JudikaturVfGH

E2561/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
28. November 2023

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.

Begründung

1. Mit Beschluss vom 19. September 2023 wies der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde des Antragstellers gegen den oben bezeichneten Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark mit der Begründung zurück, dass zum Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde die sechswöchige Beschwerdefrist bereits abgelaufen war. Dieser Beschluss wurde den Rechtsvertretern des Antragstellers am 11. Oktober 2023 via ERV übermittelt, sodass er als am Folgetag zugestellt gilt.

2. Mit am 27. Oktober 2023 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachtem Schriftsatz begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde und erhebt unter einem (abermals) Beschwerde gegen die genannte Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark .

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages führt er im Wesentlichen aus, der Antragsteller sei selbst seinerzeit Finanzbeamter und Mitglied des Unabhängigen Verwaltungssenates gewesen und werde seit längerem von den einschreitenden Rechtsanwälten vertreten, wobei bislang auch eine Anzahl von Fristenangelegenheiten zu erledigen gewesen sei (auch im Sinne von Höchstgerichtsbeschwerden bzw Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof).

Der Antragsteller habe den in Rede stehenden Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark, mit dem über ihn eine Ordnungsstrafe "wegen beleidigender Schreibweise" verhängt worden sei, versehen mit handschriftlichen Vermerken an die Kanzlei der einschreitenden Rechtsanwälte übermittelt und dargetan, dass er ein Vorgehen gegen diesen Beschluss wünsche, zumal er davon ausgehe, dass die über ihn verhängte Ordnungsstrafe zu Unrecht verhängt worden sei.

Wie sich aus dem Deckblatt des beiliegenden, vom Antragsteller übermittelten Beschlusses ergebe, seien darauffolgende, von ihm handschriftlich vorgenommene Anmerkungen vorhanden gewesen: "übernommen am 29. Juni 2023", "Fristende: Do, 10. August 2023".

In der Kanzlei der einschreitenden Rechtsanwälte sei es die Aufgabe einer namentlich genannten Mitarbeiterin, nicht nur die eingehende Post zu bearbeiten, sondern auch die Fristen einzutragen (sowohl in den sogenannten Handkalender als auch in die kanzleiinterne EDV).

Die genannte Mitarbeiterin habe die Weisung, wenn fristenauslösende Schriftstücke von Klienten übermittelt würden, stets nachzufragen, wie die Zustellung des die Frist auslösenden Poststückes von Statten gegangen sei, bzw im Zweifel bei der bezüglichen Behörde nachzufragen. Sollten weitere Zweifel bestehen, sei die Frist mit dem aktführenden Rechtsanwalt zu besprechen.

Diese Mitarbeiterin habe bedauerlicherweise im vorliegenden Fall weder beim Antragsteller nachgefragt, noch beim Landesverwaltungsgericht Steiermark eine telefonische Rückfrage getätigt, in welcher Form (persönliche Übernahme oder Hinterlegung) der in Rede stehende Beschluss dem Wiedereinsetzungswerber tatsächlich zugegangen sei. Sie sei vielmehr davon ausgegangen, dass – zumal vollkommen exakte handschriftliche Vermerke auf dem übermittelten Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark angebracht gewesen seien, deren Unrichtigkeit auch nicht offensichtlich gewesen sei – der Beschluss tatsächlich am 29. Juni 2023 vom Antragsteller (direkt) übernommen worden sei.

So sei von der genannten Mitarbeiterin das Ende der sechswöchigen Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bzw zur Verfassung einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof per 10. August 2023 in den Handkalender und auch in die EDV der einschreitenden Rechtsanwälte eingetragen worden; der entsprechende Vermerk über diese Eintragung sei ebenfalls auf dem Deckblatt des in Rede stehenden Beschlusses angebracht worden.

