E2582/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
II. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
Begründung
1. Mit am 11. August 2023 erstmals eingelangten Schriftsatz begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde und stellt unter einem einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen die näher bezeichnete Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark .
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller verhandlungsunfähig sei und ihm auf Grund seiner gesundheitlichen Einschränkungen die zeitgerechte Behandlung von Briefen und Schriftstücken sowie eine Fristeneinhaltung nicht möglich sei. Diesbezüglich werde er von seiner Familie unterstützt. Im vorliegenden Fall sei die Zustellung der oben genannten Entscheidung elektronisch per Mail am 15. Juni 2023 erfolgt. Die näher bezeichnete Entscheidung sei von einem Familienmitglied abgerufen und der Erledigungstermin vermerkt worden. Zwei näher genannte Familienmitglieder seien dafür zuständig. Auf diese könne sich der Antragsteller verlassen. Am 28. Juli 2023 habe der Antragsteller bei einem der zuständigen Familienmitglieder nachgefragt, ob dieser Verfahrenshilfeantrag gestellt worden sei. Das Familienmitglied habe dem Antragsteller am 31. Juli 2023 mitgeteilt, dass die Frist zur Stellung des Verfahrenshilfeantrages am 27. Juli 2023 verstrichen gewesen sei und ihr dieses Versäumnis passiert wäre, weil alle verreist gewesen seien und dies in diesem Trubel übersehen worden sei. Das Versäumen der Frist habe nur deshalb passieren können, weil andere Familienmitglieder, die diese Fristen mitüberwachen würden, (auch) verreist gewesen seien.
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist zulässig, aber nicht begründet:
2.1. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff ZPO sinngemäß anzuwenden.
2.1.1. Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).
Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.
2.1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.
Ein Verfahrenshilfeantrag ist nicht im eigentlichen Sinne fristgebunden; lediglich seine Erfolgsaussichten hängen davon ab, dass er während der sechswöchigen Beschwerdefrist gestellt wird (VfGH 22.2.2010, B167/10). Soll mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aber ein nicht fristgebundener Antrag nachgeholt werden, liegt keine Versäumung einer befristeten Prozesshandlung iSd §146 Abs1 ZPO vor (VfGH 29.6.2011, U1211/11). Der Antrag ist daher so zu deuten, dass damit die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist beantragt werden soll.
2.2. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung der Beschwerde fiel laut den Angaben des Antragstellers am 31. Juli 2023 weg. Mit dem am 11. August 2023 erstmals eingelangten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.
2.3. Jedoch kann von einem minderen Grad des Versehens der bevollmächtigten Familienmitglieder des Antragstellers im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden:
Nach den Angaben des Antragstellers sei er verhandlungsunfähig. Es sei ihm nicht möglich, Fristen einzuhalten. Zwei näher bezeichnete, verlässliche Familienmitglieder würden ihn unterstützen. Ein zuständiges Familienmitglied hätte die oben genannte Entscheidung abgerufen und den Enderledigungstermin eingetragen. Auf Nachfrage des Antragstellers habe ihm ein zuständiges Familienmitglied nach drei Tagen mitgeteilt, dass die Frist zur Stellung dieses Verfahrenshilfeantrages bereits verstrichen gewesen sei. Der Grund für dieses Versäumnis sei, dass das dafür zuständige Familienmitglied verreist gewesen sei und die Frist im Trubel übersehen habe und auch alle Familienmitglieder, die diese Fristen mitüberwachen würden, verreist gewesen seien. Durch die gesundheitliche Beeinträchtigung treffe den Antragsteller an der Nichtvornahme kein Verschulden in eventu lediglich ein Versehen minderen Grades.
Auf Grund des vom Antragsteller geschilderten Sachverhaltes kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Fristversäumnis, das auf eine Reise aller zuständigen Familienmitglieder zurückzuführen sei, einen geringfügigen Fehler darstellt, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft. Es ist daher nicht von einem minderen Grad des Versehens auszugehen.
Darüber hinaus ist anzumerken, dass nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes eine Erkrankung der Partei oder ihres Rechtsvertreters nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund darstellt, wenn sie plötzlich auftritt und für eine rechtzeitige Vertretung nicht mehr gesorgt werden kann (vgl etwa VfSlg 17.454/2005; VfGH 9.6.2020, E1320/2020 ua). Dass die gesundheitliche Beeinträchtigung des Antragstellers plötzlich aufgetreten wäre, ist dem Antrag nicht zu entnehmen: Laut fachärztlichem Attest vom 1. Februar 2023 ist zwar "die strikte Vermeidung von Belastungs- und Konfliktsituationen (zB Teilnahme als Partei bei einer Gerichtsverhandlung) unerlässlich". Daraus lässt sich jedoch noch nicht schließen, dass über den gesamten Zeitraum ein seine Dispositionsfähigkeit ausschließendes Ereignis vorgelegen ist (vgl VfGH 19.11.2015, E1955/2015, mwN).
2.4. Damit liegen aber die Voraussetzungen für die Bewilligung der
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen ist.
3. Da die sechswöchige Beschwerdefrist des §82 Abs1 VfGG zum Zeitpunkt der Einbringung des vorliegenden Verfahrenshilfeantrages schon verstrichen war, aber nur ein innerhalb dieser Frist gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe deren Unterbrechung zu bewirken vermag (§464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG), erwiese sich eine künftige Beschwerde als verspätet.
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG) abzuweisen (vgl zB VfSlg 14.582/1996; VfGH 17.3.1999, B311/99).
4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §149 Abs2 ZPO und §72 ZPO iVm §35 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.