G66/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag begehret die Antragstellerin, der Verfassungsgerichtshof möge
"- [d]as Bundesgesetz vom 21. Mai 1958 über besondere Vorschriften für die bäuerliche Erbteilung (Anerbengesetz) idgF, kundgemacht in der StF: BGBl Nr 106/1958, zur Gänze;
in eventu
- den Textteil 'Übernahmspreis' in §17 des genannten Gesetzes; in eventu
- den Textteil 'nach billigem Ermessen' und 'so zu bestimmen, daß der Anerbe wohl bestehen kann' in §11 Abs1 erster Satz des genannten Gesetzes; in eventu
- den Textteil 'binnen zehn Jahren' in §18 Abs1 des genannten Gesetzes"
als verfassungswidrig aufheben.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 21. Mai 1958 über besondere Vorschriften für die bäuerliche Erbteilung (Anerbengesetz – AnerbenG), BGBl 106/1958, idF BGBl I 38/2019 lauten auszugsweise wie folgt (die in den Eventualanträgen angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):
"1. Abschnitt.
Der Erbhof.
Begriff.
§1. (1) Erbhöfe sind mit einer Hofstelle versehene land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die im Eigentum einer natürlichen Person, von Ehegatten oder eines Elternteils und eines Kindes (§42 ABGB) stehen und mindestens einen zur angemessenen Erhaltung einer erwachsenen Person ausreichenden, jedoch das Vierzigfache dieses Ausmaßes nicht übersteigenden Durchschnittsertrag haben.
(2) Zu land- und forstwirtschaftlichen Betrieben im Sinne des Abs1 zählen auch solche, die ausschließlich oder vorwiegend dem Wein-, Obst- oder Gemüsebau dienen. Auch ausschließlich forst- oder landwirtschaftlich genutzte Besitzungen sind land- und forstwirtschaftliche Betriebe im Sinn des Abs1.
(3) Ob die Erhaltung einer erwachsenen Person im Sinn des Abs1 angemessen ist, ist nach den örtlichen Verhältnissen zu beurteilen.
Umfang.
§2. (1) Der Erbhof besteht aus den dem Eigentümer des Erbhofs gehörenden Grundstücken, die den Zwecken der Landwirtschaft (§1) dienen und eine wirtschaftliche Einheit bilden, samt den auf diesen Grundstücken befindlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden.
(2) Bewegliche körperliche Sachen gehören insoweit zum Erbhof, als sie dem Eigentümer des Erbhofs gehören und zur Führung eines ordentlichen Wirtschaftsbetriebs erforderlich sind.
(3) Zum Erbhof gehören ferner die damit verbundenen Nutzungsrechte sowie Anteilsrechte an agrargemeinschaftlichen Grundstücken, die Rechte des Eigentümers des Erbhofs aus der Mitgliedschaft zu land- und forstwirtschaftlichen Genossenschaften und die auf dem Erbhof betriebenen Unternehmen des Eigentümers, sofern diese nicht die Hauptsache bilden und vom land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nicht getrennt werden können oder ihre Trennung unwirtschaftlich wäre.
[…]
Übernahmspreis
§11. (1) Der Übernahmspreis ist, sofern er nicht von den Miterben im Vergleichsweg bestimmt wird, durch das Verlassenschaftsgericht unter Berücksichtigung aller auf dem Erbhof haftenden Lasten nach billigem Ermessen auf Grund des Gutachtens zweier bäuerlicher Sachverständiger so zu bestimmen, daß der Anerbe wohl bestehen kann . Hiebei ist auf die Interessen der übrigen Miterben gebührend Bedacht zu nehmen. An die Bewertung in einem eidesstättigen Vermögensbekenntnis ist das Verlassenschaftsgericht nicht gebunden.
(2) Auf dem Erbhof betriebene Unternehmen des Verstorbenen, die nach §2 Abs3 zum Erbhof gehören und wirtschaftlich nicht unbedeutend sind, sind selbständig zu schätzen und nach dem Verkehrswert zu berücksichtigen.
[…]
Ansprüche der Pflichtteilsberechtigten
§17. Der Berechnung der Pflichtteilsansprüche ist der Übernahmspreis zugrundzulegen. Die §§10 bis 15 gelten für Pflichtteilsberechtigte sinngemäß.
§18. Überträgt der Anerbe binnen zehn Jahren nach dem Tod des Verstorbenen oder, falls er minderjährig ist, nach dem Eintritt der Volljährigkeit das Eigentum am ganzen Erbhof oder an dessen Teilen durch ein oder mehrere Rechtsgeschäfte unter Lebenden auf einen anderen, so hat er jenen Betrag herauszugeben, um den der bei einem Verkauf des Erbhofs oder seiner Teile erzielbare Erlös den inneren Wert des seinerzeitigen Übernahmspreises (§11) übersteigt. Dieser Mehrbetrag ist auf Antrag als nachträglich hervorgekommenes Verlassenschaftsvermögen zu behandeln, über das eine Nachtragserbteilung einzuleiten ist. Ein Mehrbetrag liegt erst vor, wenn und soweit sich nach Hinzurechnung des Wertes allfälliger vom Anerben bewirkter Verbesserungen zum Übernahmspreis etwas erübrigt. Der Ersatz für Teile des Hofes ist auf Grund des Verhältnisses ihres Übernahmspreises zum Übernahmspreis des ganzen Hofes zu berechnen.
