Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Abweisung von Anträgen auf internationalen Schutz von Staatsangehörigen der Russischen Föderation mangels Auseinandersetzung mit den Länderinformationen zur Wahrscheinlichkeit der Einberufung von Ärzten mit Spezialausbildung im militärischen Bereich auch wenn kein Einberufungsbefehl vorliegt; hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Mitglied der Russischen Streitkräfte im Krieg in der Ukraine nach den Länderberichten gegeben; Erforderlichkeit der Prüfung der Möglichkeit der Beteiligung an Kriegsverbrechen sowie der individuellen ablehnenden Haltung zum Krieg in der Ukraine im fortgesetzten Verfahren vor dem BVwG
Spruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer, ein Vater und dessen minderjährige Tochter, sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Der Erstbeschwerdeführer besuchte eine medizinische Militärakademie in der Russischen Föderation, wo er eine Ausbildung mit Spezialisierung im Fachgebiet Anästhesie und Intensivmedizin absolvierte. Nach seinem Abschluss war er Vertragssoldat bei den Streitkräften der Russischen Föderation. Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst war er als Arzt für Anästhesie und Reanimation tätig. Er wird nach wie vor als Reservist im Militärregister geführt. Am 21. Februar 2022 – noch vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine – verließen die Beschwerdeführer per Flugzeug die Russische Föderation und reisten unter Verwendung der ihnen von der österreichischen Botschaft in Moskau ausgestellten Visa über Österreich nach Spanien. Am 24. Februar 2022 begann der Krieg in der Ukraine. Am 28. Februar 2022 reisten die Beschwerdeführer zurück und stellten in Österreich Anträge auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er Angst habe, als Arzt mit spezieller Ausbildung im militärischen Bereich zum Militärdienst für den Krieg in der Ukraine einberufen zu werden. Zudem sei er Gegner des aktuellen russischen Regimes bzw der aktuellen russischen Regierung. Für die Zweitbeschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26. August 2022 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines bzw einer Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status eines bzw einer subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.) und eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
3. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 16. Oktober 2023 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in allen Spruchpunkten als unbegründet ab.
Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Beschwerdeführer keine individuellen, asylrelevanten Fluchtgründe glaubhaft gemacht hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe weder einen Einberufungsbefehl zum Militärdienst erhalten noch habe er eine grundlegend ablehnende Haltung gegenüber den Streitkräften der Russischen Föderation verinnerlicht. Das in der mündlichen Verhandlung erstattete Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, wonach er den militärischen Einsatz in der Ukraine ablehne und sich nicht an militärischen Verbrechen beteiligen möchte, sei unglaubwürdig, weil er bereits sein gesamtes Leben mit den Streitkräften der Russischen Föderation in Verbindung stehe. Der Erstbeschwerdeführer habe eine Ausbildung mit einer Spezialisierung im Fachgebiet Anästhesie und Intensivmedizin an einer medizinischen Militärakademie absolviert und sei danach als Militärarzt tätig gewesen. Er habe daher keine grundlegend ablehnende Haltung gegenüber den Streitkräften der Russischen Föderation verinnerlicht. Vor diesem Hintergrund drohe dem Erstbeschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung auf Grund (unterstellter) oppositioneller politischer Gesinnung, zumal er sich auch zu keinem Zeitpunkt in öffentlich zugänglichen Quellen kritisch zum Krieg in der Ukraine geäußert habe. Der Erstbeschwerdeführer sei vielmehr aus Angst vor einer Einberufung zum Militärdienst für den Krieg in der Ukraine nicht mehr in die Russische Föderation zurückgekehrt. Er hätte sich jedoch auf Grund der von ihm selbst gewählten beruflichen Laufbahn der Risiken seiner Tätigkeit bei den Streitkräften der Russischen Föderation bewusst sein müssen. Der Verwaltungsgerichtshof habe wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstelle, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen könne (VwGH 7.1.2021, Ra 2020/18/0491 mwN). Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers stehe jedoch nicht in Verbindung mit einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Verfolgungsgründe, weshalb den Beschwerdeführern keine asylrelevante Verfolgung in der Russischen Föderation drohe.
Die Anträge auf internationalen Schutz in Bezug auf den Status des bzw der subsidiär Schutzberechtigten seien abzuweisen, weil bei einer Zusammenschau der persönlichen Situation der Beschwerdeführer und der aktuellen Länderberichte zur Russischen Föderation nicht davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzbedrohende oder lebensgefährliche Situation gelangen würden. Der Erstbeschwerdeführer sei gesund und arbeitsfähig, verfüge über eine Schul- bzw Hochschulausbildung, habe eine mehrjährige Arbeitserfahrung als Arzt, spreche Russisch, habe eine Eigentumswohnung in der Russischen Föderation und könne seine Existenz bzw die Existenz der Zweitbeschwerdeführerin durch eine eigene Erwerbstätigkeit sowie mit Unterstützung durch seine Frau sichern.
