G1829/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Antrag
Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litc B VG begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge §759 Abs2 dritter Satz ASVG, BGBl 189/1955, idF BGBl I 210/2021, §775 Abs2 dritter Satz leg cit idF BGBl I 175/2022, §744 Abs7 leg cit idF BGBl I 158/2020 sowie §775 Abs7 leg cit idF BGBl I 176/2022 als verfassungswidrig aufheben.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 9. September 1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG), BGBl 189, zuletzt idF BGBl I 176/2022 lauten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"Pensionsanpassung 2021
§744. (1) Abweichend von §108h Abs1 erster Satz sowie Abs2 und 2a ist die Pensionserhöhung für das Kalenderjahr 2021 nicht mit dem Anpassungsfaktor, sondern wie folgt vorzunehmen: Das Gesamtpensionseinkommen (Abs2) ist zu erhöhen
1. wenn es nicht mehr als 1 000 € monatlich beträgt, um 3,5%;
2. wenn es über 1 000 € bis zu 1 400 € monatlich beträgt, um jenen Prozentsatz, der zwischen den genannten Werten von 3,5% auf 1,5% linear absinkt;
3. wenn es über 1 400 € bis zu 2 333 € monatlich beträgt, um 1,5%;
4. wenn es über 2 333 € monatlich beträgt, um 35 €.
[…]
(7) (Verfassungsbestimmung) Die Anpassung für das Kalenderjahr 2021 von Leistungen, die vom Sonderpensionenbegrenzungsgesetz, BGBl I Nr 46/2014, erfasst sind, einschließlich von Leistungen von in Art1 §10 Abs3 und 6 des Sonderpensionenbegrenzungsgesetzes bezeichneten Rechtsträgern, darf 35 € nicht überschreiten. Der Erhöhungsbetrag darf 35 € abzüglich der Anpassungen für Pensionen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung nicht überschreiten.
[…]
Pensionsanpassung 2022
§759. (1) Abweichend von §108h Abs1 erster Satz sowie Abs1a bis 2a ist die Pensionserhöhung für das bzw im Kalenderjahr 2022 nicht mit dem Anpassungsfaktor, sondern wie folgt vorzunehmen: Das Gesamtpensionseinkommen (Abs2) ist zu erhöhen
1. wenn es nicht mehr als 1 000 € monatlich beträgt, um 3,0%;
2. wenn es über 1 000 € bis zu 1 300 € monatlich beträgt, um jenen Prozentsatz, der zwischen den genannten Werten von 3,0% auf 1,8% linear absinkt;
3. wenn es über 1 300 € monatlich beträgt, um 1,8%.
(2) Das Gesamtpensionseinkommen einer Person ist die Summe aller ihrer Pensionen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung, auf die nach den am 31. Dezember 2021 in Geltung gestandenen Vorschriften Anspruch bestand, jedoch vor Anwendung von Ruhens- und Wegfallsbestimmungen sowie der Bestimmungen nach §86 Abs3 Z2 dritter und vierter Satz. Ausgenommen sind Kinderzuschüsse, die Ausgleichszulage, der Bonus nach §299a, befristete Pensionen, deren Anspruchsdauer mit Ablauf des 31. Dezember 2021 endet, Pensionen, die nach §108h Abs1a vorletzter Satz für das Kalenderjahr 2022 nicht anzupassen sind, sowie Hinterbliebenenpensionen, für die sich am 31. Dezember 2021 durch die Anwendung des §264 Abs2 oder 6a kein Auszahlungsbetrag ergibt. Als Teil des Gesamtpensionseinkommens gelten auch alle Leistungen, die vom Sonderpensionenbegrenzungsgesetz, BGBl I Nr 46/2014, erfasst sind, wenn die pensionsbeziehende Person am 31. Dezember 2021 darauf Anspruch hat und die Leistung für das bzw im Jahr 2022 anzupassen ist. […]
[…]
[…]
Pensionsanpassung 2023
§775. (1) Abweichend von §108h Abs1 erster Satz und Abs1a bis 2a ist die Pensionserhöhung für das bzw im Kalenderjahr 2023 nicht mit dem Anpassungsfaktor, sondern wie folgt vorzunehmen: Das Gesamtpensionseinkommen (Abs2) ist zu erhöhen
1. wenn es nicht mehr als 5 670 € monatlich beträgt, um 5,8%;
2. wenn es über 5 670 € monatlich beträgt, um 328,86 €.
