JudikaturVfGH

V358/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
11. Juni 2024

Spruch

I. Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 09.12.2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 11.12.2019 bis 30.12.2019, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z1 B VG begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, "die gesamte Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 09.12.2019 über die Freizeitwohnsitzabgabe zur Gänze als gesetz- bzw verfassungswidrig aufzuheben;

in eventu

litb) der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 09.12.2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe, wonach die Freizeitwohnsitzabgabe für Freizeitwohnsitze mit einer Nutzfläche von mehr als 30 m2 bis 60 m 2 Nutzfläche mit Euro 480,00 festgesetzt wurde, diesem Inhalt nach als gesetz- bzw verfassungswidrig aufzuheben[;]

in eventu

aussprechen, dass die gesamte Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 09.12.2019 über die Freizeitwohnsitzabgabe zur Gänze gesetz- bzw verfassungswidrig war;

in eventu

auszusprechen, dass litb) der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 09.12.2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe, wonach die Freizeitwohnsitzabgabe für Freizeitwohnsitze mit einer Nutzfläche von mehr als 30 m2 bis 60 m2 Nutzfläche mit Euro 480,00 festgesetzt wurde, diesem Inhalt nach gesetz- bzw verfassungswidrig war."

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom 8. Mai 2019 über die Erhebung einer Freizeitwohnsitzabgabe (Tiroler Freizeitwohnsitzabgabegesetz – TFWAG), LGBl 79/2019, aufgehoben durch das Gesetz vom 6. Juli 2022 über die Erhebung einer Freizeitwohnsitzabgabe und einer Leerstandsabgabe (Tiroler Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabegesetz – TFLAG), LGBl 86/2022, lauteten:

"§1

Abgabengegenstand

(1) Für die Verwendung eines Wohnsitzes als Freizeitwohnsitz ist eine Freizeitwohnsitzabgabe zu erheben.

(2) Freizeitwohnsitze sind Gebäude, Wohnungen oder sonstige Teile von Gebäuden, die nicht der Befriedigung eines ganzjährigen, mit dem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen verbundenen Wohnbedürfnisses dienen, sondern zum Aufenthalt während des Urlaubs, der Ferien, des Wochenendes oder sonst nur zeitweilig zu Erholungszwecken verwendet werden.

(3) Die Freizeitwohnsitzabgabe ist eine ausschließliche Gemeindeabgabe.

[…]

§4

Bemessungsgrundlage und Höhe der Abgabe

(1) Die Freizeitwohnsitzabgabe ist nach der Nutzfläche des Freizeitwohnsitzes zu bemessen.

(2) Die Nutzfläche ist die gesamte Bodenfläche abzüglich der Wandstärken und der im Verlauf der Wände befindlichen Durchbrechungen und Ausnehmungen. Bei der Berechnung der Nutzfläche sind Keller- und Dachbodenräume, soweit sie ihrer Ausstattung nach nicht für Wohn- oder Geschäftszwecke geeignet sind, Treppen, offene Balkone, Loggien, Terrassen sowie für landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke spezifisch ausgestattete Räume innerhalb eines Freizeitwohnsitzes nicht zu berücksichtigen. Die Nutzfläche ist nach den der Baubewilligung bzw -anzeige und allfälligen Änderungen zugrunde liegenden Unterlagen zu berechnen, außer das tatsächliche Ausmaß weicht um mehr als 3 v. H. davon ab. Änderungen der Nutzfläche des Freizeitwohnsitzes sind für die Bemessung der Freizeitwohnsitzabgabe ab dem Zeitpunkt des Einlangens der Anzeige über die Bauvollendung nach §44 der Tiroler Bauordnung 2018, LGBl Nr 28/2018, in der jeweils geltenden Fassung, zu berücksichtigen.

(3) Die Höhe der jährlichen Abgabe ist abhängig von der Nutzfläche des Freizeit-wohnsitzes mit Verordnung des Gemeinderates festzulegen wie folgt:

a) bis 30 m 2 mit mindestens 100,- Euro und höchstens 240,- Euro,

b) von mehr als 30 m 2 bis 60 m 2 mit mindestens 200,- Euro und höchstens 480,- Euro,

c) von mehr als 60 m 2 bis 90 m 2 mit mindestens 290,- Euro und höchstens 700,- Euro,

d) von mehr als 90 m 2 bis 150 m 2 mit mindestens 420,- Euro und höchstens 1.000,- Euro,

e) von mehr als 150 m 2 bis 200 m 2 mit mindestens 590,- Euro und höchstens 1.400,- Euro,

f) von mehr als 200 m 2 bis 250 m 2 mit mindestens 760,- Euro und höchstens 1.800,- Euro,

g) von mehr als 250 m 2 mit mindestens 920,- Euro und höchstens 2.200,- Euro.

