JudikaturVfGH

A21/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2024

Spruch

I. Die Klage wird zurückgewiesen.

II. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

I. Klage und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art137 B VG, begehrt die Klägerin, den Bund schuldig zu erkennen, "der Klägerin den Betrag von € 37.225,50 brutto samt 4 % Zinsen seit 25.11.2021 zu Handen der Klagevertreter:innen zu bezahlen sowie die Verfahrenskosten gem §19a RAO zu ersetzen".

2. Zum Sachverhalt bringt die Klägerin Folgendes vor:

Die Klägerin sei von 26. April 1999 bis 30. Juni 2022 bei einem näher bezeichneten Arbeitskräfteüberlasser beschäftigt gewesen. In diesem Zeitraum sei sie an nur einen Beschäftigerbetrieb überlassen gewesen, bei dem es zu "regelmäßigen Betriebsübergängen im Sinne des §3 AVRAG" gekommen sei. Zuletzt sei im Beschäftigerbetrieb die Abteilung, in welcher die Klägerin tätig gewesen sei, ins Ausland ausgelagert worden. Das Überlassungsverhältnis (zwischen der Arbeitgeberin der Klägerin und dem Beschäftigerbetrieb) sei beendet worden und die Klägerin sei von ihrer Arbeitgeberin gekündigt worden. Im (ehemaligen) Beschäftigerbetrieb sei ein Sozialplan abgeschlossen worden, von dessen Geltungsbereich überlassene Arbeitskräfte nicht umfasst seien. Dieser Sozialplan sehe die Zahlung von freiwilligen Abfertigungen nach einer bestimmten (näher genannten) Berechnungsformel vor. Wäre die Klägerin bei dem (ehemaligen) Beschäftigerbetrieb beschäftigt gewesen oder wäre die Ausnahme langjährig an diesen überlassener Arbeitnehmer unzulässig gewesen, hätte sie eine freiwillige Abfertigung in Höhe von € 37.225,50 brutto erhalten. Die ordentlichen Gerichte hätten die auf Amtshaftungsansprüche der Klägerin gestützte Klage rechtskräftig mangels Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit zurückgewiesen und ausgesprochen, dass der Staatshaftungsanspruch wegen des behaupteten legislativen Unrechts vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen sei.

3. In rechtlicher Hinsicht bringt die Klägerin im Wesentlichen vor, dass der österreichische Gesetzgeber die Richtlinie 2008/104/EU über Leiharbeit (im Folgenden: LeiharbeitsRL), ABl. 2008 L 327, 9, nicht ordnungsgemäß umgesetzt habe, woraus der Klägerin ein Schaden (in Höhe der von ihr berechneten Abfertigungssumme von € 37.225,50) entstanden sei. Nach einer Darstellung (einzelner Bestimmungen) der LeiharbeitsRL und der dazu ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (Hinweis auf EuGH 14.10.2020, C 681/18, JH/KG ; 17.3.2022, C-232/20, NP/Daimler AG, Mercedes Benz Werk Berlin ) führt die Klägerin wörtlich Folgendes aus (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"[…] Umsetzungsverpflichtung des österreichischen Gesetzgebers

Auch wenn der EuGH in seinen Entscheidungen nicht eine genaue zeitliche Grenze zieht, wann vernünftigerweise nicht mehr von einer bloß 'vorübergehenden' Überlassung auf denselben Arbeitsplatz gesprochen werden kann, ist offensichtlich, dass eine Überlassung für einen Zeitraum von über 20 Jahren derselben Leiharbeitnehmerin an denselben Leiharbeitgeber, auch unter Berücksichtigung von Branchenbesonderheiten, einen missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgende Überlassungen im Sinne der Richtlinie darstellt.

Nach der Leiharbeits-RL und der EuGH Rechtsprechung wäre der österreichische Gesetzgeber verpflichtet gewesen, Maßnahmen zu setzen, die einen missbräuchlichen Einsatz der Klägerin auf demselben Arbeitsplatz in Form einer Arbeitskräfteüberlassung verhindern. Hätte der österreichische Gesetzgeber eine Maßnahme dergestalt erlassen, dass bei einem solchen Dauerzustand ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem Beschäftigerbetrieb begründet wird, dann wäre der Klägerin ebenfalls eine einvernehmliche Auflösung angeboten worden und sie hätte die freiwillige Abfertigung aus dem Sozialplan erhalten. Aus der aufrechten Überlassung bis zum Jahr 2022 ergibt sich, dass der Beschäftigerbetrieb bis dahin Bedarf an ihrer Arbeitsleistung hatte.

Der Gesetzgeber hätte auch Maßnahmen setzen können, die eine missbräuchliche Ungleichbehandlung von 'nicht bloß vorübergehend' überlassenen Arbeitskräften und der Stammbelegschaft im Zusammenhang mit einem Sozialplan verhindern. Er hätte regeln können, dass überlassenen Arbeitskräften, die nicht bloß vorübergehend beim Beschäftigerbetrieb eingesetzt sind, im Rahmen eines Sozialplandes dieselben Ansprüche zugutekommen müssen wie der Stammbelegschaft.

Die österreichische Rechtslage, die keinerlei Maßnahmen dieser Art vorsieht, ist mit der Leiharbeits-RL nicht vereinbar.

Die Richtlinie wäre bis zum 5.12.2011 umzusetzen gewesen.

[…] Rechtsfolge Staatshaftung

Eine Staatshaftung der Mitgliedsstaaten von Unionsrecht setzt voraus, dass die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen wird, die Verleihung von Rechten an Geschädigte bezweckt. Dies ist bei der Richtlinie über Leiharbeitskräfte evident. Bei der Richtlinie geht es gerade darum, Leiharbeitskräften Rechte zu verleihen.