[…]"
III. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Die Antragstellerin ist Pflichtteilsberechtigte in der Verlassenschaftssache nach ihrem Vater. Mit Beschluss vom 17. April 2024 stellte das Bezirksgericht Ried im Innkreis fest, dass es sich bei dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb des Verstorbenen und den dazugehörigen Liegenschaften um einen Erbhof im Sinne des §1 AnerbenG handle.
2. Gegen diesen Beschluss erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 3. Mai 2024 Rekurs, aus dessen Anlass sie den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag stellte.
3. Zur Zulässigkeit führt die Antragstellerin aus, dass die Voraussetzungen der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG vorlägen. Die Antragstellerin sei Verfahrenspartei des Verfahrens vor dem Bezirksgericht Ried im Innkreis. In seinem Beschluss habe das Bezirksgericht Ried im Innkreis das Anerbengesetz angewendet. Dieses sei verfassungswidrig und bewirke, dass die Antragstellerin in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt werde.
In der Sache behauptet die Antragstellerin im Wesentlichen eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B VG und Art2 StGG und auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG durch das Anerbengesetz. Das Anerbengesetz sei nicht mehr zeitgemäß und stelle eine unverhältnismäßige Einschränkung der individuellen Freiheiten und Rechte der Bürger dar. Es begünstige den Anerben gegenüber dem Nichterben und schaffe damit eine ungleiche Behandlung von "verschiedenen Erbenklassen". Der Gesetzgeber habe für diese Ungleichbehandlung keine hinreichenden Gründe angeführt. §11 Abs1 und §17 AnerbenG knüpften für die Berechnung des Pflichtteilsanspruches an den Übernahmspreis an. Sie führten dazu, dass der Pflichtteilsberechtigte weniger erhalte, als ihm nach den allgemeinen, gesetzlichen Vorschriften zustehen würde. Die in §18 Abs1 AnerbenG vorgesehene Frist für die Nachtragserbteilung biete dem Pflichtteilsberechtigten keinen ausreichenden Schutz seines Erbteils und sei sachlich nicht gerechtfertigt.
IV. Zur Zulässigkeit
Der Antrag ist unzulässig.
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl VfSlg 20.010/2015, 20.029/2015). Gemäß §62 Abs1 VfGG muss der Antrag begehren, dass entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen.
3. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Antrag als unzulässig:
3.1. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung des Bundesgesetzes "vom 21. Mai 1958 über besondere Vorschriften für die bäuerliche Erbteilung (Anerbengesetz) idgF, kundgemacht in der StF: BGBl Nr 106/1958, zur Gänze".
Ein Antrag, der sich gegen den ganzen Inhalt eines Gesetzes richtet, muss die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit aller Bestimmungen des Gesetzes "im Einzelnen" darlegen. Anträge, die diesem Erfordernis nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl VfSlg 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007; VfGH 2.3.2015, G140/2014; 2.7.2016, G53/2016; 14.3.2017, G14/2016) nicht (im Sinne des §18 VfGG) verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen.
Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Rechtsvorschrift die zur Aufhebung beantragte Norm in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl zB VfSlg 14.802/1997, 17.752/2006; spezifisch zum Parteiantrag VfGH 2.7.2015, G16/2015; 2.7.2015, G145/2015; 18.2.2016, G642/2015). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und – gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (VfSlg 17.099/2003, 17.102/2003, 19.825/2013, 19.832/2013, 19.870/2014, 19.938/2014).
Diesem Erfordernis entspricht der Hauptantrag nicht. Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die §§1 bis 23 AnerbenG (pauschal) gegen Art7 B VG und Art2 StGG verstoßen würden. Eine Darlegung der Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen "im Einzelnen" ist dem Antrag nicht zu entnehmen. Ausdrückliche Bedenken werden (lediglich) hinsichtlich der in den Eventualanträgen angefochtenen Wortfolgen in §11 Abs1, §17 und §18 Abs1 AnerbenG formuliert. Soweit die Antragstellerin behauptet, dass das Anerbengesetz (insgesamt) nicht mehr zeitgemäß sei, legt sie damit keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit aller Bestimmungen des Gesetzes dar. Da es sich dabei um einen inhaltlichen, nicht verbesserungsfähigen Mangel handelt, ist der Hauptantrag aus diesem Grund unzulässig (vgl zB VfGH 8.6.2017, G393/2016; 27.11.2019, G180/2019).
3.2. Die Eventualanträge auf Aufhebung einzelner Wortfolgen in den §11 Abs1, §17 und §18 Abs1 AnerbenG erweisen sich ebenso als unzulässig:
Sämtliche Eventualanträge erweisen sich schon deshalb als unzulässig, weil dem Antrag ein zivilgerichtliches Verfahren zugrunde liegt, in dem es ausschließlich um die Einordnung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes des Verstorbenen als Erbhof im Sinne des §1 Abs1 AnerbenG geht. Die in den Eventualanträgen angefochtenen Bestimmungen des Anerbengesetzes betreffen den durch den Anerben an die Miterben zu entrichtenden Übernahmspreis und sind dementsprechend im gerichtlichen Anlassverfahren nicht präjudiziell im Sinne des §62 Abs2 VfGG.
Bei diesem Ergebnis erübrigt sich die Prüfung, ob weitere Prozesshindernisse vorliegen.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist zur Gänze als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.