E3481/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
1. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde betreffend die erkennungsdienstliche Behandlung nach §67 SPG abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin wurde von einer Polizeibeamtin der Polizeiinspektion Bregenz wegen des Verdachts des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§§15, 269 StGB) als Beschuldigte vernommen. Nach der Vernehmung wurden von ihr Lichtbilder angefertigt, Papillarlinienabdrücke abgenommen und es wurde ein Mundhöhlenabstrich durchgeführt. Gegen diese Amtshandlungen erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg, in der sie die Rechtswidrigkeit dieser Handlungen geltend machte mit der Begründung, dass diese weder von den Vorschriften über die erkennungsdienstliche Behandlung nach dem SPG (§§65 und 67) noch von den Bestimmungen der Identitätsfeststellung und der körperlichen Untersuchung nach der StPO (§§118, 123) gedeckt seien.
2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und einer mündlichen Verhandlung wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg die Beschwerde in Bezug auf das Rechtswidrigkeitsvorbringen nach dem SPG als unbegründet ab und in Bezug auf das Rechtswidrigkeitsvorbringen nach der StPO wegen Unzuständigkeit zurück. Dabei ging das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg – zusammengefasst – von folgendem Sachverhalt aus:
2.1. Die Beschwerdeführerin sei für den 20. Jänner 2022 zu einer Beschuldigtenvernehmung in die Polizeiinspektion Bregenz geladen worden, weil sie im Verdacht gestanden sei, sich den Anweisungen eines den Verkehr anlässlich einer Demonstration umleitenden Polizeibeamten widersetzt zu haben; sie sei auf diesen mit dem Fahrzeug ihrer Mutter zugefahren, sodass der Beamte zurückweichen habe müssen. Dadurch sei sie des Delikts des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§§15, 269 StGB) verdächtig.
In der Polizeiinspektion habe die Beschwerdeführerin den Tatvorwurf bestritten. Auf die Frage der Polizeibeamtin, ob eine erkennungsdienstliche Behandlung nach §65 SPG und §67 SPG durchgeführt werden dürfe, habe die Beschwerdeführerin geantwortet, dass sie an der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht mitwirken werde, weil sie unschuldig sei. Auf die Erklärung der Polizeibeamtin, bei solch gelagerten Delikten würden erkennungsdienstliche Behandlungen durchgeführt, habe die Beschwerdeführerin erwidert, dass sie diese trotzdem nicht machen wolle. Daraufhin unterblieb vorerst die erkennungsdienstliche Behandlung.
Nach neuerlicher Ladung der Beschwerdeführerin zur Beschuldigtenvernehmung sei die Beschwerdeführerin mit ihrem Rechtsvertreter, einem Rechtsanwalt, am 7. Februar 2022 in die Polizeiinspektion Bregenz gekommen. Nach der Beschuldigtenvernehmung habe die Polizeibeamtin die Beschwerdeführerin zur erkennungsdienstlichen Behandlung angemeldet. Die Beschwerdeführerin habe sich geweigert, zur erkennungsdienstlichen Behandlung mitzugehen. Daraufhin habe ihr die Polizeibeamtin erklärt, dass die Beschwerdeführerin mit Zwang zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbracht werden würde, wenn sie nicht mitwirke. Auf Grund der beharrlichen Weigerung der Beschwerdeführerin habe die Polizeibeamtin Rücksprache mit einem Bediensteten des Rechtsbüros der Landespolizeidirektion Vorarlberg gehalten. Kurz darauf sei die Beschwerdeführerin von zwei Polizeibeamten unter Widerstand und mit lautem Schreien von ihrem Stuhl aufgezogen, am linken und rechten Oberarm gepackt worden und ihre Hände seien gesichert worden. Als die Polizeibeamtin der Beschwerdeführerin angedroht habe, sie werde auf Grund ihres Verhaltens erneut eine Anzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt erhalten, wenn sie nicht mitwirke, habe sich die Beschwerdeführerin beruhigt. Sie sei selbstständig in Begleitung der Polizeibeamten und in Anwesenheit ihres Rechtsvertreters in den Raum zur erkennungsdienstlichen Behandlung gegangen und habe an dieser mitgewirkt.
