JudikaturVfGH

A2/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2024

Spruch

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Klage, Sachverhalt und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art137 B VG begehrt die Klägerin, den Bund als beklagte Partei schuldig zu erkennen, den "aus legislativ bedingten Verfahrensverzögerungen entstandenen Teil Vermögensschaden" in Höhe von € 6.480,– sowie den Ersatz der Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründend wird dazu auf das Wesentliche zusammengefasst Folgendes ausgeführt:

1.1. Die Klägerin habe am 29. Juni 2011 die Erteilung einer Konzession zum Betrieb einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke in Waidhofen an der Ybbs beantragt. Nach Einholung eines Bedarfsgutachtens der Apothekerkammer habe ihr der Bürgermeister der Statutarstadt Waidhofen an der Ybbs mit Bescheid vom 30. Oktober 2012 die beantragte Konzession für einen näher bezeichneten Standort erteilt. Aus Anlass einer gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde habe das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ein zweites Gutachten der Apothekerkammer vom 12. Juli 2013 eingeholt; mit Erkenntnis vom 31. Oktober 2016 habe das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde abgewiesen. In der Folge habe der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. Mai 2017, Ro 2017/10/0006, die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich aufgehoben. Im fortgesetzten Verfahren habe die Apothekerkammer am 20. März 2019 ein drittes Bedarfsgutachten erstellt und dieses am 3. Dezember 2019 sowie am 5. Februar 2020 ergänzt. Auf dieser Grundlage habe das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich das Konzessionsansuchen der Klägerin mit seinem Erkenntnis vom 16. Dezember 2020 im zweiten Rechtsgang abgewiesen. Gegen dieses Erkenntnis habe die Klägerin eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Das Konzessionsverfahren würde daher im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits über zehneinhalb Jahre dauern, ohne dass eine Enderledigung vorliegen würde oder absehbar wäre. Vielmehr hätte die Apothekerkammer im Falle der Aufhebung des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich durch den Verwaltungsgerichtshof erneut ein aktualisiertes (viertes) Gutachten zu erstellen.

1.2. Nach Art6 EMRK bzw Art47 GRC seien die Mitgliedstaaten der EMRK bzw der Europäischen Union dazu verpflichtet, ein effektives Rechtsschutzsystem einzurichten. Dazu zähle auch die Anforderung, dass Behörden- und Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist erledigt werden müssten. Der Staat müsse, wenn diesen Kriterien nicht entsprochen sei, nach ständiger und übereinstimmender Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Gerichtshofes der Europäischen Union für entsprechende Versäumnisse einstehen, sofern für betroffene Bürger ein kausaler vermögensrechtlicher Schaden entstehe (sog Staatshaftung – Hinweis auf EuGH 21.12.2021, C-497/20, Randstad Italia SpA ). Der vorliegende Sachverhalt entspreche jenem, der der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Naderhirn (EGMR 5.7.2016, 5136/10, Naderhirn ) zugrunde gelegen habe. Das Verfahren dauere bereits zehneinhalb Jahre an, ohne dass ein Ende absehbar wäre. Allein der erste Rechtsgang beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich habe vier Jahre und der zweite Rechtsgang nochmals dreieinhalb Jahre in Anspruch genommen.

Der Hauptgrund für permanente Verfahrensverzögerungen liege "legistisch systembedingt" darin, dass die Verwaltungsgerichte nach §28 VwGVG regelmäßig meritorisch entscheiden müssten, obwohl sie offenkundig nicht über die erforderliche Sach- und Personalausstattung verfügen würden.

Zudem bedürfe es in apothekenrechtlichen Konzessionserteilungsverfahren immer eines möglichst aktuellen Bedarfsgutachtens, welches ausschließlich von der Apothekerkammer erstellt werden könne. Dazu komme, dass sowohl die Befund- als auch die Gutachtenserstellung von zahlreichen, "wechselseitig interdependenten und zudem permanent fluktuierenden Parametern" wie der Anzahl der ständigen Einwohner, der Inhaber von Zweitwohnsitzen, der täglichen Ein- und Auspendler, der Verkehrsinfrastruktur, der Siedlungsentwicklung und allgemeinen Bautätigkeit, der Versorgung durch Ärzte, bereits bestehende Apotheken und Hausapotheken und vielem mehr abhängig sei. Die Ursache für Verfahrensverzögerungen sei also "systembedingt", weil der Gesetzgeber ein sich "vielfach bereits als offenkundig ungeeignet erwiesen habendes Prozessrecht" noch immer nicht dem europarechtlich geforderten Standard (Hinweis auf EuGH 13.2.2014, C 367/12, Sokoll-Seebacher und EuGH 30.6.2016, C 634/15, Sokoll-Seebacher ua ) angepasst habe.