Bei der Festlegung der Abgabe ist auf den Verkehrswert der Liegenschaften in der Gemeinde und auf die finanziellen Belastungen der Gemeinde durch Freizeitwohnsitze Bedacht zu nehmen. Die Abgabe kann für bestimmte Teile des Gemeindegebietes in unterschiedlicher Höhe festgesetzt werden, wenn die Gewichtung der für die Festlegung maßgeblichen Umstände sich erheblich auf die Höhe der Abgabe auswirken."

2. Die – zur Gänze angefochtene, durch Anschlag an der Amtstafel vom 11.12.2019 bis 30.12.2019 kundgemachte – Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 09.12.2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe lautete (die Verordnung wurde durch die Verordnung des Gemeinderates Gemeinde Brandberg vom 13.12.2022 über die Höhe der Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabe aufgehoben):

"Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 09.12.2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe

Aufgrund des §4 Abs3 des Tiroler Freizeitwohnsitzabgabegesetzes, LGBl Nr 79/2019 wird verordnet:

Festlegung der Abgabenhöhe

Die Gemeinde Brandberg legt die Höhe der jährlichen Freizeitwohnsitzabgabe einheitlich für das gesamte Gemeindegebiet

a) bis 30 m 2 Nutzfläche mit 240,00 Euro,

b) von mehr als 30 m 2 bis 60 m 2 Nutzfläche mit 480,00 Euro,

c) von mehr als 60 m 2 bis 90 m 2 Nutzfläche mit 700,00 Euro,

d) von mehr als 90 m 2 bis 150 m 2 Nutzfläche mit 1.000,00 Euro,

e) von mehr als 150 m 2 bis 200 m 2 Nutzfläche mit 1.400,00 Euro,

f) von mehr als 200 m 2 bis 250 m 2 Nutzfläche mit 1.800,00 Euro,

g) von mehr als 250 m 2 Nutzfläche mit € 2.200,00 Euro fest.

Inkrafttreten Diese Verordnung tritt mit 1. Jänner 2020 in Kraft."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Beim Landesverwaltungsgericht Tirol ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Brandberg vom 15. Juni 2021 anhängig. Mit diesem Bescheid wurde dem Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol für das Kalenderjahr 2021 unter Zugrundelegung einer Nutzfläche von 54,50 m 2 eine Freizeitwohnsitzabgabe in Höhe von € 480,– vorgeschrieben.

1.2. Im Zuge der Behandlung der Beschwerde sind beim Landesverwaltungsgericht Tirol Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 09.12.2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe entstanden, weshalb das Landesverwaltungsgericht Tirol den vorliegenden Antrag nach Art139 Abs1 Z1 B VG gestellt hat.

2. Das Landesverwaltungsgericht Tirol legt seine Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bewogen haben, im Wesentlichen wie folgt dar:

2.1. Der Gemeinderat der Gemeinde Brandberg habe mit der, auf der Grundlage des §4 Abs3 Tiroler Freizeitwohnsitzabgabegesetz erlassenen, Verordnung jeweils den gesetzlich vorgesehenen Höchstbetrag festgesetzt.

2.2. Über Aufforderung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol habe der Bürgermeister der Gemeinde Brandberg ausgeführt, dass die Festsetzung der Freizeitwohnsitzabgabe mit dem Höchstsatz gerechtfertigt sei, weil in der ohnehin finanziell belasteten Gemeinde Bauland begrenzt sei und im Gemeindegebiet 31 Freizeitwohnsitzen nur 214 Wohneinheiten gegenüberstünden. Die Freizeitwohnsitzquote in der Gemeinde betrage somit 14,5 % und es ergebe sich eine erhöhte finanzielle Belastung durch die hohe Anzahl von bewilligten Freizeitwohnsitzen betreffend Infrastrukturmaßnahmen und Erschließungskosten. Zu berücksichtigen sei auch der sich durch Freizeitwohnsitze ergebende Entfall der Abgabenertragsanteile. Die Infrastruktur sowie Verwaltungs- und Versorgungseinrichtungen müssten auf die gesamte Einwohnerzahl (inklusive der rund 15 % Freizeitwohnsitze) ausgerichtet und finanziert werden.

