E3166/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Marokko. Er stellte am 25. Juli 2023 nach seiner Ankunft am Flughafen Wien Schwechat einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung und der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer ausschließlich wirtschaftliche und private Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates an.
2. Mit Bescheid vom 7. August 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach Durchführung eines Flughafenverfahrens und der in diesem Verfahren einzuholenden schriftlichen Zustimmung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß §33 Abs2 AsylG 2005 den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.) und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.).
3. Die fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, in der der Beschwerdeführer erstmals seine Homosexualität als Fluchtgrund vorbrachte, wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 24. August 2023 – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – als unbegründet ab.
Begründend führte es im Wesentlichen aus, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, wonach ihm in Marokko auf Grund seiner Homosexualität Verfolgung drohe, nicht glaubhaft sei. Der Beschwerdeführer habe in der Erstbefragung und in der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausschließlich wirtschaftliche Erwägungen und familiäre Schwierigkeiten als Grund für seine Ausreise aus dem Herkunftsstaat angegeben. Erstmals in der Beschwerde habe der Beschwerdeführer im vollkommenen Widerspruch dazu ausgeführt, dass er in seinem Herkunftsland auf Grund seiner sexuellen Orientierung von asylrelevanter Verfolgung bedroht sei. Dies sei schon alleine deshalb unglaubhaft, weil dieses Vorbringen im Rahmen des Administrativverfahrens gänzlich unerwähnt geblieben sei. Das diesbezügliche Vorbringen sei zudem oberflächlich und vage. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass die ersten Angaben in einem Verfahren der Wahrheit am Nächsten kämen. Auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Judikatur und der SOGI Guidelines, wonach gewisse Hemmungen in Bezug auf Schilderungen eines Asylwerbers gegenüber Behörden im Hinblick auf einen derart höchstpersönlichen Lebensbereich wie die eigene Sexualität durchaus zu erwarten und nicht unüblich seien und daraus nicht für sich alleine die Unglaubwürdigkeit eines Vorbringens abgeleitet werden dürfe, sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, darzulegen, weshalb es ihm erst im Rahmen der Beschwerde möglich gewesen sei, seine behauptete homosexuelle Orientierung vorzubringen. Insbesondere habe der Beschwerdeführer nicht darlegen können, weshalb er diesen Umstand seinem Rechtsberater, mit dem er vor der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausreichend Zeit und Raum für die Besprechung gehabt habe, verschwiegen habe, sich plötzlich aber im Rahmen der ergänzenden Rechtsberatung zur Verfassung einer Beschwerde öffnen habe können.
4. Auf Grund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wurde der Beschwerdeführer in der Folge am 25. August 2023 an den Abflugsort in Saudi Arabien zurückverbracht.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht habe ob der erstmals in der Beschwerde vorgebrachten sexuellen Orientierung zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen und damit die Glaubwürdigkeit ausschließlich auf Grund des Akteninhaltes beurteilt, ohne sich ein persönliches Bild vom Beschwerdeführer zu machen. Das Bundesverwaltungsgericht führe zwar aus, dass die Judikatur nicht verkannt werde, wonach alleine daraus, dass eine Person ihre Homosexualität nicht sofort angegeben habe, nicht auf eine Unglaubwürdigkeit des Vorbringens geschlossen werden dürfe, verstoße aber in der Folge gegen genau diese Judikatur, indem es dem Beschwerdeführer ausschließlich auf Grund des Zeitpunktes, zu welchem er seine Homosexualität offengelegt habe, die Glaubwürdigkeit abspreche. Es fänden sich keinerlei weitere Gründe, weshalb das Bundesverwaltungsgericht zu diesem Ergebnis gelangt sei. Gerade auf Grund des Umstandes, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit wesentlich für die Entscheidung gewesen sei, wäre die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unabdingbar gewesen.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
3. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Beweiswürdigung davon aus, dass die vom Beschwerdeführer behauptete homosexuelle Orientierung unter anderem deshalb nicht glaubwürdig sei, weil es sich dabei um ein gesteigertes Fluchtvorbringen handle und der Beschwerdeführer das Vorbringen weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, sondern erstmals in der Beschwerde erstattet habe. Es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen, darzulegen, weshalb es ihm erst im Rahmen der Beschwerde möglich gewesen sei, über seine behauptete homosexuelle Orientierung zu sprechen und weshalb er dies vor seinem Rechtsberater, mit dem er vor der Einvernahme ausreichend Zeit und Raum für die Besprechung gehabt habe, verschwiegen habe und sich erst im Rahmen der ergänzenden Rechtsberatung zur Verfassung einer Beschwerde öffnen habe können. Dem ist entgegenzuhalten, dass angesichts des sensiblen Charakters von Fragen zur persönlichen Sphäre aus einer zögerlichen Offenbarung der Homosexualität nicht der Schluss gezogen werden darf, dass die betreffende Person unglaubwürdig ist (vgl VfGH 27.9.2021, E1951/2021 unter Verweis auf EuGH 2.12.2014, C-148/13-150/13, A., B., C. , Rz 69; ferner VwGH 4.8.2021, Ra 2021/18/0024 und 7.3.2022, Ra 2021/19/0132). Es erscheint in diesem Zusammenhang auch wenig nachvollziehbar, dass das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung explizit auf die diesbezügliche Judikatur sowie auf die SOGI Guidelines des UNHCR vom 23. Oktober 2012 hinweist, in der Folge aber die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens hinsichtlich der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers im Wesentlichen fast ausschließlich – und damit im absoluten Widerspruch zu der selbst zitierten Judikatur – damit begründet, dass das Vorbringen erst in der Beschwerde und nicht bereits im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattet worden sei.
3.2. Auch die Begründung, wonach sich die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens daraus ergebe, dass der Beschwerdeführer nicht darlegen habe können, weshalb es ihm nicht schon im Rahmen des Behördenverfahrens bzw des Beratungsgespräches vor der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, sondern erst im Rahmen der ergänzenden Rechtsberatung zur Verfassung einer Beschwerde möglich gewesen sei, sich zu öffnen, vermag nicht zu überzeugen, weil sich die Begründung dafür schon aus den vom Bundesverwaltungsgericht selbst zitierten SOGI Guidelines ergibt, wonach sich Schamgefühle, verinnerlichte Homophobie und Traumata sowie erlebte Diskriminierung, Hass und Gewalt in all ihren Formen nachteilig auf die Fähigkeit eines Antragstellers auswirken können, seine Ansprüche geltend zu machen. Das Fehlen von darüber hinaus gehenden Angaben vermag eine Unglaubwürdigkeit des Vorbringens nicht zu begründen, zumal der Beschwerdeführer selbst in der Beschwerde angegeben hat, dass er seine Homosexualität auf Grund großer Angst und psychischer Hemmungen verschwiegen habe.
3.3. Die Begründung der Unglaubwürdigkeit damit, dass die Angaben zur Homosexualität, wonach es in der Vergangenheit zur Verfolgung in Form von Misshandlungen und Todesdrohungen durch seine Familie gekommen sei, im krassen Widerspruch zur vom Beschwerdeführer geschilderten Familiensituation im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stünden, vermag die behauptete Homosexualität nicht zu widerlegen.
3.4. Das Bundesverwaltungsgericht wäre vielmehr verpflichtet gewesen, sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer zu verschaffen, um den Wahrheitsgehalt der behaupteten sexuellen Orientierung überprüfen zu können (vgl VfGH 19.9.2022, E4318/2020; 28.2.2023, E995/2022; 15.3.2023, E3193/2022; 19.9.2023, E848/2023). Insbesondere die diesbezügliche Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben habe können, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine und auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet worden sei, vermag nicht zu überzeugen.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat es somit verabsäumt, in entscheidungswesentlichen Punkten ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu führen, weshalb das Erkenntnis mit Willkür behaftet ist.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.