G15/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B VG gestützten Antrag begehrt das Landesgericht Innsbruck, "Artikel 6 Abs2 zweiter Satz MaßnahmenvollzugsanpassungsG 2022, BGBl I 223/2022, als verfassungswidrig aufzuheben."
II. Rechtslage
1. Art6 des Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozeßordnung 1975, das Strafvollzugsgesetz, das Jugendgerichtsgesetz 1988 und das Strafregistergesetz 1968 geändert werden (Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022), BGBl I 223/2022, (im Folgenden: MVAG 2022) lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Artikel 6
Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen
(1) Artikel 1 dieses Bundesgesetz tritt am 1. März 2023 in Kraft.
(2) Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes Untergebrachte, bei denen die erstmalige Überprüfung der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung nach Inkrafttreten ergibt, dass sie nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes überhaupt nicht untergebracht werden dürften, sind unverzüglich ohne Bestimmung einer Probezeit zu entlassen. Auf Betroffene, deren Unterbringung im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes gemäß §45 Abs1 StGB in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 130/2001, bedingt nachgesehen ist, sind die §§157a ff StVG in der Fassung dieses Bundesgesetzes anzuwenden. "
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl 60/1974, idF BGBl I 223/2022 lauten:
"Strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum
§21. (1) Wer eine Tat nach Abs3 unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung begangen hat und nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er im Zeitpunkt der Tat wegen dieser Störung zurechnungsunfähig (§11) war, ist in einem forensisch-therapeutischen Zentrum unterzubringen, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass er sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.
(2) Besteht eine solche Befürchtung, so ist in einem forensisch-therapeutischen Zentrum auch unterzubringen, wer, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung eine Tat nach Abs3 begangen hat. In diesem Fall ist die Unterbringung zugleich mit der Verhängung der Strafe anzuordnen.
(3) Anlass einer strafrechtlichen Unterbringung können nur Taten sein, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. Wenn die angedrohte Freiheitsstrafe dieser Tat drei Jahre nicht übersteigt, muss sich die Befürchtung nach Abs1 auf eine gegen Leib und Leben gerichtete mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung oder auf eine gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichtete mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Handlung beziehen. Als Anlasstaten kommen mit Strafe bedrohte Handlungen gegen fremdes Vermögen nicht in Betracht, es sei denn, sie wurden unter Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (§89) begangen.
[…]
Dauer der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen
§25. (1) Vorbeugende Maßnahmen sind auf unbestimmte Zeit anzuordnen. Sie sind so lange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert. Die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher darf jedoch nicht länger als zwei Jahre dauern, die Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter nicht länger als zehn Jahre.
(2) Über die Aufhebung der vorbeugenden Maßnahme entscheidet das Gericht.
(3) Ob die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum oder in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter noch notwendig ist, hat das Gericht von Amts wegen mindestens alljährlich zu entscheiden.
(4) Ob die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher aufrechtzuerhalten ist, hat das Gericht von Amts wegen mindestens alle sechs Monate zu entscheiden.
(5) Die Fristen nach Abs3 und 4 beginnen mit der letzten Entscheidung erster Instanz."
3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch – StGB), BGBl 60/1974, idF BGBl I 242/2021 lauteten:
"Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher
§21. (1) Begeht jemand eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann er nur deshalb nicht bestraft werden, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§11) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, so hat ihn das Gericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.
(2) Liegt eine solche Befürchtung vor, so ist in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher auch einzuweisen, wer, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad eine Tat begeht, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. In einem solchen Fall ist die Unterbringung zugleich mit dem Ausspruch über die Strafe anzuordnen.
(3) Als Anlasstaten im Sinne der Abs1 und 2 kommen mit Strafe bedrohte Handlungen gegen fremdes Vermögen nicht in Betracht, es sei denn, sie wurden unter Anwendung von Gewalt gegen eine Person oder unter Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben (§89) begangen.