Weiters muss der Verstoß gegen die Unionsrechtsnorm hinreichend qualifiziert sein und es muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß des Mitgliedsstaates und dem entstandenen Schaden bestehen (OGH 1 Ob 43/17f). Die Richtlinie zur Leiharbeit bzw insbesondere deren Artikel 5 Abs1 und Abs5 sind in diesem Sinne hinreichend qualifiziert. Dies ergibt sich auch aus der genannten einschlägigen EuGH-Rechtsprechung, die ausführt, dass die Mitgliedsstaaten aufgrund der Richtlinie bzw des Gleichbehandlungsgrundsatzes Maßnahmen ergreifen müssen.

Ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht, da die Klägerin bei Umsetzung von Maßnahmen durch den österreichischen Gesetzgeber, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis beim Beschäftigerbetrieb gehabt hätte, ihr eine einvernehmliche Auflösung angeboten worden wäre und sie damit die Abfertigung laut Sozialplan erhalten hätte oder als dauerhaft überlassene Arbeitskraft vom Sozialplan nicht ausgeschlossen werden hätte dürfen, sodass sie die Abfertigung erhalten hätte."

4. Die beklagte Partei, der Bund, erstattete eine Gegenschrift, in der dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten und die kostenpflichtige Zurückweisung der Klage, in eventu deren Abweisung beantragt wird.

II. Erwägungen

1. Gemäß Art137 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist zur Entscheidung über Staatshaftungsansprüche nicht bereits dann zuständig, wenn der Gesetzgeber gegen Unionsrecht verstoßen hat. Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes kommt vielmehr nur in Betracht, wenn der Akt, der die unionsrechtliche Staatshaftung auslöst, unmittelbar dem Gesetzeber zuzurechnen ist (VfSlg 16.107/2001, 17.002/2003 ua).

1.2. Voraussetzung einer Staatshaftung ist es, dass es durch das Verhalten von Organen eines Mitgliedstaates zur Verletzung einer unionsrechtlichen Norm gekommen ist, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und dass ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem Einzelnen entstanden ist (vgl EuGH 5.3.1996, C 46/93 und C 48/93, Brasserie du Pecheur , Rz 51; 23.5.1996, C 5/94, Hedley Lomas , Rz 32; 30.9.2003, C 224/01, Köbler , Rz 51). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union besteht dabei aber keine reine Unrechtshaftung; vielmehr ist ein Verstoß gegen Unionsrecht nur dann haftungsbegründend, wenn er "hinreichend qualifiziert" ist (zB EuGH, Brasserie du Pecheur , Rz 55; 8.10.1996, C 178/94 ua, Dillenkofer , Rz 21 ff; 17.10.1996, C 283/94 ua, Denkavit , Rz 48, 50 ff).

2. Die Klägerin erstattet zu den Voraussetzungen für die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes sowie für die Stattgebung einer Staatshaftungsklage kein ausreichend substantiiertes Vorbringen:

2.1. Ihren Anspruch aus dem Grund der Staatshaftung stützt die Klägerin darauf, dass der österreichische Gesetzgeber die LeiharbeitsRL nicht ordnungsgemäß umgesetzt habe, woraus der Klägerin ein Schaden (in der Höhe der von ihr berechneten Sozialplanabfertigungssumme von € 37.225,50) entstanden sei.

2.2. In der Klage werden zwar Überlegungen dazu angestellt, welche Regelungen der österreichische Gesetzgeber hätte treffen können, die dazu geführt hätten, dass die Klägerin die von ihr begehrte Sozialplanabfertigung erhalten und damit keinen Schaden erlitten hätte. Die Klage setzt sich aber in keiner Weise mit den bestehenden gesetzlichen Regelungen (zB §36 ArbVG) und der Judikatur zur Gleichbehandlung von überlassenen Arbeitskräften bei Entgeltansprüchen aus der Beendigung (vgl OGH 3.12.2003, 9 ObA 113/03p) auseinander. Der für einen Staatshaftungsanspruch geforderte unmittelbare Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Verstoß des Gesetzgebers gegen Unionsrecht und dem Schaden kann anhand der Klagsausführungen nicht abgeleitet werden.

2.3. Der Klage ist zudem in keiner Weise zu entnehmen, worin der qualifizierte Verstoß gegen das Unionsrecht besteht, der so offenkundig wäre, dass er im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union eine Staatshaftung und im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Zulässigkeit eines Verfahrens nach Art137 B VG auslöst. Es wird dazu vielmehr bloß ohne nähere Begründung behauptet, dass "[d]ie Richtlinie zur Leiharbeit bzw insbesondere deren Artikel 5 Abs1 und Abs5 […] in diesem Sinne hinreichend qualifiziert" seien, was sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union ergebe, wonach die Mitgliedstaaten auf Grund der LeiharbeitsRL bzw des Gleichheitsbehandlungsgrundsatzes "Maßnahmen ergreifen müssen". Ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht wird damit nicht dargelegt.

3. Es muss daher nicht der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei dem in der Klage behaupteten Verstoß überhaupt um legislatives Unrecht im Sinne der Staatshaftung handeln kann.

III. Ergebnis

1. Die Klage ist daher zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §41 VfGG, wonach dem unterliegenden Teil (in einem Verfahren nach Art137 B VG) auf Antrag der Ersatz der Prozesskosten auferlegt werden kann. Nach Lage des vorliegenden Falles war es zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, die Finanzprokuratur mit der Vertretung des Bundes zu betrauen (zB VfSlg 19.284/2011 mwN); sonstige ersatzfähige Kosten sind nicht angefallen.

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