Dies gilt auch in den Fällen des Abs6.
(2) Das Gesamtpensionseinkommen einer Person ist die Summe aller ihrer Pensionen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung, auf die nach den am 31. Dezember 2022 in Geltung gestandenen Vorschriften Anspruch bestand, jedoch vor Anwendung von Ruhens- und Wegfallsbestimmungen sowie der Bestimmungen nach §86 Abs3 Z2 dritter und vierter Satz. Ausgenommen sind Kinderzuschüsse, die Ausgleichszulage, der Bonus nach §299a, befristete Pensionen, deren Anspruchsdauer mit Ablauf des 31. Dezember 2022 endet, sowie Hinterbliebenenpensionen, für die sich am 31. Dezember 2022 durch die Anwendung des §264 Abs2 oder 6a kein Auszahlungsbetrag ergibt. Als Teil des Gesamtpensionseinkommens gelten auch alle Leistungen, die vom Sonderpensionenbegrenzungsgesetz, BGBl I Nr 46/2014, erfasst sind, wenn die pensionsbeziehende Person am 31. Dezember 2022 darauf Anspruch hat und die Leistung für das bzw im Jahr 2023 anzupassen ist. […]
[…]
(7) (Verfassungsbestimmung) Die Anpassung für das Kalenderjahr 2023 von Leistungen, die vom Sonderpensionenbegrenzungsgesetz, BGBl I Nr 46/2014, erfasst sind, darf die Erhöhung nach Abs1 unter Heranziehung des Gesamtpensionseinkommens (Abs2) und unter Berücksichtigung des Abs3 nicht überschreiten. Umfasst sind jedenfalls jene auf landesgesetzlichen Regelungen basierenden Leistungen, für die nach §10 Abs6 BezBegrBVG, BGBl I Nr 64/1997, eine Befugnis zur Festlegung eines Sicherungsbeitrages besteht. "
III. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Der 1954 geborene Antragsteller stand zwischen 1. März 1991 und 31. Mai 2019 in einem Dienstverhältnis zur *** Aktiengesellschaft (im Folgenden: *** AG). Er trat am 1. Juni 2019 seine Alterspension an und bezieht seitdem eine Pension nach dem ASVG. Darüber hinaus schloss der Antragsteller am 1. Juli 2001 mit der *** AG eine individuelle Pensionsvereinbarung; die entsprechende Firmen- bzw Betriebspension bezieht er seit dem 1. Juni 2020.
2. Der Antragsteller bringt vor, die *** AG erfülle die Pensionsvereinbarung seit dem 1. Februar 2021 zum Teil nicht mehr. Entgegen der Pensionsvereinbarung werte sie seine Betriebspension nicht im selben Prozentsatz auf wie die vom jeweiligen Kollektivvertrag für Angestellte der Elektrizitätsunternehmen Österreichs erfassten Gehälter; dieser Kollektivvertrag sei an die Stelle des in der Pensionsvereinbarung genannten Kollektivvertrages getreten. Die angefochtenen Bestimmungen der Pensionsanpassungsgesetze würden bewirken, dass die Betriebspension des Antragstellers vom 1. Februar 2021 bis zum 31. August 2023 nicht um den vertraglich vereinbarten Prozentsatz von 22,07 % aufgewertet worden sei, sondern lediglich um 6,4 %.
