JudikaturVfGH

V21/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Juni 2024

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark,

"der Verfassungsgerichtshof möge die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 16.11.2018, GZ: 11.0 10/2008 betreffend 'Ennstal-Bundesstraße LB 320, straßenpolizeiliche Maßnahmen, Abänderung der Verordnung vom 04.09.2017, GZ.: 11.0 10/2008 betreffend Geschwindigkeitsbeschränkung 80 km/h von km 42,276 bis km 44,670 in Umsetzung des Erkenntnisses des VfGH 24.09.2018' Teil A: in Fahrtrichtung Graz (von Westen nach Osten) in den Punkten 51 und 54"

als gesetzwidrig aufheben.

II. Rechtslage

1. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 16. November 2018, 11.0 10/2008, hat folgenden Wortlaut (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original, die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Verordnung

Gemäß §43 Abs1 litb und 94 Abs1 litb der Straßenverkehrsordnung - StVO – 1960, Nr 159, in der derzeit geltenden Fassung, werden für die Ennstal- Bundesstraße LB 320 für den Bereich von km 8,518 (Landesgrenze Mandling) bis km 49,334 (Niederstuttern) in Abänderung der Verordnung vom 04.09.2017, GZ.: 11.0 10/2008, nachstehende straßenpolizeiliche Maßnahmen angeordnet:

A: in Fahrtrichtung Graz (von Westen nach Osten):

1.–50. […]

51. 'Geschwindigkeitsbeschränkung 80'

mit der Zusatztafel 'Radarkontrolle'

bei km 27,563 (§52/10a StVO)

Wiederholungen bei km 28,440

km 28,700

km 29,307

52.–53. […]

54. 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung'

bei km 29,850 (§52/10b StVO)

55.–105. […]

B: in Fahrtrichtung Salzburg (von Osten nach Westen):

1.–85. […]

Diese Verordnung ist gemäß §44 der Straßenverkehrsordnung (StVO) 1960 i.d.g.F. durch entsprechende Straßenverkehrszeichen (für welche in den einzelnen Verordnungspunkten die zuständigen Gesetzesbestimmungen bereits angeführt sind) kundzumachen und tritt mit Anbringung der Verkehrszeichen in Kraft.

Die Anbringung und Erhaltung der Verkehrszeichen sowie auch der Bodenmarkierungen hat gemäß §32 STVO 1960 i.d.g.F. unter Beachtung der Bestimmungen des §48 StVO 1960 durch den Straßenerhalter zu erfolgen.

Der Bezirkshauptmann:

[…]"

2. Die für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungsbestimmungen anzuwendenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO. 1960), , lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

a) […]

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

2. […]

c)–d) […].

(1a)–(11) […]

§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. […]

(1a)–(5) […]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Dem Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark wurde mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 14. Oktober 2022 eine Übertretung des §52 lita Z10a StVO 1960 zur Last gelegt, weil er am 2. Oktober 2021, um 22.06 Uhr, im Bereich Haus, auf der B320, bei Straßenkilometer 27,8, Höhenfeld in Fahrtrichtung Liezen, die in diesem Bereich, welcher außerhalb eines Ortsgebietes liege, durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h überschritten habe. Über den Beschwerdeführer wurde daher gemäß §99 Abs2d StVO 1960 eine Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe verhängt.

2. Aus Anlass des Beschwerdeverfahrens gegen dieses Straferkenntnis stellt das Landesverwaltungsgericht Steiermark den vorliegenden Antrag und weist im Zusammenhang mit der Präjudizialität der angefochtenen Verordnungsbestimmungen darauf hin, dass es diese im Beschwerdeverfahren unmittelbar anzuwenden habe.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar: Der Geltungsbereich der mit den angefochtenen Verordnungsbestimmungen verfügten Geschwindigkeitsbeschränkung sei durch die Angabe der Straßenkilometer ("km 27,563") eindeutig festgelegt. Laut Mitteilung der Straßenmeisterei Gröbming vom 2. Februar 2023 befinde sich das entsprechende Straßenverkehrszeichen auf der B320 in Fahrtrichtung Graz bei Straßenkilometer 27,567 und damit vier Meter von dem in der Verordnung festgelegten Standort entfernt. Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark sei bei der festgestellten Abweichung von vier Metern nicht mehr von einer gesetzmäßigen Kundmachung iSd §44 Abs1 StVO 1960 auszugehen.

3. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

"Wie aus dem Antrag des Landesverwaltungsgericht Steiermark ersichtlich, liegen für den gegenständlichen Standort des Verkehrszeichens verschiedene Messungen vor. Seitens der Polizei wurde der Standort unter Zugrundelegung der Messwerkzeuge des GIS bei Straßenkilometer 27,575 bei einer Messungenauigkeit von max. fünf Metern festgestellt. Die Straßenmeisterei Gröbming ermittelte jedoch mit ihrem Messverfahren einen Standort von km 27,567, auch hier offensichtlich mit einer entsprechenden Messungenauigkeit. Eine zentimetergenaue Einmessung ist nach unseren Informationen mit den verwendeten Messinstrumenten nicht möglich.