2.2. Im Verfahren legte die Beschwerdeführerin Befunde vor, wonach die Amtshandlungen zu Hämatomen an den Armen und Beschwerden im Hals Schulter-Nackenbereich geführt hätten. Eine Magnetresonanztomographie der linken Schulter und eine psychiatrische Anamnese habe nach den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg keine Auffälligkeiten gezeigt.
2.3. Zur Abweisung der Beschwerde führte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg im Wesentlichen aus, dass die angefochtenen drei Amtshandlungen, die Anfertigung von Lichtbildern, die Abnahme von Papillarlinienabdrücken und die Durchführung eines Mundhöhlenabstriches, nach dem SPG durchgeführt worden seien, weil sie dem Zweck des vorbeugenden Schutzes von Rechtsgütern vor gefährlichen Angriffen gedient hätten. Dies ergebe sich unzweifelhaft aus der im Ermittlungsverfahren abgegebenen Stellungnahme und der Aussage der Polizeibeamtin in der Verhandlung, dass erkennungsdienstliche Behandlungen, wie die Abnahme von Fingerabdrücken und DNA Abstriche, bei derart gelagerten Delikten wie dem vorliegenden (Widerstand gegen die Staatsgewalt gemäß §269 StGB) standardmäßig stattfänden und zur Abschreckung durchgeführt werden würden. Auch in der Gegenschrift der Bezirkshauptmannschaft Bregenz sei ausgeführt worden, dass die durchgeführten Maßnahmen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich gewesen seien und die Beschwerdeführerin dadurch von weiteren Angriffen abgeschreckt werden sollte. Auch sei die Beschwerdeführerin mehrfach belehrt worden.
2.4. Die Zuständigkeit der Datenschutzbehörde (vgl §90 SPG) sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil auf Grund der Sachverhaltsfeststellungen feststehe, dass sich die Beschwerdeführerin den Maßnahmen nicht freiwillig unterzogen habe, sondern diese erst unter Ausübung unmittelbaren Zwanges mittels Polizeigewalt möglich gewesen seien. Die Beschwerdeführerin sei nämlich, nachdem sie sich beharrlich geweigert habe, mit der einvernehmenden Polizeibeamtin zur erkennungsdienstlichen Behandlung mitzukommen, von zwei Polizeibeamten dorthin verbracht worden. Erst nach Androhung einer erneuten Anzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt habe die Beschwerdeführerin an den Amtshandlungen mitgewirkt.
2.5. Die erkennungsdienstliche Behandlung durch Anfertigen der Lichtbilder und die Abnahme von Papillarlinienabdrücken erachtete das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg als rechtmäßig gemäß §65 SPG. Es führte aus, auch wenn die erkennungsdienstliche Behandlung im Zusammenhang mit dem Verdacht der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung erfolgt sei, sei diese im Rahmen der Sicherheitsverwaltung erfolgt, weil sie dem vorbeugenden Schutz von Rechtsgütern vor gefährlichen Angriffen gedient habe. Die Qualifikation des Handelns der mit der erkennungsdienstlichen Behandlung der Beschwerdeführerin befassten Verwaltungsorgane stehe auch im Einklang mit §22 Abs3 zweiter Satz SPG, wonach die Bestimmungen über den Erkennungsdienst auch dann gelten würden, wenn ein bestimmter Mensch einer strafbaren Handlung verdächtig sei.