2.3. Darüber hinaus sei die Gemeinde Brandberg mit Verordnung der Landesregierung vom 5. Juli 2022 zur Vorbehaltsgemeinde erklärt worden, weil der Druck auf den Wohnbaumarkt besonders hoch sei. Diesbezüglich habe der Bürgermeister Auszüge aus der Finanzstatistik des Landes Tirol 2021 sowie eine Grafik zu den Immobilien-Durchschnittspreisen für Baugrundstücke im Zeitraum 2015 bis 2021 (im Gemeindegebiet von Brandberg zwischen € 75,– und € 175,–) vorgelegt. Konkrete Aufwendungen im Zusammenhang mit den Freizeitwohnsitzen in der Gemeinde seien nicht dargelegt worden.

2.4. Bei der Festsetzung der Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe und der Ausschöpfung des gesetzlich vorgesehenen Rahmens spiele auch das Ausmaß der Benachteiligung bei den Abgabenertragsanteilen zumindest verhältnismäßig eine Rolle.

2.5. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (ua VfSlg 20.530/2022; VfGH 7.3.2022, V157/2021; 21.9.2023, V33/2023) sei die Freizeitwohnsitzabgabe finanzverfassungsrechtlich eine Zweitwohnsitzabgabe. Diese solle den Gemeinden ermöglichen, jene Aufwendungen abzudecken, die durch Zweitwohnsitze in den Gemeinden entstehen. Im Fall der Festlegung der Abgabe mit dem Höchstsatz müsse erkennbar sein, dass es sich bei den darzulegenden Aufwendungen um überdurchschnittliche Aufwendungen handelt. Dabei hätten Aufwendungen, die durch Benützungsgebühren oder Fremdenverkehrsabgaben finanziert werden, außer Betracht zu bleiben. Allgemeine Ausführungen etwa zur regionalen oder wirtschaftlichen Stellung einer Gemeinde und den Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen würden nicht ausreichen, den Höchstsatz zu begründen.

2.6. Im gegenständlichen Fall sei weder den von der Abgabenbehörde vorgelegten Urkunden noch der erstatteten Äußerung zur Festsetzung der Höchstsätze der Freizeitwohnsitzabgabe zu entnehmen, welcher Art die nicht durch Benützungsgebühren und Fremdenverkehrsabgaben abgegoltenen finanziellen Belastungen konkret sind. Die Abgabenbehörde habe hiezu lediglich pauschale Äußerungen erstattet, jedoch keine nachvollziehbaren (Mehr-)Aufwendungen konkretisiert. Insbesondere sei dem Akt und dem Vorbringen der Abgabenbehörde nicht zu entnehmen, dass der Gemeinderat bei der Erlassung der gegenständlichen Verordnung darauf Bedacht genommen hätte, in welchem Ausmaß mit Freizeitwohnsitzen in Zusammenhang stehende Aufwendungen angefallen und in welchem Ausmaß diese gegebenenfalls durch Benützungsgebühren und das Freizeitwohnsitzpauschale abgegolten sind.

2.7. Auch wenn die Freizeitwohnsitzquote in der Gemeinde Brandberg – im Vergleich zu anderen Gemeinden in Tirol – relativ hoch sei, müsse berücksichtigt werden, dass die Immobilienpreise im Gemeindegebiet von Brandberg im landesweiten Vergleich deutlich niedriger seien. Auch im Hinblick auf die Verkehrswerte der Liegenschaften erscheine sohin die Festsetzung der Freizeitwohnsitzabgabe mit dem Höchstsatz als nicht gesetzeskonform.

2.8. Allgemeine finanzielle Belastungen und eine gegebenenfalls vorliegende allgemeine (nicht durch Freizeitwohnsitze verursachte) Verschuldung der Gemeinde könnten die Festsetzung der Höchstsätze nicht rechtfertigen.

2.9. Auch der Umstand, dass die Gemeinde Brandberg seit dem Jahr 2022 als Vorbehaltsgemeinde gelte, sei im Hinblick auf die Festsetzung der Abgabe irrelevant.

3. Die Tiroler Landesregierung legte den auf die in Prüfung gezogene Verordnung Bezug habenden Akt vor, sah von einer Äußerung im Verfahren jedoch ab.

