E2133/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
II. Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis in einem sonstigen Recht verletzt worden sind.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Bescheid des Bürgermeisters von Apetlon vom 16. August 2021 wurde der beteiligten Partei (im Folgenden: Bauwerber) gem. §18 Bgld BauG die Baubewilligung zur Errichtung eines Neubaus eines Wohnhauses und Carports, einer Weinlagerhalle und einer Photovoltaikanlage auf dem Grundstück Nr 756, KG 32002 Apetlon, erteilt und die geschlossene Bebauung festgelegt (Spruchpunkt I.), die Einwendungen der Nachbarn wurden abgewiesen bzw zurückgewiesen (Spruchpunkt II.).
Für das Baugrundstück lagen weder Bebauungspläne oder Teilbebauungspläne noch Bebauungsrichtlinien vor.
2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer als Eigentümer des Nachbargrundstückes Nr 759 Berufung.
3. Mit Bescheid des Gemeinderates von Apetlon vom 22. Dezember 2021 wurde der Berufung der Beschwerdeführer insofern stattgegeben, als die Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides dahingehend abgeändert wurden, dass die Baubewilligung gem. §18 Bgld BauG erteilt wird, die mit dem Bewilligungsvermerk versehenen Baupläne sowie die Baubeschreibungen einen wesentlichen Bestandteil dieser Baubewilligung bilden, für das Bauvorhaben gem. §5 Abs1 Z2 Bgld BauG die halboffene Bebauung festgelegt wird, wobei an die nordwestlich gelegene seitliche Grundstücksgrenze des Baugrundstücks Nr 756 zu den Nachbargrundstücken Nr 759 bzw Nr 753, EZ 2970, KG Apetlon, anzubauen ist, und gem. §5 Abs5 Bgld BauG die südwestlich gelegene, hintere Grundstücksgrenze des Baugrundstücks Nr 756 zum Nachbargrundstück Nr 754/2 als zwingende hintere Baulinie festgelegt wird, an die anzubauen ist.
4. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Burgenland nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem hier bekämpften Erkenntnis mit folgender Begründung ab:
Aus der zugelassenen Bebauungsweise ergäben sich die jeweiligen Abstände zu den seitlichen Grundgrenzen, nur diese seien im Verfahren relevant. §5 Abs3 Bgld BauG sei nicht anzuwenden. Auf das Vorbringen zu §5 Abs3 leg cit zur Festlegung der hinteren Grundgrenze sei daher nicht einzugehen. Der aus §5 Abs2 Bgld BauG folgende Mindestabstand von 3 m habe keine Auswirkungen auf das Grundstück der Beschwerdeführer, da die betroffene Fläche 7 m vor ihrer Grundgrenze ende. Aus dem Gutachten der Amtssachverständigen für Bautechnik ergebe sich nachvollziehbar, dass die notwendige Belichtung und Belüftung angesichts der Gebäudehöhe des Objektes auf dem Grundstück der Beschwerdeführer gewährleistet bleibe. Dem Vorbringen der Beschwerdeführer, dass es sich bei dem Baugrundstück um ein dreieckiges Grundstück handle, da die südlich gelegene Grundstücksgrenze (Grenze Grst. Nr 756 zu Grst. Nr 755/3) nicht bebaubar sei, sei entgegenzuhalten, dass das Grundstück über vier Seiten verfüge, wobei drei Seiten annährend gerade Linien aufwiesen und eine Seite (an der Grenze zum Grst. Nr 755/3) einen S förmigen Verlauf habe. Das ändere aber nichts daran, dass − wie in §5 Abs1 Z2 Bgld BauG vorgesehen − die Möglichkeit bestehe, an die seitlichen Grundgrenzen anzubauen bzw zu den seitlichen Grundgrenzen den im Gesetz vorgesehenen Abstand einzuhalten.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
6. Das Landesverwaltungsgericht Burgenland und die vor dem Gericht belangte Behörde haben Gegenschriften, der Bauwerber hat Äußerungen erstattet.
7. Der Verfassungsgerichtshof führte am 25. September 2023 eine mündliche Verhandlung durch.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Burgenländischen Baugesetzes (Bgld BauG), LGBl 10/1998, idF LGBl 29/2019 lauten:
"§5
Bebauungsweisen und Abstände
(1) Sofern Bebauungspläne/Teilbebauungspläne oder Bebauungsrichtlinien nicht vorliegen, hat die Baubehörde unter Berücksichtigung des Baubestandes und des Ortsbildes für ein Baugrundstück folgende Bebauungsweisen zuzulassen:
1. geschlossene Bebauung, wenn die Hauptgebäude in geschlossener Straßenfront beidseitig an die seitlichen Grundstücksgrenzen anzubauen sind,
2. halboffene Bebauung, wenn die Hauptgebäude an einer seitlichen Grundstücksgrenze anzubauen sind und gegen die andere seitliche Grundstücksgrenze ein Abstand von mindestens 3 m einzuhalten ist,
3. offene Bebauung, wenn gegen beide seitlichen Grundstücksgrenzen ein Abstand von mindestens 3 m einzuhalten ist.