Zum Vorliegen der Voraussetzungen nach §65 SPG führte es konkret aus:
"Im Hinblick auf die Verhaltensweise der Beschwerdeführerin am 16.01.2022, mit der sie […] versucht hat, [sich] den Befehlen eines Polizeibeamten zu widersetzen und diesen sogar gefährdet hat, indem sie mit dem Fahrzeug ihrer Mutter auf diesen zugefahren ist, sodass er einige Schritte zurückgehen musste, um nicht von der Fahrzeugfront erfasst zu werden, und das permanent uneinsichtige Verhalten bei der Beschuldigtenvernehmung ist – bei einer abstrakten Wahrscheinlichkeitsbeurteilung – jedenfalls der Schluss gerechtfertigt, dass die Tat kein Einzelfall bleiben wird. Die Beschwerdeführerin hat selbst noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht keine Einsicht in ihr Verhalten gezeigt, sondern stets beteuert, dass sie nichts getan habe.
Ohne die Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung der Betroffenen in Form der Erstellung von Lichtbildern und der Abnahme von Fingerabdrücken wäre ihre Wiedererkennbarkeit bei neuerlicher Tatbegehung fraglich. Andererseits ist gerade die leichte Wiedererkennbarkeit geeignet, die Beschwerdeführerin von weiteren Tatbegehungen abzuschrecken und somit vorbeugend zu wirken [Zitat eines VwGH-Erkenntnisses].
Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach §65 Abs1 SPG in die Grundrechte der Beschwerdeführerin eingreift, wird dieser Eingriff – im Hinblick auf obige Ausführungen – als erforderlich und verhältnismäßig beurteilt."
2.6. Die Voraussetzungen für die DNA Untersuchung durch die Vornahme eines Mundhöhlenabstriches nach §67 SPG sah das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg ebenso als gegeben an. Es führte aus, nach dem festgestellten Sachverhalt sei die Beschwerdeführerin von der ermittelnden Polizeibeamtin mehrfach erfolglos aufgefordert worden, an einer erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken. Sie habe ihre Gründe dargelegt, weshalb sie an der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht mitwirken habe wollen. Die Beschwerdeführerin stehe im Verdacht, eine mit mindestens einjähriger Freiheitstrafe bedrohte vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben, und sei diesbezüglich auch gerichtlich, wenn auch noch nicht rechtskräftig, verurteilt worden.
Konkret führte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg weiter aus:
"Wegen der Art und der Ausführung der Tathandlungen, deren die Beschwerdeführerin verdächtig ist, und auch aufgrund der daraus erkennbaren Persönlichkeit der Beschwerdeführerin, die auch noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht nicht einsichtig gewesen ist, steht zudem zu befürchten, dass die Beschwerdeführerin weitere derartige Taten begehen und dabei Spuren hinterlassen wird, die ihre Wiedererkennung aufgrund der ermittelten genetischen Daten ermöglichen würden.
Deshalb ist es notwendig, um der Gefahr weiterer Tatbegehungen durch die Beschwerdeführerin vorzubeugen, die von der belangten Behörde angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung vorzunehmen, weil angenommen werden kann, dass die Beschwerdeführerin im Bewusstsein, dass sie aufgrund der von ihr ermittelten Daten (insbesondere ihrer DNA) bei neuerlichen Tatbegehungen viel leichter als Täterin festgestellt werden kann, von vorneherein von weiteren Tathandlungen abgeschreckt wird [Zitat eines VwGH-Erkenntnisses].
Die so zu erwartende Präventivwirkung vermag die bekämpfte Maßnahme zu rechtfertigen."
2.7. Die Zurückweisung der Beschwerde begründete es im Wesentlichen damit, dass – sollte im vorliegenden Fall polizeiliches Handeln im Sinne der §118 StPO (Identitätsfeststellung) und §123 StPO (körperliche Untersuchung) stattgefunden haben – dieses mit Einspruch an das Strafgericht nach §106 Abs1 Z2 StPO zu bekämpfen wäre. Eine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes liege diesbezüglich nicht vor.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und im Recht auf Gleichheit, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg rechtswidrig seine Zuständigkeit verneint habe, weil die Beschwerdeführerin einer strafbaren Handlung nach dem StGB verdächtig gewesen sei und das Handeln der Kriminalpolizei im Dienste der Strafjustiz nach Aufhebung der Wortfolge "oder Kriminalpolizei" in §106 Abs1 StPO mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 2015, G233/2014 (VfSlg 19.991/2015), mit Maßnahmenbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht bekämpfbar sei. Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hätte daher die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Identitätsstellung nach §118 StPO und die körperliche Untersuchung nach §123 StPO gerichtet habe, behandeln und, weil die Maßnahmen entgegen dieser Bestimmungen vorgenommen worden seien, den Rechtsverstoß feststellen müssen.
