E2618/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausreisefreiheit (Art2 4. ZPEMRK) verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak. Ihm wurde auf Grund seines Antrages auf internationalen Schutz vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 19. Juli 2016 der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Am 6. Dezember 2019 wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltskarte für Angehörige von Österreichern gemäß §54 NAG erteilt. Unter Verweis auf die Erteilung dieser Aufenthaltskarte wurde sein zuletzt am 25. Juni 2021 gestellter Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als unzulässig zurückgewiesen. Bereits am 12. Juni 2017 wurde dem Beschwerdeführer ein Fremdenpass gemäß §88 Abs2a FPG ausgestellt.
2. Am 24. Juli 2023 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte nach §88 Abs2a FPG, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 31. März 2023 abwies.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht als unbegründet ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt, aber seine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 auf Grund des am 25. Juni 2021 gestellten Antrages nicht verlängert worden sei. Der Antrag sei als unzulässig zurückgewiesen worden, weil ihm schon am 6. Dezember 2019 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltskarte Angehörige von Österreichern" erteilt worden sei. Dem Beschwerdeführer komme demnach der Status des subsidiär Schutzberechtigten seit (dem Ablauf seiner letzten befristeten Aufenthaltsberechtigung am) 19. Juli 2021 nicht mehr zu. Der am 24. Jänner 2023 gestellte Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtige nach §88 Abs2a FPG sei damit begründet worden, dass dem Beschwerdeführer die Beantragung eines irakischen Reisepasses nicht zumutbar sei. Allerdings könne §88 Abs2a FPG, der die Ausstellung von Fremdenpässen an subsidiär Schutzberechtigte regle, schon deshalb nicht zur Anwendung kommen, weil der Beschwerdeführer, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigen nicht mehr zukomme, nicht mehr in den Anwendungsbereich der Bestimmung falle. Die Beschwerde sei schon deshalb abzuweisen. Dennoch sei der Vollständigkeit halber auch darauf hinzuweisen, dass die Ausstellung eines Fremdenpasses nach den Tatbeständen des §88 Abs1 Z1 bis 5 und Abs2 FPG ebenfalls nicht in Betracht komme. Der Beschwerdeführer sei nämlich weder staatenlos oder ungeklärter Staatsangehörigkeit noch verfüge er über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht im österreichischen Bundesgebiet und auch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" sei nicht behauptet worden und gehe auch aus den Akten nicht hervor. Ferner fehle es am nach §88 Abs1 FPG erforderlichen öffentlichen Interesse an der Ausstellung eines Fremdenpasses.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet wird. Begründend wird ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht verkenne, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigen von der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter rechtlich zu trennen sei. Es gebe nämlich keine rechtliche Grundlage, die den Status des subsidiär Schutzberechtigen befristen würde oder dessen automatisches Erlöschen vorsehe. Zudem treffe auch die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, dass der Beschwerdeführer über einen lediglich befristeten Aufenthaltstitel als Familienangehöriger verfüge, nicht zu. Vielmehr komme ihm ein Aufenthaltsrecht von "über drei Monaten" zu, dessen Befristung gesetzlich nicht geregelt sei. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Gültigkeit der – lediglich der Dokumentation dienenden – Aufenthaltskarte auf fünf Jahre befristet sei.