Für die offene Bebauungsweise ist eine Grundstücksbreite von mindestens 15 m erforderlich.
(2) Bei allen Bebauungsweisen ist vom Hauptgebäude gegen die hintere Grundstücksgrenze ein Mindestabstand von 3 m einzuhalten sofern das Baugrundstück nicht an mehr als einer Seite von öffentlichen Verkehrsflächen begrenzt wird. In der seitlichen und hinteren Abstandsfläche sind Nebengebäude und andere untergeordnete Bauten bis zu einer Außenwandhöhe von 3 m, bezogen auf das verglichene Gelände des Baugrundstückes, und mit einer Dachneigung von höchstens 45° zulässig, sofern die maßgeblichen baupolizeilichen Interessen nicht verletzt werden.
(3) Die Baubehörde kann in Ausnahmefällen unter besonderer Berücksichtigung des Anrainerschutzes, der Baugestaltung und der örtlichen Gegebenheiten abweichend von den Bestimmungen der Abs1 und 2 die Abstände von Bauten zu den Grundstücksgrenzen durch die Festlegung von vorderen, seitlichen und hinteren Baulinien bestimmen, die auch als zwingende Baulinien festgelegt werden können. Baulinien sind die Grenzlinien, innerhalb derer Bauten errichtet werden dürfen; zwingende Baulinien sind jene Grenzlinien, an die anzubauen ist.
(4) Wenn das Ortsbild und die Sicherheit von Personen und Sachen nicht beeinträchtigt werden, kann die Baubehörde das Vorspringen untergeordneter Bauteile, wie zB Erker, Balkone, Dachvorsprünge, Schutzdächer, Freitreppen, Terrassen und dergleichen über die Baulinie genehmigen.
Fallen Straßenfluchtlinie und Baulinie zusammen, dürfen
1. Hauptgesimse, Dachvorsprünge und dergleichen nur bis 0,50 m und
2. Erker, die nicht breiter als ein Drittel der Gebäudefrontlänge sind, und Sonnenschutzeinrichtungen und dergleichen bis 1,50 m über die Baulinie vorspringen.
(5) Die Bauteile nach Abs4 müssen
1. im Bereich des Gehsteiges bis zu 0,60 m vor Beginn der Fahrbahn mindestens 2,80 m über dem Gehsteig,
2. im Bereich von 0,60 m bis zu Beginn der Fahrbahn mindestens 4,50 m über dem Niveau der Fahrbahn und
3. im Bereich der Verkehrsfläche mindestens 4,50 m über dem Niveau der Fahrbahn liegen.
(6) Wenn das Ortsbild, die Verkehrssicherheit und die Sicherheit von Personen und Sachen nicht beeinträchtigt werden, kann die Baubehörde für eine nachträgliche Wärmedämmung ein Unterschreiten der in Abs1 und 2 angeführten Abstände zu den Grundstücksgrenzen sowie ein Vorspringen über die Baulinie genehmigen."
"§21
Parteien
(1) Parteien im Bauverfahren sind
1. der Bauwerber,
2. der Grundeigentümer bzw die Miteigentümer, wenn der Bauwerber nicht Alleineigentümer ist,
3. die Eigentümer jener Grundstücke, die von den Fronten des Baues weniger als 15 m entfernt sind (Nachbarn),
4. die Burgenländische Landesumweltanwaltschaft im Sinne des §3 des Gesetzes über die Burgenländische Landesumweltanwaltschaft, LGBl Nr 78/2002, in der jeweils geltenden Fassung.
(2) Ein Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung mit der Begründung Einwendungen erheben, dass er durch das Vorhaben in seinen Rechten verletzt wird.
(3) Ist das Recht, dessen Verletzung behauptet wird, im Privatrecht begründet (privatrechtliche Einwendung), so hat die Baubehörde einen gütlichen Ausgleich zu versuchen. Kommt eine Einigung zustande, ist sie in der Verhandlungsschrift festzuhalten und im Bescheid darauf hinzuweisen; kommt keine Einigung zustande, sind die streitenden Parteien hinsichtlich dieser Einwendung auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen. Dies ist unter Anführung der Einwendung in der Verhandlungsschrift und im Bescheid ausdrücklich anzuführen.
(4) Wird die Verletzung von Vorschriften dieses Gesetzes oder von sonstigen bau- und raumplanungsrechtlichen Vorschriften (zB Bauverordnung, Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan, Bebauungsrichtlinien) behauptet, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse des Nachbarn dienen (öffentlichrechtliche Einwendung), hat die Baubehörde hierüber im Bescheid zu erkennen und gegebenenfalls die Baubewilligung zu versagen oder die Einwendung als unbegründet abzuweisen und die Baubewilligung zu erteilen.
