A27/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Das auf Ersatz der Prozesskosten eingeschränkte Klagebegehren wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe
I. Klage und Vorverfahren
1. Mit ihrer am 31. Dezember 2021 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten und auf Art137 B VG gestützten Klage gegen den Bund begehrt die klagende Partei die Fällung des folgenden Urteiles:
"1. Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger EUR 1.630.002,44 samt 4 % Zinsen ab Klagseinbringung sowie die Prozesskosten gemäß §19a RAO zu Handen der Klagevertreterin binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei dem Kläger für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden aus dem legislativen Unrecht – nämlich der mangelhaften Umsetzung aller oder auch nur einer der in der Klage genannten RL und der damit verbundenen Verletzung der gemeinschaftlichen Grundrechte – haftet."
2. Begründend führt die klagende Partei zu dem von ihr behaupteten Anspruch in der Klage Folgendes aus (ohne die Hervorhebungen im Original):
"A. VORBEMERKUNG
Gegenstand der Klage sind auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung gerichtete europarechtliche Staatshaftungsansprüche gegen den Bund aus abgetretenem Recht wegen des qualifizierten Verstoßes des VersVGÄG gegen die 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie sowie die Solvabilität II Richtlinie.
Die Klage rügt den Entzug des aus den Richtlinien gewährten wirtschaftlichen Werts des individuellen Rücktrittsrechts der Zedenten aufgrund Nicht- oder Falschbelehrung im Wege einer 'Legalenteignung' durch legislatives Unrecht.
Der Kläger macht hierfür im Wege der Inkassozession abgetretene Ansprüche von Konsumenten aus Lebensversicherungen aus Rücktrittsbelehrungsfehlern über eine Sammelklage nach österreichischem Recht geltend.
Sämtliche Zedenten sind Bürger der Europäischen Union. Sie haben mit österreichischen Versicherungen Lebensversicherungen nach dem Recht der Republik Österreich geschlossen, die nicht ihren Bedürfnissen entsprachen und wurden bei Vertragsschluss nicht richtig und vollständig über [ihr] Recht zum Rücktritt [vom] Versicherungsantrag belehrt.
Der Bund haftet den Zedenten für die schuldhafte und rechtswidrige Verletzung von Unionsrecht. Wie in dieser Klage gezeigt wird, ist das VersVGÄG aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) offenkundig unionsrechtswidrig, da es das Recht der Zedenten[,] von den von ihnen geschlossenen Lebensversicherungsverträgen zurückzutreten[,] wirtschaftlich entwertet.
Aufgrund des europarechtlich wirksamen und zulässigen VersVGÄG tritt die europarechtliche Staatshaftung des Bundes an die Stelle des entzogenen individuellen zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs der Zedenten.
Tatsächlich dürfen die Zedenten zwar von ihren Lebensversicherungen zurücktreten, sie sollen aber nach dem Willen des Gesetzgebers als Rechtsfolge eines Rücktritts entweder keine oder nur noch eine Zahlung unterhalb dessen erhalten[,] was der EuGH für zulässig erachtet. Damit entzieht der Bund dem Rücktritt der Zedenten entgegen dem acquis communautaire jegliche praktische Wirksamkeit und gefährdet unter Verstoß gegen d[en] effet utile die Verwirklichung der Ziele der Union aus den genannten Richtlinien.
Wie diese Klage darlegen wird, hat der Bund das europarechtlich zulässige und wirksame VersV[G]ÄG im Zuge mehrerer Gesetzgebungsverfahren trotz ausdrücklicher Warnung des Klägers vor einer dadurch ausgelösten europarechtlichen Staatshaftungsklage mit der Absicht verabschiedet, um die Kosten und die Veranlagungsverluste unerwünschter Lebensversicherungen entgegen des acquis communautaire auf den Bürger abzuwälzen.
Damit hat der Bund durch das VersVGÄG den in der Geschichte der Europäischen Union einmaligen Fall des reinen Legislativunrechts geschaffen.
Im Einzelnen:
B. BEZUGNAHME
[…]
C. SACHVERHALT
Gemäß §15 Abs2 VfGG stellt die Klage nachfolgend den für Herleitung des Antrags erforderlichen Sachverhalt dar.
Der Bund hat die wirtschaftliche Entwertung des Rücktrittsrechtes in Absprache mit der Versicherungswirtschaft seit 2017 geplant und trotz der Warnungen des Klägers 2018 in Kraft gesetzt. Er tat dies in der erklärten Absicht, Rechtssicherheit zu schaffen und die Versicherungswirtschaft zu schützen.
Da nach Einschätzung des Bundes potenziell sämtliche Lebensversicherungsverträge seit 1994 unrichtige Belehrungen enthalten, wollte er durch Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes Sorge dafür tragen, dass die Versicherungswirtschaft keiner Rücktrittswelle ausgesetzt wird.
I. Versicherungsverträge der Zedenten
Die Zedenten haben ihre Lebensversicherungsverträge sämtlich in den Jahren von 1995 bis 2020 geschlossen. Ansprüche der Zedenten aus einer fehlerhaften Belehrung bei Abschluss der jeweiligen Lebensversicherung wurden im Geltungszeitraum des VersVGÄG nicht gerichtlich geltend gemacht und sind auch nicht rechtshängig.
Für das Bestehen der Polizzen und den Abschlusszeitraum der Lebensversicherungen der Zedenten wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf das Konvolut der Vertragsdaten in Beilage ./A verwiesen. Darin wird jedem Zedenten über seine Laufnummer unter der Ordnungszahl 3 seine Polizze zugeordnet.
[…]
Beweis: […]
Die Klage nimmt insoweit Bezug auf den Inhalt der Ordnungszahl 3 der Beilage ./A.
II. Initiativantrag vom 20. September 2017
Am 20. September 2017 brachten die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Dr. Johannes Jarolim sowie Kolleginnen und Kollegen einen Antrag zu einem Bundesgesetz ein, mit dem das Versicherungsvertragsgesetz und das Konsumentenschutzgesetz geändert werden sollten. Der Nationalrat solle insbesondere Änderungen verschiedener Normen des Versicherungsvertragsgesetzes beschließen.
Der ausdrücklich als Initiativantrag der Regierungsparteien eingebrachte Entwurf umging die Begutachtungsfrist.
Danach sollte der §5c VersVG wie folgt geändert werden:
'§5c. (1) Der Versicherungsnehmer kann vom Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen, ohne Angabe von Gründen zurücktreten.
(2) Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts beginnt mit dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer darüber informiert worden ist, jedoch nicht bevor der Versicherungsnehmer folgende Informationen erhalten hat:
1. den Versicherungsschein (§3),
2. die Versicherungsbedingungen,
3. die Bestimmungen über die Festsetzung der Prämie, soweit diese nicht im Antrag bestimmt ist, und über vorgesehene Änderungen der Prämie sowie
4. eine Belehrung über das Rücktrittsrecht (Abs3).
(3) Die nach Abs2 Z4 zu erteilende Rücktrittsbelehrung muss enthalten:
1. Informationen über die Rücktrittsfrist und deren Beginn,
2. die Anschrift des Adressaten der Rücktrittserklärung,
3. einen Hinweis auf die Regelungen der Abs4 bis 6.
Die Rücktrittsbelehrung genügt jedenfalls diesen Anforderungen, wenn das Muster gemäß Anlage A verwendet wird.
(4) Der Rücktritt ist in geschriebener Form zu erklären. Die Rücktrittsfrist ist gewahrt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb der Frist abgesendet wird.
(5) Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.
(6) Hat der Versicherer Deckung gewährt, so gebührt ihm die der Dauer der Deckung entsprechende Prämie.
(7) Die vorstehenden Absätze gelten nicht für Versicherungsverträge über Großrisiken gemäß §5 Z34 VAG.'
Ferner sollte der §176 VersVG wie folgt geändert werden:
'(5) Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung vor dem Ablauf von zehn Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von zehn Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von zehn Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen. […]'
Dem §191c sollten folgende Absätze angefügt werden:
'(18) §5c, §15a Abs2, §178 Abs1 und Anlage A in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr xx/2017 treten mit 23. Februar 2018 in Kraft. §5b Abs2 bis 6 und §165a VersVG treten mit Ablauf des 22. Februar 2018 außer Kraft. §5c und die Anlage A sind auf Versicherungsverträge anzuwenden, die nach dem 22. Februar 2018 geschlossen werden. §176 Abs5 und 6 sind auf Versicherungsverträge anzuwenden[,] die nach dem 1. Jänner 2019 geschlossen werden.
(19) Für einen Rücktritt von einer kapitalbildenden Lebensversicherung nach den §§5b, 5c und 165a VersVG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I. Nr xx/2017, der nach Ablauf des Tages der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl I. Nr xx/2017 erklärt wird, gilt Folgendes:
1. Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat, nachdem der Vertrag von beiden Seiten vollständig erfüllt wurde.
2. Trägt der Versicherungsnehmer selbst das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste berücksichtigen.
3. Sind nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Frist erfüllt, so gebührt dem Versicherungsnehmer innerhalb von fünf Jahren ab Vertragsabschluss der Rückkaufswert gemäß §176 Abs1, von dem jedoch weder ein Abzug der Abschlusskosten noch ein Abzug gemäß §176 Abs4 vorzunehmen ist. Bei Rücktritt nach Ablauf von fünf Jahren gebührt dem Versicherungsnehmer der Rückkaufswert gemäß §176 Abs1, ohne dass ein Abzug nach §176 Abs4 vorzunehmen ist.'
Beweis: […]
Der Kläger versendete am 2. Oktober 2017 namentlich einen offenen Brief an die Mitglieder des Finanzausschusses des Nationalrats der Republik Österreich und warnte vor einem drohenden Verstoß gegen die 3. Lebensversicherungsrichtlinie.