4. Der Gemeinderat und der Bürgermeister der Gemeinde Brandberg erstatteten eine gemeinsame Äußerung, in der Folgendes ausgeführt wird:

4.1. Bei der Gemeinde Brandberg handle es sich um eine finanzschwache Kleingemeinde mit 214 Hauptwohnsitzen und 30 Freizeitwohnsitzen, die sich auf ein Gebiet von über 156,47 km² erstrecke. Die Größe und die Topografie des Gemeindegebietes hätten zur Folge, dass die Gemeinde einen besonders hohen Aufwand für die Schaffung und Erhaltung der öffentlichen Infrastruktur (insbesondere Wege- und Kanalnetz) zu tragen habe. Diese Investitionen in die Infrastruktur seien auch durch die 30 Freizeitwohnsitze im Gemeindegebiet bedingt. Die Freizeitwohnsitze seien weitläufig über das Gemeindegebiet verteilt und befänden sich vor allem in exponierter Lage in einer Entfernung von bis zu 20 km vom Ortskern der Gemeinde Brandberg. Die Aufwendungen für die Infrastruktur seien somit auf Grund der Freizeitwohnsitzquote von rund 14 % besonders hoch. Die hohe Anzahl an Freizeitwohnsitzen sei auch der Grund dafür, dass die Tiroler Landesregierung die Gemeinde Brandberg auf der Grundlage von §14 Tiroler Grundverkehrsgesetz 1996 (TGVG 1996) zur Vorbehaltsgemeinde erklärt habe.

4.2. Bei der Festlegung der Abgabenhöhe komme es zunächst auf den Verkehrswert der Liegenschaften in der Gemeinde an. Die Ausführungen des Landesverwaltungsgerichtes Tirol, dass die Immobilienpreise im Gemeindegebiet von Brandberg im landesweiten Vergleich niedriger seien, als etwa in Kitzbühel oder in Innsbruck, könnten grundsätzlich nicht in Abrede gestellt werden. Die vom Landesverwaltungsgericht Tirol angeführten Grundstückspreise für die Gemeinde Brandberg von durchschnittlich € 163,50 pro m 2 im Zeitraum 2018 bis 2022 bzw € 167,50 pro m 2 im Jahr 2021 seien jedoch nicht nachvollziehbar, zumal in diesem Zeitraum so gut wie kein Baulandgrundverkehr stattgefunden habe.

4.3. Als weiteres Kriterium für die Festlegung der Abgabenhöhe komme es darauf an, ob und in welcher Höhe bereits eine Fremdenverkehrsabgabe auf Nächtigungen in Ferienwohnungen eingehoben werde. Die Gemeinde Brandberg habe im Jahr 2022 lediglich 14.569 Nächtigungen verzeichnet. Ungeachtet dessen, dass die Gemeinde im sehr tourismusintensiven Zillertal liege, sei sie sohin tourismusschwach. Darüber hinaus kämen die nach dem Tiroler Aufenthaltsabgabegesetz 2003 anfallenden Aufenthaltsabgaben nicht der Gemeinde Brandberg, sondern dem Tourismusverband Mayrhofen zugute.

5. Der Beschwerdeführer des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol erstattete eine Äußerung, in der er der Äußerung des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Gemeinde Brandberg entgegentritt.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Im Ausgangsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol ist über eine Beschwerde gegen die Vorschreibung einer Freizeitwohnsitzabgabe für das Kalenderjahr 2021 zu entscheiden. Der verfahrensgegenständliche Freizeitwohnsitz weist eine Nutzfläche von 54,40 m 2 auf. Für den Verfassungsgerichtshof bestehen daher keine Zweifel, dass das Landesverwaltungsgericht Tirol §1 litb der angefochtenen Verordnung in dem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat. Diese Bestimmung steht mit den übrigen Bestimmungen der angefochtenen Verordnung in einem derart engen Regelungszusammenhang, dass von einem untrennbaren Zusammenhang auszugehen ist (vgl VfSlg 20.530/2022).

1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Die vom Landesverwaltungsgericht Tirol angefochtene Verordnung stützt sich auf §4 Abs3 TFWAG, LGBl 79/2019 (aufgehoben durch §14 Abs1 TFLAG, LGBl 86/2022). Diese Bestimmung ermächtigte die Gemeinden die Abgabe durch Verordnung festzulegen, wobei in Abhängigkeit von der Nutzfläche des Freizeitwohnsitzes Mindest- und Höchstsätze durch den Landesgesetzgeber festgelegt waren. Die Vorschrift bestimmte ferner, dass die Gemeinden innerhalb dieser Bandbreiten bei der Festlegung der Abgabe auf den Verkehrswert der Liegenschaften in der Gemeinde und auf die finanziellen Belastungen der Gemeinde durch Freizeitwohnsitze Bedacht zu nehmen hatten. Die Gemeinde Brandberg hat mit der auf §4 Abs3 TFWAG gestützten Verordnung des Gemeinderates vom 9. Dezember 2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe die Abgabe jeweils mit dem gesetzlich vorgesehenen Höchstsatz festgelegt.

