, G606/2015 ua).
Auch dieser Fall liegt hier vor:
Wenn eine Externistenprüfung über den zureichenden Unterrichtserfolg gemäß §11 Abs4 leg. cit. nicht bestanden wurde, kann die Prüfung gemäß §42 Abs14 zweiter Satz SchUG ' nach gemäß §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 angeordnetem Schulbesuch bis zum Ende der beiden ersten Wochen des Schuljahres einmal wiederholt werden'. Bei Aufhebung der angefochtenen Wortfolge würde §42 Abs14 SchUG somit eine Frist regeln, deren Beginn ('nach gemäß §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 angeordnetem Schulbesuch') nicht mehr (eindeutig) bestimmt werden könnte. Auch insofern ist der Anfechtungsumfang also zu eng gefasst.
2.2.3. Nach Auffassung der Bundesregierung erweist sich der Hauptantrag auf Aufhebung der angefochtenen Wortfolge daher als unzulässig.
2.3. Zur Zulässigkeit des Eventualantrages:
2.3.1. Umfasst ein Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind, die jedoch mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (vgl zB VfSlg 20.111/2016). Dies gilt keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden, gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (vgl VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015 und VfGH 15.10.2016, G183/2016 sowie jüngst dazu VfGH 6.12.2023, G170/2023 ua).
Vor diesem Hintergrund ist der Eventualantrag zu weit gefasst:
Das antragstellende Gericht beantragt die Aufhebung des gesamten §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985. §11 Abs6 leg. cit. regelt allerdings sechs voneinander unabhängige Tatbestände, aufgrund deren die Teilnahme an einem Unterricht gemäß §11 Abs1 oder 2 leg. cit. zu untersagen und der Schulbesuch im Sinne des §5 leg. cit. anzuordnen ist. Verfahrensgegenstand des Anlassverfahrens ist die Untersagung der Teilnahme am häuslichen Unterricht aufgrund der Nichterbringung des Nachweises des zureichenden Unterrichtserfolges gemäß §11 Abs6 Z6 leg. cit. (vgl Seite 2 Punkt 1 und 2 des Antrages sowie Seite 9 Punkt 3.3 des Antrages). Weder §11 Abs6 Z1 bis 5 noch §11 Abs6 letzter Satz leg. cit. sind präjudiziell. Diese Normbestandteile stehen miteinander nicht in einem untrennbaren Zusammenhang im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes; jede einzelne Ziffer des §11 Abs6 sowie §11 Abs6 letzter Satz leg. cit. könnten für sich entfallen, ohne die verbleibenden Normbestandteile unverständlich oder unvollziehbar werden zu lassen. Durch die Aufhebung des gesamten §11 Abs6 leg. cit. würde außerdem mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden, als zur Beseitigung der vom antragstellenden Gericht vorgebrachten Bedenken notwendig wäre (vgl VfGH 29.9.2015, G324/2015 und VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua mit Verweis auf VfGH 16.6.2014, G82/2013).
Aus diesen Gründen ist der Eventualantrag auf Aufhebung des gesamten §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985 zu weit gefasst.
2.3.3. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist es ihm verwehrt, einer Rechtsvorschrift durch Aufhebung bloßer Teile von dieser einen völlig veränderten, dem Normsetzer überhaupt nicht mehr zusinnbaren Inhalt zu geben, weil dies im Ergebnis geradezu ein Akt positiver Normsetzung wäre (vgl VfSlg 12.465/1990, 13.915/1994 und 19.755/2013 sowie VfGH 18.2.2016, G434/2015 jeweils mwN).
Genau dies wäre hier aber der Fall:
Die Aufhebung des §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985 würde der Schulbehörde die rechtliche Grundlage für die Untersagung der Schulpflichterfüllung durch die Teilnahme an einem Unterricht gemäß §11 Abs1 und 2 leg. cit. entziehen. Zwar wäre aufgrund von §11 Abs3 und 4 leg. cit. die Überprüfung der Teilnahme an einem solchen Unterricht weiterhin geboten; die Herstellung eines rechtskonformen Zustandes bei Feststellung von Mängeln (zB fehlende Gleichwertigkeit, Unterrichtsbesuch trotz Sprachförderbedarf oder das Fehlen eines Nachweises des zureichenden Erfolges) wäre allerdings nicht mehr möglich. Aus den Erläuterungen zur Stammfassung des Schulpflichtgesetzes, BGBl Nr 241/1962, geht hervor, dass die Untersagung der Teilnahme an einem Unterricht gemäß §11 Abs1 und 2 leg. cit. und die Anordnung des Schulbesuches im Sinne des §5 leg. cit. gerade darauf abzielen, Versäumnisse rechtzeitig festzustellen und behördlich eingreifen zu können (vgl ErlRV 732 BlgNR IX. GP, 12). Mit der Aufhebung des §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985 würde den verbleibenden Abs1 bis 5 ein völlig veränderter, dem Normsetzer nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben werden.
2.3.4. Zudem würde bei Wegfall des §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985 die in §11 Abs4 Z1 leg. cit. getroffene Regelung unverständlich: Nach dieser Regelung ist mit Kindern, die am häuslichen Unterricht teilnehmen, während des Unterrichtsjahres an 'jener Schule, die bei Untersagung des häuslichen Unterrichts zu besuchen wäre(,)' ein Reflexionsgespräch durchzuführen. Bei Aufhebung des §11 Abs6 leg. cit. würde das Schulpflichtgesetz 1985 eine Regelung über die Untersagung der Teilnahme an einem solchen Unterricht aber gar nicht mehr enthalten; damit wäre nicht mehr hinreichend bestimmbar, worauf sich die zitierte Wortfolge in §11 Abs4 Z1 leg. cit. bezieht.
2.3.5. Die Bundesregierung übersieht nicht, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ein allfälliges Ins-Leere-Gehen einer Bestimmung infolge der Aufhebung einer anderen Regelung nicht schadet (vgl VfSlg 15.935/2000 und 19.903/2014). Der Vollständigkeit halber wird aber darauf hingewiesen, dass die Aufhebung des gesamten §11 Abs6 leg. cit. auch zur Folge hätte, dass die in §27 Abs2 leg. cit. getroffene Regelung über die Beschwerde- und Entscheidungsfristen für die Verfahren gemäß §11 Abs6 ins Leere ginge.