Beweis: […]
Der Antrag wurde ua aufgrund der Eingabe des Klägers von der Tagesordnung des Finanzausschusses genommen.
III. Sitzung des Nationalrates vom 21. März 2018
Im ersten Halbjahr 2018 prüfte der Bund einen weiteren Entwurf zur Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes. Der Entwurf war inhaltsgleich mit dem des Initiativantrages vom 20. September 2017.
Im Stenographischen Protokoll der 15. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich in der XXVI. Gesetzgebungsperiode vom Mittwoch, 21. März 2018[,] stellte der Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen *************** die Motive des Bundes wie folgt dar:
'[…] Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist jedenfalls das Erlöschen des Rücktrittsrechts nach einem Jahr – trotz fehlerhafter Belehrung über das Rücktrittsrecht – europarechtswidrig. Die Rechtsfolgen des Rücktritts, Herr Kollege, sind höchstgerichtlich noch nicht geklärt.
Es gibt dazu zwei Extrempositionen, und eine dieser Extrempositionen vertreten Sie. Die eine Extremposition ist, dass der Versicherungsnehmer nur den Rückkaufswert bekommt, also die Anlageverluste trägt. Die andere Extremposition, die Sie vertreten, die aber genauso nicht höchstgerichtlich abgesichert ist, ist, dass die Prämien plus 4 Prozent – […]
Irgendwann muss es Rechtsfrieden und damit auch Rechtssicherheit geben, Herr Abgeordneter. (Abg. Kolba: Die Rechtssicherheit ...!) Da potenziell sämtliche Lebensversicherungsverträge seit 1994 unrichtige Belehrungen enthalten, müssen wir dafür Sorge tragen, dass eine Rücktrittswelle nicht die Stabilität der Versicherungswirtschaft gefährdet. (Abg. Kolba: Darum geht’s! Ja, die Gewinne müssen bleiben ...! – Weitere Zwischenrufe bei der Liste Pilz.) Es braucht eine ausgewogene Lösung, Herr Abgeordneter (Abg. Kolba: Ja, ja!), zwischen der Versicherungswirtschaft einerseits und den Rechten der Konsumenten andererseits, das ist ganz wichtig. […]'
[…]
Beweis: […]
Hiergegen versendete der Kläger am 19. März 2018 namentlich einen offenen Brief an die Mitglieder des Nationalrats der Republik und warnte den Bund ua ausdrücklich vor der damit verbundenen europarechtlichen Staatshaftung:
'[…] Sollte sich der österreichische Gesetzgeber an die Grundregeln des Europäischen Rechts tatsächlich nicht gebunden fühlen, so muss er für den dadurch entstandenen Schaden selbst einstehen und haften. Ein Mitgliedsstaat der EU, der seine Pflichten zur Umsetzung und Anwendung Europäischen Rechts nicht erfüllt und damit den Konsumenten einen Anspruch nimmt, den sie zuvor hatten, muss im Wege der Staatshaftung diesen Schaden selbst ausgleichen ( Francovich Entscheidung: EuGH, C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, 5357ff). Laut Berechnungen des VSA mindert der Gesetzesentwurf die Ansprüche der KonsumentInnen um mehr als EUR 3,5 rd. und trägt in sich das Risiko sowohl unabsehbarer Haftungen der Republik als auch Folgeprozesse aufgrund der offensichtlichen Klientelpolitik. Sowohl die 3. Lebensversicherungsrichtlinie als auch die 'Endress-Entscheidung' des EuGH sind dem Finanzausschuss bekannt. Trotz dieser Kenntnis scheint der Finanzausschuss fest entschlossen, einen Gesetz[es]entwurf auf den Weg zu bringen, der ausschließlich den Interessen einer Klientelpolitik zu Gunsten der österreichischen Lebensversicherungswirtschaft dient.
[…]
Die Initiatoren des Gesetzentwurfes sind die vorstehenden Gefahren und Risiken für die Republik schon aus dem offenen Brief des VSA aus dem Vorjahr und der öffentlichen Diskussion bekannt. Dennoch bringen sie den Entwurf wortgleich erneut ein. Damit steht fest, dass die Initiatoren mit Wissen und Wollen und damit mit direktem Vorsatz handeln. Dies wird bei der drohenden Staatshaftung der Republik zu berücksichtigen sein.
Die im Vertrauen auf die Rücknahme des VersVertrRÄG 2017 gewählte neue Regierung der Republik Österreich muss sich fragen lassen, wie sie zur dieser kalten Enteignung der Bürger und Pensionisten in diese[r] für die Altersvorsorge unentbehrlichen Anlageform steht.[']
[…]
Beweis: […]
Der Antrag wurde ua aufgrund der Eingabe des Klägers nicht auf die Tagesordnung des Finanzausschusses gesetzt.
IV. Initiativantrag vom 14. Juni 2018
Am 14. Juni 2018 brachten die Abgeordneten Karlheinz Kopf und Hermann Brückl einen weiteren Antrag zu einem Bundesgesetz ein, mit dem das Versicherungsvertragsgesetz, das Konsumentenschutzgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz 2016 geändert werden sollten. Der Nationalrat solle erneut insbesondere Änderungen verschiedener Normen des Versicherungsvertragsgesetzes beschließen.
Der wieder als Initiativantrag der Regierungsparteien eingebrachte Entwurf umging erneut die Begutachtungsfrist.
1. Änderungsentwurf
Der Inhalt der Änderungen wiederholte in weiten Teilen den Inhalt des Initiativantrags vom 20. September 2017. Danach sollte der §5c VersVG wie folgt geändert werden:
[']§5c. (1) Der Versicherungsnehmer kann vom Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen, ohne Angabe von Gründen zurücktreten.
(2) Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts beginnt mit dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer darüber informiert worden ist, jedoch nicht bevor der Versicherungsnehmer folgende Informationen erhalten hat:
1. den Versicherungsschein (§3),
2. die Versicherungsbedingungen,
3. die Bestimmungen über die Festsetzung der Prämie, soweit diese nicht im Antrag bestimmt ist, und über vorgesehene Änderungen der Prämie sowie
4. eine Belehrung über das Rücktrittsrecht (Abs3).
(3) Die nach Abs2 Z4 zu erteilende Rücktrittsbelehrung muss enthalten:
1. Informationen über die Rücktrittsfrist und deren Beginn,
2. die Anschrift des Adressaten der Rücktrittserklärung,
3. einen Hinweis auf die Regelungen der Abs4 bis 6.
Die Rücktrittsbelehrung genügt jedenfalls diesen Anforderungen, wenn das Muster gemäß Anlage A verwendet wird.
(4) Der Rücktritt ist in geschriebener Form gegenüber dem Versicherer zu erklären. §45 Abs1 Z2 bleibt unberührt. Die Rücktrittsfrist ist gewahrt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb der Frist abgesendet wird[.]
(5) Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.
(6) Hat der Versicherer vorläufige Deckung gewährt, so gebührt ihm die der Dauer der Deckung entsprechende Prämie.
(7) Die vorstehenden Absätze gelten nicht für Versicherungsverträge über Großrisiken gemäß §5 Z34 VAG 2016.'
Ferner sollte der §176 VersVG wie folgt geändert werden:
'(1a) Sind nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist gemäß §5c Abs2 erfüllt, so gebührt dem Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt von einer Kapitalversicherung
– innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien;
– ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss der Rückkaufswert ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und des Abzugs gemäß §176 Abs4.
Trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste berücksichtigen.'
[…]
['](5) Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung innerhalb des ersten Jahres beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten nicht berücksichtigt werden. Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung nach dem ersten Jahr und vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen. […]'
Schließlich sollten dem §191c VersVG folgende Absätze angefügt werden:
'(22) §5a Abs2, §5c, §15a Abs2, §176 Abs1a, §176 Abs5 und Abs6, §178 Abs1 und Anlage A in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr xx/2018 treten mit 01.01.2019 in Kraft. §5b Abs2 bis 6 und §165a treten mit Ablauf des 31.12.2018 außer Kraft. §5c, §176 Abs1a und Anlage A sind auf Versicherungsverträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2018 geschlossen werden. §5b Abs2 bis 6, §5c und §165a in der Fassung vor dem Bundegesetz BGBl I Nr xx/2018 sind – vorbehaltlich des Abs23 – auf Versicherungsverträge weiterhin anzuwenden, die vor dem 01.01.2019 abgeschlossen wurden.
(23) Für einen Rücktritt von einer Kapitalversicherung nach den §§5b, 5c und 165a in der Fassung vor dem Bundesgesetzblatt BGBl I. Nr xx/2018, der ab dem 01.01.2019 erklärt wird, gelten die Rechtsfolgen gemäß §176 Abs1a.'
Beweis: […]
2. Begründung
Der Antrag begründete die geplanten Gesetzesänderungen in seinen amtlichen Gesetzgebungsmotiven wie folgt.
a) Rücktritt vom Antrag
Zunächst stellt der Antrag klar, dass ein Rücktrittsrecht entgegen dem Wortlaut der Norm insbesondere auch den 'Rücktritt' von dem auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages gerichteten Versicherungsantrag umfasst.
Dadurch, dass das §5c Rücktrittsrecht an keine Begründung geknüpft ist, würden auch die konzeptionellen Schwächen der bisherigen Gestaltung des allgemeinen versicherungsvertraglichen Rücktrittsrechts gemäß §5b VersVG beseitigt. Es sei daher – wie bisher in §5b Abs1 – weiterhin vom Rücktritt 'vom Versicherungsvertrag' die Rede. Dies schließe wie bislang auch einen Rücktritt vom Antrag bzw einer Vertragserklärung ein, sodass der Versicherungsnehmer auch bis zum Zustandekommen des Vertrags zurücktreten kann.
Beweis: […]
b) Fristbeginn
Ferner stellte der Antrag klar, dass die Frist für einen Rücktritt richtlinienkonform nicht vor einer Belehrung über das Rücktrittsrecht und der Übermittlung des Versicherungsscheins erfolgen kann.
