JudikaturVfGH

G3497/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2024

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Sachverhalt und Antrag

1. Mit mündlich verkündetem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. Jänner 2023 wurde die Antragstellerin wegen des Verbrechens der Fortgesetzten Gewaltausübung (§107b Abs1, Abs3a Z1 erster Fall, Abs4 zweiter Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die schriftliche Ausfertigung dieses Urteils wurde der Antragstellerin am 24. Februar 2023 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs zur Verfügung gestellt und daher am 27. Februar 2023 zugestellt (§89d Abs2 GOG).

2. Dagegen erhob die Antragstellerin am 16. März 2023 Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung. Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 6. September 2023 zurückgewiesen. Die Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 7. Dezember 2023 abgewiesen.

3. Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2023 stellte die Antragstellerin beim Landesgericht für Strafsachen Wien Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Wiederaufnahme des Verfahrens und brachte unter einem eine weitere Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil vom 26. Jänner 2023 ein.

4. Am selben Tag brachte die Antragstellerin auch den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag ein, der Verfassungsgerichtshof möge §107b StGB als verfassungswidrig aufheben.

II. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

1.2. Seit der Aufhebung von Teilen des §62a VfGG durch den Verfassungsgerichtshof (VfSlg 20.074/2016) ist das zeitliche Verhältnis zwischen der Erhebung des Rechtsmittels gegen die Entscheidung des ordentlichen Gerichts und dem Parteiantrag vor dem Verfassungsgerichtshof unmittelbar vor dem Hintergrund des Art140 Abs1 Z1 litd B VG zu beurteilen. Demnach ist ein Parteiantrag rechtzeitig, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellt wird. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit ist die Einbringung des Antrages beim Verfassungsgerichtshof (vgl

VfGH 12.10.2016, G215/2016

mwN).

2. Im strafgerichtlichen Hauptverfahren vor dem Schöffengericht (§§210 ff StPO) hat die Beschwerdeführerin das Recht, binnen vier Wochen nach der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde, wenn ihr eine Urteilsabschrift aber – wie hier – erst nach der Anmeldung des Rechtsmittels zugestellt wurde, binnen vier Wochen nach der Zustellung eine Ausführung ihrer Beschwerdegründe beim Gericht zu überreichen (§285 Abs1 StPO). Gleiches gilt sinngemäß für die Berufung (§294 Abs1 StPO). Die Frist für Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. Jänner 2023 endete daher am 27. März 2023. Da der vorliegende Antrag nicht innerhalb dieser Frist beim Verfassungsgerichtshof eingebracht wurde, sondern erst am 11. Dezember 2023, fehlt es an einer Prozessvoraussetzung im Sinne von Art140 Abs1 Z1 litd B VG.

3. Der Antrag ist daher gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

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