Weiters habe das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg §67 SPG denkunmöglich als "Abschreckungsnorm" angewendet und durch seine Entscheidung gebilligt, dass die Polizeibeamten der nach §67 SPG geforderten Gefährlichkeitsprognose nicht nachgekommen seien. Auch sei die Beschwerdeführerin einer Tat verdächtig, nämlich des "versuchten Anfahrens eines Polizeibeamten", bei der denkunmöglich DNA Spuren zu sichern wären. Zudem zeigten die im Verfahren vorgelegten Befunde die Unverhältnismäßigkeit des polizeilichen Vorgehens. Überdies sei das Verfahren mit schweren Verfahrensfehlern, wie die Nichtbeiziehung eines Sachverständigen, behaftet.
4. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz hat die Verwaltungsakten und das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg die Gerichtsakten vorgelegt. Gegenschrift wurde keine erstattet.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
§65 und §67 Sicherheitspolizeigesetz – SPG, BGBl 566/1991, idF BGBl I 29/2018 lauten:
"Erkennungsdienstliche Behandlung
§65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte vorsätzliche Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.
(2) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, im Zusammenhang mit der Klärung der Umstände einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten vorsätzlichen Handlung Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn diese nicht im Verdacht stehen, diese Handlung begangen zu haben, aber Gelegenheit hatten, Spuren zu hinterlassen, soweit dies zur Auswertung vorhandener Spuren notwendig ist.
(3) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, deren Identität gemäß §35 Abs1 festgestellt werden muß, sofern eine Anknüpfung an andere Umstände nicht möglich ist oder unverhältnismäßig wäre.
(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.
(6) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Namen, Geschlecht, frühere Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Namen der Eltern, Ausstellungsbehörde, Ausstellungsdatum und Nummer mitgeführter Dokumente, allfällige Hinweise über die Gefährlichkeit beim Einschreiten einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten, soweit deren Verarbeitung zur Wahrung lebenswichtiger Interessen erforderlich ist, und Aliasdaten eines Menschen (erkennungsdienstliche Identitätsdaten), den sie erkennungsdienstlich behandelt haben, zu ermitteln und zusammen mit den erkennungsdienstlichen Daten und mit dem für die Ermittlung maßgeblichen Grund zu verarbeiten. In den Fällen des Abs1 sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, eine Personsfeststellung vorzunehmen.
DNA-Untersuchungen
§67. (1) Eine erkennungsdienstliche Behandlung, bei der die DNA eines Menschen ermittelt werden soll, ist zulässig, wenn der Betroffene im Verdacht steht, eine strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung oder eine mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben und wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zu befürchten ist, er werde gefährliche Angriffe begehen und dabei Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Daten im Sinne des §36 Abs2 Z12 DSG ermöglichen würden. Soweit dies zur Auswertung vorhandener DNA Spuren erforderlich ist, darf eine solche erkennungsdienstliche Behandlung auch bei Menschen im Sinne des §65 Abs2 erfolgen. Im Übrigen gilt §65 Abs4 bis 6.
(1a) Eine erkennungsdienstliche Maßnahme in Bezug auf Abgängige (§65a) und an Leichen (§66) darf auch die Ermittlung der DNA umfassen.
(2) Genetische Daten, die durch erkennungsdienstliche Maßnahmen ermittelt wurden, dürfen ausschließlich für Zwecke des Erkennungsdienstes ausgewertet werden. Die molekulargenetische Untersuchung hat durch einen Auftragsverarbeiter zu erfolgen, dem zwar das gesamte Untersuchungsmaterial auszufolgen, nicht aber erkennungsdienstliche Identitätsdaten des Betroffenen zu übermitteln sind.