§5c Abs2 regele als Beginn der Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts grundsätzlich den Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande komme. Für den Schutz des Versicherungsnehmers sei entscheidend, dass die Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn er den Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen einschließlich der Bestimmungen über die Prämienfestsetzung oder -änderung sowie eine Belehrung über das Rücktrittsrecht erhalten hat.
Die Regelung entspreche damit den Erfordernissen des Art186 der Richtlinie 2009/138/EG. Letztere normiert für Lebensversicherungsverträge ein Rücktrittsrecht für Versicherungsnehmer 'von dem Zeitpunkt an, zu dem sie davon in Kenntnis gesetzt werden, dass der Vertrag geschlossen ist'. Das ist in Österreich regelmäßig der Tag, an dem der Versicherungsnehmer die Polizze (das ist der Versicherungsschein) erhält, weil dies entweder die konkludente Annahme des Antrags des Versicherungsnehmers ist oder, bei einem Antrag des Versicherers und einer Annahme durch den Versicherungsnehmer, die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags. Da die Rücktrittsfrist nicht vor Übermittlung des Versicherungsscheins (der Polizze) beginnt, ist die Regelung richtlinienkonform.
Beweis: […]
c) Rechtsfolgen bei Spätrücktritt
Weiterhin will der Antrag Rechtsfolgen für alle Rücktritte vom Versicherungsantrag regeln, in denen der Versicherungsnehmer vor dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages nicht richtig und vollständig über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde und [für] die daher die Frist für einen Rücktritt noch nicht läuft. Für diese als 'Spätrücktritt' bezeichnete Rechtslage unterscheidet der Antrag nach den Rechtsfolgen für die kapitalbildende Lebensversicherung und einer Versicherung, bei der der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko trägt, d.h. einer so genannten 'Fondsgebundenen Lebensversicherung'.
(1) Kapitalbildende Lebensversicherung
§176 Abs1a erster Satz regelt die Rechtsfolgen des Rücktritts von einer kapitalbildenden Lebensversicherung für den Fall, dass nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist nach §5c erfüllt sind (Spätrücktritt). Die Regelung der Rechtsfolgen solle 'in Anlehnung an §152 Abs2 Versicherungsvertragsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (dVVG)' dahingehend erfolgen, dass der Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt im ersten Jahr nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien zurückerhält. Tatsächlich enthält der §152 Abs2 dVVG keine gesetzliche Begrenzung auf den Rückkaufswert, sondern verweist auf §9 dVVG, der auf die Erstattung gezahlter Prämien abstellt.
Die Rechtsfolge eines Spätrücktritts von einer kapitalbildenden Lebensversicherung soll auf die Zahlung des Rückkaufswertes begrenzt sein. Damit stellt der Antrag klar, dass die Rechtsfolge der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung gesetzlich ausgeschlossen wird.
Ferner [wird für] die Höhe des Rückkaufwertes zeitlich unterschieden: Ab dem zweiten bis zum fünften Jahr nach Vertragsabschluss soll der Versicherungsnehmer nur den Rückkaufswert nach §176 Abs3 VersVG ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten[,] aber ohne Abzug nach §176 Abs4 erhalten. Bei einem Rücktritt nach Ablauf von fünf Jahren ab Vertragsabschluss erhält der Versicherungsnehmer demgegenüber nur den Rückkaufswert gemäß §176 Abs1 VersVG mit Abzügen nach §176 Abs4.
Weder die Berechnung noch die Höhe des vom Versicherer zu bestimmenden Rückkaufwertes sind für den Versicherungsnehmer überprüfbar. Insbesondere hat der Versicherungsnehmer auch kein Auskunftsrecht über die Ursachen und Berechnung des ihm mitgeteilten Rückkaufswertes oder der gemachten Abzüge. Die darüber hinaus gehenden Folgen der unerwünschten Lebensversicherung sollen beim Versicherungsnehmer verbleiben.
(2) Fondsgebundene Lebensversicherung
§176 Abs1a zweiter Satz regelt den Fall, dass bei einer Versicherung, bei der der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko trägt, Veranlagungsverluste eingetreten sind. Danach soll jeder falsch belehrte Versicherungsnehmer, der vom Antrag seiner Fondsgebundenen Lebensversicherung zurücktritt, die Veranlagungsverluste selbst tragen. Die Folgen der unerwünschten Lebensversicherung sollen beim Versicherungsnehmer verbleiben.
Auch hier stellt der Antrag klar, dass die Rechtsfolge der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung gesetzlich ausgeschlossen wird.
(3) Grundsatz der 'Rechtssicherheit'
Die neuen gesetzlichen Rechtsfolgen sollen 'Rechtssicherheit' schaffen. Es sei durch höchstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, wie die Rückabwicklung bei einem Spätrücktritt erfolgt. Die Bandbreite der vertretenen Meinungen reicht vom Ersatz des Rückkaufwerts gemäß §176 Abs3 VersVG bis zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der Prämie zzgl. gesetzlicher Zinsen. Wegen der vielen unterschiedlichen Voraussetzungen für den Rücktritt nach den bisherigen Bestimmungen könnten in einer Vielzahl von Fällen eine (wenn auch nur in Details) fehlerhafte Belehrung erfolgt sein, weshalb es geboten erscheine, hier für Rechtssicherheit zu sorgen.
Diese Regelung entspreche Art186 der Richtlinie 2009/138/EG (Solvabilität II) und dem europarechtlichen Wirksamkeitsgebot ( effet utile ).
Die neuen Rechtsfolgen bei fehlender oder fehlerhafter Belehrung gemäß §176 Abs1a VersVG seien ein 'höchst wirksamer Anreiz' für die Versicherer, umfassend über das Rücktrittsrecht zu belehren. Ferner könne der Versicherungsnehmer auch weiterhin zivilrechtliche Schadenersatzansprüche gegen den Versicherer geltend machen. Schließlich sei die in §252 Abs1 Z6 VAG 2016 normierte Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer über die Umstände, unter denen er den Abschluss des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann, gemäß §319 Z1 VAG 2016 durch Verwaltungsstrafen bis EUR 60.000,00 abgesichert.
Beweis: […]
d) Altbestand
Der Antrag will die Rechtsfolgen eines Spätrücktritts für neu abgeschlossene[,] aber auch für bestehende Verträge einheitlich regeln.
Die Bestimmung des §191c VersVG soll das In- und Außerkrafttreten der neuen und alten Vorschriften regeln. Die Regelung der Rechtsfolgen in §176 Abs1a VersVG soll allfällige zukünftige Entscheidungen der Gerichte zu bislang höchstgerichtlich nicht abschließend geklärten Rechtsfragen bei einem bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung erklärten Spätrücktritt hingegen 'nicht präjudizieren'.
Die amtliche Begründung erläutert allerdings nicht, worin das 'fehlende Präjudiz' einer abstrakt generellen gesetzlichen Regelung liegen soll.
Beweis: […]
V. Verkündung
Am 14. August 2018 wurde das VersVGÄG im BGBl I Nr 51/2018 (NR: GP XXVI IA 302/A AB 223 S. 34. BR: AB 10003 S. 882.) ua mit folgendem Inhalt verkündet:
'[…]
3. §5c lautet:
'Rücktrittsrecht'
§5c. (1) Der Versicherungsnehmer kann vom Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen, ohne Angabe von Gründen zurücktreten.
(2) Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts beginnt mit dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer darüber informiert worden ist, jedoch nicht bevor der Versicherungsnehmer folgende Informationen erhalten hat:
1. den Versicherungsschein (§3),
2. die Versicherungsbedingungen,
3. die Bestimmungen über die Festsetzung der Prämie, soweit diese nicht im Antrag bestimmt ist, und über vorgesehene Änderungen der Prämie sowie
4. eine Belehrung über das Rücktrittsrecht (Abs3).
(3) Die nach Abs2 Z4 zu erteilende Rücktrittsbelehrung muss enthalten:
1. Informationen über die Rücktrittsfrist und deren Beginn,
2. die Anschrift des Adressaten der Rücktrittserklärung,
3. einen Hinweis auf die Regelungen der Abs4 bis 6.
Die Rücktrittsbelehrung genügt jedenfalls diesen Anforderungen, wenn das Muster gemäß Anlage A verwendet wird.
(4) Der Rücktritt ist in geschriebener Form gegenüber dem Versicherer zu erklären. §45 Abs1 Z2 bleibt unberührt. Die Rücktrittsfrist ist gewahrt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb der Frist abgesendet wird.
(5) Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.
(6) Hat der Versicherer vorläufige Deckung gewährt, so gebührt ihm die der Dauer der Deckung entsprechende Prämie.
(7) Die vorstehenden Absätze gelten nicht für Versicherungsverträge über Großrisiken gemäß §5 Z34 VAG 2016.
[…]
6. §176 Abs1a lautet:
'Sind nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist gemäß §5c Abs2 erfüllt, so gebührt dem Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt von einer Kapitalversicherung
– innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien;
– ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss der Rückkaufswert ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und des Abzugs gemäß §176 Abs4. Trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste berücksichtigen.
7. §176 Abs5 und 6 lauten:
(5) Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung innerhalb des ersten Jahres beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten nicht berücksichtigt werden. Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung nach dem ersten Jahr und vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen.
[…]
9. Dem §191c werden folgende Absätze 22 und 23 angefügt:
(22) §5a Abs2, §5c, §15a Abs2, §176 Abs1a, §176 Abs5 und Abs6, §178 Abs1 und Anlage A in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 51/2018 treten mit 01.01.2019 in Kraft. §5b Abs2 bis 6 und §165a treten mit Ablauf des 31.12.2018 außer Kraft. §5c, §176 Abs1a und Anlage A sind auf Versicherungsverträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2018 geschlossen werden. §5b Abs2 bis 6, §5c und §165a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 51/2018 sind – vorbehaltlich des Abs23 – auf Versicherungsverträge weiterhin anzuwenden, die vor dem 01.01.2019 abgeschlossen wurden.
