Leitsatz
Verstoß der generellen sachlichen Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte zur Entscheidung über Richtlinienbeschwerden betreffend das Verhalten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gegen kompetenzrechtliche Vorgaben; Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts bei Richtlinienbeschwerden, wenn Rechtssachen in Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden
Spruch
I. §89 Abs4 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl Nr 566/1991, idF BGBl I Nr 161/2013 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. August 2025 in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita und Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag begehrt das Verwaltungsgericht Wien,
"§89 Abs4 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr 566/1991 idF BGBl I Nr 161/2013,
in eventu
§89 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr 566/1991 idF BGBl I Nr 161/2013,
in eventu
§31 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr 566/1991, und §89 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr 566/1991 idF BGBl I Nr 161/2013, sowie die §§6, 8 und 10 der Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien Verordnung – RLV) BGBl Nr 266/1993 idF BGBl II Nr 155/2012,
in eventu
§31 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr 566/1991, und §89 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr 566/1991 idF BGBl I Nr 161/2013, sowie die Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien Verordnung – RLV) BGBl Nr 266/1993 idF BGBl II Nr 155/2012,"
als verfassungs- bzw gesetzwidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl 566/1991, idF BGBl I 147/2022 lauten wie folgt (der im Hauptantrag angefochtene §89 Abs4 SPG idF BGBl I 161/2013 ist hervorgehoben):
"Besorgung der Sicherheitsverwaltung
§2. (1) Die Sicherheitsverwaltung obliegt den Sicherheitsbehörden.
(2) Die Sicherheitsverwaltung besteht aus der Sicherheitspolizei, dem Paß- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten.
[…]
Sicherheitsbehörden
§4. (1) Oberste Sicherheitsbehörde ist der Bundesminister für Inneres.
(2) Dem Bundesminister für Inneres unmittelbar unterstellt besorgen Landespolizeidirektionen, ihnen nachgeordnet Bezirksverwaltungsbehörden die Sicherheitsverwaltung in den Ländern.
(3) Der Bürgermeister ist Fundbehörde nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes. Inwieweit Organe der Gemeinde sonst als Sicherheitsbehörden einzuschreiten haben, bestimmen andere Bundesgesetze.
Besorgung des Exekutivdienstes
§5. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes versehen für die Sicherheitsbehörden den Exekutivdienst.
(2) Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind
1. Angehörige des Wachkörpers Bundespolizei,
2. Angehörige der Gemeindewachkörper,
3. Angehörige des rechtskundigen Dienstes bei Sicherheitsbehörden, wenn diese Organe zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind, und
4. sonstige Angehörige der Landespolizeidirektionen und des Bundesministeriums für Inneres, wenn diese Organe die Grundausbildung für den Exekutivdienst (Polizeigrundausbildung) absolviert haben und zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind.
(3) Der sicherheitspolizeiliche Exekutivdienst besteht aus dem Streifen- und Überwachungsdienst, der Ausübung der ersten allgemeinen Hilfeleistungspflicht und der Gefahrenabwehr mit den Befugnissen nach dem 3. Teil sowie aus dem Ermittlungs- und dem Erkennungsdienst.
(4) Der Streifendienst ist im Rahmen der Sprengel der Landespolizeidirektionen, insoweit diese für das Gebiet einer Gemeinde zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz sind, und der Bezirksverwaltungsbehörden sowie sprengelübergreifend innerhalb des Landes zu besorgen.
(5) Die Sicherheitsexekutive besteht aus den Sicherheitsbehörden und den diesen beigegebenen oder unterstellten Wachkörpern.
(6) - (7) […].
[…]
Richtlinien für das Einschreiten
§31. (1) Der Bundesminister für Inneres hat zur Sicherstellung wirkungsvollen einheitlichen Vorgehens und zur Minderung der Gefahr eines Konfliktes mit Betroffenen durch Verordnung Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu erlassen.
(2) In diesen Richtlinien ist zur näheren Ausführung gesetzlicher Anordnungen insbesondere vorzusehen, daß
1. bestimmte Amtshandlungen Organen mit besonderer Ausbildung vorbehalten sind;
2. die Bekanntgabe der Dienstnummern der einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in einer der jeweiligen Amtshandlung angemessenen Weise, in der Regel durch Aushändigung einer mit der Dienstnummer, der Bezeichnung der Dienststelle und deren Telefonnummer versehenen Karte zu erfolgen hat;
3. vor der Ausübung bestimmter Befugnisse mögliche Betroffene informiert werden müssen;
4. bei der Ausübung bestimmter Befugnisse besondere Handlungsformen einzuhalten sind;
5. die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes beim Eingriff in Rechte von Menschen auf die Erkennbarkeit ihrer Unvoreingenommenheit Bedacht zu nehmen haben, sodaß ihr Einschreiten von den Betroffenen insbesondere nicht als Diskriminierung auf Grund ihres Geschlechtes, ihrer Rasse oder Hautfarbe, ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft, ihres religiösen Bekenntnisses oder ihrer politischen Auffassung empfunden wird;
6. die Durchsuchung eines Menschen außer in Notfällen durch eine Person desselben Geschlechtes vorzunehmen ist;
7. der Betroffene über geschehene Eingriffe in seine Rechte in Kenntnis zu setzen ist;
8. der Betroffene in bestimmten Fällen auf sein Recht auf Beiziehung einer Vertrauensperson oder eines Rechtsbeistandes hinzuweisen ist und daß er deren Verständigung verlangen kann.
(3) Soweit diese Richtlinien auch für Befugnisse der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zuständigkeitsbereich anderer Bundesminister gelten sollen, erläßt der Bundesminister für Inneres die Verordnung im Einvernehmen mit den in ihrem Wirkungsbereich berührten Bundesministern.
[…]
Beschwerden wegen Verletzung subjektiver Rechte
§88. (1) Die Landesverwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art130 Abs1 Z2 B VG).
(2) Außerdem erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.
(3) Beschwerden gemäß Abs1, die sich gegen einen auf dieses Bundesgesetz gestützten Entzug der persönlichen Freiheit richten, können während der Anhaltung bei der Sicherheitsbehörde eingebracht werden, die sie unverzüglich dem Landesverwaltungsgericht zuzuleiten hat.
(4) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde beträgt sechs Wochen. Sie beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt hat, wenn er aber durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung. Die Beschwerde ist beim Landesverwaltungsgericht einzubringen.
Beschwerden wegen Verletzung von Richtlinien für das Einschreiten
§89. (1) Insoweit mit einer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht die Verletzung einer gemäß §31 festgelegten Richtlinie behauptet wird, hat das Landesverwaltungsgericht sie der zur Behandlung einer Aufsichtsbeschwerde in dieser Sache zuständigen Behörde zuzuleiten.
(2) Menschen, die in einer binnen sechs Wochen, wenn auch beim Landesverwaltungsgericht (Abs1), eingebrachten Aufsichtsbeschwerde behaupten, beim Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von dem sie betroffen waren, sei eine gemäß §31 erlassene Richtlinie verletzt worden, haben Anspruch darauf, daß ihnen die Dienstaufsichtsbehörde den von ihr schließlich in diesem Punkte als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitteilt und sich hiebei zur Frage äußert, ob eine Verletzung vorliegt.
(3) Wenn dies dem Interesse des Beschwerdeführers dient, einen Vorfall zur Sprache zu bringen, kann die Dienstaufsichtsbehörde eine auf die Behauptung einer Richtlinienverletzung beschränkte Beschwerde zum Anlaß nehmen, eine außerhalb der Dienstaufsicht erfolgende Aussprache des Beschwerdeführers mit dem von der Beschwerde betroffenen Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu ermöglichen. Von einer Mitteilung (Abs2) kann insoweit Abstand genommen werden, als der Beschwerdeführer schriftlich oder niederschriftlich erklärt, klaglos gestellt worden zu sein.
(4) Jeder, dem gemäß Abs2 mitgeteilt wurde, daß die Verletzung einer Richtlinie nicht festgestellt worden sei, hat das Recht, binnen 14 Tagen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts zu verlangen, in dessen Sprengel das Organ eingeschritten ist; dasselbe gilt, wenn eine solche Mitteilung (Abs2) nicht binnen drei Monaten nach Einbringung der Aufsichtsbeschwerde ergeht. Das Landesverwaltungsgericht hat festzustellen, ob eine Richtlinie verletzt worden ist. "
2. Die Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien Verordnung – RLV), BGBl 266/1993, idF BGBl II 155/2012 lautet:
"Auf Grund des §31 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl Nr 566/1991, wird im Einvernehmen mit den Bundesministern für Justiz und für öffentliche Wirtschaft und Verkehr verordnet:
Aufgabenerfüllung
§1. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben innerhalb der Sicherheitsverwaltung (§2 Abs2 SPG) jene Aufgaben zu erfüllen, die im Rahmen des Exekutivdienstes, insbesondere durch die Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu besorgen sind. In anderen Bereichen der Verwaltung haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes solche Aufgaben auf Grund besonderer gesetzlicher Anordnung zu erfüllen.
(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben im Dienst ihre Aufgaben zu erfüllen, soweit dies auf Grund ihres Ausbildungsstandes und ihrer beruflichen Erfahrung von ihnen erwartet werden kann. Insoweit die Aufgabenerfüllung eine besondere Ausbildung erfordert (zB im Falle einer Geiselnahme, eines Gefahrengütertransportes oder einer Bedrohung mit Sprengstoff) und ein entsprechend ausgebildetes Organ nicht zur Stelle ist, haben andere Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nur einzuschreiten, wenn die erwarteten Vorteile sofortigen Handelns die Gefahren einer nicht sachgerechten Aufgabenerfüllung auf Grund besonderer Umstände überwiegen.
(3) Sofern sich nicht bereits auf Grund dienstrechtlicher Vorschriften die Verpflichtung außerhalb des Dienstes einzuschreiten ergibt, haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes diesfalls zur Erfüllung ihrer Aufgaben nur dann einzuschreiten, wenn sie erkennen, dass dies zur Abwehr einer gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Gefahr für Leben, Gesundheit, Freiheit von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß erforderlich, verhältnismäßig und ihnen dies nach den eigenen Umständen zumutbar ist. Im übrigen haben sie in Fällen, in denen Einschreiten durch Ausübung sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dringend geboten erscheint, die Sicherheitsbehörde hievon zu verständigen.