Die Rückkehrentscheidungen seien zulässig, weil die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würden. Die Beschwerdeführer hätten zwar außerordentliche Integrationsschritte geleistet, indem sie die deutsche Sprache erlernt und ein aktives Sozialleben in Österreich geführt hätten (für den Erstbeschwerdeführer seien Unterstützungsschreiben hinsichtlich potentieller Arbeitsangebote in Spitälern vorgelegt worden; die Zweitbeschwerdeführerin sei Mitglied in einem Fußballverein). Die Beschwerdeführer seien jedoch erst relativ kurz in Österreich und hätten nach wie vor sehr starke Bindungen zum Herkunftsstaat, zumal die Frau des Erstbeschwerdeführers und Mutter der Zweitbeschwerdeführerin sowie weitere Familienangehörige in der Russischen Föderation leben, beide Beschwerdeführer Russisch sprechen und sich beide Beschwerdeführer problemlos in die Gesellschaft in der Russischen Föderation wieder eingliedern könnten. Bei der Zweitbeschwerdeführerin sei eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit anzunehmen, weshalb das zu berücksichtigende Kindeswohl einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht entgegenstehe. Die Abschiebung in die Russische Föderation sei zulässig, weil nach den die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen keine Gründe vorliegen würden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung ergeben würde.
4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der ua die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Die Beschwerde stützt sich im Wesentlichen darauf, dass sich das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis unzureichend mit dem Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers auseinandergesetzt habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe weder das Vorliegen einer Verfolgungshandlung iSd Art9 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9 (im Folgenden: StatusRL), noch den Konnex zu einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Verfolgungsgründe hinreichend geprüft. Es habe das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung lediglich mit der Begründung verneint, dass der Erstbeschwerdeführer keinen Einberufungsbefehl erhalten und keine grundlegend ablehnende Haltung gegenüber den Streitkräften der Russischen Föderation verinnerlicht habe. Dabei habe das Bundesverwaltungsgericht die vom Erstbeschwerdeführer vorgelegten Beweismittel, wonach eine Einberufung des Erstbeschwerdeführers wegen seines besonderen Profils als Arzt mit spezieller Ausbildung im militärischen Bereich höchst wahrscheinlich sei, nicht berücksichtigt. Weiters habe sich das Bundesverwaltungsgericht nicht näher mit der ablehnenden Haltung des Erstbeschwerdeführers in Bezug auf den Krieg in der Ukraine auseinandergesetzt, sondern nur darauf abgestellt, dass der Erstbeschwerdeführer keine generell ablehnende Haltung gegenüber den Streitkräften der Russischen Föderation verinnerlicht habe. Das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes sei daher wegen Begründungs- und Ermittlungsmängeln mit Willkür belastet. Darüber hinaus verstoße das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gegen Art2 und 3 EMRK.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber – wie auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – abgesehen.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 221/2022 lauten auszugsweise wie folgt:
" Begriffsbestimmungen
§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. die Genfer Flüchtlingskonvention: die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl Nr 55/1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl Nr 78/1974, geänderten Fassung;
[…]
9. die Statusrichtlinie: die Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9;
[…]
11. Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art9 Statusrichtlinie;
12. ein Verfolgungsgrund: ein in Art10 Statusrichtlinie genannter Grund;
(2) […]
Status des Asylberechtigten
§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§2 Abs1 Z23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) […]"
2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9 (im Folgenden: StatusRL) lauten auszugsweise wie folgt:
"Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) […]
d) 'Flüchtling' einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;
e) […]
[…]
Artikel 9
Verfolgungshandlungen
(1) Um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten, muss eine Handlung
a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder
b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und
f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Gemäß Artikel 2 Buchstabe d muss eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Gründen und den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen.
Artikel 10
Verfolgungsgründe
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:
a) Der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
b) der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
c) der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
d) eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
— die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
— die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Als sexuelle Orientierung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten. Geschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, werden zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt;
e) unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Artikel 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
[…]
Artikel 12
Ausschluss
(1) […]
(2) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er
a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen;
b) eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, das heißt vor dem Zeitpunkt der Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; insbesondere grausame Handlungen können als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden;
c) sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen.
(3) Absatz 2 findet auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
3. Ein solcher – in die Verfassungssphäre reichender Fehler – ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine bereits erlittene Verfolgung keine Voraussetzung für die Asylgewährung. Maßgeblich ist vielmehr die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht im Sinne einer Prognoseentscheidung (vgl VfSlg 19.086/2010; VfGH 26.9.2012, U 741/12; 19.2.2016, E992/2015; 15.3.2023, E2268/2022). Für die Frage, ob Asyl zu gewähren ist, kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes aktuellen Länderfeststellungen bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl etwa VwGH 26.11.2020, Ra 2020/18/0384 mwN).