(23) Für einen Rücktritt von einer Kapitalversicherung nach den §§5b, 5c und 165a in der Fassung vor dem Bundesgesetzblatt BGBl I Nr 51/2018, der ab dem 01.01.2019 erklärt wird, gelten die Rechtsfolgen gemäß §176 Abs1a.
[…].'
Beweis: […]
In der amtlichen Pressekorrespondenz des Nationalrats vom 4. Juli 2018 beschrieben die Abgeordneten der Regierungsparteien die mit dem VersVGÄG verfolgten Absichten ua wie folgt:
'ÖVP – Gesetz schafft Interessensausgleich und Fairness
Aus Sicht der ÖVP darf die Lebensversicherung nicht zum Spekulationsobjekt mit Austrittsjoker werden. Fairness werde geschaffen, so Finanzsprecher **********, der die unterschiedlichen Interessen der beiden Parteien verdeutlichte. Ohne Gesetzesänderung würden Lebensversicherungen für die Versicherungsunternehmen unattraktiv und irgendwann nicht mehr angeboten. Außerdem widerspreche die lebenslange Rücktrittsmöglichkeit seinem Rechtsempfinden, obwohl sie seitens des EuGH als rechtens bestätigt wurde. Das Gesetz biete somit eine ausgewogene Lösung unter Berücksichtigung der europäischen Rechtslage, unterstrich **********.
[…]
FPÖ: Rechtssicherheit wird geschaffen
Seit zwei Jahren sei versucht worden, in diesem Bereich eine Lösung zu finden, betonte Peter Wurm (FPÖ) den langen Entstehungsprozess des Gesetzes. Nun wurde eine Lösung im Sinne der KonsumentInnen gefunden, sagte er. Sowohl künftige Verträge als auch Altverträge würden dadurch geregelt. Die österreichische Lösung sei sogar besser als die aktuelle deutsche Regelung, meinte Wurm. Rechtssicherheit werde geschaffen, unterstrich auch Fraktionskollege Hermann Brückl.
Bislang sei die Verjährungsfrist aufgrund der vielen Änderungen und Gerichtsentscheidungen unklar gewesen. Nun sei ein vertretbarer Mittelweg gefunden worden, zeigte er sich zufrieden.'
[…]
Demgegenüber stimmte die Opposition gegen den Entwurf, warnte ausdrücklich vor dem Eintritt der Staatshaftung und wies darauf hin, dass das Gesetz dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz widerspricht. Hierbei stützte sich die Opposition ua auf eine Studie des Europarechtsexperten Maderbacher.
Beweis: […]
D. BEGEHREN
Gemäß §15 Abs2 VfGG macht die Klage folgende Begehren
Zahlung einer angemessenen Entschädigung für den durch den Bund durch das '51. Bundesgesetz mit dem das Versicherungsvertragsgesetz, das Konsumentenschutzgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz 2016 geändert werden' (NR: GP XXVI IA 302/A AB 223 S. 34. BR: AB 10003 S. 882.) vom 14.08.2018 verursachten und unter D. IV. 3. dargelegten Schaden seiner Zedenten;
ein Erkenntnis des Gerichts über die Höhe der angemessenen Entschädigung seiner Zedenten;
einen Exekutionstitel zur Vollstreckung der durch das Gericht erkannten angemessenen Entschädigung der Zedenten durch weiteres Erkenntnis des Gerichts,
geltend und macht die folgenden Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage:
I. Herleitung des Anspruchs
Die mit der Klage begehrte Entschädigung aus europarechtlicher Staatshaftung des Bundes leitet sich aus dem Rechtsgedanken des Art340 Abs2 AEUV ab und ist ein genuin unionsrechtlicher Anspruch, der durch den EuGH in ständiger Rechtsprechung angewendet wird. Vgl. hierzu
EuGH C-6 C-9-90 vom 19. November 1991 ( Francovich );
EuGH C-46 C-48-93 vom 5. März 1996 ( Pêcheur );
EuGH C-224/01 vom 30. September 2003 ( Köbler ).
Die Klage rügt die Verletzung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts aus der 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie, der Solvabilität II Richtlinie und der Entscheidungen des EuGH aus Art4 Abs3 EUV. Vgl. hierzu
EuGH C-209/12 vom 19. Dezember 2013 ( Endress );
EuGH C 355/18 bis C 357/18 und C 479/18 vom 19. Dezember 2019 ( Rust-Hackner ua).
Der Bund hat mit der Verabschiedung und Inkraftsetzung des VersVGÄG die Verwirklichung des Unionsrechts zu den Rechtsfolgen eines Rücktritts aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Belehrung von Versicherungsnehmern in der Republik Österreich praktisch unmöglich gemacht.
Damit hat der Bund den Grundsatz der Unionstreue aus Art4 Abs3 EUV und den Grundsatz des Schutzes europarechtlicher Individualrechte aus der 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie missachtet.
II. Handeln eines Hoheitsträgers
Die Verabschiedung und Inkraftsetzung des VersV[G]ÄG durch den Bund ist auch Handeln eines Hoheitsträgers.
III. Qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht
Der Ausschluss des zivilrechtlichen Rückabwicklungsanspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung, die Begrenzung der Rechtsfolge eines Rücktritts auf den Rückkaufswert sowie die Abwälzung des Veranlagungsrisikos auf die Zedenten durch das VersVGÄG begründet einen qualifizierten Verstoß gegen die aus der 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie, der Solvabilität II Richtlinie sowie der Rechtsprechung des EuGH gewährten individuellen Rechte der Zedenten.
Im Einzelnen:
1. Verletzte Norm
Die Normen des §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie des §191c Abs22 und 23 VersVGÄG verletzen neben dem effet utile aus Art4 Abs3 EUV insbesondere Art15 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie, Art31 und Anhang II A. a13 der 3. Lebensversicherungsrichtlinie und Art185 Abs1 der Solvabilität II Richtlinie sowie die Grundsätze der Entscheidungen des EuGH in EuGH C-209/12 vom 19. Dezember 2013 ( Endress ) und EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 vom 19. Dezember 2019 ( Rust-Hackner ua).
Die 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie waren schon beim Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mit 1. Jänner 1995 Teil des acquis communautaire .
Vgl. VfGH A30/04 vom 15. Juni 2005
a) Bestimmtheit
Wie in dieser Klage gezeigt wird, verleihen die verletzten Normen den einzelnen Zedenten Rechte, die inhaltlich hinreichend bestimmt sind.
(1) Art15 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie
Die Norm des Art15 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie ist hinreichend bestimmt. Die Norm lautet:
'Artikel 15
(1) Jeder Mitgliedstaat schreibt vor, daß der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags, der in einem der in Titel III genannten Fälle geschlossen wird, von dem Zeitpunkt an, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, daß der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügt, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten.
Die Mitteilung des Versicherungsnehmers, daß er vom Vertrag zurücktritt, befreit ihn für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen.
Die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen werden gemäß dem auf den Versicherungsvertrag nach Artikel 4 anwendbaren Recht geregelt, insbesondere was die Modalitäten betrifft, nach denen der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, daß der Vertrag geschlossen ist.
(2) Bei Verträgen mit einer Laufzeit von höchstens sechs Monaten können die Mitgliedstaaten von der Anwendung von Absatz 1 absehen.'
[…]
Danach gewährt Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie jedem Versicherungsnehmer ein mit einer konkreten Frist zu versehendes zivilrechtliches Gestaltungsrecht, wobei der Fristbeginn an den konkreten Umstand der Kenntnis vom Zustandekommen des Vertrages geknüpft sein soll. Die Norm regelt ferner auch eine konkrete, bei Rücktritt des Versicherungsnehmers zu gewährleistende Rechtsfolge, wonach der Versicherungsnehmer von allen aus dem Vertrag folgenden Pflichten zu befreien ist.
(2) Art31 der 3. Lebensversicherungsrichtlinie
Auch die Norm des Art31 in Verbindung mit Anhang II A. a13 der 3. Lebensversicherungsrichtlinie ist hinreichend bestimmt. Die Norm lautet:
[']Artikel 31
(1) Vor Abschluß des Versicherungsvertrags sind dem Versicherungsnehmer mindestens die in Anhang II Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen.
(2) Der Versicherungsnehmer muß während der gesamten Vertragsdauer über alle Änderungen der in Anhang II Buchstabe B aufgeführten Angaben auf dem laufenden gehalten werden.
(3) Der Mitgliedstaat der Verpflichtung kann von den Versicherungsunternehmen nur dann die Vorlage von Angaben zusätzlich zu den in Anhang II genannten Auskünften verlangen, wenn diese für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig sind.
(4) Die Durchführungsvorschriften zu diesem Artikel und zu Anhang II werden von dem Mitgliedstaat der Verpflichtung erlassen.
[…]
ANHANG II - INFORMATIONEN FÜR DIE VERSICHERUNGSNEHMER
Dem Versicherungsnehmer sind die nachfolgenden Informationen entweder (A) vor Abschluß des Vertrages […] mitzuteilen. Die Informationen sind eindeutig und detailliert schriftlich in einer Amtssprache des Mitgliedstaats der Verpflichtung abzufassen.
Diese Informationen können jedoch in einer anderen Sprache abgefaßt werden, sofern der Versicherungsnehmer dies wünscht und es nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist oder sofern der Versicherungsnehmer das anwendbare Recht frei wählen kann.