Führung
§2. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Vorgesetztenfunktion haben, soweit sie Amtshandlungen unmittelbar wahrnehmen, darauf zu achten, daß ihre Mitarbeiter diese Richtlinien bei der Erfüllung ihrer Aufgaben einhalten.
Eigensicherung
§3. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben auf die Vermeidung von Gefahren für sich selbst zu achten, die zur Aufgabenerfüllung nicht erforderlich oder unverhältnismäßig sind. Sie sind nicht verpflichtet, zum Schutze von Rechtsgütern anderer einzuschreiten, wenn die drohende Gefahr offenkundig und erheblich weniger schwer wiegt als die Gefährdung der eigenen körperlichen Sicherheit, die in Kauf zu nehmen wäre.
Freiwillige Mitwirkung oder Duldung
§4. Soll ein Mensch an einer Amtshandlung freiwillig mitwirken oder sie freiwillig dulden, so dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes diese Freiwilligkeit nur in Anspruch nehmen, wenn nach den Umständen des Falles kein Zweifel daran besteht, daß der Betroffene sich der Freiwilligkeit bewußt ist.
Achtung der Menschenwürde
§5. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben bei der Erfüllung ihrer Aufgaben alles zu unterlassen, das geeignet ist, den Eindruck von Voreingenommenheit zu erwecken oder als Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes, der Rasse oder Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses, der politischen Auffassung oder der sexuellen Orientierung empfunden zu werden.
(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben alle Menschen, bei denen dies dem üblichen Umgang entspricht oder die es verlangen, mit 'Sie' anzusprechen.
(3) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben dafür zu sorgen, daß die Durchsuchung eines Menschen (Durchsuchung der Kleidung und Besichtigung des Körpers) nur von jemandem desselben Geschlechtes oder von einem Arzt vorgenommen wird; dies gilt nicht, soweit ein hiezu erforderlicher Aufschub der Durchsuchung deren Zweck gefährden würde. Hievon ist die Durchsuchung von Kleidungsstücken ausgenommen, die nach den Umständen ohne Verletzung des Anstandes und ohne Verletzung anderer schutzwürdiger Interessen des Betroffenen abgelegt werden können.
Umgang mit Betroffenen
§6. (1) Wird ein Mensch von der Amtshandlung eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes betroffen, so gelten hiefür, sofern gesetzlich nicht anderes vorgesehen ist, folgende Richtlinien:
1. Dem Betroffenen ist bei der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt auf Verlangen mitzuteilen, welche Rechte ihm in dieser Eigenschaft jeweils zukommen; dies gilt nicht, solange dadurch die Erfüllung der Aufgabe gefährdet wäre. Soll eine Mitwirkungsverpflichtung des Betroffenen in Anspruch genommen werden, so ist er von deren Bestehen in Kenntnis zu setzen.
2. Dem Betroffenen ist der Zweck des Einschreitens bekanntzugeben, es sei denn, dieser wäre offensichtlich oder die Bekanntgabe würde die Aufgabenerfüllung gefährden.
3. Opfer von Straftaten sowie Menschen, die aus physischen oder psychischen Gründen nicht in der Lage sind, die Umstände der Amtshandlung zu erkennen oder sich diesen entsprechend zu verhalten, sind mit besonderer Rücksicht zu behandeln.
(2) Für Befragungen und Vernehmungen gilt zusätzlich:
1. Dem Betroffenen ist nach Möglichkeit zu gestatten, sich niederzusetzen.
2. Eine Frau, die sich über ein Geschehen aus ihrem privaten Lebensbereich äußern soll, im Zuge dessen sie von einem Mann mißhandelt oder schwer genötigt worden ist, ist von einer Frau zu befragen oder zu vernehmen, es sei denn, daß sie dies nach entsprechender Information nicht wünscht oder daß dies aufgrund besonderer Umstände die Aufgabenerfüllung gefährden würde. Sie ist vor der Befragung oder Vernehmung darauf hinzuweisen, daß auf ihren Wunsch der Befragung oder Vernehmung eine Person ihres Vertrauens beigezogen werde, es sei denn, daß dies aufgrund besonderer Umstände die Aufgabenerfüllung gefährden würde.
3. Unmündige sind von hiefür besonders geschulten Beamten oder sonst besonders geeigneten Menschen zu befragen oder zu vernehmen, es sei denn, daß dies nach dem Anlaß verzichtbar erscheint oder die Aufgabenerfüllung gefährden würde.
(3) Für Vernehmungen während einer Anhaltung gilt überdies:
1. Vernehmungen sind, außer bei Lokalaugenscheinen, in Diensträumen durchzuführen. Hievon kann eine Ausnahme gemacht werden, wenn dies zur Erreichung des Zwecks der Vernehmung erforderlich ist.
2. Länger andauernde Vernehmungen sind in angemessenen Zeiträumen für Pausen zu unterbrechen.
3. Über die Vernehmung ist eine Niederschrift anzufertigen, die auch die Namen (Dienstnummern) aller Anwesenden, die Zeiten der Vernehmungen und der Unterbrechungen sowie jeweils den Ort (Dienstraum), an dem die Vernehmung stattgefunden hat, enthalten muß. Soweit der Betroffene zustimmt, können dessen Aussagen statt durch Niederschrift oder zusätzlich mit einem Bild- oder Schallträger aufgezeichnet werden.
Ausübung von Zwangsgewalt
§7. (1) Wenn absehbar ist, daß es im Zuge einer Amtshandlung zur Ausübung verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt kommen wird, und zu befürchten ist, daß dadurch Unbeteiligte gefährdet werden, haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes diese davon in Kenntnis zu setzen, es sei denn, die Mitteilung würde die Erfüllung der Aufgabe gefährden.
(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben dafür zu sorgen, daß Menschen, in deren Rechte durch Zwangsgewalt eingegriffen wurde und die diesen Eingriff nicht unmittelbar wahrgenommen haben, hievon verständigt werden.
(3) Einer Verständigung gemäß Abs2 bedarf es nicht, wenn der Eingriff für den Betroffenen folgenlos geblieben ist, es sei denn, es handelt sich um das Betreten oder die Durchsuchung von Räumen oder es wäre gesetzlich anderes angeordnet.
Informationspflichten
§8. (1) Sofern das Gesetz einem Menschen ein Recht auf Verständigung oder Beiziehung einer Vertrauensperson oder eines Rechtsbeistandes einräumt, haben ihn die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes von diesem Recht in Kenntnis zu setzen
1. bei Festnahmen, Hausdurchsuchungen und Durchsuchungen nach §40 Abs4 SPG;
2. sobald abzusehen ist, daß die Amtshandlung länger als eine Stunde dauern wird.
(2) Ist der Betroffene nicht in der Lage, selbst eine Verständigung der Vertrauensperson oder des Rechtsbeistandes zu veranlassen, so ist er auch davon in Kenntnis zu setzen, daß er die Verständigung durch die Behörde verlangen kann.
(3) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben einen Angehaltenen, der von einem von der Behörde beauftragten Arzt untersucht werden soll, davon in Kenntnis zu setzen, daß es ihm freisteht, zu dieser Untersuchung auf seine Kosten einen Arzt seiner Wahl beizuziehen, sofern dies ohne wesentliche Verzögerungen der Untersuchung bewirkt werden kann.
Bekanntgabe der Dienstnummer
§9. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben von einer Amtshandlung Betroffenen auf deren Verlangen ihre Dienstnummer bekanntzugeben. Dies gilt nicht, solange dadurch die Erfüllung der Aufgabe gefährdet wäre. Die Bekanntgabe der Dienstnummer aus anderen Anlässen ist dem Organ freigestellt.
(2) Die Dienstnummer ist in der Regel durch Aushändigung einer mit der Dienstnummer, der Bezeichnung der Dienststelle und deren Telefonnummer versehenen Karte bekanntzugeben. Sofern gewährleistet ist, daß dem Betroffenen die Dienstnummer auf andere Weise unverzüglich zur Kenntnis gelangt, kann diese auch auf andere zweckmäßige Weise bekanntgegeben werden. Die zusätzliche Nennung seines Namens ist dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes freigestellt.
(3) Im Falle des gleichzeitigen Einschreitens mehrerer Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder einer geschlossenen Einheit kann die Auskunft (Abs1) auch der Kommandant erteilen. Er kann den Betroffenen, sofern er ihm seine eigene Karte aushändigt, hinsichtlich jener Organe, die gegen ihn eingeschritten sind, auf eine schriftliche Anfrage verweisen. Das einzelne Organ kommt seiner Verpflichtung (Abs1) auch dann nach, wenn es den Betroffenen an den Kommandanten verweist.
Dokumentation
§10. (1) Üben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt aus oder nehmen sie Freiwilligkeit in Anspruch (§4), so haben sie dafür zu sorgen, daß die für ihr Einschreiten maßgeblichen Umstände später nachvollzogen werden können. Soweit dies hiezu erforderlich ist, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch ermächtigt, Namen und Adressen von Menschen zu ermitteln, die über das Einschreiten Auskunft geben können.
(2) Im Falle des gleichzeitigen Einschreitens mehrerer Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder einer geschlossenen Einheit hat der Kommandant angemessene Vorkehrungen dafür zu treffen, daß nach Möglichkeit festgestellt werden kann, welches Organ im Einzelfall eingeschritten ist.
(3) Die bloß für Zwecke der Dokumentation vorgenommenen Aufzeichnungen über eine Amtshandlung sind nach sechs Monaten zu löschen. Kommt es innerhalb dieser Frist wegen der Amtshandlung zu Rechtsschutzverfahren, so sind die Aufzeichnungen erst nach Abschluß dieser Verfahren zu löschen. Regelungen, denen zufolge bestimmte Daten länger aufzubewahren sind, bleiben unberührt.
Inkrafttreten
§11. Diese Verordnung tritt mit 1. Mai 1993 in Kraft."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem vorliegenden Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Am 24. Jänner 2023 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) Festnahmeaufträge gemäß §34 Abs3 Z3 BFA VG gegenüber den Beschwerdeführern. Begründend führte das BFA aus, dass gegen die beiden Beschwerdeführer ein Auftrag zur Abschiebung gemäß §46 FPG erlassen werden soll. Gegen die Betroffenen bestehe seit 14. Dezember 2022 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung; die Frist zur freiwilligen Ausreise bis 28. Dezember 2022 sei ungenutzt verstrichen. Die Beschwerdeführer würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen und sich illegal im Bundesgebiet aufhalten; eine Abschiebung sei für den 27. Jänner 2023 in Aussicht gestellt.