Dazu komme, dass die erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte nur in formell organisatorischer Hinsicht, infolge des Amtswegigkeitsprinzips nicht aber auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht als "Tribunale" iSd Art6 EMRK bzw Art47 GRC zu qualifizieren seien, was wiederum bedinge, dass sie zu einem maßgeblichen Teil nicht über die notwendige sachliche Distanz für eine objektive Entscheidung verfügen würden, sondern dazu gezwungen seien, immer zugleich auch öffentliche Interessen vertreten zu müssen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Verwaltungsbehörde – wie regelmäßig – im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens untätig bleibe. Entsprechende Bedenken würden auch für die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gelten. Eine "inhaltliche Korrektur von Entscheidungen der unterinstanzlichen Verwaltungsgerichte (sog 'overruling') [sei] gesetzlich nicht zuverlässig ausgeschlossen". Daher sei nicht effektiv sichergestellt, dass die unterinstanzlichen Verwaltungsgerichte dem Unionsrecht auch tatsächlich zum Durchbruch verhelfen würden, indem sie die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union, wonach in unionsrechtlichen Fragen keine Bindungswirkung an Entscheidungen von innerstaatlichen Höchstgerichten bestehe, auch de facto umsetzen würden.

Im Hinblick auf apothekenrechtliche Konzessionsverfahren erweise sich als besonders bedenklich, dass von Gesetzes wegen verpflichtend ein Gutachten von der Apothekerkammer einzuholen sei. Die Apothekerkammer verkörpere eine politische Interessenvertretung, der ein Anschein von sachlicher Befangenheit auf Grund "direkter wirtschaftlicher Konkurrenztätigkeit inhärent" sei. Zudem seien der Apothekerkammer die Kriterien für die Gutachtenserstellung nicht auf demokratisch legitimierter gesetzlicher Basis vorgegeben, sondern ermittle und bewerte diese die maßgeblichen Parameter eigenständig, ohne dass die dabei angewendeten Methoden auf eine entsprechende Objektivität und Plausibilität hin überprüfbar wären. Jenes Gutachten der Apothekerkammer, das im Anlassfall zur Abweisung des Konzessionsansuchens der Klägerin geführt habe, sei von einer Person verantwortlich gezeichnet worden, die im Aufsichtsrat einer Pharmafirma fungiere, die ihrerseits im Beteiligungswege an einer im Verfahren mitbeteiligten Apotheke beteiligt sei; insofern liege eine offensichtliche Befangenheit der Gutachtenserstellerin vor. Darüber hinaus hätten unsachliche und in der Folge von der Apothekerkammer immer wieder revidierte bzw ergänzte Gutachten zu erheblichen Verfahrensverzögerungen geführt.

1.3. Durch die bislang zehneinhalbjährige Verfahrensdauer sei ein Vermögensschaden in der Höhe von mindestens € 6.480,– entstanden, wobei vorerst nur dieser Teilschadensbetrag geltend gemacht werde. Dieser Schaden sei kausal und adäquat verursacht. Dieser Vermögensschaden basiere nicht auf einem Eingriff von Vollzugsorganen, weshalb die Geltendmachung nach dem Amtshaftungsgesetz ausscheide. Vielmehr handle es sich um legislatives Unrecht "im Sinne einer reinen Erfolgshaftung".

1.4. Weiters rege die Klägerin an, der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art267 AEUV beim Gerichtshof der Europäischen Union eine Vorabentscheidung zur Klärung der Frage einholen, ob eine gesetzliche Regelung wie §10 Abs7 erster Satz Apothekengesetz mit der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit gemäß Art56 AEUV, der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit gemäß Art49 AEUV sowie den Rechten nach Art16 GRC, Art17 GRC und Art47 GRC vereinbar sei. Die Klägerin hege Zweifel, ob eine solche Regelung, nach welcher "sowohl Verwaltungsbehörden als auch Gerichte dazu verhalten sind, ausschließlich und alternativlos eine strukturell und damit schon vom Anschein her befangene Interessenvertretung, die auch dem arbeitsrechtlichen Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit (§4 ArbVG) widerspricht, zur Erstellung von Bedarfsgutachten iSd §10 Abs2 bis Abs6a ApG heranzuziehen", mit den genannten Vorschriften des Unionsrechts vereinbar sei.

