JudikaturVfGH

E2284/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
28. November 2023

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch. Am 26. Juli 2015 stellte er seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 8. Juni 2017 als unbegründet abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 13. November 2020 ab, wobei die schriftliche Ausfertigung am 24. November 2020 erfolgte.

2. Am 18. Mai 2021 stellte der Beschwerdeführer den hier maßgeblichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Unter anderem bringt er erstmals vor, homosexuell zu sein. Aus Angst habe er dies nicht im ersten Verfahren angegeben.

3. Mit Bescheid vom 23. August 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Bangladesch zulässig sei, und gewährte eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

4. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, dass er sich nach einem längeren "Coming-Out-Prozess" dazu entschieden habe, seine sexuelle Orientierung frei auszuleben und daher in Bangladesch auf Grund seiner sexuellen Orientierung verfolgt werde. Diese Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 27. Juni 2023 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht führt im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können. Insbesondere drohe dem Beschwerdeführer keine Verfolgung auf Grund seiner sexuellen Orientierung, weil sein Vorbringen aus unterschiedlichen Gründen nicht glaubhaft sei:

4.1. Zunächst sei ein derart spätes "Coming-Out" vor dem Hintergrund, dass sich der Beschwerdeführer nach seiner Ausreise fast neun Jahre in Griechenland aufgehalten habe und dort des Öfteren "szenenspezifische Lokale" aufgesucht habe, nicht nachvollziehbar. Zudem erscheine es auch nicht glaubhaft, dass sich der Beschwerdeführer nach seiner Einreise in Österreich Ende Juli 2015 erst im Februar bzw März 2021 über die gesetzlichen Bestimmungen betreffend homosexuelle Paare informiert haben soll.

4.2. Der Beschwerdeführer habe weiters angegeben, dass sein einziger sexueller Kontakt in Bangladesch mit seinem Cousin stattgefunden und diese Affäre ca drei bis vier Jahre angedauert habe. Da sie nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers nicht "erwischt" worden seien, könne dahingestellt bleiben, ob sexuelle Kontakte zwischen den beiden tatsächlich stattgefunden hätten, wobei anzumerken sei, dass dies mit näherer Begründung nicht sehr wahrscheinlich sei. Wenn es dem Beschwerdeführer aber möglich gewesen sei, über mehrere Jahre eine homosexuelle Beziehung in seinem Heimatort zu führen, ohne dass es zu irgendwelchen nachteiligen Konsequenzen für ihn gekommen wäre, erscheine es höchst unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer – im Falle eines neuerlichen Eingehens einer homosexuellen Beziehung – ausgerechnet in einer Millionenstadt wie Dhaka "erwischt" werde. Aus den Länderinformationen ergebe sich nicht, dass jede homosexuelle Person in Bangladesch ohne Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte einer Verfolgung ausgesetzt sei.

4.3. Im Zusammenhang mit der behaupteten Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und einem näher bezeichneten Mann sei darauf hinzuweisen, dass dieser offenkundig kein großes Interesse am Ausgang des Verfahrens des Beschwerdeführers zu haben scheine. Andernfalls sei es nicht erklärlich, dass dieser Mann – trotz Zeugenladung – unentschuldigt der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ferngeblieben sei und "nicht einmal mehr" eine schriftliche Stellungnahme eingebracht habe, die das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers stützen hätte können. Abgesehen von der Beziehung zu diesem näher bezeichneten Mann seien keine weiteren sexuellen Kontakte des Beschwerdeführers seit der Einreise nach Österreich hervorgekommen. Im Gegenteil habe der Beschwerdeführer sogar vorgebracht, dass er seine Sexualität im Bundesgebiet von Ende Juli 2015 bis zum Jahr 2021 nicht ausgelebt habe.

4.4. Vor diesem Hintergrund sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen habe können, homosexuell zu sein. Selbst wenn man jedoch von Gegenteiligem ausginge, habe der Beschwerdeführer nicht hinreichend konkret dargelegt, dass er einer landesweiten Bedrohung ausgesetzt sei. Somit wäre auch bei einer Wahrunterstellung davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar sei, sich insbesondere in einer Millionenstadt wie Dhaka niederzulassen, wo "niemand seine Geschichte kenne".

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen. Ebenso hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keine Äußerung erstattet.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Beweiswürdigend führt das Bundesverwaltungsgericht zum einen aus, dass "[a]bgesehen von der Beziehung mit [einem näher bezeichneten] Herrn […] keine weiteren sexuellen Kontakte des Beschwerdeführers seit der Einreise nach Österreich hervorgekommen" seien. Zum anderen erachtet es jedoch das Vorbringen des Beschwerdeführers, homosexuell zu sein, für nicht glaubhaft.

2.2. Vor dem Hintergrund der Beweiswürdigung, wonach der Beschwerdeführer mit diesem Mann in Österreich eine sexuelle Beziehung geführt habe, ist ein erhöhter Begründungsaufwand erforderlich, weshalb dennoch nicht davon auszugehen wäre, dass der Beschwerdeführer homosexuell sei und ihm auf Grund seiner sexuellen Orientierung im Herkunftsstaat Verfolgung drohe (VfGH 15.12.2021, E3001/2021). Diesen qualifizierten Anforderungen wird das Bundesverwaltungsgericht nicht gerecht.

Der tragenden Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach im Zusammenhang mit dieser "behaupteten Beziehung" zwischen dem Beschwerdeführer und dem näher bezeichneten Mann darauf verwiesen werde, dass dieser Mann – trotz Zeugenladung – unentschuldigt der mündlichen Verhandlung ferngeblieben sei und daher offenkundig kein großes Interesse am Ausgang des Verfahrens des Beschwerdeführers zu haben scheine, im Zusammenhang mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens betreffend seiner sexuellen Orientierung kommt kein Begründungswert zu, zumal das Bundesverwaltungsgericht selbst davon ausgeht, dass diese eine Beziehung geführt haben.

2.3. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar begründet, weshalb es das Vorbringen des Beschwerdeführers, homosexuell zu sein, für nicht glaubwürdig erachtet und ihm deshalb im Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe (VfGH 15.12.2021, E3001/2021).

2.4. Die Alternativbegründung der angefochtenen Entscheidung, wonach dem Beschwerdeführer selbst bei Wahrunterstellung keine asylrelevante Verfolgung drohe, erweist sich als ebenso wenig tragfähig:

Nach den vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Länderfeststellungen sind homosexuelle Handlungen in Bangladesch illegal und können mit bis zu lebenslangem Freiheitsentzug bestraft werden. Homosexualität sei gesellschaftlich "absolut verpönt"; wo Homosexuelle als solche erkannt werden, haben sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlung bis hin zum Mord zu rechnen. Auch wenn das strafrechtliche Verbot gleichgeschlechtlicher Beziehungen nur selten durchgesetzt wird, bleibt gesellschaftliche Diskriminierung die Norm. Jedes Jahr werden dutzende Angriffe auf Mitglieder der LGBTI Gemeinschaft gemeldet. Mit diesen Länderfeststellungen hätte sich das Bundesverwaltungsgericht näher auseinandersetzen müssen (vgl VfGH 27.2.2020, E3349/2019; 10.3.2021, E3937/2020; 15.3.2023, E3193/2022; siehe auch VwGH 13.1.2022, Ra 2020/14/0214).

3. Indem das Bundesverwaltungsgericht es somit verabsäumt hat, in entscheidungswesentlichen Punkten ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu führen, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

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