A. Vor Abschluß des Vertrages mitzuteilende Informationen
Informationen über die Versicherungspolicen
[…]
a.13 Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittrechts
[…]'
[…]
Danach gewährt Art31 Abs1 der 3. Lebensversicherungsrichtlinie jedem Versicherungsnehmer den Anspruch durch den Versicherer noch vor Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages über ausdrücklich im Anhang II genannte Inhalte in bestimmter Form und Sprache umfassend belehrt zu werden. Insbesondere muss der Versicherungsnehmer auch über die zivilrechtlichen Voraussetzungen und die Ausübung seines europarechtlich gewährten Gestaltungsrechts informiert werden.
(3) Art185 der Solvabilität II Richtlinie
Schließlich ist auch die Norm des Art185 Abs1 der Solvabilität II Richtlinie hinreichend bestimmt. Die Norm lautet:
'Artikel 186
Rücktrittszeitraum
(1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags von dem Zeitpunkt an, zu dem sie davon in Kenntnis gesetzt werden, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügen, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten.
Die Mitteilung des Versicherungsnehmers, dass er vom Vertrag zurücktritt, befreit ihn für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen.
Die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen werden gemäß dem auf den Versicherungsvertrag anwendbaren Recht geregelt, insbesondere was die Modalitäten betrifft, nach denen der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist.'
Art185 Abs1 der Solvabilität II Richtlinie fasst die Normen der Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie und Art31 Abs1 der 3. Lebensversicherungsrichtlinie zusammen und regelt den damit verbundenen Zeitraum für die Ausübung des europarechtlich verliehenen Gestaltungsrechts des Versicherungsnehmers. Da die Norm auf den Wortlaut der einschlägigen Normen der 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie aufbaut, kann für die Bestimmtheit auf die Ausführungen unter D. III. 1. a) (1) und (2) verwiesen werden.
b) Zurechnung
Die Verabschiedung und Inkraftsetzung des haftungsauslösenden VersV[G]ÄG kann keinem anderen Organ als dem Bund zugerechnet werden.
Die Aufhebung des zivilrechtlichen Rückabwicklungsanspruchs, die Übernahme der Veranlagungsverluste durch den Versicherungsnehmer und die nachträgliche zwingende Regelung der Rechtsfolge des Rückkaufswertes für Rücktritte durch §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie des §191c Abs22 und 23 VersVGÄG begründet auch keine unterlassene oder fehlerhafte Umsetzung der genannten Richtlinien. Vielmehr verletzt der Gesetzgeber die fraglichen Normen der Richtlinien nachträglich mit Wissen und Wollen des Bundes.
Da die Ansprüche der Zedenten auch nicht im Geltungszeitraum des VersVGÄG gerichtlich geltend gemacht wurden oder rechtshängig sind, entfällt auch eine Nichtzurechnung wegen einer etwaigen Nichtanwendbarkeit der europarechtswidrigen Normen des VersVGÄG durch angerufene Gerichte.
2. Hinreichend qualifiziert
Die gerügten Verletzungen sind auch hinreichend qualifiziert. Der Bund hat die Grenzen, die seinem Ermessen aus den Normen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten. Wie dargelegt, sind die verletzten Normen auch hinreichend klar und genau. Ferner hat kein Unionsorgan durch sein Verhalten dazu beigetragen, dass der Bund das unionsrechtswidrige VersVGÄG eingeführt hat.
Die Qualifikation ist auch aus keinem anderen Grund entfallen.
Im Einzelnen:
a) Offenkundige Qualifikation durch Urteil des EuGH
Der Verstoß der Normen des §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie des §191c Abs22 und 23 VersVGÄG gegen Unionsrecht ist schon deshalb offenkundig qualifiziert, weil er fortbesteht, nachdem der EuGH bereits Verstöße des Bundes festgestellt hat und die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens sich aus der einschlägigen, gefestigten Rechtsprechung des EuGH ergibt.
Schon in der Entscheidung C-209/12 vom 19. Dezember 2013 ( Endress ) hatte der EuGH klargestellt, dass
[']30. … sich der Versicherer, wie die Generalanwältin in den Nrn. 46 und 47 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen [kann], um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung von in einer Liste festgelegten Informationen, zu denen insbesondere die Informationen über das Recht des Versicherungsnehmers, vom Vertrag zurückzutreten, gehören, nicht nachgekommen ist …'
[…]
Mithin war schon entschieden, dass der Bund keine nationale Regelung einführen durfte, mit der einem Versicherer aus Gründen der Rechtssicherheit aus der Situation geholfen werden soll[,] in der er [seine unionsrechtliche] Obliegenheit zur Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht selbst verletzt hat.
In seiner Entscheidung C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 vom 19. Dezember 2019 ( Rust-Hackner ua) hat der EuGH ferner auch schon zur Rechtslage in der Republik Österreich entschieden. Danach gilt, dass
'100 […] gemäß dem auf den Vertrag anwendbaren Recht geregelt und müssen die Mitgliedstaaten beim Erlass der entsprechenden Rechtsvorschriften dafür sorgen, dass bei den Richtlinien 90/619, 92/96, 2002/83 und 2009/138 im Hinblick auf den mit ihnen verfolgten Zweck die praktische Wirksamkeit gewährleistet ist.
[…]
102 Dem Erfordernis, eine solche Wahlfreiheit zu gewährleisten, tragen insbesondere die Bestimmungen von Art15 Abs1 Unterabs. 2 der Richtlinie 90/619, Art35 Abs1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2002/83 und Art186 Abs1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2009/138 Rechnung, nach denen der Versicherungsnehmer, wenn er fristgerecht erklärt, dass er vom Vertrag zurücktritt, für die Zukunft von allen aus dem Vertrag resultierenden Verpflichtungen befreit ist.
103 Bliebe der Versicherungsnehmer auch nach dem Rücktritt für die Zukunft an den Vertrag gebunden, würde er von der Ausübung seines Rücktrittsrechts abgehalten. Ihm würde dadurch die Möglichkeit genommen, den Vertrag zu wählen, der seinen Bedürfnissen am ehesten entspricht.
104 Auch die übrigen rechtlichen Wirkungen, die die Ausübung des Rücktrittsrechts nach dem auf den Vertrag anwendbare[n] Recht hat, müssen, damit die praktische Wirksamkeit des Rücktrittsrechts gewährleistet ist, so beschaffen sein, dass sie den Versicherungsnehmer nicht davon abhalten, sein Rücktrittsrecht auszuüben.
105 Wie sich aus der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C479/18 ergibt, sieht §176 VersVG in der für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung vor, dass der Versicherer, wenn Versicherungen wie die, um die es in den Ausgangsverfahren geht, durch Rücktritt, Kündigung oder Anfechtung aufgehoben werden, den auf die Versicherung entfallenden Rückkaufswert zu erstatten hat.
106 Mit einer solchen Regelung werden der Fall, dass der Versicherungsnehmer zu dem Schluss gelangt, dass der Vertrag seinen Bedürfnissen entspricht, und sich deshalb dafür entscheidet, nicht von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen, den Vertrag dann aber aus anderen Gründen kündigt, und der Fall, dass der Versicherungsnehmer zu dem Schluss gelangt, dass der Vertrag nicht seinen Bedürfnissen entspricht, und deshalb von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch macht, gleichbehandelt.
107 Soweit §176 VersVG in der für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung für den Rücktritt und die Kündigung des Vertrags dieselben rechtlichen Wirkungen vorsieht, nimmt er dem unionsrechtlich vorgesehenen Rücktrittsrecht somit jegliche praktische Wirksamkeit.
[..]
109 Wird der Versicherungsnehmer vom Versicherer zutreffend über sein Rücktrittsrecht informiert, steht dem Versicherungsnehmer nur eine relativ kurze Frist zur Verfügung, um sein Rücktrittsrecht auszuüben, so dass die finanziellen Folgen, die ein Rücktritt für die Versichertengemeinschaft hat, als Teil des allgemeinen Managements der versicherten Risiken angesehen werden können. Wird der Rücktritt hingegen nicht fristgerecht erklärt, weil überhaupt keine Informationen mitgeteilt werden oder die mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben, ist es Sache des Versicherers, einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen, zu denen insbesondere die Informationen über das Recht des Versicherungsnehmers, vom Vertrag zurückzutreten, gehören, nicht nachgekommen ist (siehe oben, Rn. 69).
[…]
111 […] Art15 Abs1 der Richtlinie 90/619, Art35 Abs1 der Richtlinie 2002/83 und Art185 Abs1 der Richtlinie 2009/138 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Versicherer einem Versicherungsnehmer, der von seinem Vertrag zurückgetreten ist, lediglich den Rückkaufswert zu erstatten hat.'
[…]
Mithin ist schon entschieden, dass der Bund keine nationale Regelung einführen durfte, nach der der Versicherer einem Versicherungsnehmer, der von seinem Vertrag wegen fehlerhafter Belehrung bei Vertragsschluss zurücktritt nur der Rückkaufswert zu erstatten hat und das[s] Art15 Abs1 der Richtlinie 90/619, Art35 Abs1 der Richtlinie 2002/83 und Art185 Abs1 der Richtlinie 2009/138 der Regelung de[s] §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie des §191c Abs22 und 23 VersVGÄG entgegenstehen.
Mithin ist ebenfalls schon entschieden, dass der Bund keine nationale Regelung einführen durfte, nach der dem Versicherungsnehmer die Übernahme der Veranlagungsverluste auferlegt wird, der von seinem Vertrag wegen fehlerhafter Belehrung bei Vertragsschluss zurücktritt und dadurch entgegen des Art15 Abs1 der Richtlinie 90/619, Art35 Abs1 der Richtlinie 2002/83 und Art185 Abs1 der Richtlinie 2009/138 vom Vertrag zurücktritt, durch die Übernahme der Veranlagungsverluste eben nicht für die Zukunft von allen aus dem Vertrag resultierenden Verpflichtungen befreit ist.
b) Enger Ermessensspielraum
Der Bund hatte bei der Regelung der Rechtsfolgen eines Rücktritts aufgrund der Richtlinien auch nur einen engen Ermessensspielraum.
Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie gewährt dem Bund einen nur engen Ermessenspielraum. Insbesondere muss der Mitgliedsstaat den Versicherungsnehmer ausdrücklich von allen aus dem Vertrag resultierenden Verpflichtungen befreien und nicht nur von Teilen. Daher muss die vom Mitgliedsstaat zu regelnde Rechtsfolge derart ausgestaltet sein, dass der Versicherungsnehmer nach einem Rücktritt keine Pflichten oder Folgen mehr aus dem Lebensversicherungsvertrag tragen muss[,] soweit er nicht seinerseits bereichert ist. Insbesondere darf er nicht die Pflicht zur Übernahme von Verlusten aus dem Vertrag tragen.
Auch Art31 Abs1 und Anhang II der 3. Lebensversicherungsrichtlinie gewähren dem Bund einen nur engen Ermessens[s]pielraum. Der Mitgliedsstaat muss dafür Sorge tragen, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer umfassend, zu einem bestimmten Zeitpunkt und schriftlich belehrt und dem Versicherungsnehmer zutreffend über die europarechtlich gewährte Rechtsfolge des ausgeübten Rücktritts informiert. Insbesondere muss der Versicherungsnehmer darüber informiert werden, dass er nach EU-Recht von allen aus dem Vertrag resultierenden Verpflichtungen befreit ist und keinerlei Pflichten trägt, für die er aufkommen müsste.
Der auf den Wortlaut der einschlägigen Normen der 2. und 3. Lebensversicherungsrichtlinie aufbauende Art185 Abs1 der Solvabilität II Richtlinie gewährt dem Bund demnach ebenfalls einen nur engen Ermessens[s]pielraum. Auch hier kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.
Ferner reduzierte schon die Entscheidung C-209/12 vom 19. Dezember 2013 ( Endress ) das Ermessen des Bund[es] weiter dahin, dass er keine nationale Regelung einführen durfte, die den Versicherer aus Gründen der Rechtssicherheit durch Gesetz aus der Situation helfen soll, in der er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht selbst nicht nachgekommen ist und in die er sich selbst gebracht hat. Dies auch deshalb, weil es dem Versicherer freistand[,] seine unionsrechtliche Obliegenheit gegenüber dem Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss zu erfüllen.
c) Vorsätzlicher Verstoß
Der Bund hat auch vorsätzlich gegen die Normen der Richtlinien verstoßen.
Die Abgeordneten der Regierungsparteien beschrieben die mit dem VersVGÄG verfolgten Absichten insbesondere wie folgt:
'ÖVP – Gesetz schafft Interessensausgleich und Fairness
Aus Sicht der ÖVP darf die Lebensversicherung nicht zum Spekulationsobjekt mit Austrittsjoker werden. Fairness werde geschaffen, so Finanzsprecher **********, der die unterschiedlichen Interessen der beiden Parteien verdeutlichte. Ohne Gesetzesänderung würden Lebensversicherungen für die Versicherungsunternehmen unattraktiv und irgendwann nicht mehr angeboten. Außerdem widerspreche die lebenslange Rücktrittsmöglichkeit seinem Rechtsempfinden, obwohl sie seitens des EuGH als rechtens bestätigt wurde. Das Gesetz biete somit eine ausgewogene Lösung unter Berücksichtigung der europäischen Rechtslage, unterstrich **********.
[…]
FPÖ: Rechtssicherheit wird geschaffen
Seit zwei Jahren sei versucht worden, in diesem Bereich eine Lösung zu finden, betonte Peter Wurm (FPÖ) den langen Entstehungsprozess des Gesetzes. Nun wurde eine Lösung im Sinne der KonsumentInnen gefunden, sagte er. Sowohl künftige Verträge als auch Altverträge würden dadurch geregelt. Die österreichische Lösung sei sogar besser als die aktuelle deutsche Regelung, meinte Wurm. Rechtssicherheit werde geschaffen, unterstrich auch Fraktionskollege Hermann Brückl.[']
[…]
Demgegenüber stimmte die Opposition gegen den Entwurf und wies darauf hin, dass das Gesetz dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz widerspricht. Hierbei stützte sich die Opposition ua auf eine Studie des Europarechtsexperten Maderbacher.
Beweis: […]
Ferner legte der Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen ********** die Motive des Bundes wie folgt dar:
'[…] Irgendwann muss es Rechtsfrieden und damit auch Rechtssicherheit geben, Herr Abgeordneter. (Abg. Kolba: Die Rechtssicherheit ...!) Da potenziell sämtliche Lebensversicherungsverträge seit 1994 unrichtige Belehrungen enthalten, müssen wir dafür Sorge tragen, dass eine Rücktrittswelle nicht die Stabilität der Versicherungswirtschaft gefährdet. (Abg. Kolba: Darum geht’s! Ja, die Gewinne müssen bleiben ...! – Weitere Zwischenrufe bei der Liste Pilz.) Es braucht eine ausgewogene Lösung, Herr Abgeordneter (Abg. Kolba: Ja, ja!), zwischen der Versicherungswirtschaft einerseits und den Rechten der Konsumenten andererseits, das ist ganz wichtig. […]'
[…]
Beweis: […]
d) Kein Rechtsirrtum
Der Bund unterlag auch keinem Rechtsirrtum.
Tatsächlich hatte der EuGH in seiner Entscheidung C-209/12 vom 19. Dezember 2013 ( Endress ) die Frage[,] ob der Bund eine nationale Regelung aus Gründen der 'Rechtssicherheit' gesetzlich zugunsten unionsrechtswidrig belehrender Versicherungen einführen durfte[,] schon entschieden.
Ferner war dem Bund zum Zeitpunkt des Initiativantrages vom 14. Juni 2018 und der Verkündung am 14. August 2018 auch bekannt, dass das Landesgericht Salzburg mit Entscheidungen vom 16. Mai 2018, beim EuGH eingegangen am 31. Mai 2018 (C 355/18 bis C 357/18), das Bezirksgericht für Handelssachen Wien mit Entscheidung vom 12. Juli 2018, beim EuGH eingegangen am 20. Juli 2018 (C 479/18) schon vier Vorabentscheidungsersuchen nach Art267 AEUV eingereicht hatten, mit denen die in §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie [...] §191c Abs22 und 23 VersVGÄG beabsichtigten Regelungen durch den EuGH überprüft werden.
3. Schaden
Die Zedenten wurden bei Abschluss ihres Versicherungsvertrages vom Versicherer nicht vollständig und richtig über ihr Rücktrittsrecht und die damit verbundenen Rechtsfolgen belehrt.
Für die konkreten Belehrungsfehler bei Abschluss der Lebensversicherungen der Zedenten wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf das Konvolut der Vertragsdaten in Beilage ./A verwiesen. Darin werden für jeden Zedenten über seine Laufnummer unter der Ordnungszahl 2 die sich aus seinem unter der Ordnungszahl 1 eingebrachten Versicherungsantrag ergebenden konkreten Belehrungsfehler dargestellt […]
Beweis: […]
Der Schaden besteht dem Grunde nach. Durch die Regelung de[s] §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie des §191c Abs22 und 23 VersVGÄG wurde den Zedenten die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Rückabwicklung nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts entzogen, die Rechtsfolge ihres Rücktritts auf die Zahlung eines durch den Versicherer bestimmten und für den Zedenten nicht rechtlich überprüfbaren Rückkaufwertes beschränkt und die Veranlagungsverluste aus der ungewollten Lebensversicherung den Zedenten auferlegt.
Der Schaden besteht auch der Höhe nach. Die Höhe des Schadens eines Zedenten berechnet sich aus der Summe der von den Zedenten eingezahlten Versicherungsbeiträge abzüglich erhaltener Zahlungen aus dem Lebensversicherungsvertrag und Anrechnung des während der Laufzeit erhaltenen Todesfallschutzes zuzüglich einer gesetzlichen Verzinsung der jeweils eingezahlten Prämien in Höhe von 4 % analog §1333 Abs1 ABGB iVm §1000 Abs1 ABGB.
Für noch laufende Verträge ist ferner ein noch festzustellender Rückkaufswert im Zeitpunkt des Erkenntnisses des Gerichts abzuziehen.
IV. Kausalität
Da die Verletzung unionsrechtlicher Schutzgesetze aus Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie, Art3[1] Abs1 der [3]. Lebensversicherungsrichtlinie und Art185 Abs1 der Solvabilität II Richtlinie durch die gesetzliche Beschränkung der Rechtsfolgen eines Rücktritts auf den Rückkaufswert über die Regelungen der §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie des §191c Abs22 und 23 VersVGÄG aufgrund der Entscheidung des EuGH […] C-355/18 bis C-357/18 und C 479/18 vom 19. Dezember 2019 ( Rust-Hackner ua) schon festgestellt wurde, bedarf es keiner näheren Ausführung des Kausalzusammenhangs mehr.
Da die Normen der Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie, Art3[1] Abs1 der [3]. Lebensversicherungsrichtlinie und Art185 Abs1 der Solvabilität II Richtlinie die Entstehung eines Schadens verhindern sollen, wird die Kausalität des Normverstoßes des Bundes nach der Art eines 'Prima facie' Beweises vermutet.
§176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie […] §191c Abs22 und 23 VersVGÄG sind ferner auch kausal für den Schaden der Zedenten, da diese vor Abschluss ihrer Lebensversicherungsverträge unrichtig und unvollständig über ihr Rücktrittsrecht belehrt wurden und nunmehr nachträglich auf die Rechtsfolge auf Zahlung des Rückkaufswertes beschränkt werden. Die Normen des VersVGÄG können nicht weggedacht werden, ohne dass der von der Klage gerügte Schaden entfiele.