1.2. In der Folge wurden die Beschwerdeführer am 24. Jänner 2023 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum in 1090 Wien gebracht. Am 25. Jänner 2023 brachten sie beim Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13. Dezember 2022 ein, mit welchem ihre Beschwerden gegen die negative Erledigung von Anträgen der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz abgewiesen wurden; unter einem wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Der Verfassungsgerichtshof erkannte am selben Tag die aufschiebende Wirkung zu, woraufhin die Beschwerdeführer aus der Haft entlassen wurden.
1.3. Mit am 8. März 2023 beim Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) eingelangtem Schriftsatz erhoben die (anwaltlich vertretenen) Beschwerdeführer sowohl eine Maßnahmenbeschwerde wegen Verletzung in Rechten durch Ausübung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt als auch eine Richtlinienbeschwerde wegen Verletzungen der RLV. In Bezug auf die Richtlinienverletzung wurden Verletzungen von Informationspflichten nach §6 Abs2 Z2 und §8 RLV sowie der Dokumentationspflicht gemäß §10 RLV vorgebracht. Das Verwaltungsgericht leitete den Schriftsatz, soweit damit eine Maßnahmenbeschwerde erhoben wurde, mit Verfügung vom 8. März 2023 gemäß §17 VwGVG iVm §6 Abs1 AVG an das Bundesverwaltungsgericht weiter (§7 Abs1 Z3 iVm §34 BFA VG). Die Eingabe, soweit damit eine Richtlinienbeschwerde erhoben wurde, übermittelte das Verwaltungsgericht mit Verfügung vom selben Tag an die Landespolizeidirektion Wien (im Folgenden: LPD Wien) als Dienstaufsichtsbehörde.
1.4. Die LPD Wien übermittelte den Beschwerdeführern gemäß §89 Abs2 SPG eine Sachverhaltsmitteilung vom 24. Mai 2023 und äußerte sich dahingehend, dass kein Verstoß gegen die RLV vorliege. Die Beschwerdeführer stellten daher innerhalb der vierzehntägigen Frist beim Verwaltungsgericht einen Antrag gemäß §89 Abs4 SPG.
2. Aus Anlass dieses Verfahrens sind beim Verwaltungsgericht Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Rechtsvorschriften entstanden. Die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, legt das Verwaltungsgericht wie folgt dar:
"1. Verstoß gegen Art131 Abs6 Satz 1 iVm Art131 Abs2 B VG
1.1. Art130 B VG regelt jene Zuständigkeiten, die den Verwaltungsgerichten von Verfassungs wegen zukommen. Die Z1 bis 3 des Abs1 bestimmen den Beschwerdegegenstand (nämlich Bescheid, Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sowie Verletzung der Entscheidungspflicht) und den Prüfungsmaßstab. Nach Art130 Abs2 Z1 B VG können durch Bundes- oder Landesgesetz sonstige Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Verwaltungsbehörde vorgesehen werden. Diese 'Verhaltensbeschwerde' hat – im Gegensatz zu den in Abs1 des Art130 B VG geregelten 'typengebundenen Verwaltungshandeln' der Z1 bis 3 – 'typenfreies' Verwaltungshandeln zum Gegenstand. Gegenstand einer Richtlinienbeschwerde ist das Verhalten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§5 SPG), das am Maßstab der gemäß §31 SPG erlassenen RLV zu messen ist (vgl Wiederin, Sicherheitspolizeirecht [1998] Rz 745 ff.; zur kompetenzrechtlichen Grundlage des §31 SPG siehe VfSlg 18.494/2008). Damit ist die Richtlinienbeschwerde eine 'Verhaltensbeschwerde' nach Art130 Abs2 Z1 B VG (VfSlg 19.986/2015).
Art131 B VG verteilt die in Art130 B VG vorgesehene generelle Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zwischen den Verwaltungsgerichten des Bundes und der Länder. Die Verteilung der Zuständigkeiten in Bezug auf die drei Haupttypen des Verwaltungshandelns (Art130 Abs1 Z1 bis 3 B VG) erfolgt in den Abs1 bis 5 des Art131 B VG. Der Abs6 des Art131 B VG regelt die Verteilung der Zuständigkeiten für den Fall, dass typenfreie Verhaltensbeschwerden nach Art130 Abs2 Z1 B VG einfachgesetzlich vorgesehen sind.
Gemäß Art131 Abs6 Satz 1 B VG ist maßgebliches Anknüpfungskriterium für typenfreie Verhaltensbeschwerden die Akzessorietät (Ziniel in Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/Zellenberg [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht [17. Lfg 2021] zu Art131/4 6 B VG Rz 31). Über typenfreie Verhaltensbeschwerden erkennen die in der jeweiligen Angelegenheit gemäß den Abs1 bis 4 des Art131 B VG zuständigen Verwaltungsgerichte. Die Zuständigkeit verläuft somit parallel zu jener für typengebundenes Handeln in der betroffenen Angelegenheit (VfSlg 19.986/2015; VwGH 25.6.2019, Ra 2017/19/0261).
Daraus folgt, dass die Zuständigkeit für typenfreie Verhaltensbeschwerden nach Art131 Abs1 bis 4 B VG zu ermitteln ist. Durch den Verweis auf Abs1 leg. cit. kommt zunächst die Generalklausel zugunsten der Verwaltungsgerichte der Länder zur Anwendung; aus den Abs2 und 3 leg cit kann sich eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes bzw des Bundesfinanzgerichtes ergeben. Durch den Verweis auf Abs4 leg cit ist gewährleistet, dass bei einer Zuständigkeitsänderung durch den Bundesgesetzgeber die Zuständigkeit für typenfreies Handeln jenen für typengebundenes folgt.
Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass durch diese Systematik des Art131 B VG geteilte Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungsgerichten der Länder und des Bundes in ein und derselben (kompetenzrechtlichen) Angelegenheit vermieden werden sollen (ErläutRV 1618 BIgNR 24. GP, 16). Eine Zuständigkeitsverschiebung durch Bundes- oder Landesgesetz allein für typenfreie Verhaltensbeschwerden ist nach der Systematik des Art131 B VG unzulässig (Ziniel in Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/Zellenberg [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht [17. Lfg 2021] zu Art131/4-6 B VG Rz 34).
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat festgehalten, dass in den Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung die Haupttypen des Verwaltungshandelns jedenfalls unter die Generalklausel des Art131 Abs1 B VG fallen und damit in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder, weil die Sicherheitsverwaltung weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt wird. Dieser Zuständigkeit folgt die Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Beschwerde wegen behaupteten Fehlverhaltens eines Organs nach §5 SPG in Ausübung der Sicherheitspolizei im Bereich der Sicherheitsverwaltung. Geht es hingegen etwa in einer Richtlinienbeschwerde um das Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Ausübung der Fremdenpolizei, so wäre in Anwendung dieses Systems, weil diese von Bundesbehörden vollzogen wird, gemäß Rückverweisung auf Art131 Abs2 B VG das Verwaltungsgericht des Bundes zuständig (VfSlg 19.986/2015).
1.3. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß Art131 Abs2 B VG ist gegeben, wenn kumulativ zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss eine bundesverfassungsrechtliche Ermächtigung (in Art102 Abs2 B VG oder einer anderen Verfassungsbestimmung) für die Besorgung einer Angelegenheit der Bundesvollziehung unmittelbar durch Bundesbehörden bestehen. Zweitens kommt es darauf an, ob der Bundesgesetzgeber eine solche Besorgung unmittelbar durch Bundesbehörden auch tatsächlich vorgesehen hat. In jenen Fällen, in denen eine Angelegenheit in Art102 Abs2 B VG genannt ist und der Materiengesetzgeber die Besorgung durch eine Bundesbehörde vorgesehen hat, liegen unmittelbare Bundesverwaltung und damit die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes vor (Eberhard in Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/Zellenberg [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht [18. Lfg 2023] zu Art131 Abs1 und 2 B VG Rz 7; ErläutRV 1618 BIgNR 24. GP 15; zB VwGH 24.06.2015, Ra 2015/04/0035; 12.10.2020, Ro 2019/10/0019).
1.4. Hinsichtlich der Angelegenheiten des 1. Hauptstücks des 2. Teiles des BFA VG und des 7. und 8. Hauptstücks des FPG ist die Zuständigkeit des BFA – einer Bundesbehörde im organisatorischen Sinn (§1 BFA G) – zur Vollziehung vorgesehen (siehe §3 Abs1 Z1 und 3 BFA-G). Diese Angelegenheiten werden demnach in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen. Die Durchführung einzelner vom BFA angeordneter bzw diesem zuzurechnender Maßnahmen – etwa von Abschiebungen sowie Anhaltungen nach §40 BFA VG – obliegt gemäß §5 BFA VG den Landespolizeidirektionen. Auch dabei handelt es sich um eine Vollziehung in unmittelbarer Bundesverwaltung.
Die Landespolizeidirektionen werden bei der Vollziehung von Angelegenheiten des 1. Hauptstücks des 2. Teiles des BFA VG und des 7. und 8. Hauptstücks des FPG nicht im Rahmen der Sicherheitsverwaltung tätig. Die Sicherheitsverwaltung ist kein Verfassungsbegriff, sondern wird einfachgesetzlich in §2 Abs2 SPG definiert (Wiederin, Sicherheitspolizeirecht [1998] Rz 737). Hiezu gehört unter anderem die Fremdenpolizei. Dieser Begriff ist mit dem in Art10 Abs1 Z7 B VG enthaltenen Kompetenztatbestand 'Fremdenpolizei' nicht deckungsgleich. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des SPG zählten etwa auch die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, deren Sicherung etwa durch Schubhaft und deren Durchsetzung durch Abschiebung zur Fremdenpolizei im Sinn des §2 Abs2 SPG, obwohl diese Angelegenheiten kompetenzrechtlich Art10 Abs1 Z3 B VG zuzuordnen sind. Mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz (FNG), BGBl I Nr 87/2012, und dem FNG Anpassungsgesetz, BGBl I Nr 68/2013, wurden die Angelegenheiten der Fremdenpolizei durch eine abschließende Aufzählung neu definiert. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen, deren Sicherung durch Schubhaft und deren Durchsetzung durch Abschiebung sind nicht Fremdenpolizei iSd FPG. Der Begriff der Fremdenpolizei nach §2 Abs2 SPG ist vor dem Hintergrund dieser einfachgesetzlichen Rechtslage zu verstehen. Daher gehören aufenthaltsbeendende Maßnahmen, deren Sicherung durch Schubhaft und deren Durchsetzung durch Abschiebung nicht mehr zur Sicherheitsverwaltung iSd SPG (siehe VwGH 17.11.2016, Ro 2016/21/0016).