2. Die beklagte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der die Zurückweisung (in eventu die Abweisung) der Klage beantragt wird:

Der von der Klägerin behauptete Schaden sei jedenfalls durch verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln verursacht worden. Die Klägerin behaupte zwar, dass es sich um legislatives Unrecht handle, verweise jedoch zur Begründung ihres Vorbringens auf im Rahmen des seit über zehn Jahren dauernden und derzeit beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Konzessionsverfahrens aufgetretene Umstände. So setze sich der behauptete Schaden laut Klage aus Kosten für rechtsanwaltliche Vertretungs- bzw Beratungsleistungen sowie aus Kosten für IT Leistungen, die (unter anderem) durch die vorläufige Erteilung der Konzession durch Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich im Jahr 2016 entstanden seien, zusammen. Die Klägerin knüpfe also durchwegs an Handeln der Verwaltungsbehörden, (insbesondere) des Verwaltungsgerichtes und des Verwaltungsgerichtshofes, an. Selbst wenn das Verhalten dieser Organe gesetzlich zwingend vorherbestimmt gewesen wäre, würde dies nicht zur Folge haben, dass es unmittelbar der Gesetzgebung zuzurechnen wäre. Die Klage sei daher wegen Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.

3. Die Klägerin hat eine Replik erstattet.

II. Rechtslage

§10 des Gesetzes vom 18. Dezember 1906, betreffend die Regelung des Apothekenwesens (Apothekengesetz), RGBl 5/1907, idF BGBl I 103/2016 lautet wie folgt:

"Sachliche Voraussetzungen der Konzessionserteilung

§10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

1. in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

1. sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte eine ärztliche Hausapotheke befindet und weniger als zwei Vertragsstellen nach §342 Abs1 ASVG (volle Planstellen) von Ärzten für Allgemeinmedizin besetzt sind, oder

2. die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke weniger als 500 m beträgt oder

3. die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich in Folge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5 500 betragen wird.

(3) Ein Bedarf gemäß Abs2 Z1 besteht auch dann nicht, wenn sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke

1. eine ärztliche Hausapotheke und

2. eine Vertragsgruppenpraxis befindet, die versorgungswirksam höchstens eineinhalb besetzten Vertragsstellen nach Abs2 Z1 entspricht und in der Gemeinde keine weitere Vertragsstelle nach §342 Abs1 ASVG von einem Arzt für Allgemeinmedizin besetzt ist.

(3a) In einem Zeitraum, während dessen ein Gesamtvertrag gemäß §341 ASVG nicht besteht, besteht ein Bedarf gemäß Abs2 Z1 dann nicht, wenn in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke weniger als zwei Ärzte für Allgemeinmedizin zum Zeitpunkt der Antragstellung ihren ständigen Berufssitz haben und sich dort eine ärztliche Hausapotheke befindet.

(3b) Bei der Prüfung gemäß Abs2 Z1 sind bloß vorübergehende Vertragsstellen, die einmalig und auf höchstens 3 Jahre befristet sind, nicht zu berücksichtigen.

(4) Zu versorgende Personen gemäß Abs2 Z3 sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke, die auf Grund der örtlichen Verhältnisse aus dieser bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin zu versorgen sein werden.

(5) Beträgt die Zahl der ständigen Einwohner im Sinne des Abs4 weniger als 5 500, so sind die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigten.

(6) Die Entfernung gemäß Abs2 Z2 darf ausnahmsweise unterschritten werden, wenn es besondere örtliche Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dringend gebieten.

(6a) Die Zahl der von der Betriebsstätte einer oder mehrerer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen gemäß Abs2 Z3 ist zu unterschreiten, wenn es auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken geboten ist.

(7) Zur Frage des Bedarfes an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ist ein Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer einzuholen. Soweit gemäß §29 Abs3 und 4 Ärzte betroffen sind, ist auch ein Gutachten der Österreichischen Ärztekammer einzuholen.

(8) Als bestehende Apotheken im Sinne des Abs2 Z2 und 3 gelten auch alle nach der Kundmachung BGBl I Nr 53/1998 rechtskräftig erteilten Konzessionen zur Errichtung einer öffentlichen Apotheke."

III. Erwägungen

1. Gemäß Art137 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

2. Die Rechtsordnung unterscheidet zwischen Amtshaftungsansprüchen und Staatshaftungsansprüchen:

2.1. Amtshaftungsansprüche (Art23 B VG), etwa aus einem die EMRK verletzenden Vollzugshandeln, sind im Amtshaftungsweg geltend zu machen (siehe §§8 ff AHG), weshalb eine diesbezügliche Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art137 B VG infolge dessen suppletorischen Charakters von vornherein ausscheidet (vgl etwa VfSlg 13.079/1992, 18.194/2007).