[…]
Dauer der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahmen
§25.(1) Vorbeugende Maßnahmen sind auf unbestimmte Zeit anzuordnen. Sie sind so lange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert. Die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher darf jedoch nicht länger als zwei Jahre dauern, die Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter nicht länger als zehn Jahre.
(2) Über die Aufhebung der vorbeugenden Maßnahme entscheidet das Gericht.
(3) Ob die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher oder in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter noch notwendig ist, hat das Gericht von Amts wegen mindestens alljährlich zu prüfen.
(4) Ob die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher aufrechtzuerhalten ist, hat das Gericht von Amts wegen mindestens alle sechs Monate zu prüfen.
[…]
Bedingte Nachsicht von vorbeugenden Maßnahmen
§45. (1) Die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ist bedingt nachzusehen, wenn nach der Person des Betroffenen, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben, nach der Art der Tat und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen, insbesondere nach einem während vorläufiger Anhaltung nach §429 Abs4 StPO oder eines Vollzugs der Untersuchungshaft durch vorläufige Unterbringung nach §438 StPO erzielten Behandlungserfolg, anzunehmen ist, dass die bloße Androhung der Unterbringung in Verbindung mit einer Behandlung außerhalb der Anstalt und allfälligen weiteren in den §§50 bis 52 vorgesehenen Maßnahmen ausreichen werde, um die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, hintanzuhalten. Die Unterbringung nach §21 Abs2 darf überdies nur zugleich mit der Strafe bedingt nachgesehen werden. Die Probezeit bei der bedingten Nachsicht der Unterbringung nach §21 beträgt zehn Jahre, ist die der Unterbringung zugrunde liegende strafbare Handlung aber mit keiner strengeren Strafe als einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren bedroht, fünf Jahre.
(2) (4) […]"
4. Die maßgeblichen Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes (StVG), BGBl 144/1969, idF BGBl I 223/2022 lauten:
"Vorläufiges Absehen vom Vollzug
§157a. (1) Vom Vollzug der strafrechtlichen Unterbringung ist vorläufig abzusehen, wenn und solange der Betroffene außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums behandelt und betreut werden kann und so sowie durch allfällige weitere Maßnahmen der Gefahr, der die strafrechtliche Unterbringung entgegenwirken soll (§21 StGB), begegnet werden kann. Dabei sind insbesondere die Person des Betroffenen, sein Vorleben, Art und Schwere der Anlasstat, der Gesundheitszustand des Betroffenen und die daraus resultierende Gefährlichkeit, der bisher erzielte Behandlungserfolg sowie die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer angemessenen Betreuung und die Aussichten auf das redliche Fortkommen zu berücksichtigen. Wird der Betroffene auch zu einer Strafe verurteilt (§21 Abs2 StGB), so darf vom Vollzug der strafrechtlichen Unterbringung nur dann vorläufig abgesehen werden, wenn die Strafe bedingt nachgesehen wird.
(2) Über das vorläufige Absehen vom Vollzug entscheidet das erkennende Gericht (§434g der Strafprozeßordnung 1975 – StPO, BGBl Nr 631/1975).
(3) Das Gericht hat die Bedingungen festzusetzen, unter denen vom Vollzug vorläufig abgesehen wird, und die erforderlichen Anordnungen zu treffen.
(4) Das Gericht hat in seinem Beschluss (§434g Abs6 StPO) eine Probezeit von einem bis zu fünf Jahren festzusetzen. Dabei sind insbesondere die in Abs1 genannten Kriterien zu berücksichtigen.
(5) Die Probezeit kann in den letzten sechs Monaten vor ihrem Ablauf um höchstens drei Jahre verlängert werden, wenn es aus zwingenden Gründen der weiteren Erprobung des Betroffenen bedarf. Dies kann auch mehrfach geschehen.
(6) Mit Ablauf der Probezeit wird von der strafrechtlichen Unterbringung endgültig abgesehen, wenn nicht das vorläufige Absehen vom Vollzug innerhalb der ursprünglichen oder verlängerten Probezeit widerrufen und der Vollzug der strafrechtlichen Unterbringung angeordnet wird.