2.4. Das Landesverwaltungsgericht Tirol hegt das Bedenken, dass die Verordnung gesetzwidrig sei, zumal den im Verfahren erstatteten Äußerungen und vorgelegten Urkunden nicht zu entnehmen sei, welcher Art die nicht durch Benützungsgebühren und Fremdenverkehrsabgaben abgegoltenen finanziellen Belastungen der Gemeinde konkret seien. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Immobilienpreise im Gemeindegebiet von Brandberg im landesweiten Vergleich deutlich niedriger seien, sodass die Festsetzung der Freizeitwohnsitzabgabe mit dem Höchstsatz auch im Hinblick auf die Verkehrswerte der Liegenschaften nicht als gesetzeskonform erscheine.

2.5. Die Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Tirol treffen zu:

2.5.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen VfSlg 20.530/2022 und VfGH 7.3.2022, V157/2021, sowie 21.9.2023, V33/2023, festgehalten hat, ist die Tiroler Freizeitwohnsitzabgabe finanzverfassungsrechtlich eine Zweitwohnsitzabgabe. Als solche soll diese Abgabe den Gemeinden ermöglichen, jene Aufwendungen abzudecken, die durch Zweitwohnsitze in den Gemeinden entstehen. Im Fall der Festlegung der Abgabe mit dem Höchstsatz muss erkennbar sein, dass es sich bei den darzulegenden Aufwendungen um überdurchschnittliche Aufwendungen handelt. Dabei haben Aufwendungen, die durch Benützungsgebühren oder Fremdenverkehrsabgaben finanziert werden, außer Betracht zu bleiben. Allgemeine Ausführungen etwa zur regionalen oder wirtschaftlichen Stellung einer Gemeinde und den Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen reichen dagegen nicht hin, den Höchstsatz zu begründen (vgl VfSlg 20.530/2022, mit Hinweis auf VfSlg 18.792/2009).

2.5.2. Weder dem Verordnungsakt noch den im Verfahren erstatteten Äußerungen ist zu entnehmen, welcher Art die nicht durch Benützungsgebühren und Fremdenverkehrsabgaben – im Konkreten durch das Freizeitwohnsitzpauschale (nach dem Tiroler Aufenthaltsabgabegesetz 2003, LGBl 85/2003) – abgegoltenen finanziellen Belastungen sind, auf die vom Gemeinderat im Rahmen der Festlegung der Höhe der Abgabe Bedacht zu nehmen ist. Daher erweist sich die Verordnung als gesetzwidrig (vgl VfSlg 20.530/2022).

2.5.3. Hinzu kommt, dass sich die Festsetzung der Freizeitwohnsitzabgabe mit dem Höchstsatz auch im Hinblick auf die Verkehrswerte der Liegenschaften in der Gemeinde Brandberg als gesetzwidrig erweist, zumal weder dem Verordnungsakt noch den im Verfahren erstatteten Äußerungen entnommen werden kann, dass die Immobilienpreise im Gemeindegebiet im landesweiten Vergleich überdurchschnittlich hoch wären. Dass – worauf der Gemeinderat und der Bürgermeister in ihrer gemeinsamen Äußerung hinweisen – im Zeitraum 2018 bis 2022 kaum Baulandgrundverkehr stattgefunden habe, ist demgegenüber unmaßgeblich.

V. Ergebnis

1. Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 09.12.2019 über die Höhe der Freizeitwohnsitzabgabe ist daher wegen Verstoßes gegen §4 Abs3 TFWAG als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Mit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Brandberg vom 13.12.2022 über die Höhe der Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabe wurde die in Prüfung gezogene Verordnung zwar aufgehoben. Da die als gesetzwidrig erkannte Verordnung jedoch mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung steht, ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe zB VfSlg 19.343/2011 mwN) mit Aufhebung nach Abs3 des Art139 B VG und nicht mit einem Ausspruch nach Abs4 dieser Verfassungsbestimmung vorzugehen.

3. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litj Tiroler Landes-Verlautbarungsgesetz 2021.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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