2.2. Staatshaftungsansprüche sind im Unionsrecht wurzelnde Entschädigungsansprüche aus einem hinreichend qualifizierten (offenkundigen), subjektive Rechte verletzenden Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts und ebenfalls – grundsätzlich – bei den ordentlichen Gerichten bzw den Amtshaftungsgerichten geltend zu machen (vgl VfSlg 16.107/2001, 17.019/2003; Grabenwarter/Frank , B VG, 2020, Art23 B VG, Rz 13 f.). Der Verfassungsgerichtshof ist zur Entscheidung über Staatshaftungsansprüche wegen Verletzung des Unionsrechts (nur) zuständig, sofern die behauptete Verletzung durch eine Entscheidung eines Höchstgerichtes oder unmittelbar durch den Gesetzgeber erfolgte (vgl zuletzt etwa VfSlg 20.568/2022; VfGH 17.3.2022, A22/2021; 8.6.2020, A17/2019).

2.2.1. Dass gegenüber der Klägerin eine – konkrete – Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes oder des Verfassungsgerichtshofes ergangen wäre, die (offenkundig) gegen Unionsrecht verstoße, wurde nicht behauptet. Ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht liegt unter Berücksichtigung der Besonderheiten der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird (VfSlg 18.448/2008; VfGH 17.3.2022, A22/2021). Ein Kläger hat in Staatshaftungsverfahren daher nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes – bei sonstiger Unzulässigkeit – begründet darzulegen, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist (vgl etwa VfGH 17.3.2022, A22/2021, mwN der Rechtsprechung). Solches hat die Klägerin nicht dargetan.

2.2.2. Im Falle behaupteter Unionsrechtsverstöße der Gesetzgebung kommt die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nur in Betracht, wenn der Akt, der die unionsrechtliche Staatshaftung auslöst, unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist (zB VfSlg 16.107/2001, 17.002/2003, 20.568/2022). Knüpft der behauptete Schaden an ein – wenn auch durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmtes – verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln an, bleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine unionsrechtliche Staatshaftung (vgl VfSlg 17.611/2005, 18.020/2006). Lediglich dann, wenn der behauptete Verstoß gegen Unionsrecht auf Ebene der Vollziehung nicht (insbesondere im Wege der unmittelbaren Anwendbarkeit unionsrechtlicher Bestimmungen oder einer unionsrechtskonformen Auslegung des Gesetzes) vermieden werden kann, ist der Verstoß unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen und die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art137 B VG gegeben (VfSlg 20.568/2022).

3. Ein unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnendes Fehlverhalten bringt die Klägerin nicht vor:

Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren darauf, dass "permanente Verfahrensverzögerungen", letztlich eine bis zur Klageerhebung zehneinhalbjährige Verfahrensdauer, einen – zum Teil näher bezifferten – Vermögensschaden verursacht hätten. Diese Verfahrensverzögerungen führt die Klägerin in ihrem abstrakt gehaltenen Vorbringen hauptsächlich auf das prinzipielle Gebot meritorischer Entscheidungen nach §28 VwGVG, auf das Amtswegigkeitsprinzip im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht, auf nicht hinreichende Sach- und Personalausstattung der Verwaltungsgerichte, auf die unabdingbare Verpflichtung, Gutachten der Apothekerkammer einzuholen (§10 Abs7 Apothekengesetz), und auf Befangenheitsfragen zurück.

Damit zeigt die Klägerin jedoch keine unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnende Unionsrechtswidrigkeit auf, sondern macht der Sache nach Vollzugsfehler geltend. Es ist für den Verfassungsgerichtshof nämlich nicht erkennbar, inwiefern die genannten Verfahrensvorschriften zwangsläufig eine überlange Verfahrensdauer zur Folge haben, die sich auch durch eine effiziente Verfahrensführung, also Vollziehung, nicht vermeiden lässt, zumal auch §10 Abs7 Apothekengesetz nicht als absolute Pflicht, ein Gutachten der Apothekerkammer abzuwarten, zu verstehen ist (VfSlg 20.587/2022). (Schon) aus diesem Grund erübrigt sich auch, einen Vorabentscheidungsantrag zur Klärung der Unionsrechtskonformität von §10 Abs7 Apothekengesetz zu stellen.

Der geltend gemachte Schaden ist somit nicht unmittelbar auf – behauptete – Fehlleistungen des Gesetzgebers zurückzuführen, sondern (allenfalls) durch Fehlleistungen der Verwaltungsbehörden bzw Verwaltungsgerichte verursacht.

4. Die vorliegende Klage ist daher wegen der fehlenden unmittelbaren Zurechnung des Aktes, der die unionsrechtliche Staatshaftung auslösen soll, zum Gesetzgeber bzw des Fehlens der erforderlichen Darlegung eines offenkundigen Verstoßes gegen Unionsrecht durch Höchstgerichte unzulässig. Damit verbietet sich eine Beurteilung des Klagebegehrens in der Sache.

IV. Ergebnis

1. Die Klage ist daher zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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