JudikaturVfGH

E1171/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
21. September 2023

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan. Er stammt aus Peshawar und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Er stellte, von Italien kommend, nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 19. Juni 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Auf das Wesentliche zusammengefasst gab der Beschwerdeführer an, dass er nach Österreich gekommen sei, um mit seinem Kind und seiner Ehefrau zusammenzuleben. Andere Gründe, weswegen er aus Pakistan ausgereist sei, brachte der Beschwerdeführer nicht vor.

2. Zuvor hatte der Beschwerdeführer bereits 2016 einen Antrag auf Erteilung eines Visums gestellt, welchem seitens der österreichischen Botschaft Islamabad nicht entsprochen wurde, weil diese Zweifel an den Intentionen des angestrebten Aufenthaltszwecks Tourismus hegte. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin am 16. April 2019 einen Visumsantrag zu Kulturzwecken bei der italienischen Botschaft Islamabad, welchem stattgegeben wurde. Der Beschwerdeführer reiste in der Folge von Italien aus nach Österreich ein und stellte im Bundesgebiet am 19. Juni 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2016 seine Ehefrau, eine afghanische Staatsangehörige, in Peshawar, Provinz Khyber Pakhtun Khwa, Pakistan, geheiratet. Gemeinsam hat das Ehepaar drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn, die zwischen 2017 und 2022 geboren wurden. Die Ehefrau ist in Österreich asylberechtigt.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 9. August 2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung festgelegt.

5. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 3. März 2023 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23. Februar 2023 als unbegründet ab.

5.1. Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe keine Fluchtgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellten. Der Beschwerdeführer habe den gegenständlichen Asylantrag nur zum Zwecke der Familienzusammenführung gestellt.

5.2. Subsidiärer Schutz sei nicht zuzuerkennen, weil auf Grund des festgestellten Sachverhaltes die Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat keine Verletzung des Art2 oder 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK erwarten lasse. Den Länderfeststellungen zufolge habe sich die Situation im Herkunftsstaat Pakistan weitestgehend stabilisiert, die Grundversorgung sei gewährleistet. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder und arbeitsfähiger junger Mann.

5.3. Zur Rückkehrentscheidung des Beschwerdeführers stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer die (strengeren) Regelungen der legalen Migration bewusst umgangen habe, indem er mit einem italienischen Touristenvisum nach Österreich eingereist sei. Den Asylantrag habe er nur gestellt, um die Familienzusammenführung zu erreichen. Der Beschwerdeführer habe sein Privatleben in Österreich zu einem Zeitpunkt begründet, als der Aufenthalt durch die Stellung seines Asylantrages vorübergehend legalisiert gewesen sei. Die Schutzwürdigkeit des bestehenden Familienlebens sei dadurch geschmälert, dass die Ehe zu einem Zeitpunkt begründet worden sei, als der Beschwerdeführer weder in Österreich aufhältig gewesen sei noch Aussicht auf eine legale Migrationsmöglichkeit nach Österreich bestanden habe. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes habe der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass dieser keine Verfolgungsgründe vorgebracht habe, nicht davon ausgehen können, nach Abschluss des gegenständlichen Verfahrens in Österreich bleiben zu können. Seine privaten, außerfamiliären Kontakte hätten sich nicht als derart intensiv erwiesen, dass die Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig erscheine. Der Beschwerdeführer verfüge über zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte in Pakistan und spreche die Landessprachen Punjabi und Urdu. Es deute nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer nicht möglich wäre, sich bei seiner Rückkehr in die dortige Gesellschaft zu integrieren. Die Ehefrau stamme aus einem ähnlichen Kulturkreis wie der Beschwerdeführer. Das Ehepaar unterhalte sich in der pakistanischen Amtssprache Urdu. Der Beschwerdeführer spreche mit den Kindern Paschto, weswegen davon auszugehen sei, dass eine sprachliche Verständigung in Pakistan gesichert sei. Zudem seien keine substantiierten Gründe vorgebracht worden, die gegen eine Fortsetzung des Familienlebens in Pakistan sprechen würden. Für die Kinder bestehe die Möglichkeit der Erlangung der pakistanischen Staatsbürgerschaft. Diese befänden sich noch im anpassungsfähigen Alter. Ihnen sei zudem eine vorübergehende Trennung vom Vater zumutbar, um einen legalen Weg der Familienzusammenführung zu absolvieren. Das Bundesverwaltungsgericht übersehe nicht, dass mit der Fortsetzung des Familienlebens mit dem Beschwerdeführer in Pakistan für die Ehefrau und die Kinder eine Einschränkung des Kontaktes mit der in Österreich lebenden Familie der Ehefrau einhergehe. Dies mache die Fortsetzung des Familienlebens mit dem Beschwerdeführer in Pakistan aber nicht unzumutbar. Für das Bundesverwaltungsgericht stehe fest, dass der Beschwerdeführer über ein intensives Familienleben in Österreich verfüge. Dies ergebe sich schon aus den drei Kindern und seiner aufrechten Ehe. Dabei hält das erkennende Gericht fest, dass weder der Beschwerdeführer noch dessen Familie von einem gesicherten Aufenthalt ausgehen hätten können und eine Fortsetzung des Familienlebens auch in Pakistan zumutbar sei. Zudem stehe dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer legalen Migration im Zuge einer Familienzusammenführung offen, wenn die Voraussetzungen erfüllt seien.