Die Unterlassung einer umfassenden Prüfung des Zustellvorganges eines dem Klienten direkt zugegangenen, fristauslösenden Poststückes sei dieser Mitarbeiterin, die ihre diesbezügliche Tätigkeit seit 10. Jänner 2022 in der Kanzlei der einschreitenden Rechtsanwälte innehabe, bislang noch nie unterlaufen. Dass sie sich auf die Richtigkeit der vom Antragsteller auf dem in Rede stehenden Beschluss vorgenommenen Anmerkungen über den Zustellvorgang ("übernommen am 29. Juni 2023") verlassen habe, ohne diesbezüglich beim Antragsteller oder der den Beschluss erlassenden Behörde nachzufragen bzw beim aktführenden Rechtsanwalt konkret eine Weisung hinsichtlich des Fristeintrages einzuholen, stelle jedenfalls einen minderen Grad des Versehens dar.

Bis zur Übermittlung des Zurückweisungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes seien sowohl der Wiedereinsetzungswerber also auch die einschreitenden Rechtsanwälte davon ausgegangen, dass die eingebrachte Beschwerde jedenfalls rechtzeitig an den Verfassungsgerichtshof abgesetzt worden sei.

Nach Erhalt des Zurückweisungsbeschlusses sei der Antragsteller mit dessen Inhalt konfrontiert worden; dieser habe in einem E-Mail vom 17. Oktober 2023 mitgeteilt, dass er sich tatsächlich am 19. Juni 2023 an seinem Zweitwohnsitz aufgehalten habe. Er habe aber am ersten Tag seiner Rückkehr (29. Juni 2023) das Poststück behoben und gehe davon aus, dass die von ihm berechnete, sechswöchige Frist mit 10. August 2023 ohnehin zutreffend sei.

3. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist zulässig, aber nicht begründet:

3.1. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.

3.1.1. Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

3.1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

3.2. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde fiel am 12. Oktober 2023 weg. Mit dem am 27. Oktober 2023 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde diese Frist – auf Grund des gesetzlichen Feiertages am 26. Oktober 2023 – gewahrt.

3.3. Jedoch kann von einem minderen Grad des Versehens der Bevollmächtigten des Antragstellers im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden:

Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat im Zusammenhang mit der Einhaltung von Fristen und Terminen ein Mindestmaß an Sorgfalt zu beachten sowie eine möglichst effiziente Organisation einzurichten, um zu verhindern, dass es zu Fristversäumnissen kommt (VfSlg 15.692/1999, 18.903/2009). Zur Klärung der für die Wahrung der gesetzlichen Frist für die Beschwerdeerhebung wichtigen Frage des korrekten Zustelldatums der Entscheidung hat sich die den Beschwerdeführervertretern zuzurechnende Kanzleimitarbeiterin mit den am vom Antragsteller übermittelten Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark handschriftlich vermerkten Übernahmedatum begnügt, anstatt entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um das wahre Datum der Zustellung der Entscheidung festzustellen. Durch Nachfrage beim Antragsteller oder beim Landesverwaltungsgericht Steiermark selbst wäre es möglich gewesen, das für die Fristenberechnung korrekte Zustelldatum zu ermitteln, weshalb es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens iSd Rechtsprechung handelt (vgl VfGH 11.12.2019, E3342/2019, mwN).

Mit der (bis zum Ablauf der Frist für den Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) bloßen Behauptung der Ortsabwesenheit zum Zeitpunkt der Hinterlegung des in Rede stehenden Beschlusses des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vermag der Antragsteller nicht glaubhaft zu machen, dass die Beschwerdefrist erst mit der tatsächlichen Übernahme dieser Entscheidung durch ihn zu laufen begonnen hat.

3.4. Damit liegen aber die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen ist.

4. Die Beschwerde wurde erst nach Ablauf der sechswöchigen Frist (§88a Abs1 iVm §82 Abs1 VfGG) eingebracht und ist somit als verspätet zurückzuweisen.

5. Diese Beschlüsse konnten gemäß §149 Abs2 ZPO iVm §35 VfGG und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

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