E3064/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Sachverhalt und Beschwerdevorbringen
1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vom 18. März 2022 wurde der beteiligten Partei auf den Grundstücken Nr 3518 und 3676, KG Gerasdorf, für die Gewinnung von Sand und Kies sowie die Errichtung der dazugehörigen Bergbauanlagen mit Pumpanlage nach Maßgabe der dem Bescheid beiliegenden und mit einer Bezugsklausel versehenen Projektunterlagen, der in den Spruch aufgenommenen Beschreibung und unter Einhaltung der im Einzelnen angeführten Auflagen, die naturschutzbehördliche Bewilligung erteilt.
2. Die dagegen erhobene Beschwerde der Stadtgemeinde Gerasdorf wurde mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich zurückgewiesen und die ordentliche Revision für zulässig erklärt.
Begründend führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich im Wesentlichen aus, dass §27 Abs2 NÖ NSchG 2000 (idF LGBl 26/2019, sowie dessen Vorgängerregelung §14a NÖ NSchG 1977) der beschwerdeführenden Gemeinde keine subjektiven öffentlichen Rechte einräume, sondern lediglich die Stellung einer Legalpartei. Anders als im Falle der NÖ Umweltanwaltschaft habe der Gesetzgeber der Gemeinde in §27 Abs2 NÖ NSchG 2000 die Befugnis zur Erhebung einer Beschwerde gegen naturschutzbehördliche Bescheide nicht ausdrücklich eingeräumt, weshalb die Beschwerde zurückzuweisen sei. Da zur Beschwerdelegitimation der Gemeinde im Naturschutzverfahren gemäß §27 Abs2 NÖ NSchG 2000 keine explizite Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliege, sei die Revision zuzulassen.
3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insbesondere im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B VG), im Recht auf Selbstverwaltung (Art116 Abs2 B VG), im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B VG und Art2 StGG) sowie in Rechte wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird.
Begründend führt die beschwerdeführende Gemeinde im Wesentlichen aus, dass ihr zum einen das Recht zukomme, die von §27 Abs2 NÖ NSchG 2000 erfassten naturschutzbehördlichen Entscheidungen in Beschwerde zu ziehen, soweit durch die Bewilligung die taxativ aufgelisteten Interessen der Beschwerdeführerin verletzt werden. Die Bestimmung im Tiroler Naturschutzgesetz, mit der die Parteistellung von Gemeinden im naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren geregelt werde und aus der der Verwaltungsgerichtshof eine mit (bestimmten) subjektiven öffentlichen Rechten verbundene Parteistellung abgeleitet habe, sei nach Stimmen in der Literatur mit §27 Abs2 NÖ NSchG 2000 vergleichbar, weil beide Be-stimmungen bei der Regelung der Parteistellung von Gemeinden in naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren auf spezifische, rechtlich abgrenzbare eigene Interessen der Gemeinde abstellen und damit die Einräumung der Parteistellung an einen bestimmten, im Interessenbereich der Gemeinde gelegenen Zweck knüpfen würden. Zum anderen folge aus dem Gesagten, dass die Beschwerdeführerin berechtigt sei, ihre aus der Parteistellung resultierenden prozessualen Befugnisse (zB das Recht auf eine angemessene Stellungnahmefrist) mit Beschwerde geltend zu machen, weshalb sich das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zumindest mit den prozessualen Rechtsverletzungen inhaltlich auseinanderzusetzen gehabt hätte. Im vorliegenden Zusammenhang sei die Eignungszonenfestlegung nach der Verordnung der NÖ Landesregierung über ein Regionales Raumordnungsprogramm Wien Umland Nord, NÖ LGBl 64/2015, gesetzwidrig, weil der Erholungsraum für die Bewohner verloren gehe, ein enormes Verkehrsaufkommen generiert und das Landschaftsbild gestört werde.
4. Die beteiligte Partei tritt in ihren Äußerungen dem Beschwerdevorbringen entgegen und beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde zurück- bzw abweisen oder die Behandlung der Beschwerde ablehnen.