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass den Beschwerdeführern im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation keine asylrelevante Verfolgung drohe, weil der Erstbeschwerdeführer unstrittig keinen Einberufungsbefehl zum Militärdienst erhalten und keine grundlegend ablehnende Haltung gegenüber den Streitkräften der Russischen Föderation verinnerlicht habe.
3.3. Zunächst ist festzuhalten, dass sich das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis nicht näher mit der Frage auseinandersetzt, ob dem Erstbeschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner individuellen Situation als Arzt mit spezieller Ausbildung im militärischen Bereich im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation die Einberufung zu den Streitkräften der Russischen Föderation droht (woraus sich im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine für die Beurteilung des Antrages des Erstbeschwerdeführers auf internationalen Schutz im vorliegenden Fall wesentliche Konsequenzen ergeben können, siehe unten Pkt. 3.4.).
Der ACCORD-Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Lage von Angehörigen medizinischer Berufe, insbesondere von Ärzt·innen, in Zusammenhang mit der Mobilmachung (Gefahr, eingezogen zu werden, freie Ausreise, Restriktionen) [a 12122 2] vom 24. April 2023 zufolge besteht insbesondere für Ärzte mit spezieller Ausbildung im militärischen Bereich eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, zum Militärdienst bei den Streitkräften der Russischen Föderation einberufen zu werden:
"In erster Linie würden Ärzt*innen mit einem Abschluss der militärmedizinischen Universitäten und einer Ausbildung in militärischer Feldmedizin, Ärzt*innen mit Kampferfahrung und schliesslich [sic!] Zivilärzt*innen mit Spezialisierung auf Chirurgie, Anästhesiologie und Traumatologie eingezogen."
Diese Anfragebeantwortung betreffend die Einberufung von Ärzten zum Militärdienst bei den Streitkräften der Russischen Föderation wurde vom Erstbeschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Sie findet im angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch keine Berücksichtigung, obwohl der Erstbeschwerdeführer als Arzt sowohl mit einem Abschluss einer militärmedizinischen Universität als auch mit einer Spezialisierung im Fachgebiet Anästhesie in mehrfacher Hinsicht das Profil eines Arztes erfüllt, für den eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, zum Militärdienst bei den Streitkräften der Russischen Föderation einberufen zu werden.
Indem das Bundesverwaltungsgericht es somit allein unter Hinweis darauf, dass für den Erstbeschwerdeführer kein Einberufungsbefehl vorliegt, unterlassen hat, sich näher mit der Frage auseinanderzusetzen, ob dem Erstbeschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner individuellen Situation als Arzt mit spezieller Ausbildung im militärischen Bereich zumindest mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Einberufung zu den Streitkräften der Russischen Föderation droht, hat es sein Erkenntnis schon in dieser Hinsicht mit Willkür belastet.
3.4. Sollte das fortgesetzte Verfahren ergeben, dass der Erstbeschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit seiner Einberufung zum Militärdienst rechnen muss, stellen sich zur Beurteilung seines Antrages auf internationalen Schutz die weiteren, vom Bundesverwaltungsgericht auch bereits aufgeworfenen Fragen:
3.4.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern kann nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen (vgl zB VwGH 7.1.2021, Ra 2020/18/0491 mwN). Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl VwGH 21.5.2021, Ro 2020/19/0001).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt einer Militärdienstverweigerung auch dann Asylrelevanz zu, wenn eine asylwerbende Person Gefahr läuft, im Rahmen der Ableistung des Militärdienstes an der Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit mitwirken zu müssen (vgl zB VfGH 20.9.2022, E1138/2022; 15.3.2023, E2268/2022).
Aus Art9 Abs2 lite StatusRL geht hervor, dass "Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen", als Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention gelten. Gemäß Art12 Abs2 lita StatusRL ist ein Drittstaatsangehöriger von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er "ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen".
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 26. Februar 2015, C-472/13, Shepherd , entschieden, dass Art9 Abs2 lite StatusRL auch Fälle betrifft, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrende Antragsteller nur mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde. In Zusammenschau mit dem Urteil vom 19. November 2020, C-238/19, EZ , geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union weiter hervor, dass es "[…] allein den staatlichen Behörden [obliegt], unter gerichtlicher Kontrolle zu prüfen, ob die Ableistung des Militärdienstes durch den Antragsteller, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von Art9 Abs2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95[/EU] begehrt, diesen zwangsläufig oder zumindest sehr wahrscheinlich veranlassen würde, Verbrechen im Sinne von Art12 Abs2 dieser Richtlinie zu begehen (vgl in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2015, Shepherd, C 472/13, EU:C:2015:117, Rn. 40)."