Das Bundesverwaltungsgericht habe die Rechtslage insofern verkannt und daher Willkür geübt, als die Voraussetzungen für eine auf §88 Abs2a FPG gestützte Ausstellung eines Fremdenpasses als nicht gegeben angenommen worden seien. Bei rechtsrichtiger Beurteilung hätte es zum Ergebnis kommen müssen, dass dem Beschwerdeführer weiterhin der Status des subsidiär Schutzberechtigen zukomme, weil ihm dieser nicht aberkannt worden sei. Auch die weiteren Voraussetzungen erfülle der Beschwerdeführer, weil die irakische Botschaft in Wien keine Reisepässe ausstelle und der Beschwerdeführer mangels gültigem Reisedokument auch nicht die Möglichkeit habe, zur Beschaffung eines Reisepasses legal nach Deutschland zu reisen. Außerdem bestünden keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Gefährdung iSd §88 Abs2 FPG, die es rechtfertigen würden, die Ausstellung eines Fremdenpasses zu versagen.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stelle jede Maßnahme, durch die einer Person der Gebrauch eines Dokumentes versagt wird, das ihr – wenn sie es gewünscht hätte – das Verlassen eines Landes erlaubt hätte, einen Eingriff in das durch Art2 4. ZPEMRK gewährleistete Recht dar. Die Entscheidung verletze den Beschwerdeführer in diesem Recht, weil das Bundesverwaltungsgericht die – nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gebotene – Interessenabwägung nicht durchgeführt habe. Da für den Beschwerdeführer nicht vorhersehbar gewesen sei, dass auch er als subsidiär Schutzberechtigter ein öffentliches Interesse an der Ausstellung des Fremdenpasses gemäß §88 Abs1 FPG nachweisen müsse, habe er bisher nicht die Möglichkeit gehabt, diesbezügliches Vorbringen zu erstatten. Allerdings habe er über das gesamte Verfahren hinweg darauf verwiesen, dass es ihm nicht möglich sei, ein Reisedokument seines Herkunftsstaates zu erhalten. Durch die Verweigerung der Ausstellung des Fremdenpasses sei er langfristig daran gehindert, das österreichische Bundesgebiet zu verlassen. Es werde dadurch auch verhindert, dass er seine Ehegattin, eine österreichische Staatsangehörige, die in Ausübung ihres Freizügigkeitsrechtes zeitweise in Deutschland erwerbstätig und dort aufhältig sei, in Deutschland besuche. Das Bundesverwaltungsgericht habe dem Beschwerdeführer jedoch kein Parteiengehör eingeräumt, zumal es die gebotene Interessenabwägung – und sohin auch dahingehende Ermittlungsschritte – gänzlich unterlassen habe.
Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung stelle außerdem eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers gemäß Art47 Abs2 GRC dar. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ergebe sich daraus, dass das Verfahren zur Durchsetzung eines aus dem Sekundärrecht (Art25 Abs2 Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337,9) resultierenden Rechtsanspruches diene. Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei durch §21 Abs7 BFA-VG nicht gedeckt gewesen, weil der Sachverhalt – entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes – nicht schon auf Grund der Aktenlage als geklärt anzusehen sei. Mit der – vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht getroffenen – Feststellung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass dem Beschwerdeführer der Status als subsidiär Schutzberechtigter nicht zukäme, habe der Beschwerdeführer nämlich nicht rechnen können. Angesichts der daraus folgenden Annahme, dass sein Antrag nach §88 Abs1 FPG zu prüfen sei, hätte ihm ferner Gelegenheit gegeben werden müssen, sich zu seinen Interessen an der Ausstellung des Fremdenpasses zu äußern.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift ebenso wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aber abgesehen.
II. Rechtslage
1. §88 Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 68/2013 lautet auszugsweise:
"Ausstellung von Fremdenpässen
§88. (1) Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für
1. Staatenlose oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen;
2. ausländische Staatsangehörige, die über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;
3. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen und bei denen im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt – EU' (§45 NAG) gegeben sind;
4. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich das für die Auswanderung aus dem Bundesgebiet erforderliche Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen oder
5. ausländische Staatsangehörige, die seit mindestens vier Jahren ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet haben, sofern der zuständige Bundesminister oder die Landesregierung bestätigt, dass die Ausstellung des Fremdenpasses wegen der vom Fremden erbrachten oder zu erwartenden Leistungen im Interesse des Bundes oder des Landes liegt.
(2) Fremdenpässe können auf Antrag weiters ausgestellt werden für Staatenlose, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
(2a) Fremdenpässe sind Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.
(3)-(4) […]"
2. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 221/2022 lautet auszugsweise:
"Status des subsidiär Schutzberechtigten
§8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2)-(3a) […]
(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
(5)-(6) […]
(7) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten erlischt, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird.
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
§9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§8 Abs1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des §73 StGB, BGBl Nr 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§2 Abs3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs1 oder 2 wahrscheinlich ist.
(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen."
3. Das Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 221/2022 lautet auszugsweise:
"Geltungsbereich
§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt
1. die Erteilung, Versagung und Entziehung von Aufenthaltstiteln von Drittstaatsangehörigen, die sich länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten oder aufhalten wollen,
2. die Erteilung, Versagung und Entziehung von Aufenthaltstiteln 'ICT' (§58) und 'Mobile ICT' (§58a) von Drittstaatsangehörigen, die sich länger als 90 Tage im Bundesgebiet aufhalte oder aufhalten wollen, sowie
3. die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.