II. Rechtslage
Die maßgebliche Bestimmung des NÖ Naturschutzgesetzes 2000 – NÖ NSchG 2000, LGBl 5500 11, idF LGBl 26/2019 lautet:
" §27
NÖ Umweltanwaltschaft und Gemeinden
(1) Die NÖ Umweltanwaltschaft hat in den aufgrund dieses Gesetzes durchzuführenden Verwaltungsverfahren mit Ausnahme der Verwaltungsstrafverfahren sowie der Entschädigungsverfahren zur Wahrung der ihr gesetzlich übertragenen Aufgaben auf dem Gebiet des Umweltschutzes Parteistellung im Sinne des §8 AVG.
Soweit der NÖ Umweltanwaltschaft Parteistellung zukommt, ist sie berechtigt, Beschwerde gegen solche Bescheide der Behörde an das Landesverwaltungsgericht zu erheben. Weiters kommt ihr das Recht zu, gegen solche Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichtes Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
(2) Die betroffenen Gemeinden haben zur Wahrung ihrer Interessen des Fremdenverkehrs, der örtlichen Gefahrenpolizei, des Orts- und Landschaftsbildes und der örtlichen Raumordnung Parteistellung im Sinne des §8 AVG in den aufgrund dieses Gesetzes durchzuführenden Verwaltungsverfahren mit Ausnahme der Verwaltungsstrafverfahren sowie der Entschädigungsverfahren."
III. Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes
Zur Zulässigkeit der Beschwerde
1. Zur Frage der Beschwerdelegitimation vor dem Verfassungsgerichtshof zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, dass die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B VG nur dann gegeben ist, wenn durch den bekämpften Bescheid irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann, das heißt wenn die bescheidmäßigen Anordnungen oder Feststellungen die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers berühren, der Bescheid demgemäß subjektive Rechte begründet (verändert) oder feststellt (vgl VfSlg 11.764/1988, 15.398/1999, 15.733/2000, 17.840/2006, 17.920/2006, 18.442/2008, 19.151/2010, 19.289/2011). Für die Beschwerdelegitimation gemäß Art144 Abs1 B VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung gelten sinngemäß dieselben Voraussetzungen (vgl zB VfGH 20.2.2014, B182/2014; 24.11.2017, E1041/2016; 27.2.2018, E2179/2017; 10.3.2020, E788/2020; 15.12.2021, E4122/2021; 13.6.2023, E3117/2022).
1.1. §27 Abs2 NÖ NSchG 2000 bestimmt, dass den betroffenen Gemeinden zur Wahrung ihrer Interessen des Fremdenverkehrs, der örtlichen Gefahrenpolizei, des Orts- und Landschaftsbildes und der örtlichen Raumordnung Parteistellung im Sinne des §8 AVG in den auf Grund des NÖ NSchG 2000 durchzuführenden Verwaltungsverfahren mit Ausnahme der Verwaltungsstrafverfahren sowie der Entschädigungsverfahren zukommt.
1.2. Daraus geht zwar hervor, dass der Landesgesetzgeber der Gemeinde die Wahrung bestimmter Interessen im naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren überantwortet und ihr zu diesem Zweck Parteistellung einräumt; dieser Umstand allein lässt nicht darauf schließen, dass der Gemeinde eigene subjektive Rechte im vorliegenden Zusammenhang verliehen sind. Das Bestehen solcher Rechte wäre aber Voraussetzung der Beschwerdelegitimation nach Art144 B VG; die Stellung einer Amts- oder Formalpartei genügt hiefür nicht (vgl dazu VfSlg 17.587/2005, 15.545/1999, 10.342/1985; zur Stellung der Gemeinde nach dem NÖ NSchG vgl VwGH 24.10.2017, Ra 2017/10/0130; VwGH 10.12.2001, 2001/10/0193 mwN). Damit mangelt es der beschwerdeführenden Gemeinde an der Legitimation zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes.
IV. Ergebnis
Die Beschwerde ist daher mangels Legitimation der beschwerdeführenden Gemeinde gemäß §19 Abs4 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.