In Bezug auf den Krieg in der Ukraine besteht vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte (zB Länderinformation der Staatendokumentation zur Russischen Föderation, Version 12 vom 4. Juli 2023) eine hohe Wahrscheinlichkeit, als Mitglied der Streitkräfte der Russischen Föderation an der Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt zu werden.
Aus dem am 16. März 2023 veröffentlichten Bericht der vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eingesetzten Untersuchungskommission zum Ukraine-Krieg geht hervor, dass im Krieg in der Ukraine insbesondere von den Streitkräften der Russischen Föderation zahlreiche Kriegsverbrechen verübt werden (Report of the Independent International Commission of Inquiry on Ukraine to the Human Rights Council [A/HRC/52/62], 16.3.2023).
Das Bundesverwaltungsgericht wird vor diesem Hintergrund im fortgesetzten Verfahren Feststellungen darüber zu treffen haben, welche Auswirkungen eine Einberufung des Erstbeschwerdeführers zum Militärdienst bei den Streitkräften der Russischen Föderation im Krieg in der Ukraine zur Folge hätte, insbesondere, ob der Erstbeschwerdeführer im Falle seiner Einberufung zum Militärdienst im Krieg in der Ukraine Gefahr liefe, als Arzt mit spezieller Ausbildung im militärischen Bereich unmittelbar oder mittelbar an der Begehung von Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen beteiligt zu werden (zur Beteiligung an Kriegsverbrechen – im Kontext des Bürgerkrieges in Syrien – siehe VfGH 20.9.2022, E1138/2022; 15.3.2023, E2268/2022).
3.4.2. Auch bei Vorliegen einer Verfolgungshandlung iSd Art9 Abs2 lite StatusRL muss nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art9 Abs3 StatusRL eine Verknüpfung zwischen den in Art2 litd bzw Art10 StatusRL genannten Verfolgungsgründen und den in Art9 StatusRL genannten Verfolgungshandlungen (oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Verfolgungshandlungen) bestehen (vgl dazu auch EuGH 19.11.2020, C 238/19, EZ sowie VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108). Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19. November 2020, C 238/19, EZ , ausgesprochen hat, kann das Bestehen einer Verknüpfung zwischen den in Art2 litd und Art10 StatusRL genannten Verfolgungsgründen und der Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne von Art9 Abs2 lite StatusRL nicht allein deshalb als gegeben angesehen werden, weil Strafverfolgung oder Bestrafung an die Verweigerung des Militärdienstes anknüpfen (EuGH, EZ , Rz 50). Allerdings spricht, wie der Gerichtshof der Europäischen Union im Kontext des Bürgerkrieges in Syrien festgestellt hat, eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art9 Abs2 lite StatusRL genannten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art2 litd StatusRL bzw Art10 StatusRL aufgezählten Verfolgungsgründe in Zusammenhang steht (EuGH, EZ , Rz 57). Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher von der um Asyl werbenden Person vorgetragenen Anhaltspunkte die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen (EuGH, EZ , Rz 56).
Das Bundesverwaltungsgericht hat im angefochtenen Erkenntnis die Verknüpfung einer Verfolgungshandlung iSd Art9 Abs2 lite StatusRL mit einem der fünf in Art2 litd StatusRL bzw Art10 StatusRL aufgezählten Verfolgungsgründe verneint, weil der Erstbeschwerdeführer keine grundlegend ablehnende Haltung gegenüber den Streitkräften der Russischen Föderation verinnerlicht habe. Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers zu seiner ablehnenden Haltung zum Krieg in der Ukraine sei unglaubwürdig, weil der Erstbeschwerdeführer bereits sein gesamtes Leben mit den Streitkräften der Russischen Föderation in Verbindung stehe.
Diese Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes ist jedoch nicht tragfähig, hat der Erstbeschwerdeführer im Verfahren doch nie behauptet, eine generell ablehnende Haltung gegenüber den Streitkräften der Russischen Föderation verinnerlicht zu haben. Vielmehr hat der Erstbeschwerdeführer vorgebracht, Gegner des aktuellen russischen Regimes bzw der aktuellen russischen Regierung zu sein und den Krieg in der Ukraine abzulehnen. Die Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers betreffend seine ablehnende Haltung in Bezug auf den Krieg in der Ukraine unglaubwürdig sei, weil der Erstbeschwerdeführer bereits sein gesamtes Leben mit den Streitkräften der Russischen Föderation in Verbindung stehe, ist unschlüssig, weil grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Erstbeschwerdeführer trotz seiner Vergangenheit bei den Streitkräften der Russischen Föderation den Krieg in der Ukraine ablehnt und sich nicht an Kriegsverbrechen beteiligen möchte.
Das Bundesverwaltungsgericht wird sich daher näher mit dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers betreffend seine ablehnende Haltung in Bezug auf den Krieg in der Ukraine auseinanderzusetzen und in einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände die Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens zu ermitteln haben.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 218,– und Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60
enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.