E345/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
Begründung
1. Der Einschreiter ist minderjährig und beantragt, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH) gemäß §10 Abs3 des BFA Verfahrensgesetzes (BFA VG), die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Beschwerdeführung gegen die oben angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, mit der sein Antrag auf internationalen Schutz vollumfänglich abgewiesen wurde.
2. Gemäß §1 ZPO iVm §35 VfGG ist eine Person im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nur insoweit fähig, selbständig als Partei zu handeln, als sie geschäftsfähig ist. Das Vorhandensein dieser Geschäftsfähigkeit, die Notwendigkeit der Vertretung von Parteien, welchen die Prozessfähigkeit mangelt, sowie das Erfordernis einer besonderen Ermächtigung zur Prozessführung oder zu einzelnen Prozesshandlungen sind, soweit nicht die ZPO abweichende Anordnungen enthält, nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu beurteilen (vgl VfSlg 7526/1975, 9080/1981).
In sinngemäßer Anwendung der §§6 und 7 ZPO iVm §35 VfGG hat der Verfassungsgerichtshof den Mangel der Prozessfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung oder der etwa erforderlichen besonderen Ermächtigung zur Prozessführung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl VfSlg 4046/1961).
3. Hinsichtlich der Prozessfähigkeit Minderjähriger und ihrer gesetzlichen Vertretung bildet §10 BFA VG eine bestehende gesetzliche Bestimmung iSd §1 ZPO iVm §35 VfGG, die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof sinngemäß anzuwenden ist.
3.1. Gemäß §10 Abs1 BFA VG ist für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor den Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) und in einem Verfahren gemäß §3 Abs2 Z1 bis 6 BFA VG vor dem Bundesverwaltungsgericht ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich. Daraus folgt, dass Minderjährige (also Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben) grundsätzlich nicht geschäftsfähig und damit auch nicht prozessfähig sind (VwGH 18.10.2017, Ra 2016/19/0351 ua, Rz 14).
3.2. Gemäß §10 Abs3 erster Satz BFA-VG sind mündige Minderjährige (vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr), deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, berechtigt, selbst einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und einzubringen sowie Verfahrenshandlungen zu ihrem Vorteil gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu setzen.
3.3. §10 Abs3 dritter Satz BFA VG bestimmt, dass der Rechtsberater ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle gesetzlicher Vertreter für Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht ist. Nach Zulassung und Zuweisung an eine Betreuungsstelle eines Bundeslandes soll die Vertretung an den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger übergehen (vgl VwGH 18.10.2017, Ra 2016/19/0351 ua, Rz 16; Erläut zur RV des Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetzes – FNG, 1803 BlgNR 24. GP, 12).
3.4. §10 Abs3 BFA VG ist eine Nachfolgebestimmung des früheren §25 Abs2 des Asylgesetzes 1997 (AsylG 1997), BGBl I 76/1997, idF BGBl I 101/2003. Dieser bestimmte in seinem zweiten Satz:
"Gesetzlicher Vertreter wird mit Einleitung des Zulassungsverfahrens der Rechtsberater in der Erstaufnahmestelle; nach Zulassung des Verfahrens der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger jenes Bundeslandes, dessen Betreuungsstelle der Minderjährige zuerst zugewiesen wird."
3.5. Zu dieser Bestimmung sprach der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 17.495/2005 Folgendes aus:
"Der gesetzliche Vertreter eines mündigen Minderjährigen, dessen Interessen von ihren gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können (unbegleitete Minderjährige), ist ab Einleitung des Zulassungsverfahrens der Rechtsberater. Seine Vertretungsbefugnis endet, wie der zweite Halbsatz des zweiten Satzes des §25 Abs2 AsylG zeigt, sobald zwei Kriterien erfüllt sind, nämlich dass erstens das Zulassungsverfahren zu Ende ist und dass zweitens der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Solange eines der beiden Kriterien nicht erfüllt ist, ist der Rechtsberater weiterhin der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen.
Wenngleich der Gesetzestext an Klarheit zu wünschen übrig lässt, ist dem Gesetzgeber nicht zusinnbar, zwischen Beendigung des Zulassungsverfahrens […] und Zuweisung an eine Betreuungseinrichtung eine zeitliche Lücke zu schaffen, in der der Minderjährige ohne gesetzliche Vertretung ist, sodass nicht gewährleistet ist, dass für den minderjährigen Asylwerber rechtzeitig Berufung erhoben werden kann. Auch kann dem Gesetz nicht unterstellt werden, dass der Minderjährige in der Zeit zwischen der Beendigung des Zulassungsverfahrens und der Zuweisung an eine Betreuungseinrichtung, die unter Umständen nur wenige Tage dauern kann, vom Jugendwohlfahrtsträger des Aufenthaltsortes […] vertreten wird, sodass der Minderjährige innerhalb kurzer Zeit drei unterschiedliche gesetzliche Vertreter hätte."
3.6. Der Verwaltungsgerichtshof schloss sich diesen Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes an (VwGH 12.4.2005, 2004/01/0460) und vertrat in weiterer Folge, dass die Voraussetzungen des §10 Abs3 erster Satz BFA VG erst wegfielen, wenn mit pflegschaftsgerichtlichem Beschluss eine geeignete Person oder – wenn eine solche geeignete Person nicht zu finden sei – der Jugendwohlfahrtsträger (§209 ABGB) mit der Obsorge betraut werde, weil sodann keine Vertretungsvakanz mehr vorliege und der nun betraute Obsorgeträger als gesetzlicher Vertreter die Interessen des Minderjährigen wahrnehmen könne (VwGH 18.10.2017, Ra 2016/19/0351 ua, Rz 29).
4. Aus den beigeschafften Akten geht nicht hervor, dass der unbegleitete minderjährige Antragsteller bereits einer Betreuungsstelle eines Bundeslandes zugewiesen worden und seine Vertretung mit pflegschaftsgerichtlichem Beschluss an den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger übergegangen ist.
Daher erstreckt sich die gesetzliche Vertretung des minderjährigen Antragstellers durch die BBU GmbH im vorliegenden Fall in sinngemäßer Anwendung des §10 Abs3 dritter Satz BFA VG iVm §1 ZPO und §35 VfGG auf das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof. Die Anwaltspflicht gemäß §17 Abs2 VfGG wird hievon nicht berührt.
5. Unter Bedachtnahme auf den Inhalt der vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Akten besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Entscheidung auf einer rechtswidrigen generellen Norm beruht oder dass bei der Gesetzeshandhabung ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre; es ergeben sich vielmehr ausschließlich Fragen der richtigen Rechtsanwendung, die jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichtshofes fallen. Eine Rechtsverfolgung durch Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erscheint somit als offenbar aussichtslos, zumal bei der gegebenen Lage sogar die Ablehnung der Beschwerdebehandlung zu gewärtigen wäre.
Der Antrag ist sohin mangels der Voraussetzungen des §63 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VfGG) abzuweisen.
Dies konnte gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.