2.3.6. Nach Auffassung der Bundesregierung ist daher der Eventualantrag auf Aufhebung des §11 Abs6 leg. cit. unzulässig.
Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Antrag dennoch als zulässig erachten sollte, nimmt die Bundesregierung im Folgenden in der Sache Stellung.
III. In der Sache:
Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011 und 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.
1. Zur vom antragstellenden Gericht vertretenen Auslegung der angefochtenen Bestimmung:
Das antragstellende Gericht geht davon aus, dass das zu §11 Abs4 des Schulpflichtgesetzes 1985, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl Nr 35/2018, ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes auf die geltende Fassung des §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985 übertragbar sei. Demnach gelte die Anordnung, die Schulpflicht im Sinne des §5 leg. cit. zu erfüllen, nicht nur für einzelne Schuljahre, sondern für die restliche Dauer der Schulpflicht. Daher sei die Erfüllung der Schulpflicht gemäß §11 Abs1 und 2 leg. cit. nicht mehr möglich. Dies führe zu einem dauerhaften Wegfall der 'Wahlfreiheit des Unterrichts', worin ein Eingriff in die 'verfassungsrechtlich garantierten Elternrechte' zu erblicken sei, der weder angemessen noch sachlich begründet sei. So sei es für eine Anordnung nach §11 Abs6 Z6 leg. cit. unerheblich, aus welchem Grund der Nachweis des zureichenden Erfolges nicht erbracht worden sei; zB ob ein Kind nicht zur Externistenprüfung angetreten sei, diese nicht bestanden habe oder es wegen einer Krankheit nicht dazu in der Lage gewesen sei.
Dazu weist die Bundesregierung auf Folgendes hin:
Wie das antragstellende Gericht zutreffend ausführt, traf §11 des Schulpflichtgesetzes 1985, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 35/2018, eine klare Unterscheidung zwischen der vor Beginn des Unterrichtsjahres gemäß §11 Abs3 leg. cit. auszusprechenden Untersagung eines angezeigten Unterrichts und der am Ende des Unterrichtsjahres nach Durchführung des angezeigten Unterrichts gemäß §11 Abs4 leg. cit. ergehenden Anordnung, dass ein Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 leg. cit. zu erfüllen habe. Der Verwaltungsgerichtshof legte im Erkenntnis Ro 2022/10/0004 vom 26. Jänner 2023 unter Heranziehung der subjektiv-historischen Interpretationsmethode den §11 Abs4 leg. cit. dahin aus, dass eine Anordnung der Schulpflichterfüllung für die restliche Dauer der Schulpflicht gelten müsse, weshalb die Schulpflicht in weiterer Folge nicht mehr durch Teilnahme an einem Unterricht gemäß §11 Abs1 und 2 leg. cit. erfüllt werden könne.
Mit der Novelle BGBl I Nr 37/2023 wurde allerdings die Normstruktur des §11 des Schulpflichtgesetzes 1985 grundlegend verändert. Die Untersagung des angezeigten Unterrichts und die Anordnung der Schulpflichterfüllung im Sinne des §5 leg. cit. sind nicht mehr zwei verschiedene Rechtsakte, die zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten gesetzt werden, sondern stellen dem Wortlaut der Bestimmung nach nun einen Verfahrensschritt dar. Untersagung und Anordnung können folglich sowohl vor Beginn des Unterrichtsjahres – in etwa in Fällen des §11 Abs6 Z1 leg. cit. – als auch nach Ende des Unterrichtsjahres – zB gemäß §11 Abs6 Z6 leg. cit. – ausgesprochen werden.
Dies spricht dafür, dass – entgegen der Annahme des antragstellenden Gerichts – die zu §11 Abs4 des Schulpflichtgesetzes 1985, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 35/2018, getroffene Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht ohne Weiteres auf den geltenden §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 37/2023, übertragen werden kann. Andernfalls würde selbst eine vor Beginn des Unterrichtsjahres über eine der in §11 Abs1 und 2 leg. cit. geregelten Unterrichtsformen ausgesprochene Untersagung und Anordnung gemäß §11 Abs6 leg. cit. beide Unterrichtsformen erfassen. Damit wäre die Erfüllung der Schulpflicht sowohl durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht als auch durch die Teilnahme am Unterricht einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht für die restliche Dauer der Schulpflicht unzulässig. Eine Auslegung, die dazu führen kann, dass ein vorab angezeigter und untersagter häuslicher Unterricht auch die Erfüllung der Schulpflicht in einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht auf Dauer unzulässig werden lässt, erschiene aus Sachlichkeitsgesichtspunkten verfassungsrechtlich bedenklich.
2. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art2 1. ZPEMRK:
Das Bundesverwaltungsgericht hegt vor dem Hintergrund des bereits erwähnten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichthofes vom 26. Jänner 2023, Ro 2022/10/0004, zu §11 Abs4 des Schulpflichtgesetzes 1985, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 35/2018, das Bedenken, dass die angefochtene Wortfolge das durch Art2 1. ZPEMRK gewährleistete elterliche Erziehungsrecht verletze.
Dazu weist die Bundesregierung auf Folgendes hin:
2.1. Zum elterlichen Erziehungsrecht:
Art2 zweiter Satz 1. ZPEMRK verpflichtet den Staat, das Erziehungsrecht der Eltern bei der Ausgestaltung des Bildungswesens zu achten ('shall respect' bzw 'respectera'). Dies umfasst auch das Recht der Eltern, ihre Kinder in Übereinstimmung mit ihren religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zu erziehen und die Pflicht des Staates, die fundamentalen Überzeugungen der Eltern im Unterricht zu berücksichtigen. Darunter fällt insbesondere die Vermeidung indoktrinierender oder missionierender Inhalte oder Praktiken im Schulunterricht und das Gebot einer objektiven, kritischen und pluralistischen Wissensvermittlung (vgl etwa EGMR 7.12.1976, Kjeldsen ua gegen Dänemark, Appl 5095/71 ua sowie EGMR 9.1.2008, Zengin gegen die Republik Türkei, Appl 1448/04, Rz. 47 f und 53 f; vgl Peters, Art2 1. ZPEMRK, in: Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (11. Lfg. 2013), Rz. 37; Grabenwarter/Pabel, EMRK 7 (2021), §22 Rz. 104 und 109, sowie Bitter, Art2 EMRKZusProt, in: Karpensteiner/Mayer (Hrsg.), EMRK 3 (2022), Rz. 25 mwN). Grundsätzlich gesteht der EGMR den Vertragsstaaten bei der rechtlichen Ausgestaltung des Schulwesens jedoch einen weiten Gestaltungsspielraum zu. Beschränkungen der grundrechtlichen Garantien müssen allerdings ein legitimes Ziel verfolgen und für die Betroffenen verhältnismäßig und vorhersehbar sein (vgl Grabenwarter/Pabel, aaO, §22 Rz. 98 und 108, jeweils mwN).