Dem gegenüber wurde die Aufstellung des Verkehrszeichens in der Verordnung bei Straßenkilometer 27,563 festgelegt und ergibt sich daher aufgrund des Ergebnisses der Ermittlung der Straßenmeisterei Gröbming eine Differenz von max. vier Metern zum tatsächlichen Aufstellungsstandort.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark führt zurecht aus, dass für derartige Abweichungen bereits Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vorliegen, der unter anderem eine Abweichung von 3,9 Meter als 'geringfügige Differenz' angesehen hat, die für die Gültigkeit der Geschwindigkeitsbeschränkung bzw der dahinterliegenden Verordnung nicht von Relevanz sei (vgl diesbezüglich das Erkenntnis des VwGH vom 10.10.2014, Zl 2013/02/0276). Eine Differenz von fünf Metern wurde jedoch als relevant angesehen (siehe diesbezüglich VwGH vom 25.6.2014, Zl 2013/07/0294). Im Hinblick auf die Messungenauigkeiten der verwendeten Verortungssysteme ist die möglicherweise im konkreten Fall bestehende Abweichung von vier Metern zwischen den Positionsvorgaben der gegenständlichen Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen und dem tatsächlichen Aufstellungsort aus Sicht der Behörde als 'bloß geringfügige Differenz' anzusehen und besteht daher kein Grund zur Aufhebung von Teilen dieser Verordnung.

[…]

Da die mögliche Abweichung innerhalb der Messungenauigkeit der Verortungsgeräte liegt, spricht sich die Bezirkshauptmannschaft Liezen somit ausdrücklich gegen die vom Landesverwaltungsgericht Steiermark am 16.2.2023 beantragte Aufhebung der Punkte 51) und 54) der bekämpften Verordnung vom 16.11.2018 aus."

4. Die Steiermärkische Landesregierung hat weder eine Äußerung erstattet noch Akten vorgelegt.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt. Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).

Die angefochtene Geschwindigkeitsbeschränkung wurde ausweislich der vorgelegten Akten durch Anbringung von Straßenverkehrszeichen kundgemacht, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzung zweifeln ließe.

1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist nicht begründet.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark macht geltend, dass die angefochtene Geschwindigkeitsbeschränkung angesichts der festgestellten Abweichung des Aufstellungsortes des Straßenverkehrszeichens von dem in der Verordnung vorgeschriebenen Standort um vier Meter nicht gesetzmäßig kundgemacht worden sei.

2.2.1. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft.

2.2.2. Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet. Zur Kundmachung von Verkehrsbeschränkungen ist jedoch keine "zentimetergenaue" Aufstellung der Verkehrszeichen erforderlich, sodass von einem Kundmachungsmangel vielmehr erst dann auszugehen ist, wenn der Aufstellungsort vom Ort des Beginns bzw Endes des verordneten Geltungsbereiches einer Verkehrsbeschränkung signifikant abweicht. Von einer signifikanten Abweichung ist nach der Rechtsprechung im Regelfall erst dann auszugehen, wenn der Aufstellungsort eines Straßenverkehrszeichens von dem in der Verordnung vorgeschriebenen Standort um (mehr als) fünf Meter differiert (vgl zB VwGH 25.6.2014, 2013/07/0294 mwN, sowie VfSlg 20.251/2018; VfGH 18.3.2022, V272/2021; 28.11.2023, V29/2023; 28.11.2023, V63/2023; jeweils mwN). Bei der Beurteilung, ob eine Abweichung im vorstehenden Sinn signifikant ist, sind überdies die Art der verordneten Verkehrsbeschränkung sowie die konkreten Straßenverhältnisse zu berücksichtigen.

2.2.3. Die mit dem vorliegenden Antrag angefochtenen Punkte 51. und 54. der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 16. November 2018 verordnen auf der Ennstal-Bundesstraße LB 320 für den Bereich von Straßenkilometer 27,563 bis Straßenkilometer 29,850 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h. Das Vorbringen des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark, wonach die tatsächliche Kundmachung des Beginns dieser Geschwindigkeitsbeschränkung bei Straßenkilometer 27,567 erfolgt sei, wurde weder durch die Äußerung der verordnungserlassenden Behörde noch durch die vorgelegten Verordnungsakten widerlegt. Für den Verfassungsgerichtshof steht daher fest, dass das Straßenverkehrszeichen vier Meter von dem in der Verordnung festgelegten Bereich aufgestellt wurde.

2.2.4. Wie bereits dargelegt, ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §44 Abs1 StVO 1960 vielfach erst dann von einer signifikanten Abweichung auszugehen, wenn der Aufstellungsort eines Straßenverkehrszeichens von dem in der Verordnung vorgeschriebenen Standort um (mehr als) fünf Meter differiert (vgl zB VfSlg 20.251/2018 mwN). Im vorliegenden Fall weicht der tatsächliche Standort des Straßenverkehrszeichens von dem durch die Verordnung festgelegten Standort lediglich um vier Meter ab. Zudem liegt der tatsächliche Standort innerhalb des in der Verordnung für die angefochtene Geschwindigkeitsbeschränkung festgelegten Bereiches (vgl idZVwGH 10.10.2014, 2013/02/0276; vgl ferner VfGH 14.6.2022, V285/2021, wonach ein Halte- und Parkverbot angesichts einer festgestellten Abweichung von 1,3 Metern gesetzwidrig war, weil der tatsächliche Standort eines der kundmachenden Straßenverkehrszeichen außerhalb des in der Verordnung festgelegten Geltungsbereiches lag und diesen damit um mehr als 20 Prozent erweiterte). Es kann im Verhältnis zur gesamten Strecke, für die die angefochtene Geschwindigkeitsbeschränkung verordnet wurde (2.287 Meter), sowie im Hinblick auf die Art der Verkehrsbeschränkung auf einer Bundesstraße außerhalb des Ortsgebietes von einer bloß geringfügigen Differenz gesprochen werden. Die festgestellte Abweichung führt nicht dazu, dass von einer gesetzwidrigen Kundmachung auszugehen wäre. Die Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark treffen daher nicht zu.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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