V. Rechtswidrigkeit
Der Bund handelt rechtswidrig im Sinne des Art23 Abs1 B VG analog.
§176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie […] §191c Abs22 und 23 VersVGÄG missachten den Anwendungsvorrang der Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie, Art3[1] Abs1 der [3]. Lebensversicherungsrichtlinie und Art185 Abs1 der Solvabilität II Richtlin[i]e.
Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie, Art3[1] Abs1 der [3]. Lebensversicherungsrichtlinie und Art185 Abs1 der Solvabilität II Richtlin[i]e dienen dem Schutz von Versicherungsnehmern und damit auch der Zedenten. Die Normen der Richtlinien üben somit eine Reflexwirkung aus und lassen eine Haftung eintreten.
Aufgrund der hinreichenden Bestimmtheit der Normen der Richtlinien, dem engen Ermessensspielraum der Normen und der Ermessensreduzierung durch die Entscheidung C-209/12 vom 19. Dezember 2013 ( Endress ) sowie der schon 2018 zu den Aktenzeichen C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsersuchen nach Art267 AEUV bestand auch kein gesetzgeberischer Handlungsspielraum des Bundes mehr.
Tatsächlich ergibt sich die Unvertretbarkeit der Rechtsansicht des Bundes auch aus der Nichtbeachtung der ständigen Rechtsprechung des EuGH aus der Entscheidung C-209/12 vom 19. Dezember 2013 ( Endress ).
VI. Verschulden
Der Bund handelt auch schuldhaft im Sinne des Art23 Abs1 B VG analog.
Wenn, wie hier, Schaden und Rechtswidrigkeit feststehen, muss der Bund den Gegenbeweis mangelnden Verschuldens sämtlicher Organe beweisen. Angesichts der klaren Aussagen des Staatssekretärs im Bundesministerium für Finanzen ********** in der Parlamentssitzung vom 21. März 2018 und der Abgeordneten der Regierungsparteien[,] wie dem Finanzsprecher ********** und dem Abgeordneten Peter Wurm in der Parlamentskorrespondenz vom 4. Juli 2018[,] steht aber außer Zweifel, dass der Bund schuldhaft handelte. Ein Gegenbeweis wird nicht gelingen.
Da der Bund grundsätzlich zu rechtmäßigem Handeln verpflichtet ist, gilt für ihn ein hoher Sorgfaltsmaßstab.
Tatsächlich widersprach die bekannte europarechtliche Normenlage trotz der Bestätigung durch den EuGH dem 'Rechtsempfinden' des Bundes, der entgegen der bekannten Entscheidung des EuGH zu C-209/12 vom 19. Dezember 2013 ( Endress ) Rechtsicherheit dadurch schaffen wollte, dass er Versicherungsnehmer bei Rücktritt durch die Beschränkung auf den Rückkaufswert und Übernahme der Veranlagungsverluste eben nicht für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen befreien wollte.
VII. Kein Haftungsausschluss
Ein Haftungsausschluss liegt nicht vor. Es gibt kein Erkenntnis eines Höchstgerichts. Insbesondere die Entscheidungen des OGH vom 20. April 2021 zu den Aktenzahlen 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y treffen keine Erkenntnis zum von der Klage gerügten Schaden aus europarechtlicher Staatshaftung des Bundes.
VIII. Rechtsfolge
Der Bund hat die Folgen des bei den Zedenten verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die dort festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden innerstaatlichen Ansprüchen; auch dürfen diese Voraussetzungen nicht so ausgestaltet sein, dass die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert ist.
Der Ersatz der Schäden, die dem einzelnen Zedenten durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, [muss] dem erlittenen Schaden angemessen sein […], so dass ein effektiver Schutz der Rechte des Einzelnen gewährleistet ist.
Soweit es auf diesem Gebiet keine Gemeinschaftsvorschriften gibt, ist es Sache der nationalen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die Kriterien festzulegen, anhand deren der Umfang der Entschädigung bestimmt werden kann.
Zu beachten ist, dass es nicht zulässig sein kann, den entgangenen Gewinn bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vollständig vom ersatzfähigen Schaden auszuschließen. Insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur ist nämlich ein solcher vollständiger Ausschluss des entgangenen Gewinns geeignet, den Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich zu machen. Vgl.
EuGH C-46 C-48-93 vom 5. März 1996 ( Pêcheur ).
Im Einzelnen:
1. Haftungsumfang
Der Kläger verlangt eine angemessene Entschädigung in Geld. Der Kläger ist aus den abgetretenen Ansprüchen der Zedenten […] so zu stellen, wie sie stünden, wenn sie unter Anrechnung erhaltener Leistungen von allen aus ihren Verträgen resultierenden Verpflichtungen im Sinne des Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungsrichtlinie befreit worden wären.
Der Bund schuldet eine öffentlich-rechtliche 'angemessene Entschädigung' zur Gewährleistung des effektiven Schutzes der Rechte der Zedenten, nicht aber den Ersatz eines zivilrechtlich konkret entstandenen Schadens.
Ausgehend von der Summe der von den Zedenten vereinbarten und eingezahlten Versicherungsbeiträge, abzüglich erhaltener Zahlungen aus den Lebensversicherungsverträgen und Anrechnung des während der Laufzeit erhaltenen Todesfallschutzes, zuzüglich einer gesetzlichen Verzinsung der jeweils eingezahlten Prämien in Höhe von 4 % analog §1333 Abs1 ABGB iVm §1000 Abs1 ABGB ist den Zedenten ein wirtschaftlicher Gesamtschaden in Höhe von
EUR 1.630.002,44
entstanden.
Von diesem Gesamtschaden ist für noch laufende Verträge noch ein Abzug in Höhe eines festzustellenden Rückkaufswertes im Zeitpunkt des Erk[e]nntnisses des Gerichts abzuziehen.
Für die vereinbarten Vertragswerte der Lebensversicherungen der Zedenten wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf das Konvolut der Vertragsdaten in Beilage ./A verwiesen. Darin werden jedem Zedenten über seine Laufnummer unter der Ordnungszahl 3 die in seiner Polizze vereinbarten Vertragswerte zugeordnet […].
Beweis: […]
Für die Berechnung der Schadenshöhe aus den Vertragswerten des Zedenten wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf das Konvolut der Vertragsdaten in Beilage ./A verwiesen. Darin wird für jeden Zedenten über seine Laufnummer unter der Ordnungszahl 4 die Höhe des für ihn berechneten Anspruchs aus den für ihn vereinbarten Vertragswerte[n] unter Berücksichtigung einer Beendigung oder des Fortbestands eines möglicherweise noch laufenden Vertrags dargestellt […].
Beweis: […]
2. Anspruchsgegner
Anspruchsgegner ist die Republik Österreich.
Der Kläger muss im Rahmen der Klage noch kein bestimmtes Organ benennen. Analog §2 Abs1 AHG genügt der hier erbrachte Beweis, dass der mit der Klage gerügte Schaden aus dem VersVGÄG nur durch die Rechtshandlung eines Organs des Bundes entstanden sein konnte.
3. Kein Erlöschen
Der Anspruch ist auch nicht erloschen.
Das VersVGÄG ist verfassungsrechtlich wirksam zustande gekommen. Das Gesetz ist europarechtlich zulässig und nicht unwirksam.
Der Anspruch erlischt auch nicht bei einer etwaigen rückwirkenden Aufhebung des VersVGÄG, da der Anspruch nicht erfüllt ist und erst bei endgültiger Behebung des ganzen mit der Klage geltend gemachten Schadens der einzelnen Zedenten erlischt.
IX. Prozessuales
Mit vorliegender Klage werden im Wege der objektiven Klagehäufung gemeinsam mehrere Ansprüche mehrerer Versicherungsnehmer im Wege einer Inkassozession an die klagende Partei mittels einer 'Sammelklage nach österreichischem Recht' geltend gemacht.
Diese 'Sammelklage' ist zulässig, wenn wie hier zwar nicht Identität des rechtserzeugenden Sachverhalts gegeben ist, wohl aber ein im wesentlichen gleichartiger Anspruchsgrund vorliegt, der die maßgebliche gemeinsame Grundlage bildet. Vgl.
OGH 4 Ob 116/05w vom 12. Juli 2005.
Darüber hinaus sind im vorliegenden Verfahren im Wesentlichen gleiche Fragen tatsächlicher und rechtlicher Natur, die die Hauptfrage oder die ganz maßgebliche Vorfrage aller Ansprüche betreffen, zu beurteilen.
Sämtliche vom OGH definierten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer 'Sammelklage nach österreichischem Recht' sind im konkreten Fall erfüllt. Sämtliche Zedenten dieser Klage wurden bei Abschluss ihrer Lebensversicherungsverträge vom Versicherer nicht richtig und vollständig über ihr europarechtliches Rücktrittsrecht belehrt und haben aufgrund der Beschränkung der Rechtsfolge auf den Rückkaufswert und die […] Übernahme der Veranlagungsverluste durch §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie §191c Abs22 und 23 VersVGÄG einen Schaden erlitten.
Idente Rechtsfolge für alle Zedenten ist die Frage der europarechtlichen Staatshaftung des Bundes.
Die Zedenten haben sämtliche Ansprüche aus dem Titel europarechtlicher Staatshaftung, des Schadenersatzes sowie aus jedem anderen erdenklichen Rechtsgrund und ohne jedwede betragsmäßige Beschränkung aus und im Zusammenhang mit seiner Lebensversicherung bei seiner Versicherung[,] die auf Grund der nicht oder mangelhaft erfolgten Umsetzung von europäischen Vorgaben im Zusammenhang mit dem Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers, insbesondere der Richtlinien 90/619/EWG vom 8. November 1990, 92/69/EWG vom 10. November 1992, 2002/83/EG vom 5. November 2002 und 2009/138/EG vom 25. November 2009, gegen die Republik Österreich bestehen[,] unwiderruflich und unentgeltlich an den Kläger abgetreten. Der Kläger hat die Abtretungen angenommen.