2.1.1. Zum Recht, Privatschulen zu gründen und die Schulpflicht an Privatschulen zu erfüllen, ergibt sich Folgendes:
Vor dem Hintergrund der Verpflichtung des Staates, ein Bildungssystem zu schaffen, in dem die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern angemessen berücksichtigt werden können, kann aus Art2 zweiter Satz 1. ZPEMRK das Recht auf Gründung und Führung von Privatschulen abgeleitet werden (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK 7 (2021), §22 Rz. 103 mwN, so auch Kröll, Art17 Abs2, 3 StGG, in: Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (29. Lfg. 2022), Rz. 150 und Bitter, Art2 EMRKZusProt, in: Karpensteiner/Mayer (Hrsg.), EMRK 3 (2022), Rz. 26 mwN). Aus dem gemäß Art2 erster Satz 1. ZPEMRK gewährten Recht auf Bildung ergeben sich allerdings das Recht und die Pflicht des Staates zur Sicherung von Qualität und Effektivität des (Privatschul-)Unterrichts (vgl EGMR 7.12.1976, Kjeldsen ua gegen Dänemark, Appl 5095/71, Rz. 27 und EGMR 25.3.1993, Costello-Roberts gegen Großbritannien, Appl 13134/87 Rz 25 f; Grabenwarter/Pabel, EMRK 7 (2021), §22 Rz. 103). Insbesondere im Zusammenhang mit der Erfüllung der Schulpflicht hat der Staat an den Privatschulunterricht bestimmte Anforderungen hinsichtlich der Gleichwertigkeit mit dem Unterricht an öffentlichen Schulen zu stellen (vgl Kröll, aaO, Rz. 150 ff).
2.1.2. Zum Recht, die Schulpflicht im häuslichen Unterricht zu erfüllen; ergibt sich Folgendes:
Art2 1. ZPEMRK garantiert kein subjektives Recht auf Erfüllung der Schulpflicht im häuslichen Unterricht (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK 7 (2021), §22 Rz. 107 unter Verweis auf EGMR 11.9.2006, Konrad ua gegen Deutschland, Appl 35504/03 ua; Kröll, Art17 Abs2, 3 StGG, in: Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (29. Lfg. 2022), Rz. 154 f sowie 158; Bitter, Art2 EMRKZusProt, in: Karpensteiner/Mayer (Hrsg.), EMRK 3 (2022), Rz. 18 mwN; vgl weiters Gamper, Art17 StGG, in: Kahl/Khakzadeh/Schmid (Hrsg.), Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B VG und Grundrechte (Stand 1.1.2021, rdb.at), Rz. 18 unter Verweis auf VfSlg 19.958/2015 und 20.311/2019; ferner EGMR 13.9.2011, Dojan ua gegen Deutschland, Appl 319/08 ua, Rz. 2). Sieht ein Vertragsstaat vor, dass die Schulpflicht im häuslichen Unterricht erfüllt werden kann, hat der Staat gemäß Art2 erster Satz 1. ZPEMRK die Qualität und Effektivität dieses Unterrichts sicherzustellen und ist daher ermächtigt, Anforderungen an den häuslichen Unterricht im Hinblick auf die Gleichwertigkeit mit dem Unterricht an öffentlichen Schulen zu stellen und deren Einhaltung zu kontrollieren (vgl Kröll, aaO, Rz. 157).
2.2. §11 des Schulpflichtgesetzes 1985 ermöglicht die Schulpflichterfüllung in Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht oder durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht unter der Voraussetzung, dass der Unterricht jenem an einer öffentlichen Schule zumindest gleichwertig ist und der Unterrichtserfolg am Endes des Unterrichtsjahres nachgewiesen wird (vgl VfSlg 19.958/2015). Liegen diese Voraussetzung nicht vor, ist die Erfüllung der Schulpflicht für die restliche Dauer in einer öffentlichen Schule oder einer Privatschule, deren Unterricht dem Unterricht in einer öffentlichen Schule gleichwertig ist (also einer Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht) anzuordnen. Auch in diesem Fall steht es den Eltern oder Erziehungsberechtigten frei, die konkrete und für ihr Kind geeignete öffentliche oder private Schule zu bestimmen und damit ihren Überzeugungen und ihrer Weltanschauung Rechnung zu tragen. Daher greift die angefochtene Bestimmung nicht in das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art2 1. ZPEMRK ein.
Unter der Annahme aber, dass ein Eingriff in gemäß Art2 zweiter Satz 1. ZPEMRK gewährleistete Rechte vorliegt, stellt dieser nach Auffassung der Bundesregierung keine Verletzung dieser Rechte dar:
2.2.1. Ziel der angefochtenen Bestimmung ist die Gewährleistung des in Art2 erster Satz 1. ZPEMRK garantierten allgemeinen Rechts auf Bildung. Demnach ist der Staat verpflichtet, ein Bildungswesen einer bestimmten Qualität einzurichten und zugänglich zu machen sowie Ausbildungserfolge anzuerkennen (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK 7 (2021), §22 Rz. 95). Diese Rechte kommen Kindern und Jugendlichen in öffentlichen und privaten Schulen sowie im häuslichen Unterricht gleichermaßen zu.
Art14 Abs5a B VG normiert einen verfassungsgesetzlichen Bildungsauftrag; demnach ist es Aufgabe des österreichischen Schulwesens, Rahmenbedingungen für die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu schaffen und diese zum höchstmöglichen Bildungsniveau zu führen (vgl Wieser, Art14 B VG, in: Korinek/Holoubek et al. (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht (14. Lfg 2018), Rz. 59 mwN). Die Sicherung des Ausbildungserfolges – also die Erreichung der Bildungs- und Lehrziele der jeweiligen Schulstufen und -arten – kann nur durch die Gewährleistung eines Schüler mit einem dem Art14 Abs5a B VG gerecht werdenden Unterricht aller schulpflichtigen Kinder und Jugendliche erreicht werden. Dieser Maßstab gilt ebenso für den Unterricht von Schulpflichtigen in Privatschulen und für den häuslichen Unterricht von Schulpflichtigen. Der Gesetzgeber hat für den Privatschulunterricht und den häuslichen Unterricht angemessene Regelungen zur Sicherstellung eines mit dem öffentlichen Schulwesen gleichwertigen Ausbildungserfolges zu treffen (VfSlg 19.958/2015, 20.311/2018 und 20.457/2021 sowie VfGH 29.11.2022, E2766/2022).