5.4. Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des §9 BFA VG sei davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet dessen persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Die angeordnete Rückkehrentscheidung stelle daher keine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte des Beschwerdeführers gemäß Art8 EMRK dar.

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der belangten Behörde vorgelegt und im Rahmen einer Gegenschrift im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer keine Fluchtgründe hätte vorbringen können und den Asylantrag missbräuchlich gestellt habe. Es habe sich mit den Folgen der Abschiebung für die Familie auseinandergesetzt und erachte die Verlegung des Lebensmittelpunktes der Familie des Beschwerdeführers nach Pakistan im Ergebnis für zumutbar. Hiefür spreche insbesondere die Tatsache, dass in Pakistan eine Schulpflicht bestehe und sich die Kinder im anpassungsfähigen Alter befänden. Dass die Lebensumstände in Pakistan für die Ehefrau und die Kinder eventuell schwieriger sein könnten als in Österreich und der Zugang zu Sozialleistungen nicht im gleichen Ausmaß wie in Österreich gewährleistet sei, mache den Eingriff in Art8 EMRK noch nicht unverhältnismäßig. Für die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Familienlebens sprächen auch die überschaubaren Integrationsbemühungen. Zudem entspreche es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, das Entstehen eines berücksichtigungswürdigen Privat- und Familienlebens im unsicheren Aufenthalt als negativ zu bewerten.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat zur – zulässigen – Beschwerde erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer groben Verkennung der Rechtslage (zB VfSlg 19.838/2013).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §34 Abs1 AsylG 2005 gilt ein Antrag auf internationalen Schutz durch einen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Die zuständige Behörde hat gemäß §34 Abs2 AsylG 2005 auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (vgl VfGH 18.9.2015, E1174/2014). Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 ist es, Familienangehörigen die Fortsetzung des Familienlebens iSd Art8 EMRK mit einer Bezugsperson in Österreich zu ermöglichen (vgl RV 952 BlgNR XXII. GP 54; VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059; VfSlg 20.393/2020). Der in §34 AsylG 2005 verwendete Begriff des Familienangehörigen ist im Sinne der Legaldefinition des §2 Abs1 Z22 AsylG 2005 zu verstehen (VwGH 8.3.2021, Ra 2019/14/0587).

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seiner Entscheidung im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer keinerlei Verfolgungsgründe vorgebracht habe. Er wolle bei seiner Frau, die im Bundesgebiet asylberechtigt sei, und seinen Kindern in Österreich leben, weil die Situation in Pakistan für seine Familie gefährlich sei. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer keiner Verfolgung in Pakistan ausgesetzt sei und diese im Falle der Abschiebung auch nicht zu befürchten hätte, weshalb ihm keine Schutzgewährung durch die Republik Österreich zukomme.

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht prüft aber nicht, ob die Bestimmung des §34 Abs2 AslyG 2005, welche die Fortsetzung des Familienlebens iSd Art8 EMRK mit einer Bezugsperson in Österreich gewährleistet, auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden ist. Indem die Anwendbarkeit des §34 Abs2 AsylG 2005 trotz im Bundesgebiet lebender Familienangehöriger iSd §2 Abs1 Z22 AsylG 2005 ungeprüft blieb, hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage grob verkannt und den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt. Schon deshalb ist das Erkenntnis aufzuheben.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie der Ersatz der Eingabegebühr in Höhe von € 240, – enthalten.

Rückverweise