JudikaturVfGH

E2948/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
15. März 2023

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ein Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Inguschen an und bekennt sich zum islamischen Glauben. Im Juni 2017 reiste sie gemeinsam mit ihren beiden minderjährigen Kindern ins Bundesgebiet ein.

2. Am 25. Oktober 2021 stellten die Beschwerdeführerin und ihre minderjährigen Kinder den dritten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

3. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 15. Februar 2022 wurden die Anträge der Beschwerdeführerin und ihrer minderjährigen Kinder auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen und keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Zudem wurde gegen die Beschwerdeführerin und ihre minderjährigen Kinder ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

4. Die gegen die Bescheide vom 15. Februar 2022 erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30. August 2022 – mit Erkenntnis vom 20. September 2022 mit den Maßgaben als unbegründet ab, dass das Einreiseverbot der Beschwerdeführerin auf die Dauer von zwei Jahren herabgesetzt und die Einreiseverbote gegenüber den minderjährigen Kindern aufgehoben wurden. Zum Einreiseverbot gegenüber der Beschwerdeführerin führt das Bundesverwaltungsgericht begründend aus, dass das BFA zutreffend festgestellt habe, dass im Fall der Beschwerdeführerin §53 Abs2 Z6 FPG erfüllt sei. Sie verfüge über keine eigenen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und keine legalen Möglichkeiten zur Erlangung finanzieller Mittel in Österreich. Da die Familie weiterhin die Krankenversicherung über die Grundversorgung beziehe, keine finanziellen Mittel nachgewiesen habe und insbesondere nicht vorgebracht habe, einen Rechtsanspruch auf Unterstützung durch andere zu haben, bestehe damit die Gefahr, dass ihr weiterer Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Ebenso bestehe die Gefahr, dass durch die unrechtmäßige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit versucht werde, den Unterhalt zu sichern. Aus ihrem bisherigen Verhalten zeige sich zudem, dass die Beschwerdeführerin und ihre minderjährigen Kinder auch nach negativem Abschluss des Asylverfahrens nicht bereit seien, das Bundesgebiet zu verlassen. Das BFA habe bei einem Maximalrahmen von fünf Jahren gemäß §53 Abs2 FPG ein auf vier Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen. Die Dauer des verhängten Einreiseverbotes erscheine jedoch nicht angemessen. Das Einreiseverbot sei daher auf die Dauer von zwei Jahren herabzusetzen.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Die Beschwerdeführerin stellt zudem den Antrag, ihrer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

6. Das BFA und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde abgesehen.

II. Erwägungen

1. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Erlassung eines auf zwei Jahre befristeten Einreiseverbotes richtet, ist sie auch begründet:

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 6. Dezember 2022, G264/2022, §53 Abs2 Z6 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 87/2012, als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

Gemäß Art140 Abs7 B VG ist daher die aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht nur im Anlassfall, sondern ausnahmslos in allen Fällen und folglich auch im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden (VfSlg 15.401/1999, 19.419/2011).

Das Bundesverwaltungsgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit das Einreiseverbotes in der Dauer von zwei Jahren erlassen wird, wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt.

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben.

2. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie der Festsetzung der vierzehntägigen Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

(s etwa EGMR 7.7.1989, 14.038/88, Soering ; 30.10.1991, 13.163/87 ua, Vilvarajah ; 6.3.2001, 45-276/99, Hilal )

davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Das Bundesverwaltungsgericht hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl die in VfSlg 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Gefährdung der Beschwerdeführerin in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl VfSlg 19.086/2010).

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob der Antrag auf internationalen Schutz vom 25. Oktober 2021 zu Recht abgewiesen wurde, nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ein Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen wird, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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