Die angefochtene Bestimmung verfolgt das im öffentlichen Interesse gelegene Ziel, für alle schulpflichtigen Schüler das Recht auf Bildung gemäß Art2 erster Satz 1. ZPEMRK sicherzustellen und einen dem Bildungsauftrag des Art14 Abs5a B VG gerecht werdenden Unterricht zu gewährleisten.
2.2.2. Die angefochtene Bestimmung ist sowohl geeignet als auch erforderlich, dieses Ziel zu erreichen:
Anders als bei öffentlichen Schulen und Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht wird bei Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht und für den häuslichen Unterricht die Gleichwertigkeit mit öffentlichen Schulen und die Bewährung hinsichtlich des Unterrichtserfolges, also der Umstand, dass der Unterricht den Aufgaben der österreichischen Schule gerecht wird, nicht auf Dauer festgestellt, sondern im Einzelfall geprüft. Indem bei Nichtvorliegen dieser Voraussetzungen die Schulpflicht fortan an einer öffentlichen oder privaten Schule zu erfüllen ist, die diese Kriterien erfüllt, ist die Bestimmung geeignet, sicherzustellen, dass der Schüler während der Dauer der Schulpflicht an einem dem Art14 Abs5a B VG gerecht werdenden Unterricht teilnimmt.
In einem Bildungssystem, das auf die Bildungsziele der vorangehenden Schulstufen aufbaut, ist es für das schulische und berufliche Fortkommen erforderlich, Bildungsversäumnisse frühzeitig hintanzuhalten, versäumte Bildungserfolge ehestmöglich nachzuholen und (weitere) Laufbahnverluste zu verhindern. Wurde gemäß §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985 festgestellt, dass der Unterricht gemäß §11 Abs1 und 2 leg. cit. dies nicht leisten kann, weil die gesetzlich geforderte Gleichwertigkeit mit öffentlichen Schulen nicht vorliegt oder der Unterrichtserfolg für die betreffende Schulstufe nicht erreicht wurde, ist es unabdingbar, dass der betroffene Schüler fortan eine Schule besucht, deren Unterricht diese Voraussetzungen erfüllt. Hingegen würde eine Regelung, die erlauben würde, dass ein schulpflichtiger Schüler (weiterhin oder erneut) an einem Unterricht teilnimmt, der die gesetzlichen Voraussetzungen des §11 Abs1 und 2 leg. cit. nicht erfüllt, die Teilhabe dieses Schülers am Bildungssystem sowie sein berufliches Fortkommen erheblich erschweren oder dauerhaft verunmöglichen.
2.2.3. Die angefochtene Bestimmung erweist sich auch als verhältnismäßig:
§11 des Schulpflichtgesetzes 1985 ermöglicht es Eltern und Erziehungsberechtigten, ihre Kinder an einem Unterricht an Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht oder am häuslichen Unterricht teilnehmen zu lassen. Diese Regelung gewährleistet die Achtung des in Art2 zweiter Satz 1. ZPEMRK garantierten elterlichen Erziehungsrechts. Gleichzeitig sichert die angefochtene Wortfolge in §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985 Kindern und Jugendlichen allerdings das ihnen durch Art2 erster Satz 1. ZPEMRK in Verbindung mit dem verfassungsgesetzlichen Bildungsauftrag gemäß Art14 Abs5a B VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Teilhabe an einem qualitativ hochwertigen und effektiven Bildungssystem.
Der Bildungsanspruch von Kindern und Jugendlichen steht im Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlichen Gebot der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohles gemäß Art1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern (vgl dazu VfSlg 19.941/2014 und 20.018/2015 mwN; Grabenwarter/Frank, Art1 BVG Kinderrechte (Stand 20.6.2020, rdb.at), Rz. 2; S. Öhner, Die Änderungen in §11 Schulpflichtgesetz durch das BGBl I 2021/232 aus kinderrechtlicher Perspektive, S R 1/2022, 54; Fuchs, Kinderrechte in der Verfassung: Das BVG über die Rechte von Kindern, in: Lienbacher/Wielinger (Hrsg.), Jahrbuch Öffentliches Recht (2011), 91-110 (98 f)). Das Erreichen eines erfolgreichen Schulabschlusses und der Erwerb der für das berufliche Fortkommen erforderlichen Bildungsnachweise gehören zur Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen (vgl OGH 25.9.2018, 2 Ob 136/18s und OGH 23.2.2022, 4 Ob 222/21g).
Die angefochtene Bestimmung trägt beiden rechtlichen Interessen angemessen Rechnung. §11 Abs1 und 2 des Schulpflichtgesetzes 1985 ermöglicht es Eltern und Erziehungsberechtigen, ihre Kinder in Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht oder im häuslichen Unterricht unterrichten zu lassen, gewährt dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Unterricht jenem an einer öffentlichen Schule gleichwertig ist und der Schüler die Schulstufe erfolgreich abschließen kann.
Zudem ist es den Eltern oder Erziehungsberechtigten selbst bei Untersagung und Anordnung der Schulpflichterfüllung im Sinne des §5 leg. cit. nicht verwehrt, eine für das Kind geeignete Schule zu wählen; vielmehr sind sie dazu ausdrücklich berechtigt und verpflichtet (vgl VwGH 24.4.2018, Ra 2018/10/0040). Da §4 leg. cit. Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht den öffentlichen Schulen gleichsetzt, steht es den Eltern oder Erziehungsberechtigten frei, eine für ihre Kinder geeignete Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht zu bestimmen, die ihren Überzeugungen und Weltanschauungen Rechnung trägt. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass Art2 1. ZPEMRK die Gesetzgebung und Vollziehung auch bei der Ausgestaltung der öffentlichen Schulen dazu verpflichtet, die Überzeugungen und Weltanschauungen der Eltern zu achten und angemessen zu berücksichtigen (vgl etwa Grabenwarter/Pabel, EMRK 7 (2021), §22 Rz. 107 sowie unter Punkt 2.1).
