E252/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Albanien, wurde am 7. November 2022 im Rahmen einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle beim unrechtmäßigen Aufenthalt betreten und festgenommen. Am selben Tag erfolgte eine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.
2. Mit Bescheid vom 9. November 2022 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Albanien zulässig ist (Spruchpunkt III.), erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.) und erließ ein mit drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.).
Am 10. November 2022 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Rechtsmittelverzicht hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis V. dieses Bescheides.
3. Mit Schriftsatz vom 16. November 2022 erhob der Beschwerdeführer "im Umfang der Spruchpunkte IV. VI." des genannten Bescheides Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
4. Mit Erkenntnis vom 7. Dezember 2022 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde dahingehend statt, "dass es im Spruchpunkt VI. richtig zu lauten hat: 'VI. Gemäß §53 Abs1 iVm Abs2 Z6 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.'". Das Einreiseverbot wird im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer das Vorhandensein ausreichender Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes nicht nachgewiesen habe, zumal er bei seiner Festnahme nur € 60,– bei sich gehabt habe, keine Bescheinigungsmittel für weitere finanzielle Mittel vorgelegt habe und keinen Rechtsanspruch auf die finanzielle Unterstützung durch seinen Cousin habe. Die Gefahr einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft habe sich im konkreten Fall bereits durch unerlaubte Tätigkeiten des Beschwerdeführers in der Landwirtschaft und im Baugewerbe verwirklicht.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt werden. Das Bundesverwaltungsgericht stütze das Einreiseverbot auf §53 Abs2 Z6 FPG. Diese Bestimmung sei mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Dezember 2022, G264/2022, aufgehoben worden und nicht mehr anzuwenden.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat weder die Verwaltungsakten vorgelegt noch eine Gegenschrift erstattet.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Erlassung eines auf die Dauer von zwei Jahren befristeten Einreiseverbotes richtet, begründet:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, §53 Abs2 Z6 FPG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012 als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
1.2. Gemäß Art140 Abs7 B VG ist daher die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern ausnahmslos in allen Fällen und folglich auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden (VfSlg 15.401/1999, 19.419/2011).
1.3. Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen wird, wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt. Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.
2. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in jeder Hinsicht rechtmäßig ist, nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B VG zur Entscheidung abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
5. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.