JudikaturVfGH

A24/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Juni 2024

Spruch

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Klage, Sachverhalt und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art137 B VG begehrt die klagende Partei, den Bund schuldig zu erkennen, den Betrag von € 1.106,40 samt 4% Zinsen seit 20. Dezember 2023 sowie die (näher verzeichneten) Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. Der Klage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1. Der klagenden Partei war es (nur) bis zum 31. Dezember 2019 gemäß §60 Abs36 GSpG auf Grund einer gewerberechtlichen Genehmigung gestattet, Pokerspiele anzubieten.

2.2. Die Bezirksverwaltungsbehörde Kufstein verhängte mit Straferkenntnis vom 9. April 2021 über den damaligen handelsrechtlichen Geschäftsführer der klagenden Partei eine Geldstrafe iHv € 2.000,– wegen einer Übertretung gemäß §52 Abs1 Z1 erstes Tatbild iVm §2 Abs2 und Abs4 sowie §4 GSpG. Der damalige handelsrechtliche Geschäftsführer der klagenden Partei habe es als zur Vertretung nach außen befugtes Organ dieser Gesellschaft zu verantworten, dass die klagende Partei verbotene Ausspielungen iSd Glücksspielgesetzes veranstaltet habe.

2.3. Das Landesverwaltungsgericht Tirol gab der gegen den Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde Kufstein ergriffenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2021 insoweit teilweise Folge, als es die verhängte Strafe herabsetzte.

2.4. Die klagende Partei erhob gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 9. Dezember 2021 eine Erkenntnisbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 1. März 2022, E209/2022, ab und trat die Beschwerde zur Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof ab.

2.5. Die klagende Partei erhob gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 9. Dezember 2021 eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Die klagende Partei begründete die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision damit, dass ein Verstoß gegen die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorliege, zumal das Landesverwaltungsgericht Tirol keine Kohärenzprüfung durchgeführt habe.

2.6. Der Verwaltungsgerichtshof wies die außerordentliche Revision mit Beschluss vom 15. November 2023, Ra 2022/12/0043 0044, zurück und begründete dies damit, dass in der Zulässigkeitsbegründung der außerordentlichen Revision die erforderliche Relevanzdarstellung fehle.

3. In der Klage nach Art137 B VG macht die klagende Partei einen Staatshaftungsanspruch gegen den Bund wegen Verstoßes gegen Unionsrecht im Wesentlichen mit folgender Begründung geltend:

3.1. Der Verwaltungsgerichtshof habe mit dem Beschluss vom 15. November 2023, Ra 2022/12/0043 0044, Unionsrecht verletzt, zumal er als letztinstanzliches Gericht die außerordentliche Revision wegen nicht gesetzmäßiger Ausführung zurückgewiesen habe, obwohl nach unionsrechtlichen Vorgaben und nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Darstellung der Relevanz der Revision im Anwendungsbereich des Art47 GRC nicht notwendig sei. Hätte der Verwaltungsgerichtshof seine ständige Judikatur, welche auf Unionsrecht basiere, beachtet, hätte er der außerordentlichen Revision der klagenden Partei stattgeben und das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 9. Dezember 2021 aufheben müssen. In diesem Fall wäre der klagenden Partei ein Kostenersatz iHv € 1.106,40 zugestanden.

3.2. Die klagende Partei bringt weiters unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 13. Juli 2023, C 363 364/21, Ferrovienord (Rz 97) vor, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 15. November 2023 im Hinblick auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 3. Oktober 2023 nicht über die außerordentliche Revision entscheiden hätte dürfen. Mit diesem Beschluss habe nämlich das Verwaltungsgericht Wien dem Antrag der klagenden Partei, "der Revision auf europarechtlicher Grundlage aufschiebende Wirkung zuzuerkennen", in einem weiteren Verwaltungsstrafverfahren gegen die klagende Partei wegen unerlaubten Glücksspieles stattgegeben.

4. Die beklagte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie sowohl die Zulässigkeit als auch die Begründetheit der Klage bestreitet:

4.1. Hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage führt die beklagte Partei ins Treffen, dass die klagende Partei in ihrer Klage nicht ausführe, weshalb der vom Verwaltungsgerichtshof gemachte Verweis auf die bestehende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Kohärenz des Glücksspielgesetzes (VwGH 16.3.2016, Ro 2015/17/0022; 11.7.2018, Ra 2018/17/0048) zu einem Verstoß gegen (klare und präzise) Vorschriften des Unionsrechtes führe bzw welche Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union der Verwaltungsgerichtshof offenkundig verkannt habe. Die beklagte Partei könne auch nicht nachvollziehen, welche unionsrechtliche Bestimmung bzw welche Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union die klagende Partei durch den Verweis auf die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichtes Wien vom 3. Oktober 2023 als verletzt ansehe. Der einzige unionsrechtliche Aspekt, den die klagende Partei in diesem Zusammenhang zur Stützung ihrer Argumentation nenne, sei die Randziffer 97 des Urteiles des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 13. Juli 2023, C 363 364/21, Ferrovienord . In der Randziffer werde allerdings bloß die italienische Rechtslage wiedergegeben; eine allgemeine unionsrechtliche Verpflichtung ergebe sich daraus nicht.