Zudem hat der Gesetzgeber gegen die Untersagung und Anordnung gemäß §11 Abs6 leg. cit. ein Rechtsschutzsystem eingerichtet; gemäß §27 leg. cit. kann gegen Entscheidungen gemäß §11 Abs6 leg. cit. Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.
Dass §11 Abs6 Z6 leg. cit. nicht darauf abstellt, aus welchen Gründen die Externistenprüfung nicht bestanden oder nicht zeitgerecht abgelegt wurde, macht die Regelung vor dem Hintergrund der bisherigen Darlegungen nicht unverhältnismäßig oder unsachlich. Bei Anordnung der Schulpflichterfüllung im Sinne des §5 leg. cit. steht die Vermeidung von (weiteren) Laufbahnverlusten im Mittelpunkt. Wurde im Unterricht gemäß §11 Abs1 oder 2 leg. cit. das Bildungsziel einer Schulstufe nicht erreicht, ist es – in einem auf die Erreichung vorangehender Bildungsziele aufbauenden Schulsystem – sachlich gerechtfertigt, unabhängig von den Gründen für das Nichterreichen des Bildungszieles die Wiederholung der Schulstufe in einer Schule im Sinne des §5 leg. cit. vorzusehen. Nur so kann gewährleisten werden, dass Leistungsrückstände aufgeholt werden können. Vor dem Hintergrund des öffentlichen Interesses an der ausreichenden Beschulung schulpflichtiger Kinder und Jugendlicher ist es daher weder unverhältnismäßig noch unsachlich, unabhängig von den Gründen für den unterlassenen Nachweis des zureichenden Unterrichtserfolges die Erfüllung der weiteren Schulpflicht in einer den Aufgaben der österreichischen Schule gerecht werdenden Schule vorzusehen.
Ferner existieren Regelungen für Fälle, in denen Kinder (krankheitsbedingt) nicht zur Externistenprüfung antreten können: Ist ein Kind aufgrund einer Krankheit oder eines anderen wichtigen Grundes nicht dazu in der Lage, zur Externistenprüfung gemäß §11 Abs4 leg. cit. anzutreten, sieht §17 der Externistenprüfungsverordnung, BGBl Nr 362/1979, die Festsetzung eines neuen Prüfungstermins vor. Darüber hinaus enthält §19 leg. cit. Bestimmungen für Prüfungskandidaten mit körperlichen Behinderungen.
Stehen schließlich medizinische Gründe dem Besuch einer Schule entgegen oder würde der Schulbesuch für einen Schüler eine unzumutbare Belastung bedeuten, kann dieser – wie im vorliegenden Fall – gemäß §15 des Schulpflichtgesetzes 1985 für die notwendige Dauer vom Besuch der Schule befreit werden; dies ist jedoch keine Befreiung von der Schulpflicht (vgl ErlRV 1166 BlgNR XXII. GP, 11).
2.3. Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, dass die angefochtene Bestimmung keine Verletzung der gemäß Art2 1. ZPEMRK gewährten Rechte darstellt.
3. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art6 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern in Verbindung mit Art7 Abs1 B VG:
Das Bundesverwaltungsgericht hegt ferner das Bedenken, dass die angefochtene Bestimmung gegen Art6 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern verstoße, da es aufgrund dieser Bestimmung für Kinder mit Behinderung nicht mehr möglich wäre, Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht zu besuchen. Derartige Schulen könnten jedoch – 'ohne das starre Korsett an budgetären Vorgaben und zwingenden schulrechtlichen Vorschriften in Bezug auf Klassengröße und Unterrichtsdauer' – den Bedürfnissen von Kindern mit Behinderung 'entgegenkommen'.
Dazu hält die Bundesregierung Folgendes fest:
3.1. Art6 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern gewährt jedem Kind mit Behinderung einen besonderen Anspruch auf Schutz und Fürsorge, die seinen Bedürfnissen Rechnung tragen. Zudem ist im Sinne des Art7 Abs1 B VG die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Kindern in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.
3.2. Entgegen den Ausführungen des antragstellenden Gerichtes können Kinder mit einer Behinderung trotz einer Anordnung gemäß §11 Abs6 des Schulpflichtgesetzes 1985 (Privat-)Schulen besuchen, die ihrem besonderen Anspruch auf Schutz und Fürsorge Rechnung tragen können. Anders als das antragstellende Gericht ausführt, besteht auch für Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht die Möglichkeit, die Klassengröße gemäß §8a Abs4 SchOG selbst festzulegen und von den gesetzlichen Vorschriften über die Unterrichtszeit gemäß §15 Abs1 des Schulzeitgesetzes 1985, BGBl Nr 77/1985, abzuweichen.
Im öffentlichen Schulwesen existieren zahlreiche Fördermöglichkeiten und Rechte für Kinder mit Behinderung sowie differenzierte pädagogische Instrumente, um der jeweiligen Situation eines Kindes gerecht zu werden. Dies umfasst neben der Bereitstellung persönlicher Assistenz oder der Möglichkeit des Unterrichts in Heilstättenschulen während dauernder stationärer medizinischer Behandlung auch spezifische Bildungsangebote. Schüler, die aufgrund einer Behinderung dem Unterricht einer Pflichtschule ohne sonderpädagogische Förderung nicht folgen können, haben gemäß §8 Abs1 in Verbindung mit §8a Abs1 des Schulpflichtgesetzes 1985 einen gesetzlichen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung in einer Sonderschule, einer Sonderschulklasse oder einer allgemeinen Schule. Sonderschulen haben gemäß §22 Abs1 SchOG die Aufgabe, Kinder in einer ihrer Behinderungsart entsprechenden Weise zu fördern, ihnen nach Möglichkeit eine den Volksschulen, Mittelschulen oder Polytechnischen Schulen entsprechende Bildung zu vermitteln und ihre Eingliederung in das Arbeits- und Berufsleben vorzubereiten. Sonderschulen, die unter Bedachtnahme auf den Lehrplan der Mittelschule geführt werden, haben die Schüler je nach Interesse, Neigung, Begabung und Fähigkeit zum Übertritt in mittlere oder in höhere Schulen zu befähigen.