(3) Die Sicherheitsbehörden haben vertraglich dafür vorzusorgen, daß der Auftragsverarbeiter nur jene Bereiche in der DNA untersucht, die der Wiedererkennung dienen, sowie dafür, daß er das Untersuchungsmaterial vernichtet, wenn die Sicherheitsbehörde zur Löschung der erkennungsdienstlichen Daten verpflichtet ist."
§77 SPG, BGBl 566/1991, idF BGBl I 61/2016 und §78 SPG, BGBl 566/1991, idF BGBl I 146/1999 lauten:
"Verfahren
§77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.
(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß §65 Abs4 bescheidmäßig aufzuerlegen. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird oder zur Vernehmung nach der StPO bereits in der Dienststelle anwesend ist.
(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren (§39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden.
(4) Steht die Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß §65 Abs4 fest, so kann der Betroffene, wenn er angehalten wird, zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeführt werden.
Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt
§78. Die erkennungsdienstliche Behandlung kann, soweit es tatsächlich möglich ist und damit kein Eingriff in die körperliche Integrität verbunden ist, durch Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt durchgesetzt werden."
III. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
A. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde betreffend die erkennungsdienstliche Behandlung nach §67 SPG (Abnahme eines Mundhöhlenabstriches) richtet, ist sie auch begründet.
1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998, 16.488/2002 und 20.299/2018) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002 und 20.402/2020).
2. Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht Vorarlberg unterlaufen:
2.1. Dem Landesverwaltungsgericht Vorarlberg ist zunächst zuzustimmen, dass – nach dem denkmöglich festgestellten Sachverhalt – die Behandlung der Beschwerdeführerin im Dienste der Sicherheitspolizei, nämlich zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe (vgl §16 Abs2 SPG), erfolgt sei. In diesen Fällen ist die erkennungsdienstliche Behandlung auch von Personen, die einer Straftat nach dem StGB verdächtig sind, zulässig (§22 Abs3 letzter Halbsatz SPG). Ebenso hat das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg denkmöglich seine Zuständigkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung der Beschwerdeführerin bejaht.
2.2. §65 Abs1 und §67 Abs1 SPG regeln die (materiellen) Voraussetzungen für eine erkennungsdienstliche Behandlung Tatverdächtiger, wobei §67 als lex specialis die Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung durch DNA Untersuchung regelt. Zur Verwirklichung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist der Betroffene gemäß §77 Abs1 SPG unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes zunächst formlos zur erkennungsdienstlichen Behandlung aufzufordern. Kommt er der Aufforderung nicht nach, ist ihm die Verpflichtung zur Mitwirkung an der erkennungsdienstlichen Behandlung (vgl §65 Abs4 SPG) bescheidmäßig aufzuerlegen, es sei denn, der Betroffene wird aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grund angehalten oder ist – wie im vorliegenden Fall – zur Vernehmung nach der StPO bereits in der Dienststelle anwesend (§77 Abs2 SPG). Diesfalls ist die erkennungsdienstliche Behandlung mittels Befehls- und Zwangsgewalt (vgl §78 SPG) unmittelbar ohne die Erlassung eines Bescheides durchzusetzen.
Im vorliegenden Fall übten die Polizeibeamten wegen Nichtmitwirkung der Beschwerdeführerin an der erkennungsdienstlichen Behandlung (nach dem denkmöglich festgestellten Sachverhalt) angemessenen Zwang aus, um sie zur erkennungsdienstlichen Behandlung zu verbringen.
§65 Abs1 SPG ermächtigt die Sicherheitsbehörden zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen, wenn ein Mensch im Verdacht steht, eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte vorsätzliche Handlung begangen zu haben, wenn dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.