3. Hinsichtlich seiner Antragslegitimation führt der Antragsteller aus:
3.1. Die angefochtenen Bestimmungen würden zumindest Teile der mit der *** AG vereinbarten Betriebspension dem ASVG unterwerfen. Die einfachgesetzlichen Bestimmungen des §759 Abs2 dritter Satz und §775 Abs2 dritter Satz ASVG würden zumindest die Wertanpassungsvereinbarung der Betriebspension des Antragstellers außer Kraft setzen und durch ASVG Recht ersetzen. Die Verfassungsbestimmung des §744 Abs7 leg cit bewirke, dass seine Betriebspension im Jahr 2021 nicht aufgewertet worden sei. Die Verfassungsbestimmung des §775 Abs7 leg cit verstärke die unmittelbare Wirkung des §775 Abs2 dritter Satz leg cit und versuche, diese Bestimmung gegen Anfechtungen zu immunisieren. Die *** AG rechtfertige ihre Vorgangsweise – die Aufwertung der Betriebspension seit dem 1. Februar 2021 nicht entsprechend der Pensionsvereinbarung, sondern nach den Pensionsanpassungsregeln des ASVG – mit den Pensionsanpassungsgesetzen 2021, 2022 und 2023 bzw mit den Verfassungsbestimmungen des §744 Abs7 und §775 Abs7 ASVG. Da der Antragsteller eine Betriebspension mit der *** AG vereinbart hätte, die den Pensionsanpassungsgesetzen 2021, 2022 und 2023 unterliege, und der Antragsteller auch am 31. Dezember 2020, 2021 und 2022 Anspruch auf eine derartige Pension gehabt habe, sei er von den angefochtenen Bestimmungen aktuell und unmittelbar in seiner Rechtsposition betroffen. Die aktuelle Betroffenheit ergebe sich insbesondere daraus, dass die dem Antragsteller vertraglich zustehenden, jedoch wegen der angefochtenen Bestimmungen entfallenen Wertanpassungen im Folgejahr einer gesetzlichen Pensionsanpassung durch die bezeichneten Bestimmungen des ASVG nicht rückgängig gemacht würden, sondern unbeschränkt weiterwirkten.
3.2. Es bestehe kein zumutbarer anderer Weg, die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Antragsteller hätte nur theoretisch die Möglichkeit, die *** AG zivilgerichtlich auf Erfüllung seines Vertrages zu klagen. Eine solche Klage erscheine nicht aussichtsreich, weil sich die *** AG bereits jetzt darauf berufe, lediglich gesetzliche Verpflichtungen einzuhalten. Eine Klage auf Einhaltung der Bestimmungen seiner Pensionsvereinbarung gegen die Pensionsversicherungsanstalt sei – nach der Rechtsmeinung des Antragstellers – nicht möglich. Es sei nicht zumutbar, aussichtslose Verfahren zu betreiben, nur um mit der Berufung gegen eine erstinstanzliche Entscheidung einen Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG stellen zu können.
IV. Zulässigkeit
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
1.1. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 Z1 litc B VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).
2. In der Möglichkeit, ein gerichtliches Verfahren anhängig zu machen, ist grundsätzlich ein zumutbarer Weg zur Geltendmachung von Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu sehen (siehe zB VfSlg 8979/1980, 10.445/1985, 14.355/1995, 15.835/2000, 16.920/2003, 18.569/2008, 19.874/2014; VfGH 28.11.2019, G14/2019; 22.6.2021, G101/2021). Mit der zumutbaren Anrufung der ordentlichen Gerichte stünde es dem Antragsteller einerseits offen, seine verfassungsrechtlichen Bedenken an das Gericht heranzutragen und die Einleitung eines Verfahrens nach Art140 Abs1 Z1 lita B VG anzuregen (wozu jedes Gericht – sollte es die Bedenken teilen – gemäß Art89 Abs2 B VG verpflichtet ist), sowie andererseits aus Anlass eines Rechtsmittels gegen die gerichtliche Entscheidung erster Instanz selbst einen Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B VG an den Verfassungsgerichtshof zu stellen. Daher bildet die Einleitung eines solchen zivilgerichtlichen Verfahrens einen zumutbaren Weg, der der Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsantrages im vorliegenden Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof entgegensteht.
3. Der Antragsteller erwähnt die Möglichkeit der zivilgerichtlichen Klage selbst, verkennt jedoch, dass weder mangelnde Erfolgsaussichten in einem solchen Verfahren noch das Prozessrisiko oder damit verbundene Kostenfolgen diesen Weg grundsätzlich unzumutbar machen (VfSlg 15.524/1999, 18.201/2007, 19.874/2014; VfGH 28.11.2019, G14/2019). Besondere, außergewöhnliche Umstände, die die Zumutbarkeit der Anrufung eines ordentlichen Gerichtes in Frage stellen, sind im vorliegenden Fall nicht hervorgekommen.
4. Der Antrag erweist sich daher schon aus diesem Grund als unzulässig, ohne dass die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu prüfen oder auf das weitere Antragsvorbringen einzugehen war.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.