Darüber hinaus verpflichtet das Schulorganisationsgesetz die Schulerhalter, die Schulleitungen und die Lehrer der Volksschule, Mittelschule, Polytechnischen Schule und allgemeinbildenden höheren Schule auf Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf bei der Umsetzung des Lehrplanes (zB §10 Abs4 SchOG für die Volksschule), dem Einsatz von Lehrern (zB §13 Abs1 SchOG für die Volksschule) und der Festlegung von Klassenschülerzahlen (zB §14 SchOG für die Volksschule) Rücksicht zu nehmen. Die Prinzipien der inklusiven Pädagogik finden Berücksichtigung in den gesetzlichen Aufgaben der jeweiligen Schularten (vgl §9 Abs1 SchOG für die Volksschule, §21a Abs3 SchOG für die Mittelschule, §28 Abs4 SchOG für die Polytechnische Schule und §34 Abs2 SchOG für die allgemeinbildenden höheren Schulen). Das Schulunterrichtsgesetz trifft für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zB in §17 Abs4 SchUG besondere Förderbestimmungen für die Unterrichtsarbeit und in §25 Abs5a und 5b SchUG eigene Regelungen für das Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe und gewährt Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemäß §32 Abs2 SchUG unter bestimmten Voraussetzung die Verlängerung der Höchstdauer des Schulbesuches.
3.3. Aus diesen Gründen und vor dem Hintergrund der Ausführungen zu Art2 1. ZPEMRK liegt nach Auffassung der Bundesregierung keine Verletzung des Art6 Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern vor.
4. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art18 StGG:
Das antragstellende Gericht bringt vor, die angefochtenen Wortfolge verstoße gegen Art18 StGG. Der Schutzbereich des Art18 StGG ist im vorliegenden Fall jedoch nicht eröffnet, weil es sich nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bei der Erfüllung der Schulpflicht nicht um eine Berufswahl oder Berufsausbildung handelt (vgl VfSlg 19.958/2015). Zudem erschöpft sich der Antrag im pauschalen Vorbringen einer Verletzung des Art18 StGG; konkrete Bedenken oder eine nähere Begründung dieser Bedenken sind dem Antrag nicht zu entnehmen.
5. Ergebnis:
Die in Prüfung gezogene Bestimmung ist somit nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig.
[…]"
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit der Anträge
1.1. Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Normenprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).
Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Normenprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Gesetzwidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Verordnung dieser ein völlig veränderter, dem Verordnungsgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
1.2. Die Bundesregierung erachtet die Anträge als unzulässig, weil die behauptete Verfassungswidrigkeit durch den Entfall der angefochtenen Wortfolge nicht beseitigt werde. Auf Grund von §5 Schulpflichtgesetz 1985 bestehe auch bei Entfall der angefochtenen Wortfolge in §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 eine Anordnung der Erfüllung der Schulpflicht in öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen. Die Anträge seien nach Ansicht der Bundesregierung weiters auch zu eng gefasst, weil nach der angestrebten Aufhebung Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschrift des §42 Abs14 zweiter Satz Schulunterrichtsgesetz (SchUG), BGBl 472/1986, idF BGBl I 37/2023 bestünden.
1.3. Entgegen dem Vorbringen der Bundesregierung zum Anfechtungsumfang erweist sich dieser nicht als zu eng. Die Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes richten sich gegen die Wortfolge "und anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 zu erfüllen hat" in §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985, die nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes vor dem Hintergrund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 2023, Ro 2022/10/0004, so auszulegen sei, dass die Anordnung für die gesamte weitere Schulpflicht gelte und für das Kind eine Möglichkeit zur Teilnahme an häuslichem Unterricht fortan nicht mehr bestehe. Die grundsätzliche Bestimmung des §5 Schulpflichtgesetz 1985, der die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie mittleren oder höheren Schulen vorsieht, steht damit in keinem untrennbaren Zusammenhang. Ebenso wenig stellt der Umstand allein, dass nach einer allfälligen Aufhebung der Wortfolge in §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 der Verweis auf den angeordneten Schulbesuch in §42 Abs14 zweiter Satz SchUG ins Leere ginge, einen solchen untrennbaren Zusammenhang her (vgl VfSlg 19.413/2011, 19.935/2014; VfGH 16.6.2014, G82/2013).
1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Den Anträgen liegt folgende Rechtslage zugrunde:
Für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, besteht eine allgemeine Schulpflicht, deren Dauer gemäß Art14 Abs7a B VG und §3 Schulpflichtgesetz 1985 neun Schuljahre beträgt. Die Schulpflicht ist gemäß §§4 und 5 Abs1 Schulpflichtgesetz 1985 durch den Besuch von öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen zu erfüllen.
Die allgemeine Schulpflicht kann gemäß §11 Abs1 Schulpflichtgesetz 1985 auch durch Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht sowie gemäß §11 Abs2 Schulpflichtgesetz 1985 ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer in §5 Schulpflichtgesetz 1985 genannten Schule mindestens gleichwertig ist.
Die Teilnahme an häuslichem Unterricht ist von den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten der Bildungsdirektion gemäß §11 Abs3 Z1 Schulpflichtgesetz 1985 bis eine Woche nach dem Ende des vorhergehenden Unterrichtsjahres anzuzeigen. Die Anzeige hat die in §11 Abs3 Z2 lita bis e Schulpflichtgesetz 1985 angeführten Angaben und Urkunden zu enthalten.
Bei Teilnahme an häuslichem Unterricht hat gemäß §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 bis spätestens zwei Wochen nach Ende der Semesterferien ein Reflexionsgespräch über den Leistungsstand an einer in §11 Abs4 Z1 und 2 Schulpflichtgesetz 1985 näher bestimmten Schule stattzufinden.
Weiters ist gemäß §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 der zureichende Erfolg des häuslichen Unterrichtes jährlich zwischen dem 1. Juni und dem Ende des Unterrichtsjahres durch eine Prüfung an einer in §5 Schulpflichtgesetz 1985 genannten entsprechenden Schule nachzuweisen, wenn die Schülerinnen und Schüler dieser Schulen am Ende des Schuljahres beurteilt werden. Was unter der in §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 angeordneten "Prüfung" zu verstehen ist, ergibt sich aus §42 Abs14 SchUG. Demnach gelten die Bestimmungen über die Ablegung von Externistenprüfungen auch für die auf Grund des §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 abzulegende Prüfung zum Nachweis des zureichenden Erfolges des Besuches von Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht oder häuslichen Unterrichtes.
