JudikaturVfGH

G777/2023, SV4/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. November 2023

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag und Antragsvorbringen

1. Mit dem auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin:

"wegen Verstoßes gegen Art8 EMRK und Art7 EUGRC, Art24 EUGRC und Artikel 1 Absatz 2 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern

aus Artikel 13 Absatz 1 litb HKÜ die Wortfolgen

'mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder (…) auf andere Weise' (jeweils inklusive der französischen und englischen Textfassungen, soweit diese verbindlich sind)

in eventu

'mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder' (jeweils inklusive der französischen und englischen Textfassungen, soweit diese verbindlich sind)

in eventu

'schwerwiegenden' (jeweils inklusive der französischen und englischen Textfassung, soweit diese verbindlich ist, nämlich jeweils das Wort 'grave')

wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben oder für unanwendbar zu erklären, und .

aus §195 Abs4 StGB das Wort 'ernsthaft' für verfassungswidrig zu erklären."

2. Die Antragstellerin behauptet pauschal einen Verstoß der angefochtenen Bestimmungen gegen Art8 EMRK, Art7 GRC, Art24 GRC und Art1 Abs2 BVG Kinderrechte; eine nähere Darlegung verfassungsrechtlicher Bedenken ist dem Antrag nicht zu entnehmen.

II. Zulässigkeit

Der Antrag ist nicht zulässig.

1. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung näher bezeichneter Wortfolgen in Art13 Abs1 litb "HKÜ" sowie des Wortes "ersthaft" (gemeint wohl "ernstlich") in §195 Abs4 StGB. Die Antragstellerin führt zwar weder den (Lang- oder Kurz ) Titel des angefochtenen Staatsvertrages noch dessen Fundstelle an und unterlässt es somit auch gänzlich, die angefochtenen Fassungen der angegriffenen Vertragsvorschriften zu bezeichnen. Da die Bestimmung jedoch im Antrag wörtlich wiedergegeben ist, ist deutlich erkennbar, dass Art13 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung – Haager Kindesentführungsübereinkommen, BGBl 512/1988, angefochten werden soll (siehe bereits VfGH 9.3.2023, SV1/2022, unter Hinweis auf VfSlg 17.237/2004, 16.773/2002; VfGH 7.10.2015, G24/2013, V12/2013).

2. Gemäß Art140a Abs1 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Rechtswidrigkeit von Staatsverträgen. Dabei ist auf die mit Genehmigung des Nationalrates gemäß Art50 B VG abgeschlossenen Staatsverträge und die gesetzesändernden oder gesetzesergänzenden Staatsverträge gemäß Art16 Abs1 B VG der Art140 B VG, auf alle anderen Staatsverträge der Art139 B VG anzuwenden.

Bei dem von der Antragstellerin angefochtenen Haager Kindesentführungsübereinkommen handelt es sich um einen gemäß Art50 B VG genehmigten Staatsvertrag, auf den somit Art140 B VG (sinngemäß) anzuwenden ist.

Der Umstand, dass die Antragstellerin – dem Art140a B VG zuwider – die Aufhebung der angefochtenen vertraglichen Vorschriften statt der Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit begehrt, berührt die Zulässigkeit des Antrages nicht, weil das Begehren der Aufhebung voraussetzungsgemäß den Vorwurf der Rechtswidrigkeit – hier: der Verfassungswidrigkeit – und damit das Begehren auf deren Feststellung in sich schließt (VfGH 9.3.2023, SV1/2022; vgl VfSlg 16.628/2002, 19.085/2010).

3. Gemäß §62 Abs1 erster Satz (iVm §66) VfGG muss ein (Partei )Antrag das Begehren enthalten, dass der Staatsvertrag bzw das Gesetz seinem gesamten Inhalt nach oder in bestimmten Stellen als verfassungswidrig festzustellen bzw aufzuheben ist. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes – gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (allgemein zB VfSlg 11.150/1986, 11.888/1988, 13.851/1994, 14.802/1997, 17.651/2005; zum Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG zB VfGH 2.7.2015, G16/2015; 2.7.2015, G145/2015; siehe insbesondere auch VfSlg 20.490/2023).

4. Eben diesem Erfordernis wird der Antrag der einschreitenden Partei nicht gerecht. Unter dem Titel "Verfassungswidrigkeit des Art13 Abs1 litb HKÜ und des §195 StGB oder diverser Wortfolgen daraus" enthält der Antrag allgemeine Ausführungen zum "HKÜ" sowie Hinweise auf unter anderem die Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes. Die Antragstellerin begnügt sich damit, den Verstoß der angefochtenen Bestimmungen gegen Art8 EMRK, Art7 GRC, Art24 GRC und Art1 Abs2 BVG Kinderrechte zu behaupten; eine konkrete Darlegung, warum die bekämpften Regelungen im Einzelnen gegen die genannten Verfassungsbestimmungen verstoßen, ist dem Antrag an keiner Stelle zu entnehmen.

5. Da das Fehlen einer geeigneten Darlegung iSd §62 Abs1 zweiter Satz VfGG kein behebbares Formgebrechen ist, sondern ein Prozesshindernis darstellt (vgl zB VfSlg 15.342/1998 mwN), ist der Antrag zurückzuweisen, ohne dass das Vorliegen der sonstigen Prozessvoraussetzungen näher zu prüfen ist.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.

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