4.2. Hinsichtlich der Begründetheit der Klage führt die beklagte Partei ins Treffen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Relevanz eines behaupteten Verfahrensmangels grundsätzlich auch im Anwendungsbereich des Art47 GRC nachzuweisen sei. Nur ein rechtswidriges Unterlassen einer nach Art6 EMRK bzw Art47 GRC erforderlichen mündlichen Verhandlung führe zur Aufhebung eines Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit in Folge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsse. Darüber hinaus könne der von der klagenden Partei angeführte Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien keine Rechtswirkungen für das Verfahren entfalten, das Gegenstand der vorliegenden Staatshaftungsklage sei.

5. Die klagende Partei erstattete eine Replik, in welcher sie ergänzend ausführte, dass der Verwaltungsgerichtshof Feststellungen getroffen habe, die dem Verfahrensakt nicht zu entnehmen seien. Außerdem weiche der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Beschluss vom 15. November 2023 von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. In zeitlich vorgelagerten Entscheidungen sei von den Revisionswerbern keine Relevanz der bezeichneten Verfahrensmängel dargetan worden, der Verwaltungsgerichtshof habe aber dennoch die bekämpften verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 2023 verletze nicht zuletzt deshalb Art47 GRC, weil es der Verwaltungsgerichtshof verabsäumt habe, ein Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen.

II. Zulässigkeit

1. Gemäß Art137 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögens-rechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

2. Wie der Verfassungsgerichtshof zu seiner Zuständigkeit für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches ausgesprochen hat, ist es nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, – ähnlich einem Rechtsmittelgericht – die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (vgl ua EuGH 30.9.2003, Rs. C 224/01, Köbler , Slg. 2003, I 10239) vorliegt (vgl VfSlg 17.095/2003, 17.214/2004, 19.361/2011; VfGH 5.12.2016, A8/2016).

Eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage nach Art137 B VG ist unter anderem nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen Unionsrecht geltend gemacht wird, der im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig ist (VfSlg 19.361/2011, 19.428/2011; VfGH 23.11.2017, A8/2017). Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Köbler (Rz 51 ff.) festhält, liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird (EuGH 30.9.2003, Rs. C 224/01, Köbler , Slg. 2003, I 10239 [Rz 51 ff.]; VfSlg 18.448/2008).

3. Die klagende Partei im Staatshaftungsverfahren hat daher nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes begründet darzulegen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. Der behauptete Verstoß muss also der Art nach möglich sein. Lässt eine Klage dies jedoch vermissen oder werden lediglich Auslegungsfragen, wie etwa auf Grund einer Literaturmeinung und einer deswegen angenommenen Vorlagepflicht des letztinstanzlichen Gerichtes, aufgeworfen, wird dadurch diesen Anforderungen nicht Genüge getan. Eine solche Klage ist unzulässig (VfGH 27.6.2017, A17/2016; 23.11.2017, A8/2017; 26.6.2020, A38/2020).

4. Die Klagebehauptungen vermögen eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches, abgeleitet aus einem rechtswidrigen Verhalten des Verwaltungsgerichtshofes, nicht zu begründen:

Das Klagevorbringen ist bereits insoweit nicht nachvollziehbar, als die Zurückweisung der außerordentlichen Revision durch den Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 15. November 2023 auf Art133 Abs4 B VG iVm §34 Abs1 VwGG und damit auf rein innerstaatlichen Rechtsvorschriften beruht. Die klagende Partei legt im Übrigen in keiner Weise dar, in welcher Hinsicht die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes einen Verstoß gegen eine klare und präzise Vorschrift des Unionsrechtes darstellen sollte. Entgegen der Behauptung der klagenden Partei hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union und den darin festgelegten Anforderungen an eine Kohärenzprüfung auseinandergesetzt. Dazu kommt, dass die klagende Partei unter Berufung auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Februar 2022, Ra 2020/17/0105, welches der Auffassung der klagenden Partei zufolge vom Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 2023, Ra 2022/12/0043-044, abweicht, jedenfalls keinen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht begründet.

5. Da somit in der Klage ein qualifizierter Verstoß des angeführten Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 2023 gegen eine unionsrechtliche Bestimmung bzw die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union nicht dargetan wird, erweist sich die Klage als unzulässig.

III. Ergebnis

1. Die Klage ist zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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