Nach §11 Abs6 Z1 bis 6 Schulpflichtgesetz 1985 hat die Bildungsdirektion die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht bzw an häuslichem Unterricht zu untersagen und anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 Schulpflichtgesetz 1985 zu erfüllen hat, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist (Z1), gemäß §11 Abs2a Schulpflichtgesetz 1985 eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist (Z2), das Reflexionsgespräch gemäß §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 nicht durchgeführt wurde (Z3), eine Prüfung auf Grund der Bestimmung gemäß §42 Abs6 letzter Satz SchUG vor dem Ende des Unterrichtsjahres, für welches der häusliche Unterricht angezeigt wurde, nicht möglich ist (Z4), Umstände hervortreten, auf Grund welcher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Teilnahme an häuslichem Unterricht dem Besuch einer öffentlichen Schule nicht mindestens gleichwertig ist (Z5), oder der Nachweis des zureichenden Erfolges vor dem Ende des Unterrichtsjahres nicht erbracht wurde (Z6).
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht legt die Gründe, die es zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bewogen haben, zusammengefasst wie folgt dar:
Die Vorgängerbestimmung des §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 sei vom Bundesverwaltungsgericht als biennales (zweijähriges) System verstanden worden: Wurde die Teilnahme an häuslichem Unterricht angezeigt, so habe die Schulbehörde die Gleichwertigkeit des häuslichen Unterrichtes mit jenem an einer in §5 Schulpflichtgesetz 1985 genannten Schule zu prüfen gehabt. Der Erfolg des häuslichen Unterrichtes sei ex post durch eine Prüfung gemäß §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 nachzuweisen gewesen. Wenn dieser Nachweis nicht gelungen sei, sei von der Schulbehörde zwingend die Erfüllung der Schulpflicht im Sinne des §5 Schulpflichtgesetz 1985 für das nächste Jahr anzuordnen gewesen, um die entstandenen Defizite auszugleichen.
Diesem biennalen Verständnis der Anordnung der Schulpflicht in §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 sei der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 26. Jänner 2023, Ro 2022/10/0004, entgegengetreten und habe zu Recht erkannt, dass für den Fall, dass der zureichende Erfolg dieses Unterrichtes für eine Schulstufe nicht nachgewiesen werde, die Erfüllung der Schulpflicht im Sinne des §5 Schulpflichtgesetz 1985 anzuordnen sei. Diese Anordnung gelte für die gesamte noch nicht absolvierte Schulpflicht. Der weitere Besuch einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht bzw die Teilnahme an häuslichem Unterricht komme somit nicht mehr in Betracht.
Diese Auslegung des §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 durch den Verwaltungsgerichtshof sei auf die Anordnung gemäß §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 37/2023 zu übertragen, weil nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes weder dem novellierten Gesetzestext noch den Materialien hinreichende Anhaltspunkte für eine andere Interpretation zu entnehmen seien.
§11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 verstoße gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B VG) und auf Bildung (Art2 1. ZPEMRK). So sei es unsachlich anzuordnen, dass das Kind künftig und für den Rest der Dauer seiner Schulpflicht eine öffentliche Schule oder eine Schule mit Öffentlichkeitsrecht zu besuchen habe und die Teilnahme an häuslichem Unterricht ausgeschlossen werde, ohne dass auf die Gründe zB für die Nichterbringung des Nachweises des zureichenden Erfolges (§11 Abs6 Z6 Schulpflichtgesetz 1985) abgestellt werde. Diese Anordnung verhindere zudem auch den künftigen Besuch einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht, was einen groben Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht im Hinblick auf die Wahlfreiheit des Unterrichtes bedeute. Es handle sich um einen unangemessenen und sachlich nicht begründeten Eingriff in die verfassungsgesetzlich garantierten Elternrechte, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. Weiters liege auch eine Verletzung der Freiheit der Berufswahl und Berufsausbildung (Art18 StGG) sowie von Art6 BVG über die Rechte von Kindern vor.
2.3. Der zu G3494/2023 protokollierte Antrag ist nicht begründet.
Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz:
Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine rechtspolitischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002). Diese Schranken sind im vorliegenden Fall nicht überschritten.
Wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme darlegt, enthielt §11 Abs3 und 4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 zwei voneinander getrennte Verfahren: Nach §11 Abs3 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 konnte die Bildungsdirektion die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht bzw an häuslichem Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen war, dass die geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist oder wenn gemäß §11 Abs2a Schulpflichtgesetz 1985 eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen war. Nur wenn der zureichende Erfolg des Unterrichtes an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht bzw des häuslichen Unterrichtes vor Schulschluss nicht erbracht wurde, hatte die Bildungsdirektion gemäß §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 Schulpflichtgesetz 1985 zu erfüllen hat.
Mit BGBl I 232/2021 wurde §11 Schulpflichtgesetz 1985 geändert. Für die Teilnahme an häuslichem Unterricht wurde ein verpflichtendes Reflexionsgespräch eingeführt und im neu eingefügten §11 Abs6 geregelt, dass die zuständige Behörde in drei Fällen anzuordnen hat, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 Schulpflichtgesetz 1985 zu erfüllen hat: Erstens, wenn das Reflexionsgespräch nicht stattfindet. Zweitens, wenn der Nachweis des zureichenden Erfolges nicht erbracht wird und drittens, wenn Umstände hervortreten, wodurch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die Teilnahme an häuslichem Unterricht dem Besuch einer öffentlichen Schule nicht mindestens gleichwertig ist.
§11 Schulpflichtgesetz 1985 wurde mit BGBl I 37/2023 erneut geändert und sieht in Abs6 nunmehr sechs unterschiedliche Tatbestände vor, nach denen von der Bildungsdirektion die Teilnahme an häuslichem Unterricht zu untersagen und unter einem anzuordnen ist, dass das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 zu erfüllen hat. Damit unterscheidet sich die Rechtsvorschrift des §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 37/2023 deutlich von §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018: Nach §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 war die Erfüllung der Schulpflicht im Sinne des §5 Schulpflichtgesetz 1985 ausschließlich dann anzuordnen, wenn der jährliche Nachweis des zureichenden Erfolges vor Ende des Schulschlusses nicht erbracht wurde, also wenn das Kind bereits ein Jahr an häuslichem Unterricht teilgenommen hat und offenkundig der zureichende Erfolg nicht nachgewiesen werden konnte. Demgegenüber ist in §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 37/2023 die Anordnung des Besuchs einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule unter der Voraussetzung der sechs verschiedenen Tatbestände vorgesehen. Diese Anordnung hat nunmehr gemeinsam mit der Untersagung der Teilnahme an häuslichem Unterricht stattzufinden und ist zu unterschiedlichen Zeitpunkten möglich, auch wenn das Kind noch gar nicht an häuslichem Unterricht teilgenommen hat bzw noch kein Nachweis des zureichenden Erfolgs erforderlich war. Bei §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 37/2023 handelt es sich somit um ein neues Regelungssystem, das mit §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 nicht vergleichbar ist. Wie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme richtig ausführt, kann die Auslegung des Verwaltungsgerichtshofes zu §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 35/2018 deshalb nicht ohne Weiteres auf den geltenden §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 37/2023 übertragen werden.
