JudikaturVfGH

E206/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2023

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Erlassung eines auf fünf Jahre befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

1. Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er stellte am 11. November 2002 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis vom 29. März 2011 wies der Asylgerichtshof diesen als unbegründet ab. Am 18. November 2016 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §55 AsylG 2005. Mit Bescheid vom 18. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen gemäß §58 Abs11 Z2 leg cit als unzulässig zurück, erließ eine Rückkehrentscheidung, erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab, erließ gegen den Beschwerdeführer ein Einreiseverbot für die Dauer von fünf Jahren, gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan zulässig ist.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hob den Spruchpunkt zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und daran anknüpfend den Spruchpunkt hinsichtlich der Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise mit Teilerkenntnis vom 21. Juni 2018 ersatzlos auf. Mit Erkenntnis vom 29. Dezember 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde hinsichtlich der anderen Spruchpunkte als unbegründet ab und gewährte eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise. Das Einreiseverbot begründet das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst damit, dass der Beschwerdeführer einer nicht gemeldeten Beschäftigung nachgehe und gleichzeitig Leistungen aus der Grundversorgung beziehe. Er nutze wissentlich das österreichische Sozialsystem aus, was die Verhängung eines Einreiseverbotes notwendig mache. Das erkennende Gericht schließe sich den Ausführungen der belangten Behörde an, dass der Beschwerdeführer keinen gesicherten Lebensunterhalt nachweisen habe können; es bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer sein rechtswidriges Verhalten auch in Zukunft fortsetzen werde. Er beziehe seit vielen Jahren Leistungen aus der Grundversorgung und gehe nebenbei einer Beschäftigung nach, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit schätze das Bundesverwaltungsgericht derart hoch ein, dass ein fünfjähriges Einreiseverbot gerechtfertigt sei.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Äußerung erstattet.

6. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Erlassung eines auf fünf Jahre befristeten Einreiseverbotes richtet, ist sie auch begründet:

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, §53 Abs2 Z6 FPG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012 als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

Gemäß Art140 Abs7 B VG ist daher die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern ausnahmslos in allen Fällen und folglich auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden (VfSlg 15.401/1999, 19.419/2011).

Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung eines auf fünf Jahre befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.

7. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das Bundesverwaltungsgericht und gegen die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Zurückweisung des Antrages nach §58 Abs11 Z2 AsylG 2005, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie des Ausspruches, dass eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise besteht, richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering , EuGRZ1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua, ÖJZ1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal , ÖJZ2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997). Eben solches ist im Hinblick auf Art2 EMRK anzunehmen, wenn dem Fremden im Zielland mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tötung droht (s etwa EGMR 8.11.2005, Fall Bader ua, NLMR 2005/6, 273 [274]; 23.3.2016 [GK], Fall F.G ., NLMR 2016/2, 105 [105 f.]).

Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung des Beschwerdeführers in seinen Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung in jeder Hinsicht rechtmäßig begründet hat, nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, insoweit von der Behandlung der Beschwerde abzusehen und diese gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

9. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

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