(5) Andere Einwendungen sind als unzulässig zurückzuweisen.
(6) Im Bauverfahren übergangene Parteien können ihre Rechte bis spätestens vier Wochen nach Baubeginn bei der Baubehörde geltend machen."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet:
1. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B VG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B VG) verletzt.
Die Beschwerdeführer bringen im Wesentlichen Folgendes vor:
Durch das Bauvorhaben entstehe ein "Schlauch", der dem Wohngebäude der Beschwerdeführer in unzumutbarer Weise Licht, Luft und Sonne nehme. Es sei weder in einer Verordnung durch den Verordnungsgeber, noch in einem Verordnungsprüfungsverfahren, noch im Rahmen der Bauverhandlung und auch nicht im Rahmen des Rechtsschutzes vor dem Landesverwaltungsgericht Burgenland das Erfordernis des §46 Abs4 Bgld RPG 2019 bzw des §50 Abs2 leg cit berücksichtigt worden, wonach darauf Bedacht zu nehmen sei, dass eine gegenseitige Beeinträchtigung der Nachbarn vermieden werde, und auf ein ausreichendes Maß an Licht, Luft und Sonne Rücksicht zu nehmen sei. Die Erlassung entweder von Bebauungsplänen oder Teilbebauungsplänen oder zumindest von Bebauungsrichtlinien sei von Gesetzes wegen zwingend vorgesehen, deren Unterlassung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Da systematisch keine Bebauungspläne oder Teilbebauungspläne bzw zumindest subsidiär Bebauungsrichtlinien erlassen worden seien, liege Willkür vor. Durch die atypische Form des Baugrundstückes komme eine Ermächtigung und damit eine Zuständigkeit der Baubehörde gemäß §5 Abs1 Z1 Bgld BauG zur Festlegung einer Bebauungsweise nicht in Frage. Die Bestimmung des §5 Bgld BauG sei vielmehr nur als ein Auffangtatbestand im Ausnahmefall zu sehen.
2. Dem Beschwerdevorbringen kann nicht gefolgt werden:
2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998, 16.488/2002 und 20.299/2018) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001 und 19.518/2011).
2.2. Die Beschwerdeführer sind Nachbarn iSd §21 Abs1 Z3 Bgld BauG. Grundsätzlich sind die Festlegungen über Bebauungsweise und Abstände, wie sie §5 Bgld BauG für den Einzelfall vorsieht, Teil des Bebauungsplans und Teilbebauungsplans gemäß §46 Bgld RPG 2019 und damit der Entscheidung der vorausschauenden Planung durch den Gemeinderat unterworfen, der insbesondere gemäß §46 Abs4 leg cit nähere Festlegungen über deren Inhalt zu treffen hat.
2.3. Fest steht, dass für das zu bebauende Grundstück kein Bebauungsplan bzw kein Teilbebauungsplan und auch keine Bebauungsrichtlinien vorliegen. Für diesen Fall sieht §5 Abs1 leg cit vor, dass die Baubehörde unter Berücksichtigung des Baubestandes und des Ortsbildes für ein Baugrundstück eine der in den Z1 bis 3 genannten Bebauungsweisen (geschlossen, halboffen oder offen) durch einen Bescheid festzulegen hat. Ferner ist die Baubehörde verpflichtet, die Festlegung der Bebauungsweise nachvollziehbar zu begründen (vgl etwa VwGH 31.1.2012, 2009/05/0023, und 27.5.2009, 2007/05/0071, jeweils mwN).
2.4. Der Verfassungsgerichtshof vermag nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht zu erkennen, dass dem Landesverwaltungsgericht Burgenland ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen ist. Zur Entscheidungsfindung führte das Landesverwaltungsgericht Burgenland eine mündliche Verhandlung durch und stützte sich nachvollziehbar auf Amtssachverständigengutachten.
2.5. Ob der angefochtenen Entscheidung auch darüber hinaus eine in jeder Hinsicht rechtsrichtige Anwendung einschlägiger Gesetzesbestimmungen zugrunde liegt, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen.
2.6. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführer in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden.
IV. Ergebnis
1. Die behauptete Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführer in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurden. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurden.
3. Die Beschwerde ist daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
Dem Antrag der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht auf Zuerkennung von Kosten als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes ist schon deshalb nicht zu entsprechen, weil dies im VfGG nicht vorgesehen ist und eine sinngemäße Anwendung des §48 Abs2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (zB VfSlg 7315/1974, 9488/1982, 10.003/1984, 17.600/2005 mwN). Dem Antrag der beteiligten Partei auf Kostenersatz ist nicht stattzugeben, weil die von ihr erstatteten Äußerungen nichts zur Rechtsfindung beigetragen haben (zB VfSlg 14.214/1995, 15.916/2000, 18.315/2007, 19.016/2010).