Eine Übertragung der Auslegung des §11 Abs4 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 85/2018 auf §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 37/2023 bedeutete etwa im Fall der Z1, dass eine vor Beginn des Unterrichtsjahres ausgesprochene Untersagung der Teilnahme an häuslichem Unterricht beide Unterrichtsformen nach §11 Abs1 oder 2 Schulpflichtgesetz 1985 für die restliche Dauer der Schulpflicht ausschließt. Wie die Bundesregierung zutreffend ausführt, wäre eine Auslegung mit dem Ergebnis, dass die Untersagung der Teilnahme an häuslichem Unterricht auch die Erfüllung der Schulpflicht in einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht auf Dauer unzulässig werden lässt, aus Sachlichkeitsgesichtspunkten verfassungsrechtlich bedenklich.
Nach dem Regelungssystem des §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 idF BGBl I 37/2023 hat die Bildungsdirektion im Rahmen des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens über eine Untersagung des häuslichen Unterrichts und Anordnung des Schulbesuchs im Einzelfall anhand der jeweils unterschiedlich zum Tragen kommenden Tatbestände zu ermitteln, in welcher Art die Erfüllung der Schulpflicht und in welchem Umfang die Untersagung des häuslichen Unterrichts anzuordnen ist, und diese Entscheidung zu begründen. Dabei hat die Bildungsdirektion bei der Untersagung des häuslichen Unterrichts nach §11 Abs2 Schulpflichtgesetz 1985 allenfalls auszusprechen, ob die Schulpflicht weiterhin auch unter den Voraussetzungen des §11 Abs1 Schulpflichtgesetz 1985 erfüllt werden kann.
Vor diesem Hintergrund verstößt die in §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 vorgesehene Anordnung der Erfüllung der Schulpflicht im Sinne des §5 Schulpflichtgesetz 1985 nicht gegen das allgemeine Sachlichkeitsgebot. Um dem Bildungsauftrag des Art14 Abs5a B VG gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber für den Unterricht an Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht und den häuslichen Unterricht angemessene Regelungen zur Sicherstellung eines mit dem öffentlichen Schulwesen gleichwertigen Ausbildungserfolges zu treffen.
Dem Gesetzgeber ist im Hinblick auf dieses Regelungsziel nicht entgegenzutreten, wenn er in §11 Abs6 Schulpflichtgesetz 1985 regelt, dass die Bildungsdirektion für bestimmte Schuljahre oder für die gesamte restliche Schulpflicht die Art der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht festzulegen hat, wenn sie unter anderem auf Grund einer Prognoseentscheidung, der mangelnden Mitwirkung der Parteien oder des nicht erbrachten Nachweises des zureichenden Erfolges zum Ergebnis gelangt, dass der häusliche Unterricht jenem an einer in §5 Schulpflichtgesetz 1985 genannten Schule nicht gleichwertig ist (VfSlg 19.958/2015, 20.311/2019; VfGH 29.11.2022, E2766/2022). Der Verfassungsgerichtshof teilt daher die vom Bundesverwaltungsgericht vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz nicht.
Zu den Bedenken im Hinblick auf Art2 1. ZPEMRK:
Das Bundesverwaltungsgericht wendet sich im Ergebnis gegen das in der österreichischen Rechtsordnung verwirklichte System des öffentlichen Pflichtschulwesens. Wie der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg 19.958/2015 ausgesprochen hat, kann diesem Vorbringen schon auf Grund der in Art14 Abs7a B VG verfassungsrechtlich verankerten Schulpflicht kein Erfolg beschieden sein. Art2 1. ZPEMRK garantiert nicht die Möglichkeit, die Schulpflicht durch häuslichen Unterricht zu erfüllen (VfSlg 19.958/2015, 20.311/2019; EGMR 11.9.2006, 35.504/03, Konrad ).
Zu den Bedenken im Hinblick auf eine Verletzung von Art6 BVG über die Rechte von Kindern:
Wie die Bundesregierung zutreffend ausführt, existieren im öffentlichen Schulwesen zahlreiche Fördermöglichkeiten und Rechte für Kinder mit Behinderung sowie differenzierte pädagogische Instrumente, um der jeweiligen Situation eines Kindes gerecht zu werden. Entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes besteht für Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht die Möglichkeit, die Klassengröße selbst festzulegen und von den gesetzlichen Vorschriften über die Unterrichtszeit abzuweichen. Dem Antrag des Bundesverwaltungsgerichtes ist nicht zu entnehmen, aus welchen konkreten Gründen und worin genau eine Beeinträchtigung der gemäß Art6 BVG über die Rechte von Kindern verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte liegen soll.
Zu den Bedenken im Hinblick auf Art18 StGG ist festzuhalten, dass der Schutzbereich dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes im vorliegenden Fall nicht eröffnet ist, weil es sich bei der Erfüllung der Schulpflicht nicht um eine Berufswahl oder Berufsausbildung handelt (VfSlg 19.958/2015).
2.4. Aus den genannten Gründen erweist sich der vorliegende Antrag damit als unbegründet.
2.5. Zu den zu G3496/2023 und G50/2024 protokollierten Anträgen:
Da diese Anträge dem zu G3494/2023 protokollierten Antrag in allen wesentlichen Belangen gleichen, hat der Verfassungsgerichtshof gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG davon abgesehen, ein weiteres Verfahren in diesen Rechtssachen durchzuführen. Dies erfolgt im Hinblick darauf, dass durch die Entscheidung über den zu G3494/2023 protokollierten Antrag die in den Verfahren über die Anträge zu G3496/2023 und G50/2024 aufgeworfenen Rechtsfragen bereits geklärt sind (vgl VfSlg 20.244/2018).
V. Ergebnis
1. Die Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes sind daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.