[…]
Widerruf des vorläufigen Absehens vom Vollzug
§157f. Das Gericht hat das vorläufige Absehen vom Vollzug zu widerrufen und die strafrechtliche Unterbringung vollziehen zu lassen, wenn die festgesetzten Bedingungen in erheblichem Maße nicht eingehalten werden oder sich – insbesondere weil sich der Gesundheitszustand des Betroffenen verschlechtert hat – als unzureichend erweisen und auch durch eine Änderung und Ergänzung der Bedingungen (§157b Abs3) nicht erreicht werden kann, dass außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums der Gefahr, derentwegen die strafrechtliche Unterbringung angeordnet wurde, hinreichend entgegengewirkt wird.
Krisenintervention
§157g. (1) Anstelle eines Widerrufs hat das Gericht das vorläufige Absehen vom Vollzug (§157a) für eine Dauer von höchstens drei Monaten auszusetzen und die strafrechtliche Unterbringung vorübergehend in Vollzug zu setzen, wenn angenommen werden kann, dass durch die Behandlung und Betreuung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum, in einer öffentlichen Krankenanstalt für Psychiatrie oder in einer öffentlichen Krankenanstalt mit einer Abteilung für Psychiatrie während dieser Zeit der Zustand des Betroffenen so weit gebessert werden kann, dass eine Fortsetzung des vorläufigen Absehens vom Vollzug wieder möglich ist.
(2) Die Krisenintervention hat in jener Anstalt zu erfolgen, in der der Betroffene zuletzt strafrechtlich untergebracht war. War er bisher noch nicht strafrechtlich untergebracht, so ist er zur Krisenintervention in jene Anstalt aufzunehmen, die für den Vollzug einer vorläufigen strafrechtlichen Unterbringung zuständig wäre (§432 Abs2 StPO), wobei an die Stelle der Nähe zum Gericht die Nähe zum gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen tritt. Für einen Wechsel des Unterbringungsortes gilt §161.
[…]
Entscheidungsbefugnis
§157j. (1) Über eine Krisenintervention (§157g), einen Widerruf des vorläufigen Absehens vom Vollzug der strafrechtlichen Unterbringung (§157f), eine Änderung oder Aufhebung der Bedingungen (§157b Abs3) sowie eine Verlängerung der Probezeit (§157a Abs5) entscheidet der Vorsitzende des erkennenden Gerichts mit Beschluss.
(2) Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft, der Betroffene, sein gesetzlicher Vertreter und der Bewährungshelfer zu hören."
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. März 2021 wurde der Betroffene des Anlassverfahrens vor dem ordentlichen Gericht wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung (§107 Abs1 und 2 StGB) und der beharrlichen Verfolgung (§107a Abs1 und Abs2 Z2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die bedingt nachgesehen wurde (§43 Abs1 StGB). Weiters wurde er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen (§21 Abs2 StGB idF vor dem MVAG 2022), was unter Erteilung von Weisungen und der Anordnung der Bewährungshilfe unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren ebenfalls bedingt nachgesehen wurde (§45 Abs1 StGB idF vor dem MVAG 2022). Bezüglich der vom Betroffenen ausgehenden Gefährlichkeit wurde im Urteil festgestellt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr bestehe, dass der Betroffene wieder strafbare Handlungen wie die abgeurteilten begehen werde, insbesondere gefährliche Drohungen iSv §107 Abs1 und 2 StGB.
2. Auf das Inkrafttreten des MVAG 2022 am 1. März 2023 reagierte der Betroffene mit der Missachtung der ihm erteilten Weisungen, da er die Ansicht vertrat, dass die ihm im Urteil vom 16. März 2021 unterstellten Prognosetaten nach neuer Rechtslage keine Grundlage mehr für eine Unterbringung nach §21 Abs2 StGB böten. Somit könne ihm auch nicht der Widerruf der bedingten Nachsicht der Unterbringung drohen.
3. Mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 15. Jänner 2024 wurde angeordnet, dass das vorläufige Absehen vom Vollzug (§157a StVG) auszusetzen und die strafrechtliche Unterbringung vorübergehend in Vollzug zu setzen sei ("Krisenintervention", §157g StVG).
4. Gegen diesen Beschluss erhob der Betroffene Beschwerde, der mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 6. März 2024 dahingehend Folge gegeben wurde, dass der Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 15. Jänner 2024 ersatzlos aufgehoben wurde. Mit Beschluss vom selben Tag (6. März 2024) ordnete das Landesgericht Innsbruck die Enthaftung des Betroffenen an.
5. Am 13. Februar 2024 – also nach seinem Beschluss vom 15. Jänner 2024 – stellte das Landesgericht Innsbruck den vorliegenden Antrag an den Verfassungsgerichtshof und begehrt darin die Aufhebung des zweiten Satzes in Art6 Abs2 MVAG 2022: Die laut dem Strafurteil im Anlassfall zu befürchtenden Prognosetaten trügen zwar nach der früheren, nicht mehr aber nach der Rechtslage seit dem MVAG 2022 eine strafrechtliche Unterbringung nach §21 Abs1 oder 2 StGB. Die angefochtene Übergangsvorschrift zwinge aber auch in solchen Fällen dazu, das vorläufige Absehen vom Vollzug der Unterbringung zu widerrufen. Der Verurteilte müsse dann zwecks Maßnahmenvollzugs in ein forensisch-therapeutisches Zentrum eingeliefert werden, woraufhin die erstmalige Überprüfung iSv §25 Abs3 StGB, die mindestens alljährlich durchzuführen ist, lediglich das – bereits davor offenkundige – Ergebnis erbrächte, dass eine strafrechtliche Unterbringung nicht mehr angeordnet werden dürfte und der Verurteilte umgehend zu enthaften wäre. Die angefochtene Vorschrift führe also dazu, dass den von ihr betroffenen Personen die persönliche Freiheit zu entziehen sei, ohne dass vorerst geprüft werde, ob die strafrechtliche Unterbringung nach §21 Abs1 oder 2 StGB überhaupt noch zulässig sei. Der Zweck eines solchen Entzugs der persönlichen Freiheit sei nicht erkennbar, weshalb die angefochtene Vorschrift das Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG) und Art5 EMRK verletze.
6. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet in der sie die Zurückweisung des Antrags mangels Präjudizialität beantragt, weil ausgeschlossen sei, dass die angefochtene Bestimmung als Voraussetzung für eine Entscheidung des antragstellenden Gerichtes in Betracht kommen könne.
IV. Erwägungen
Der Antrag ist unzulässig:
1. Von einem Gericht kann der Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist. Der Antrag hat darzulegen, inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf die beim Gericht anhängige Rechtssache hätte (§62 Abs2 VfGG).
2. Der Verfassungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass er nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
3. Wie die Bundesregierung zutreffend darlegt, liegt hier ein solcher Fall des Fehlens der Präjudizialität vor: Das antragstellende Gericht (Landesgericht Innsbruck) ordnete mit Beschluss vom 15. Jänner 2024 an, dass das vorläufige Absehen vom Vollzug (§157a StVG) auszusetzen und die strafrechtliche Unterbringung vorübergehend in Vollzug zu setzen sei ("Krisenintervention", §157g StVG). Somit war die Anwendung der angefochtenen Vorschrift durch das Landesgericht Innsbruck bereits zum Zeitpunkt seines Antrages an den Verfassungsgerichtshof (13. Februar 2024) abgeschlossen. Dass das Landesgericht Innsbruck die angefochtene Vorschrift möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt wieder anwenden werde müssen, etwa für den Fall, dass sich die Krisenintervention als nicht erfolgreich erweisen würde (§157 Abs2 StVG), begründet keine Präjudizialität der angefochtenen Vorschrift (vgl VfSlg 4069/1961, 4771/1964; VfGH 29.6.2022, G104/2022).
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.