In Art102 Abs2 B VG ist die (kompetenzrechtliche) Angelegenheit 'Aufenthaltsverbot, Ausweisung und Abschiebung' genannt und kann unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Kompetenzrechtlich sind aufenthaltsbeendende Maßnahmen, deren Sicherung durch Schubhaft und deren Durchsetzung durch Abschiebung der Angelegenheit 'Aufenthaltsverbot, Ausweisung und Abschiebung' iSv Art10 Abs1 Z3 vierter Tatbestand bzw Art102 Abs2 vierter Tatbestand B VG zuzuordnen (siehe hiezu Wiederin in Korinek/Holoubek/Bezemek/Fuchs/Martin/Zellenberg [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht [10. Lfg 2011] zu Art10 Abs1 Z3 4. Tatbestand B VG Rz 6 ff.). Der einfache Bundesgesetzgeber hat von der bundesverfassungsgesetzlichen Ermächtigung Gebrauch gemacht und die Vollziehung des 1. Hauptstücks des 2. Teiles des BFA VG und des 7. und 8. Hauptstücks des FPG dem BFA übertragen (§3 Abs1 Z1 und 3 BFA-G). Somit ist idZ gemäß Art131 Abs2 B VG die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes gegeben (siehe VwGH 17.11.2016, Ro 2016/21/0016).
Entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach Art131 Abs2 B VG hat der Bundesgesetzgeber in §7 Abs1 Z3 BFA VG die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes für Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG vorgesehen.
1.5. Wie oben […] dargelegt, folgt die sachliche Zuständigkeit für typenfreie Verhaltensbeschwerden gemäß Art131 Abs6 B VG der Zuständigkeit für Beschwerden bezüglich typengebundenem Handeln in der jeweils betroffenen Angelegenheit. Sofern es daher in einer Richtlinienbeschwerde, bei der es sich verfassungsrechtlich um eine 'Verhaltensbeschwerde' iSv Art130 Abs2 Z1 B VG handelt, um das behauptete Fehlverhalten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Zusammenhang mit der Vollziehung des 1. Hauptstücks des 2. Teiles des BFA VG und des 7. und 8. Hauptstücks des FPG geht, kann gemäß Art131 Abs6 Satz 1 iVm Art131 Abs2 B VG ausschließlich das Bundesverwaltungsgericht zuständig gemacht werden.
Gemäß §89 Abs4 SPG sind jedoch ausdrücklich nur die Landesverwaltungsgerichte sachlich zuständig, ab einem entsprechenden Entscheidungsverlangen über Richtlinienbeschwerden zu erkennen. Im Anlassfall hat dies zur Konsequenz, dass für die Maßnahmenbeschwerde gemäß §7 Abs1 Z3 BFA VG (verfassungskonform) das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist; hingegen ist für die Richtlinienbeschwerde gemäß §89 Abs4 SPG (verfassungswidriger Weise) das Verwaltungsgericht Wien zuständig. Dies obwohl beiden Beschwerden derselbe Lebenssachverhalt im Zuge einer Festnahme gemäß §34 Abs3 Z3 BFA VG zugrunde liegt. Dies widerspricht offenkundig der Intention des Verfassungsgesetzgebers, wonach mit der Systematik des Art131 B VG geteilte Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungsgerichten der Länder und des Bundes in ein und derselben Angelegenheit vermieden werden sollen (ErläutRV 1618 BIgNR 24. GP, 16).
1.6. Eine einschränkende (verfassungskonforme) Auslegung des §89 Abs4 SPG dahingehend, dass Richtlinienbeschwerden nur im Bereich der Sicherheitsverwaltung gemäß §2 Abs2 SPG oder nur in Zusammenhang mit Angelegenheiten, welche nicht in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden, erhoben werden können, scheidet nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes Wien – insbesondere aus verfassungsrechtlichen Erwägungen – aus […].
1.7. Im Ergebnis verstößt §89 Abs4 SPG somit gegen Art131 Abs6 Satz 1 iVm Art131 Abs2 B VG.
2. Verstoß gegen Art18 Abs1 iVm Art83 Abs2 B VG
2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zu Beschwerden gemäß §88 Abs2 SPG festgehalten, dass eine sich in Hinblick auf §2 Abs2 SPG ergebende Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte für Angelegenheiten, die nicht von den Sicherheitsbehörden, sondern vom BFA in Unterordnung unter den Bundesminister für Inneres und daher in unmittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, nicht mit Art131 B VG in Einklang zu bringen wäre. Der Begriff 'Sicherheitsverwaltung' in §88 Abs2 SPG ist daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dieser solche Zuständigkeiten nicht mitumfasst (VwGH 25.6.2019, Ra 2017/19/0261).
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob auch §89 Abs4 SPG einer einschränkenden Auslegung dahingehend zugänglich ist, dass bei behaupteten Richtlinienverletzungen in Zusammenhang mit Angelegenheiten, welche nicht von den Sicherheitsbehörden, sondern vom BFA in unmittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, keine Richtlinienbeschwerde zulässig ist. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes Wien scheidet eine derartige einschränkende Auslegung des §89 Abs4 SPG auf Grund folgender Erwägungen aus:
2.2. In §89 SPG findet sich – im Gegensatz zu §88 Abs2 SPG – kein Verweis auf den Begriff 'Sicherheitsverwaltung'. Dies steht im Einklang mit der Verordnungsermächtigung des §31 SPG, auf deren Basis die RLV im Einvernehmen mit den Bundesministern für Justiz und für öffentliche Wirtschaft und Verkehr (siehe §31 Abs3 SPG) erlassen wurde. Der Anwendungsbereich der RLV beschränkt sich nicht auf den Bereich der Sicherheitsverwaltung (siehe Wiederin, Sicherheitspolizeirecht [1998] Rz 403 ff.; Tanner/Vogl, Sicherheitspolizeigesetz 2 [2013] §31 Anm. 6 f.; VfSlg 18.494/2008). So sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Amtshandlungen im Dienste der Strafjustiz ('Kriminalpolizei' iSd §18 Abs1 Strafprozessordnung 1975) vom Anwendungsbereich der RLV erfasst (zB VwGH 13.10.2015, Ra 2015/01/0166; 31.8.2020, Ra 2019/01/0135; ferner VwGH 17.9.2022, 2000/01/0325; vgl idZ auch VfSlg 19.991/2015).
Die RLV gilt sowohl in Angelegenheiten, die im Zeitpunkt der Verordnungserlassung am 1.5.1993 in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Inneres oder eines das Einvernehmen erklärenden Ministers gefallen sind, als auch in Bereichen, die diesen Ministern in der Folge zugewachsen sind (siehe Wiederin, Sicherheitspolizeirecht [1998] Rz 405). Die Vollziehung des 1. Hauptstücks des 2. Teiles des BFA VG und des 7. und 8. Hauptstücks des FPG fallen in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministers für Inneres. Darüber hinaus zählten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des SPG am 1.5.1993 die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, deren Sicherung etwa durch Schubhaft und deren Durchsetzung durch Abschiebung zur Fremdenpolizei iSd §2 Abs2 SPG und fielen somit auch in den Bereich der Sicherheitsverwaltung […].
Vor diesem Hintergrund ist das Verwaltungsgericht Wien der Auffassung, dass die RLV von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Zusammenhang mit der Vollziehung des 1. Hauptstücks des 2. Teiles des BFA VG und des 7. und 8. Hauptstücks des FPG zu beachten ist. Damit erfasst die RLV auch das Verhalten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Zusammenhang mit Angelegenheiten, welche nicht von den Sicherheitsbehörden, sondern vom BFA in unmittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden.
Die Möglichkeit, sich gegen das Verhalten der Sicherheitsexekutive in Form einer Richtlinienbeschwerde nach §89 Abs4 SPG an die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zu wenden, bestand seit 1.5.1993. Seit 1.1.2014 sind die Landesverwaltungsgerichte zur Entscheidung über Richtlinienbeschwerden zuständig. Der Verfassungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass es sich um eine Klarstellung des Gesetzgebers in dem Sinn handelte, dass die bisherige Kompetenz der unabhängigen Verwaltungssenate, über Beschwerden gegen Richtlinienverletzungen zu entscheiden, nunmehr von den Verwaltungsgerichten wahrzunehmen ist. Dies stellt keine Begründung einer neuen Zuständigkeit, die eine Zustimmung der Länder nach Art130 Abs2 letzter Satz B VG erforderlich gemacht hätte, dar (VfSlg 19.986/2015).
Die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes legen nahe, dass sich die Zuständigkeit, über Beschwerden gegen Richtlinienverletzungen zu entscheiden, durch die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht geändert hat. Die Unabhängigen Verwaltungssenate waren zweifellos zuständig, über das behauptete Fehlverhalten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Zusammenhang mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, deren Sicherung durch Schubhaft und deren Durchsetzung durch Abschiebung zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht Wien ist daher der Auffassung, dass auch die Landesverwaltungsgerichte nach der Intention des Gesetzgebers nach wie vor gemäß §89 Abs4 SPG zuständig sind, über derartige Richtlinienbeschwerden zu erkennen (vgl ErläutRV 2211 BIgNR 24. GP, 8 zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz-Inneres, BGBl I Nr 161/2013).
2.3. Eine einschränkende Auslegung des §89 Abs4 SPG dahingehend, dass bei behaupteten Richtlinienverletzungen in Zusammenhang mit Angelegenheiten, welche nicht von den Sicherheitsbehörden, sondern vom BFA in unmittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, keine Richtlinienbeschwerde zulässig ist, scheidet auch auf Grund verfassungsrechtlicher Überlegungen aus.