(2) Dieses Bundesgesetz gilt nicht für Fremde, die
1. nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl I Nr 100, oder nach vorigen asylgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt sind oder faktischen Abschiebeschutz genießen oder sich nach Stellung eines Folgeantrages (§2 Abs1 Z23 AsylG 2005) im Zulassungsverfahren (§28 AsylG 2005) befinden, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt;
2. nach §5 des Amtssitzgesetzes (ASG), BGBl I Nr 54/2021, über einen Lichtbildausweis verfügen oder
3. nach §24 FPG zur Ausübung einer bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit berechtigt sind, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt.
[…]
Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers
§54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§51) sind und die in §52 Abs1 Z1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. §1 Abs2 Z1 gilt nicht.
(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1. nach §52 Abs1 Z1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
2. nach §52 Abs1 Z2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.
(3)-(7) […]"
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Gemäß §88 Abs2a FPG ist Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigen zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag ein Fremdenpass auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.
3. Nach Art2 Abs2 4. ZPEMRK steht es jedermann frei, jedes Land (einschließlich seines eigenen) zu verlassen. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Ausreisefreiheit gemäß Art2 4. ZPEMRK liegt unter anderem dann vor, wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendet, ein Fall, der nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begeht, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist.
4. In seinem Urteil vom 14. Juni 2022, 38.121/20, L.B. , hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter anderem betont, dass das Recht, ein Land zu verlassen, ohne Ausstellung irgendeiner Art von Reisedokument nicht praktisch und effektiv gewährleistet wäre (Z60). Jede Maßnahme, durch die einer Person der Gebrauch eines Dokumentes versagt wird, das ihr – wenn sie es gewünscht hätte – das Verlassen eines Landes erlaubt hätte, stellt einen Eingriff in das durch Art2 4. ZPEMRK gewährleistete Recht dar (Z79, mwN). Gleichwohl findet Art2 Abs2 4. ZPEMRK nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auf Sachverhalte Anwendung, in denen ein Vertragsstaat Personen, die sich rechtmäßig in seinem Hoheitsgebiet aufhalten, in seiner Rechtsordnung bei Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen ein Recht auf Erlangung eines Fremdenpasses einräumt; der Schutzbereich von Art2 Abs2 4. ZPEMRK erstreckt sich also auf derartige Konstellationen (siehe Zlen 61 f.; idS auch VfGH 16.6.2023, E3489/2022).
5. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht mit der Abweisung der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Fremdenpasses in das Recht auf Ausreisefreiheit eingegriffen. Diesen Eingriff hat es in denkunmöglicher Weise begründet:
Das Bundesverwaltungsgericht folgert aus der Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtige gemäß §8 Abs4 AsylG 2005, dass dessen Status als subsidiär Schutzberechtigter mit 19. Juli 2021 ausgelaufen sei. Mit dieser Annahme verkennt das Bundesverwaltungsgericht allerdings, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten – auch nach Ablauf einer befristeten Aufenthaltsberechtigung nach §8 Abs4 AsylG 2005 – bis zu einer allfälligen Aberkennung gemäß §9 AsylG 2005 aufrecht bleibt (vgl idS auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer , Asyl- und Fremdenrecht, 2016, §8 AsylG 2005, K 34 f. sowie Peyrl , §45, in: Abermann/Czech/Kind/Peyrl [Hrsg.], NAG 2 , 2019, Rz 21 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Weiterbestehen des Status des subsidiär Schutzberechtigen auch bei Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG). Ferner bewirkte auch der Umstand, dass dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR Bürgers ausgestellt wurde, keine Änderungen an dessen Status als subsidiär Schutzberechtigter, zumal in §54 Abs1 letzter Satz NAG festgehalten wird, dass §1 Abs2 Z1 NAG in diesen Fällen nicht gilt. Es liegt somit eine vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehene Ausnahme davon vor, dass das NAG grundsätzlich für Fremde, die nach dem AsylG 2005 zum Aufenthalt berechtigt sind oder faktischen Abschiebeschutz genießen, nicht gilt.
6. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach dem Beschwerdeführer ein Fremdenpass nach §88 Abs2a FPG nicht auszustellen sei, weil ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr zukomme und er sohin nicht in den Anwendungsbereich des §88 Abs2a FPG falle, stellt eine denkunmögliche Rechtsanwendung dar und verletzt den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausreisefreiheit gemäß Art2 4. ZPEMRK.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausreisefreiheit (Art2 4. ZPEMRK) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.