JudikaturVfGH

E2394/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2023

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Erlassung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Die Beschwerde wird insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, muslimisch-sunnitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an.

1.1. Er stellte im Jahr 2004 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde ihm mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Juni 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Auf Grund einer strafgerichtlichen Verurteilung vom 15. Februar 2008 wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. August 2010 der Status des Asylberechtigten aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt. Zudem wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wird und es wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgesprochen.

1.2. Der Beschwerdeführer reiste aus dem österreichischen Bundesgebiet aus und stellte nach neuerlicher Einreise im Jahr 2012 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. Jänner 2013 auf Grund der Zuständigkeit Litauens als unzulässig zurückgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer reiste noch im selben Jahr aus Österreich aus.

1.3. Im März 2020 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen – seinen nunmehr dritten – Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vollinhaltlich abgewiesen und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde.

1.4. Am 28. April 2022 stellte der Beschwerdeführer seinen vierten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid vom 19. Mai 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei und sprach das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer aus.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 22. Juli 2022 als unbegründet ab. Das Einreiseverbot begründet das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst damit, dass der Beschwerdeführer seinen eigenen Angaben zufolge über keine Eigenmittel verfüge und nicht selbsterhaltungsfähig sei. Der Tatbestand der Mittellosigkeit sei daher erfüllt und indiziere dies, dass der Beschwerdeführer die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht nur geringfügig gefährde. Der Beschwerdeführer sei allerdings nicht nur als mittellos zu beurteilen, sondern sei auch zu berücksichtigen, dass er – unter Verletzung seiner Ausreiseverpflichtung – einen neuerlichen offenkundig unbegründeten Folgeantrag gestellt habe, um seine Abschiebung zu verhindern bzw zu verzögern.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Der Beschwerdeführer stellt zudem den Antrag, seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu gewähren und sie in eventu an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

5. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die zulässige Beschwerde ist – soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes wendet – begründet:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, §53 Abs2 Z6 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012, als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

1.2. Gemäß Art140 Abs7 B VG ist daher die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern ausnahmslos in allen Fällen und folglich auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden (VfSlg 15.401/1999, 19.419/2011).

1.3. Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde hinsichtlich des auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes abgewiesen wird, wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.

2. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation sowie den Ausspruch, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, 14.038/88, Soering ; 30.10.1991, 13.163/87 ua, Vilvarajah ; 6.3.2001, 45-276/99, Hilal ) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Zur behaupteten Verletzung des Art47 GRC durch die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.632/2012 verwiesen.

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in jeder Hinsicht rechtmäßig war, nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen das auf zwei Jahre befristete Einreiseverbot abgewiesen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2. Im Übrigen wird gemäß Art144 Abs2 B VG von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B VG zur Entscheidung abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

5. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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