Das Legalitätsprinzip des Art18 Abs1 iVm Art83 Abs2 B VG verpflichtet den Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl zB VfSlg 9937/1984, 10.311/1984, 13.029/1992, 13.816/1994, 16.794/2003, 17.086/2003, 18.639/2008, 19.991/2015) gerade in Bezug auf die Behörden- und Gerichtszuständigkeit zu einer präzisen, strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden Regelung. Eine Zuständigkeitsfestlegung muss klar und unmissverständlich sein (VfSlg 19.965/2015), und zwar derart, dass es keiner subtilen und komplizierten Auslegung (mehr) bedarf, um die vom Gesetzgeber gewollte Kompetenz der Behörden ermitteln zu können. Im Interesse der Rechtsschutz suchenden Bevölkerung sind Regelungstechniken, die besondere Unsicherheit in der Frage nach der zuständigen Behörde entstehen lassen, verfassungsgesetzlich verpönt (zB VfSlg 9937/1984, 12.883/1991, 18.639/2008, 20.221/2017).
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen würde §89 Abs4 SPG bei einer einschränkenden Auslegung, wonach bei behaupteten Richtlinienverletzungen in Zusammenhang mit Angelegenheiten, welche nicht von den Sicherheitsbehörden, sondern vom BFA in unmittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, keine Richtlinienbeschwerde zulässig ist, nicht genügen. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes Wien könnte bei einem derartigen Verständnis des §89 Abs4 SPG nicht von einer klaren und unmissverständlichen Zuständigkeitsregelung gesprochen werden. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten keine Anwaltspflicht besteht und die Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung einer Richtlinienbeschwerde ein Kostenrisiko trifft (siehe §53 iVm §35 VwGVG und §1 der VwG Aufwandersatzverordnung).
2.4. Sofern §89 Abs4 SPG dahingehend einschränkend auszulegen ist, dass bei behaupteten Richtlinienverletzungen in Zusammenhang mit Angelegenheiten, welche nicht von den Sicherheitsbehörden, sondern vom BFA in unmittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, keine Richtlinienbeschwerde zulässig ist, verstößt die Zuständigkeitsregelung gegen Art18 Abs1 iVm Art83 Abs2 B VG."
(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt und im Übrigen auf die im Gesetzesprüfungsverfahren zu G154/2014 abgegebene Stellungnahme verweist:
"[…] Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:
[…]
Vor diesem Hintergrund sind die Eventualanträge nach Auffassung der Bundesregierung unzulässig:
[…] Die Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichtes richten sich ausschließlich gegen die in §89 Abs4 SPG vorgesehene sachliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder. Die Aufhebung des §89 SPG zur Gänze bzw der §§89 und 31 SPG wird eventualiter (nur) für den Fall beantragt, dass der Verfassungsgerichtshof der Auffassung sein sollte, dass zwischen §89 Abs4 SPG und den genannten Bestimmungen ein untrennbarer Zusammenhang bestehen sollte. Worin der konkrete Regelungszusammenhang zwischen dem nach Auffassung des antragstellenden Gerichts den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden §89 Abs4 SPG und den eventualiter angefochtenen Bestimmungen bestehen soll, wird jedoch nicht ausgeführt.
[…] Ein solcher konkreter Regelungszusammenhang liegt nach Auffassung der Bundesregierung auch nicht vor:
[…] Wenngleich die Aufhebung des §89 Abs4 SPG zur Folge hätte, dass der Beschwerdeführer nicht mehr die Feststellung einer Richtlinienverletzung durch das Landesverwaltungsgericht erwirken könnte, stünde betroffenen Personen weiterhin die Möglichkeit offen, eine Aufsichtsbeschwerde – gemäß §89 Abs1 SPG auch beim Landesverwaltungsgericht – einzubringen und die zuständige Dienstaufsichtsbehörde träfe weiterhin die Pflicht gemäß §89 Abs2 SPG, sich zur behaupteten Verletzung zu äußern. Ebenso bestünde weiterhin die Möglichkeit der Aussprache gemäß §89 Abs3 SPG, durch welche im Fall des positiven Abschlusses der Konflikt bereinigt und die betroffene Person klaglos gestellt werden könnte. Die in §89 Abs1 bis 3 SPG vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen daher unabhängig von der angefochtenen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über eine Richtlinienverletzung.
Auch die Bezugnahme auf das Landesverwaltungsgericht in §89 Abs1 und 2 SPG begründet keinen untrennbaren Regelungszusammenhang: Diese Bestimmungen normieren lediglich eine zweite mögliche Einbringungsstelle für die Aufsichtsbeschwerde; eine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes zur Entscheidung über die Richtlinienverletzung wird damit jedoch nicht begründet (vgl VfSlg 19.986/2015, 20.473/2021).
[…] Auch zwischen §89 und §31 SPG ist kein so konkreter Regelungszusammenhang ersichtlich, dass im Fall des Zutreffens der Bedenken eine Aufhebung auch des §31 SPG (sowie der auf dessen Grundlage ergangenen Verordnung) erforderlich sein könnte (so implizit wohl auch bereits der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.986/2015 Rz 23, wonach der Anfechtungsumfang nicht zu eng gewählt wurde).
Die Richtlinien gemäß §31 SPG würden weiterhin Pflichten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorsehen. Im Fall der Aufhebung von (Teilen des) §89 SPG stünden lediglich die dort normierten (besonderen) Rechtsschutzmöglichkeiten nicht mehr zur Verfügung.
[…] Aus diesen Gründen sind die Eventualanträge nach Auffassung der Bundesregierung zu weit gefasst.
Der Bundesregierung sind hingegen keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des Hauptantrages sprächen.
[…] In der Sache:
[…]
1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art131 Abs6 B VG:
[…] Das Verwaltungsgericht Wien hegt im Wesentlichen das Bedenken, dass die in §89 Abs4 SPG normierte generelle Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte für die Feststellung, ob eine Richtlinie gemäß §31 SPG verletzt wurde, insofern gegen Art131 Abs6 B VG verstößt, als es sich bei der Vollziehung von Angelegenheiten des 1. Hauptstückes des 2. Teiles des BFA VG und des 7. und 8. Hauptstückes des FPG um unmittelbare Bundesverwaltung handle und zur Entscheidung über Verhaltensbeschwerden in diesem Zusammenhang das Bundesverwaltungsgericht zuständig sein müsse.
[...] Die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, deren Sicherung durch Schubhaft sowie deren Durchsetzung durch Abschiebung obliegen dem BFA und somit einer Bundesbehörde; diese Maßnahmen gehören folglich nicht (mehr) zur Sicherheitsverwaltung iSd. §2 Abs2 SPG. Dem antragstellenden Verwaltungsgericht ist daher insofern beizupflichten, als diese Angelegenheiten in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden.
[…]
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Richtlinienbeschwerde gemäß §89 Abs4 SPG insofern ein Sonderfall der Verhaltensbeschwerde gemäß Art130 Abs2 Z1 B VG ist, als sie […] nicht auf Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung beschränkt ist, sondern sich materienübergreifend auf sämtliche Wirkungsbereiche des Bundesministers für Inneres und jener Bundesminister, mit deren Einvernehmen (§31 Abs3 SPG) die Richtlinienverordnung erlassen wurde, erstreckt, in denen ein Einschreiten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorgesehen ist. Die Richtlinienbeschwerde gemäß §89 Abs4 SPG ist beispielsweise auch in Fällen zulässig, in denen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Dienste der Strafjustiz (VwGH 31.8.2020, Ra 2019/01/0135; VwGH 17.10.2017, Ra 2017/01/0309) oder – wie im Anlassverfahren – im Wirkungsbereich des BFA einschreiten. Die Richtlinien gemäß §31 SPG sollen – im Sinne eines Berufspflichtenkodex – das Verhalten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einheitlich und unabhängig von den vollzogenen Verwaltungsvorschriften regeln.
In jenem Umfang, in dem sich die Richtlinien bzw die Richtlinienbeschwerde nicht auf die Angelegenheiten des 'inneren Dienstes' und damit den Kompetenztatbestand des Art10 Abs1 Z14 B VG, sondern auf die jeweilige Kompetenzgrundlage der von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu vollziehenden Verwaltungsvorschriften stützen (vgl VfSlg 18.494/2008), könnten gemäß Art131 Abs6 erster Satz B VG – abhängig von der im Einzelfall vollzogenen Angelegenheit – entweder die Verwaltungsgerichte der Länder oder das Verwaltungsgericht des Bundes zuständig sein (idS wohl auch VfSlg 19.986/2015). In einem solchen Fall sprechen – vor dem Hintergrund des speziellen materienübergreifenden Charakters der Richtlinien und der Generalklausel des Art131 Abs6 zweiter Satz B VG – die besseren Argumente für eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder […].
[…] Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 24. Juni 2015, G193/2014 ua, zwei Gesetzesprüfungsanträge des Verwaltungsgerichts Wien auf Aufhebung des §89 Abs4 SPG wegen im Kern ähnlicher Bedenken – nämlich der behaupteten Verfassungswidrigkeit der in §89 Abs4 SPG normierten Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder auch im Zusammenhang mit Angelegenheiten, die in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden – abgewiesen (vgl VfSlg 19.986/2015). Nach Auffassung der Bundesregierung kann es für die Beurteilung der Verfassungskonformität (der generellen Norm) des §89 Abs4 SPG jedoch nicht darauf ankommen, ob es sich im Anlassfall um eine Angelegenheit der Sicherheitsverwaltung oder um eine solche handelt, die in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen wird, zumal eine präjudizielle Norm unabhängig von den Auswirkungen auf den Anlassfall zu prüfen ist (vgl VfSlg 14.798/1997, 11.190/1986, 17.013/2003).
[…] Die Bundesregierung geht daher davon aus, dass die in §89 Abs4 SPG vorgesehene Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder zur Entscheidung über Richtlinienbeschwerden nicht verfassungswidrig ist.
2. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art18 B VG iVm. Art83 Abs2 B VG:
[…] Das Verwaltungsgericht Wien bringt vor, dass §89 Abs4 SPG einschränkend dahingehend ausgelegt werden könnte, dass die Richtlinienbeschwerde dann nicht zulässig sei, wenn sie sich auf ein Verhalten der Sicherheitsexekutive bezieht, das im Zusammenhang mit Angelegenheiten steht, welche von einer Bundesbehörde in unmittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden. Bei einer derartigen Auslegung des §89 Abs4 SPG liege keine klare und unmissverständliche Zuständigkeitsregelung vor, weshalb die Bestimmung gegen Art18 iVm. Art83 Abs2 B VG verstoße.
[…] Nach Auffassung der Bundesregierung ist die im Antrag erwogene Auslegung des §89 Abs4 SPG angesichts der klaren Rechtslage ausgeschlossen […], weshalb sich nähere Ausführungen zur in diesem Zusammenhang behaupteten Verfassungswidrigkeit erübrigen."
(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
4. Der Bundesminister für Inneres hat den Verordnungsakt vorgelegt und zur RLV die folgende Äußerung erstattet:
"1. Wie bereits […] angeführt, beantragt das VwG Wien mit seinem zweiten Eventualantrag die Aufhebung der §§6, 8 und 10 der RLV für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof die Auffassung vertritt, dass §89 SPG mit §31 SPG und den §§6, 8 und 10 der RLV eine untrennbare Einheit bildet. Mit seinem dritten Eventualantrag beantragt das VwG Wien die Aufhebung der RLV zur Gänze für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof von einem konkreten Regelungszusammenhang sämtlicher in der RLV festgelegten Richtlinien ausgeht.
2. Vorweg ist festzuhalten, dass gemäß §57 Abs1 VfGG ein Antrag gemäß Art139 B VG die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen hat. Das VwG Wien begründet den Antrag auf Aufhebung der §§6, 8, und 10 der RLV bzw der RLV zur Gänze jedoch weder in Abschnitt IV ('Bedenken') seines Aufhebungsantrags noch an anderer Stelle. Es werden keine konkreten Bedenken angeführt, die gegen die Gesetzmäßigkeit der mit den Eventualanträgen mitangefochtenen Bestimmungen der §§6, 8 und 10 RLV bzw der RLV zur Gänze sprechen würden. So bemängelt das VwG Wien in seinem Antrag die Bestimmungen selbst nicht, sondern nur die generelle Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte für Beschwerden gemäß §89 SPG. Ausführungen zur Gesetzeswidrigkeit der §§6, 8 und 10 der RLV bzw der RLV zur Gänze sowie eines untrennbaren Zusammenhangs zwischen diesen Bestimmungen mit jener, die im Hauptantrag angefochten wurde (§89 Abs4 SPG), fehlen hingegen zur Gänze.
Abschnitt III.2 des Aufhebungsantrags ('Anfechtungsumfang') führt ebenfalls keine konkreten Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der RLV aus, sondern stellt bloß in den Raum, dass §31 SPG und die RLV in einem untrennbaren Regelungszusammenhang mit dem im Hauptantrag angefochtenen – im anhängigen Verfahren G533/2023 zu prüfenden – §89 Abs4 SPG stehen könnten, ohne dies in weiterer Folge zu begründen. Soweit das VwG Wien in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass die einzelnen Regelungsinhalte des §31 SPG auf jeweils unterschiedlichen Kompetenztatbeständen des Art10 B VG beruhen und dies auch Auswirkungen auf den Anwendungsbereich einzelner Bestimmungen der RLV haben könne, genügt ein Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 21.6.2008, VfSlg 18.494/2008, wonach kompetenzrechtliche Bedenken weder gegen Abs1 noch gegen Abs2 des §31 SPG bestehen.
Mangels konkreter Bedenken des VwG Wien, die gegen die Gesetzmäßigkeit der mitangefochtenen Bestimmungen bzw der RLV an sich sprechen würden, beschränken sich daher die nachstehenden Ausführungen auf eine allgemeine Darlegung der Gesetzmäßigkeit der RLV.
3. Prüfungsmaßstab einer Verordnung, die in Durchführung einer gesetzlichen Bestimmung ergeht, sind nicht unmittelbar verfassungsrechtliche Normen, sondern ausschließlich ihre einfachgesetzliche Verordnungsermächtigung, der sie zu entsprechen hat ('Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhalts durch das Gesetz', vgl VfSlg 11.859/1988, 20.066/2016 mwN). Im Folgenden wird dargelegt werden, dass die RLV (sowie insbesondere deren §§6, 8 und 10) im vorliegenden Fall zweifelsohne im Einklang mit der zugrundeliegenden Ermächtigungsbestimmung steht und daher jedenfalls als gesetzmäßig zu qualifizieren ist.
4. Eine Durchführungsverordnung ist dann gesetzwidrig, wenn sie keine Grundlage in einem formellen Gesetz hat, zum Zeitpunkt ihrer Erlassung von einer unzuständigen Behörde angeordnet wurde oder allenfalls bestehende Verfahrensregeln nicht eingehalten wurden (Mayer/Muzak, B VG 5 [2015] Art139 B VG II.2; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10 [2007] Rz 1109). Zu diesen Voraussetzungen für die Gesetzeskonformität ist Folgendes festzuhalten:
4.1. Entsprechend ihrer Natur als Durchführungsverordnung darf die RLV gemäß Art18 Abs2 B VG nur 'auf Grund der Gesetze' in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs erlassen werden. Dieser Wendung ist das an den Gesetzgeber gerichtete (Bestimmtheits )Gebot zu entnehmen, ausreichend determinierte gesetzliche Grundlagen für derartige Verordnungen zu schaffen, welche den Inhalt genau vorbestimmen (vgl VfSlg 11.859/1988, 20.066/2016 mwN). Es genügt sohin nicht, dass die Behörde lediglich allgemein zur Regelung einer Angelegenheit durch Verordnung ermächtigt ist. Das aus dem Legalitätsprinzip des Art18 Abs1 B VG ableitbare Verbot der staatlichen Verwaltung, ohne gesetzliche Grundlage tätig zu werden, erstreckt sich auf diese Weise auch auf die verwaltungsbehördliche Rechtsetzung, sodass diesbezüglich derselbe Maßstab ('aufgrund der Gesetze') hinsichtlich des Determinierungserfordernisses gilt. Durchführungsverordnungen selbst dürfen diese Grundlagen in weiterer Folge lediglich präzisieren (Mayer/Muzak, B VG 5 [2015] Art18 B VG I.1; vgl VfSlg 11.072/1986, 11.547/1987, 11.639/1988 mwN). Der Inhalt selbst muss durch das Gesetz vorbestimmt sein (vgl Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10 , Rz 598).
4.2. §31 Abs1 SPG bildet die gesetzliche Grundlage der RLV und legt fest, dass der Bundesminister für Inneres durch Verordnung Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zweck der Sicherstellung eines wirkungsvollen einheitlichen Vorgehens und zur Minderung der Gefahr eines Konfliktes mit Betroffenen zu erlassen hat. Dadurch ist die erforderliche Grundlage in einem formellen Gesetz gegeben. §31 Abs2 SPG legt hierbei die Regelungsinhalte in demonstrativer Aufzählung fest, die durch die Richtlinien abzudecken sind. Innerhalb des Rahmens dieser gesetzlichen Vorgaben sieht die RLV unter anderem Ankündigungs-, Informations- und Verständigungspflichten gegenüber dem von einer Amtshandlung Betroffenen, interne Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, allgemeine Verhaltenspflichten für den Umgang mit Betroffenen und Beaufsichtigungspflichten für Vorgesetzte von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vor.
Da der Inhalt der RLV bereits durch das Gesetz (§31 Abs2 SPG) vorausbestimmt ist und die RLV diesen Inhalt lediglich präzisiert, erweist sich die gesetzliche Grundlage der RLV als ausreichend determiniert iSd Art18 Abs2 B VG.
4.3. Hinsichtlich der Einschränkung der Erlassung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs wird ausgeführt, dass §31 SPG den Bundesminister für Inneres zur Erlassung gegenständlicher Verordnung verpflichtet und dadurch (so nicht von der Ermächtigung nach §31 Abs3 SPG Gebrauch gemacht wird) grundsätzlich der Wirkungsbereich entsprechend auf jenen des Bundesministers für Inneres einschränkt. §31 Abs3 SPG sieht jedoch explizit vor, dass die Verordnung – sofern sie auch im Wirkungsbereich anderer betroffener Bundesminister Geltung haben soll – im Einvernehmen mit diesen Bundesministern erlassen werden kann. Die Verordnung BGBl Nr 266/1993 wurde vom Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz und dem Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr erlassen, weshalb der Verordnung auch im Wirkungsbereich dieser Bundesminister zum Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung Geltung zukommt. Auch in dieser Hinsicht entspricht die RLV daher der gesetzlichen Grundlagen des §31 SPG.
4.4. §31 SPG sieht als einfaches Gesetz explizit den Bundesminister für Inneres als zur Erlassung der Verordnung zuständig vor. Da die RLV durch den Bundesminister für Inneres – wenn auch optional im Einvernehmen mit anderen Bundesministern – erlassen wurde, ist auch die Voraussetzung der Erlassung durch eine zuständige Behörde erfüllt.
4.5. Zur Voraussetzung bezüglich der Einhaltung bestehender Verfahrensregeln wird angeführt, dass bei der Erlassung der RLV nicht gegen allfällige Verfahrensregeln verstoßen wurde, da sie vorschriftsgemäß und ohne formelle Mängel gemäß §2 Abs1 litf. des Bundesgesetzblattgesetzes 1985, BGBl Nr 200/1985 (hinsichtlich der Stammfassung BGBl Nr 266/1993), bzw gemäß §4 Abs1 Z2 des Bundesgesetzblattgesetzes (BGBlG), BGBl I Nr 100/2003 (hinsichtlich der Änderungsverordnung BGBl II Nr 155/2012), im Bundesgesetzblatt kundgemacht wurde. Weil auch keine Divergenz zwischen der Kundmachung und dem normativen Inhalt der gegenständlichen Verordnung besteht, liegt zudem kein materieller Kundmachungsmangel vor."
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Das Verfahren über eine Richtlinienbeschwerde sieht vor, dass das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht zunächst nur die Verpflichtung trifft, für den Fall, dass eine Beschwerde eingebracht wurde, diese der zuständigen Dienstaufsichtsbehörde zuzuleiten (§89 Abs1 SPG); eine Zuständigkeit zur Entscheidung über die behauptete Richtlinienverletzung kommt ihr in diesem Stadium des Verfahrens (noch) nicht zu. Erst ab einem Entscheidungsverlangen gemäß §89 Abs4 erster Satz SPG besteht die Verpflichtung zur Entscheidung, ob das Verhalten des Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Richtlinie verletzt hat.