2.3. An die Zulässigkeit einer seit der SPG Novelle BGBl I 146/1999 in §67 SPG gesondert geregelten erkennungsdienstlichen Behandlung, bei der die DNA eines Menschen ermittelt werden soll, stellt der Gesetzgeber gegenüber §65 Abs1 SPG zusätzliche Anforderungen. Eine DNA Untersuchung ist – soweit hier relevant – zulässig, wenn der Betroffene im Verdacht steht, eine mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben und wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zu befürchten ist, er werde gefährliche Angriffe begehen und dabei Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung auf Grund der ermittelten genetischen Daten im Sinne des §36 Abs2 Z12 DSG ermöglichen würden.
Die (vorsätzliche) Anlasstat muss demnach mit einer zumindest einjährigen Freiheitsstrafe bedroht sein und die geforderte Prognose betreffend die Gefahr künftiger gefährlicher Angriffe, die sich aus der Art oder Ausführung der (Verdachts )Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen ergeben muss (vgl zur Prognoseentscheidung VfGH 7.12.2023, G590/2023), muss (auch) im Hinblick darauf erfolgen, dass der Betroffene bei der Begehung gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen werde, die seine Wiedererkennung auf Grund der ihm abgenommenen DNA ermöglicht. Diese speziellen, der besonderen Sensibilität von durch DNA Untersuchungen gewonnenen Informationen (vgl die Erläut zur RV 1479 BlgNR 20. GP, 21; VfSlg 19.738/2013 und VwGH 18.2.2003, 2001/01/0098) Rechnung tragenden Anforderungen an die Zulässigkeit einer DNA Untersuchung müssen im Zeitpunkt der DNA-Abnahme vorgelegen sein bzw sich bei Überprüfung der Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Maßnahme – wie im vorliegenden Fall – aus einer auf den Einzelfall bezogenen Begründung hervorgehen (vgl zum Verbot einer systematischen und generellen Erhebung biometrischer und genetischer Daten EuGH 26.1.2023, C 205/21, V.S. ). Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg nicht gerecht.
Zwar erkennt das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg zutreffend, dass die Schwelle der Anlasstat durch den Verdacht des (versuchten) Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §(§15,) 269 StGB überschritten ist. Inwieweit aber aus dieser Tat oder deren Ausführung (mit einem Fahrzeug) oder der Persönlichkeit der Beschwerdeführerin der Schluss gezogen werden kann, dass die Beschwerdeführerin künftig gefährliche Angriffe begehen und dabei Spuren hinterlassen werde, die ihre Wiedererkennung auf Grund der ihr durch einen Mundhöhlenabstrich abgenommenen DNA ermöglichen werde, geht aus der Begründung des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg, die sich lediglich auf den Hinweis auf die (seiner Ansicht nach wie vor gegebenen) Uneinsichtigkeit der Beschwerdeführerin und die Präventivwirkung der Abnahme des Mundhöhlenabstriches beschränkt, nicht hervor (vgl auch VwGH 7.10.2003, 2003/01/0191).
Da sich aus der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg nicht ergibt, dass der Mundhöhlenabstrich den Voraussetzungen des §67 SPG entsprochen hat, ist die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet und, soweit sie sich auf §67 SPG bezieht, aufzuheben.
B. Im Übrigen, also soweit die Beschwerde betreffend die erkennungsdienstliche Behandlung gemäß §65 SPG abgewiesen sowie betreffend die Identitätsfeststellung gemäß §118 StPO und die körperliche Untersuchung gemäß §123 StPO zurückgewiesen wird, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die vorliegende Beschwerde rügt insoweit die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Zurückweisung der Beschwerde im Hinblick auf VfSlg 19.991/2015 und die Abweisung der Beschwerde betreffend das Anfertigen von Lichtbildern und die Abnahme von Papillarlinienabdrücken dem Gesetz entsprechen, insoweit nicht anzustellen.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die Abweisung der Beschwerde betreffend die erkennungsdienstliche Behandlung nach §67 SPG im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere (diesen Punkt betreffende) Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.