Im Anlassverfahren haben die Beschwerdeführer die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes über das Vorliegen von Richtlinienverletzungen verlangt (s Pkt. III.1.4.), weshalb das antragstellende Gericht §89 Abs4 SPG, den es im Hauptantrag angefochten hat, jedenfalls anzuwenden hat. Die Bestimmung des §89 Abs4 SPG ist daher präjudiziell.
1.3. Die vom Verwaltungsgericht dargelegten Bedenken richten sich im Kern gegen die in §89 Abs4 SPG vorgesehene generelle sachliche Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte für Richtlinienbeschwerden. Diese Zuständigkeit bestehe nach dem Wortlaut der Bestimmung unabhängig davon, ob das monierte Fehlverhalten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zusammenhang mit einer Angelegenheit der Vollziehung des Bundes stehe, die unmittelbar von einer Bundesbehörde besorgt werde. Diese im SPG normierte Zuständigkeitsregelung verstoße daher gegen Art131 Abs6 erster Satz iVm Art131 Abs2 B VG.
1.4. Zuständigkeitsbegründende Norm für die Entscheidung über Richtlinienbeschwerden ist §89 Abs4 SPG. Diese Bestimmung normiert ausdrücklich eine Entscheidungspflicht der Landesverwaltungsgerichte (vgl VfSlg 19.986/2015). Daher genügt es, vor dem Hintergrund der im Antrag dargelegten Bedenken §89 Abs4 SPG anzufechten. Auch nach Ansicht der Bundesregierung sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des Hauptantrages sprächen.
1.5. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der (Haupt )Antrag hinsichtlich der Aufhebung des §89 Abs4 SPG als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.2. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
2.2.1. Gemäß §31 Abs1 SPG hat der Bundesminister für Inneres zur Sicherstellung eines wirkungsvollen einheitlichen Vorgehens und zur Minderung der Gefahr eines Konfliktes mit Betroffenen durch Verordnung Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu erlassen (vgl VfSlg 18.494/2008 zur kompetenzrechtlichen Grundlage der Verordnungsermächtigung). Auf Grundlage dieser Verordnungsermächtigung wurde mit BGBl 266/1993 die Richtlinien-Verordnung (RLV), die mit 1. Mai 1993 in Kraft trat, erlassen. Der Anwendungsbereich der als "Berufspflichtenkodex" erlassenen RLV und auch der daran anknüpfenden Richtlinienbeschwerde sollte nach dem Willen des Gesetzgebers auch in Bereichen außerhalb der Sicherheitsverwaltung Geltung haben (Erläut zur RV 148 BlgNR 18. GP, 38; vgl auch Hauer / Keplinger , Sicherheitspolizeigesetz 4 , 2011, §31 Anm. 4.1. und §89 Anm. 4 mwN). Für diesen Fall normiert §31 Abs3 SPG, dass die Verordnung durch den Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit den in ihrem Wirkungsbereich berührten Bundesministern zu erlassen ist. Die RLV erging schließlich im Einvernehmen mit den Bundesministern für Justiz und für öffentliche Wirtschaft und Verkehr (nunmehr: Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie), sodass sie auch bei der Vollziehung jener Rechtsvorschriften zu beachten ist, die in den Wirkungsbereich der genannten Bundesminister fallen (vgl weiterführend Wiederin , Einführung in das Sicherheitspolizeirecht, 1998, Rz 403 ff.).
2.2.2. Die Richtlinienbeschwerde nach §89 Abs4 SPG eröffnet dem Betroffenen eine besondere Rechtsschutzmöglichkeit: Auch wenn die gemäß §31 SPG erlassenen Richtlinien keine subjektiv-öffentlichen Rechte begründen, kann ihre Verletzung in einem zweistufigen Kontrollverfahren geltend gemacht werden. Nach §89 Abs1 SPG hat das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht – soweit eine Richtlinienverletzung behauptet wird – die Beschwerde zunächst an die in dieser Sache zuständige Behörde zur weiteren Behandlung als Aufsichtsbeschwerde weiterzuleiten. Die Dienstaufsichtsbehörde hat nach Prüfung des relevanten Sachverhalts dem Betroffenen den als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitzuteilen und sich zur Frage zu äußern, ob ihrer Ansicht nach eine Richtlinienverletzung vorliegt (§89 Abs2 SPG). Wenn dies dem Interesse des Betroffenen dient, kann gemäß §89 Abs3 SPG die Dienstaufsichtsbehörde eine informelle Aussprache zwischen dem Beschwerdeführer und dem von der Beschwerde betroffenen Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermöglichen. Konnte eine solche zur Klärung beitragen, kann der Betroffene erklären, klaglos gestellt worden zu sein. In diesem Fall erübrigt sich eine Mitteilung nach §89 Abs2 SPG (§89 Abs3 letzter Satz SPG) und es kommt eine Anrufung des zuständigen (Landes-)Verwaltungsgerichtes nicht mehr in Betracht. Teilt die Dienstaufsichtsbehörde dem Beschwerdeführer gemäß §89 Abs2 SPG hingegen mit, dass keine Verletzung einer Dienstpflicht festgestellt worden sei, oder ergeht binnen einer Frist von drei Monaten nach Einbringung der Aufsichtsbeschwerde keine Mitteilung, kann der Beschwerdeführer nach Maßgabe des §89 Abs4 SPG binnen vierzehn Tagen eine Entscheidung des zuständigen Landesverwaltungsgerichtes über das Vorliegen der behaupteten Verletzung verlangen (vgl Wiederin , Sicherheitspolizeirecht, Rz 745 ff.; Keplinger / Pühringer , Sicherheitspolizeigesetz 20 , 2021, 274 f.).
2.2.3. Mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz-Inneres (VwGAnpG Inneres), BGBl I 161/2013, wurde die Bestimmung des §89 SPG auf Grund der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 insofern angepasst, als die Verweise auf den Unabhängigen Verwaltungssenat durch Bezugnahmen auf das Landesverwaltungsgericht ersetzt wurden. Seit 1. Jänner 2014 sind somit die Landesverwaltungsgerichte zur Entscheidung über Richtlinienbeschwerden zuständig (§89 Abs4 SPG). Dabei handelt es sich nicht um die Begründung einer neuen Kompetenz für die Verwaltungsgerichte der Länder, sondern vielmehr um eine Klarstellung des Gesetzgebers, dass die bisher den Unabhängigen Verwaltungssenaten der Länder zukommende Zuständigkeit, über Beschwerden gegen Richtlinienverletzungen zu entscheiden, nunmehr von den Verwaltungsgerichten der Länder wahrzunehmen ist (vgl VfSlg 19.986/2015).
2.3. Der Antrag ist begründet.
2.4. Das antragstellende Gericht hegt im Wesentlichen das Bedenken, dass die in §89 Abs4 SPG normierte generelle Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte für die Feststellung, ob eine Richtlinie gemäß §31 SPG verletzt wurde, insofern gegen Art131 Abs6 erster Satz iVm Art131 Abs2 B VG verstoße, als es sich bei der Vollziehung von Angelegenheiten des 1. Hauptstückes des 2. Teiles des BFA VG und des 7. und 8. Hauptstückes des FPG um unmittelbare Bundesverwaltung handle und zur Entscheidung über Verhaltensbeschwerden in diesem Zusammenhang das Bundesverwaltungsgericht zuständig sein müsse.
2.5. Die Bundesregierung hält diesem Bedenken entgegen, dass die Richtlinienbeschwerde ein Sonderfall der Verhaltensbeschwerde gemäß Art130 Abs2 Z1 B VG sei, der nicht auf Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung beschränkt sei, sondern sich materienübergreifend auf sämtliche Wirkungsbereiche des Bundesministers für Inneres sowie jener Bundesminister erstrecke, mit deren Einvernehmen die RLV erlassen worden sei. In jenem Umfang, in dem sich die Richtlinien nicht auf den Kompetenztatbestand des Art10 Abs1 Z14 B VG, sondern auf die jeweilige Kompetenzgrundlage der von den Organen zu vollziehenden Verwaltungsvorschriften stützten, könnten gemäß Art131 Abs6 erster Satz B VG – abhängig von der im Einzelfall vollzogenen Angelegenheit – entweder die Verwaltungsgerichte der Länder oder das Verwaltungsgericht des Bundes zuständig sein. Vor dem "Hintergrund des speziellen materienübergreifenden Charakters der Richtlinien und der Generalklausel des Art131 Abs6 zweiter Satz B VG" sprächen die "besseren Argumente" für eine Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte.
2.6. In VfSlg 18.494/2008 hat der Verfassungsgerichtshof einen Antrag des damaligen Unabhängigen Verwaltungssenats Vorarlberg auf Aufhebung des §89 Abs4 und 5 SPG abgewiesen und dabei in Bezug auf die kompetenzrechtliche Beurteilung von Regelungen, die in einer RLV auf der Grundlage des §31 Abs1 SPG getroffen werden, wörtlich Folgendes ausgeführt:
"[…] Der VfGH geht zunächst davon aus, dass Regelungen, die in einer Richtlinien-V auf der Grundlage des §31 Abs1 SPG getroffen werden, kompetenzrechtlich entweder als solche in Angelegenheiten des inneren Dienstes eines Wachkörpers getroffen werden können (Art10 Abs1 Z14 B VG […]) oder aber von jener Kompetenz erfasst sind, in deren Rahmen das Gesetz erlassen wurde, das vom Wachkörper vollzogen wird […].
[…] Eine auf der Grundlage des §31 Abs1 SPG ergangene Richtlinien V wird jedenfalls insoweit im Rahmen des Kompetenztatbestandes des Art10 Abs1 Z14 B VG erlassen, als sie Angelegenheiten des 'inneren Dienstes' zum Gegenstand hat. Damit sind im Wesentlichen all jene Angelegenheiten umfasst, die für die Aufrechterhaltung und Besorgung des Dienstbetriebes erforderlich sind (vgl nur die Aufzählung in §10 Abs2 SPG).
Zwar enthält der Wortlaut keine dem verfassungsgesetzlichen Kompetenztatbestand entsprechende Einschränkung. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass eine umfassende Ermächtigung zur Regelung des Dienstbetriebs geschaffen werden sollte. Dies erhellt allein schon daraus, dass §31 SPG keineswegs auf den inneren Dienst beschränkt ist, wie bereits die Unterschiede zwischen den beiden demonstrativen Aufzählungen in §10 Abs2 SPG einerseits und in §31 Abs2 SPG andererseits zeigen.
[…] Soweit aber in §31 Abs2 SPG auf bestimmte Befugnisse Bezug genommen wird (Z3, 4) oder auf (Grund)Rechtseingriffe (Z6, 7) bzw bestimmte Fälle (Z8) Bezug genommen wird, knüpft der Gesetzgeber an das jeweilige Materiengesetz an und ist die Gesetzgebungskompetenz insoweit nicht in Art10 Abs1 Z14 B VG, sondern in den entsprechenden Kompetenztatbeständen begründet ( Wiederin , Sicherheitspolizeirecht, 1998, Rz 405). Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Ermächtigung des §31 SPG – was etwa Richtlinien mit Bezug zu bestimmten Befugnissen oder Eingriffen in Grundrechte und sonstige subjektive öffentliche Rechte betrifft – in jeder Hinsicht auf Art10 Abs1 Z14 B VG gestützt werden kann.
[…]
[…] Der VfGH geht ferner davon aus, dass die Ermächtigung des §31 Abs1 SPG hinsichtlich jener Richtlinienbestimmungen, die kompetenzrechtlich nicht auf die Organisationskompetenz gestützt sind, auf Materien, die in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind, beschränkt ist ( Hauer / Keplinger , Sicherheitspolizeigesetz 3 , 2005, 318). Ein weiter gehendes Verständnis dahingehend, dass §31 Abs1 SPG auch zu Regelungen im Zusammenhang mit dem Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in der Landesvollziehung, wie zB dem Einschreiten im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei, ermächtigt, würde die Regelung verfassungswidrig erscheinen lassen. Da auch insoweit der Wortlaut des §31 SPG und die Systematik des SPG ein derartiges weites Verständnis zwar zulassen, aber nicht gebieten, ist die angefochtene Regelung einer verfassungskonformen Interpretation zugänglich. Sie erweist sich insgesamt als nicht verfassungswidrig."
2.7. Aus Anlass einer Anfechtung (näher bezeichneter Wortfolgen) des §89 SPG durch das Verwaltungsgericht Wien, das jedoch bloß das Bedenken hegte, dass die Zustimmung der Länder zur Novellierung dieser Bestimmung nicht eingeholt worden sei, obwohl die Landesverwaltungsgerichte zu Entscheidungen über Richtlinienbeschwerden zuständig sind, hat der Verfassungsgerichtshof dazu präzisierend in seiner Entscheidung VfSlg 19.986/2015 wie folgt wörtlich ausgeführt:
"Gegenstand einer Richtlinienbeschwerde ist das Verhalten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§5 SPG), das am Maßstab der gemäß §31 SPG erlassenen RLV zu messen ist (vgl Wiederin , Sicherheitspolizeirecht, 1998, Rz 751; zur kompetenzrechtlichen Grundlage des §31 SPG vgl VfSlg 18.494/2008). Damit ist die Richtlinienbeschwerde eine 'Verhaltensbeschwerde' nach Art130 Abs2 Z1 B VG […].
[…]
Die Möglichkeit, sich gegen das Verhalten der Sicherheitsexekutive in Form einer Richtlinienbeschwerde nach §89 Abs4 SPG an die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zu wenden, besteht seit 1. Mai 1993. Seit 1. Jänner 2014 sind die (Landes-)Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über Richtlinienbeschwerden zuständig. Eine Klarstellung des Gesetzgebers in dem Sinn, dass die bisherige Kompetenz der unabhängigen Verwaltungssenate, über Beschwerden gegen Richtlinienverletzungen zu entscheiden, nunmehr von den Verwaltungsgerichten wahrzunehmen ist, ist aber keine Begründung einer neuen Zuständigkeit, die eine Zustimmung der Länder nach Art130 Abs2 letzter Satz B VG erforderlich gemacht hätte […].
[…]
Diese Verfassungsbestimmung [Art131 Abs6 B VG] verweist ihrerseits auf die in den vorangehenden Absätzen verteilten Zuständigkeiten in Bezug auf die vier Haupttypen des Verwaltungshandelns (Art130 Abs1 Z1 bis 4 B VG). Für die Entscheidung über eine einfachgesetzlich eingerichtete 'Verhaltensbeschwerde' ist demnach jenes Verwaltungsgericht zuständig, das in der jeweiligen Angelegenheit über Beschwerden gegen die 'vier Haupttypen' entscheidet (s Holoubek , Die Verhaltensbeschwerde – Das Verfahren über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit sonstigen Verhaltens einer Verwaltungsbehörde, in: Holoubek/Lang [Hrsg.], Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesfinanzgericht, 2014, 113 [131])."
2.8. Damit – und das ist als Zwischenergebnis vorerst festzuhalten – ist der Verfassungsgerichtshof davon ausgegangen, dass es sich bei der Richtlinienbeschwerde um eine Beschwerde wegen eines typenfreien Verwaltungshandelns handelt. Als Beschwerde nach Art130 Abs2 Z1 B VG unterfällt sie der Sonderregel des Abs6 des Art131 B VG (vgl erneut VfSlg 19.986/2015).
2.9. Für die Entscheidung über eine Verhaltensbeschwerde ist demnach – im Sinne einer "akzessorischen Zuständigkeit" (Erläut zur RV 1618 BIgNR 24. GP, 16) als maßgebliches Anknüpfungskriterium gemäß Art131 Abs6 erster Satz B VG – jenes Verwaltungsgericht zuständig, das in der jeweiligen Angelegenheit über Beschwerden gegen die bestehenden Haupttypen des Verwaltungshandelns entscheidet (Art130 Abs1 Z1 bis 3 B VG). Ergibt sich danach keine Zuständigkeit, dann greift die Generalklausel gemäß Art131 Abs6 zweiter Satz B VG, die eine subsidiäre Zuständigkeit zugunsten der Landesverwaltungsgerichte vorsieht (vgl VfSlg 19.986/2015 mwN; Ziniel, Art131 Abs4-6 B VG, in: Korinek/Holoubek et. al. [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 2022 [17. Lfg.], Rz 31 f.).
2.10. Die Zuständigkeit verläuft somit grundsätzlich parallel zu jener für die typengebundenen Verfahren in der betreffenden Angelegenheit (vgl Wiederin , Das Bundesverwaltungsgericht: Zuständigkeiten und Aufgabenbesorgung, in: Holoubek/Lang [Hrsg.], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2013, 35; s. auch VwGH 25.6.2019, Ra 2017/19/0261 zur Sicherheitsverwaltung im "Passwesen"). Damit sollten nach der Zielsetzung des Verfassungsgesetzgebers geteilte Zuständigkeiten in ein und derselben (kompetenzrechtlichen) Angelegenheit zwischen den Verwaltungsgerichten der Länder und des Bundes vermieden werden (Erläut zur RV 1618 BIgNR 24. GP, 16).
2.11. Grundsätzlich fallen in den Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung die Haupttypen des Verwaltungshandelns unter die Generalklausel des Art131 Abs1 B VG und damit in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder, weil die Sicherheitsverwaltung weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt wird (Erläut zur RV 1618 BIgNR 24. GP, 15). Dieser Zuständigkeit folgt die Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Beschwerde wegen behaupteten Fehlverhaltens eines Organs nach §5 SPG in Ausübung der Sicherheitspolizei im Bereich der Sicherheitsverwaltung schlechthin (VfSlg 19.986/2015 mwN). Das Vollzugsmodell der Sicherheitsverwaltung sieht jedoch für deren Besorgung (§2 SPG) in einzelnen Rechtsmaterien auch Bundesbehörden vor, die nicht zu den Sicherheitsbehörden iSd B VG zählen ( Wiederin , Bundesverwaltungsgericht, 40). Die Vollziehung der Angelegenheiten des BFA VG sowie des 7., 8. und 11. Hauptstückes des FPG wurde etwa dem BFA und somit einer Bundesbehörde übertragen (§3 Abs1 Z1 und 3 BFA-G). Diese Agenden werden in unmittelbarer Bundesverwaltung gemäß Art131 Abs2 erster Satz B VG besorgt.
2.12. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 19.986/2015 wörtlich dargelegt hat, wäre in einer Richtlinienbeschwerde bei einem "Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Ausübung der Fremdenpolizei […] in Anwendung dieses Systems, da diese von Bundesbehörden vollzogen wird, gemäß Rückverweisung auf Art131 Abs2 B VG das Verwaltungsgericht des Bundes zuständig".
Daraus folgt – wie das Verwaltungsgericht zutreffend annimmt –, dass eine in §89 Abs4 SPG ausdrücklich normierte alleinige generelle sachliche Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte zur Entscheidung über Richtlinienbeschwerden – etwa bei der Überprüfung eines etwaigen Fehlverhaltens in Ausübung der Fremdenpolizei – der allgemeinen Zuständigkeitsregelung des Art131 B VG widerspricht, weil sie den bestehenden Sondermodellen im Bereich der Sicherheitsverwaltung nicht gerecht wird. Die in VfSlg 19.986/2015 angestellten Erwägungen betreffend Art130 Abs2 B VG sind auf diese Konstellation nicht übertragbar.
2.13. Daher verstößt §89 Abs4 SPG gegen Art131 Abs6 erster Satz iVm Art131 Abs2 B VG; er ist schon aus diesem Grund als verfassungswidrig aufzuheben, zumal es sich bei dieser Bestimmung um eine in sich geschlossene Einheit handelt, die zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit zur Gänze aufzuheben ist.
2.14. Bei diesem Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof nicht mehr zu prüfen, ob die angefochtene Gesetzesbestimmung aus den im Antrag näher dargelegten Gründen auch gegen Art18 iVm Art83 Abs2 B VG verstößt.
V. Ergebnis
1. §89 Abs4 SPG ist daher wegen Verstoßes gegen Art131 Abs6 erster Satz iVm Art131 Abs2 B VG als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere im Antrag dargelegte Bedenken.
2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B VG.
3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B VG.
4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.