[…]
Beweis: […]"
3. Die beklagte Partei erstattete am 11. Februar 2022 eine Gegenschrift, in der sie die Zurück- bzw Abweisung der Klage beantragt und dem geltend gemachten Anspruch wie folgt entgegentritt:
"I. Vorbemerkungen zum Rücktrittsrecht
1. Der Zweck des Rücktrittsrechts fügt sich in den Kontext des Zwecks der Richtlinien über die Lebensversicherungen ein: Deren Ziel ist es, den (potentiellen) Versicherungsnehmern, denen im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarktes eine größere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen zur Verfügung steht, die notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen, um ihnen die Auswahl des ihren Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrages zu ermöglichen. In diesem Kontext soll das Rücktrittsrecht die Möglichkeit des (potentiellen) Versicherungsnehmers, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen, insofern absichern, als er von einem Vertrag zurücktreten kann, bei dem sich nach dessen Abschluss, innerhalb der für die Ausübung des Rücktrittsrechts vorgesehenen Überlegungsfrist, herausstellt, dass er nicht seinen Bedürfnissen entspricht (vgl dazu EuGH 19.12.2019, verb. Rs C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner ua, Rn. 63 und 101). Der (potentielle) Versicherungsnehmer ist über dieses Rücktrittsrecht entsprechend zu belehren.
In der Regel ist davon auszugehen, dass die Belehrung gleichzeitig mit der Zusendung der Vertragsunterlagen erfolgt; daran schließt die mit 14 bis 30 Tagen (vgl dazu die Ausführungen unter Punkt 3.) eher kurz bemessene Rücktrittsfrist an. Ein innerhalb einer solchen Frist erklärter Rücktritt hat zur Folge, dass der Vertrag als nicht zustandegekommen angesehen wird, jede Partei von ihren Leistungen frei ist und bereits erbrachte Leistungen bereicherungsrechtlich rückabzuwickeln sind, weil ihr Rechtsgrund weggefallen ist.
Dieser Grundsatz der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung wurde aber in jenen Fällen in Frage gestellt, in denen der Rücktritt erst (viele) Jahre nach Zustandekommen des Vertrags erklärt wurde und bereits eine Vielzahl von Dispositionen im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrags getroffen wurden.
2. Der Streit um die Rechtsfolgen eines solchen – infolge fehlender oder mangelhafter Belehrung über das Rücktrittsrech[t] im Zuge des Vertragsabschlusses erfolgenden – (Spät-)Rücktritts von der Lebensversicherung schwelt seit mehreren Jahren. Das liegt insbesondere darin begründet, dass die maßgeblichen Unionsvorschriften – die Zweite Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG (in der Folge: 2. Lebensversicherungs-RL), die Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung) (in der Folge: 3. Lebensversicherungs-RL) und die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (in der Folge: Solvabilität II-RL) – die Regelung der Voraussetzungen und Wirkungen eines Rücktritts dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen (vgl dazu etwa Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungs-RL bzw Art186 Abs1 der Solvabilität II-RL, die jeweils festschreiben, dass 'die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts […] gemäß dem auf den Versicherungsvertrag […] anwendbaren Recht geregelt' werden). Die einzige Rechtsfolge, die im Unionsrecht vorgegeben ist, ist die Befreiung des Versicherungsnehmers von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen für die Zukunft (vgl dazu wiederum Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungs-RL bzw Art186 Abs1 der Solvabilität II-RL).
3. Seitdem die Regelung über das Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungsverträgen mit dem Bundesgesetz BGBl Nr 90/1993 in das österreichische Recht eingefügt wurde (vgl dazu §165a des Versicherungsvertragsgesetzes [in der Folge: VersVG]), ist sie sechs Mal novelliert worden (vgl die Bundesgesetze BGBl I Nr 6/1997, BGBl I Nr 62/2004, BGBl I Nr 96/2006, BGBl I Nr 34/2012, BGBl I Nr 34/2015 und BGBl I Nr 51/2018). Die Änderungen schlossen auch die Rücktrittsfrist ein; diese betrug in der Stammfassung zunächst 30 Tage, wurde 1997 auf zwei Wochen verkürzt und 2004 wiederum auf 30 Tage verlängert. Dazu kamen weitere Rücktrittsrechte aus anderen Gründen (zB mangels Erhalts einer Kopie der Vertragserklärung oder der Versicherungsbedingungen oder der in der Gewerbeordnung 1994 oder dem Versicherungsaufsichtsgesetz 2016 beschriebenen Mitteilungen nach §5b VersVG, der spezielle Rücktritt für einen Verbraucher nach §5c VersVG sowie der begründungslose Rücktritt nach §3 des Konsumentenschutzgesetzes bei einem Haustürgeschäft oder nach §3a des Konsumentenschutzgesetzes bei Nichteintritt maßgeblicher Umstände und der begründungslose Rücktritt nach §8 des Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetzes), die teilweise unterschiedliche Fristen und Modalitäten vorsahen.
Tatsächlich wiesen die von den Lebensversicherern verwendeten Formulare verschiedentlich Mängel auf, was dazu führte, dass die Versicherungsnehmer nicht immer korrekt über das jeweilige Rücktrittsrecht belehrt wurden.
4.1. Der Gerichtshof [der Europäischen Union] (in der Folge: EuGH) hat sich mit den Auswirkungen der fehlenden Belehrung über das Rücktrittsrecht erstmals in der Rechtssache C-209/12, Endress auseinandergesetzt. Dieser Rechtssache lag der Fall zugrunde, dass der Versicherungsnehmer nicht über das Rücktrittsrecht belehrt wurde, das deutsche Recht aber vorsah, dass das Widerrufsrecht – das dem österreichischen Rücktrittsrecht entspricht – jedenfalls ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Der EuGH stellte damals fest, dass das Erlöschen des Rücktrittsrechts bei fehlender Belehrung dem Unionsrecht widerspricht. Damit hatte der EuGH den Grundstein für eine Art'ewiges Rücktrittsrecht' gelegt.
4.2. Diese Entscheidung hatte erhebliche praktische Auswirkungen (vgl dazu Fenyves , Die Neuerungen im VersVG – ein Überblick, Versicherungsrundschau 2019, 27 [35, Fn. 102]), stand doch von nun an bei jedem Lebensversicherungsvertrag, bei dem eine Belehrung unterblieben war, die Möglichkeit seiner Aufhebung und Rückabwicklung im Raum, selbst dann, wenn der Vertrag schon vor vielen Jahren geschlossen worden war. Auf dieser Basis konnte jeder Versicherungsnehmer, der nicht über sein Rücktrittsrecht belehrt worden war, (einseitig) die Aufhebung des Vertrages verlangen, ohne dass er dafür weitere Gründe – wie insbesondere einen Zusammenhang zwischen der fehlenden Belehrung und der Entscheidung für einen seinen Bedürfnissen tatsächlich nicht entsprechenden Vertrag – vorbringen musste. Vielmehr stand ihm die Möglichkeit des (Spät-)Rücktritts selbst dann offen, wenn der Vertrag seinen Bedürfnissen grundsätzlich entsprach. Diese Möglichkeit des Rücktritts wurde insbesondere in jenen Fällen interessant, in denen aufgrund der niedrigen Zinsen auf dem Finanzmarkt sogar die am besten 'performenden' Lebensversicherungen nicht jene Verzinsung der veranlagten Prämien erreichen konnten, wie sie die gesetzlichen Zinsen von 4% (vgl §1333 iVm §1000 ABGB) boten.
5. Diese Situation wurde durch die im Gefolge der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Endress ergehende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (in der Folge: OGH) vom 2. September 2015, 7 Ob 107/15h, noch verschärft: Der OGH kam darin zum Ergebnis, dass auch eine fehlerhafte Belehrung (nicht nur die fehlende, die Gegenstand der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Endress war) zu einem 'ewigen Rücktrittsrecht' führt. Damit erhöhte sich die Zahl jener Verträge, hinsichtlich deren potenziell ein spätes Rücktrittsrecht ausgeübt werden konnte, da […] in vielen Rücktrittsbelehrungen verschiedene Arten von Fehlern enthalten waren.
6. Vor dem Hintergrund des niedrigen Zinsniveaus auf den Kapitalmärkten nahm in der Folge eine Vielzahl von Versicherungsnehmern die Möglichkeit zum Rücktritt wahr und klagte auf Rückzahlung der Prämien samt gesetzlicher Verzinsung.
In den zahlreichen bei den österreichischen Gerichten anhängigen Verfahren stellte sich nun zum einen die Frage, welche Qualität der Belehrungsmangel haben musste, um das (Spät-)Rücktrittsrecht auszulösen. Die vorstehend genannte Entscheidung des OGH 7 Ob 107/15h etwa betraf einen Fall, in dem in der Belehrung (noch) eine Frist von vierzehn Tagen angeführt wurde, obwohl die gesetzliche Frist mittlerweile wieder 30 Tage betrug. Es stellte sich darüber hinaus die Frage, ob auch (alleine) der Hinweis, dass der Rücktritt 'schriftlich' erklärt werden müsse, zum Rücktritt berechtigt, wenn das Gesetz kein solches Erfordernis vorsah. Zum anderen war zu klären, ob dem Versicherungsnehmer tatsächlich die Prämien samt 4% Zinsen zurückzuzahlen waren, was – wie gezeigt – einen Anreiz für einen (Spät-)Rücktritt auch weiterer Versicherungsnehmer geschaffen hätte, weil eine derartige Verzinsung der eingezahlten – und veranlagten – Prämien auf dem Kapitalmarkt nicht zu bekommen war.
7. Vor diesem Hintergrund legten nicht nur mehrere österreichische Gerichte dem EuGH Fragen zur Auslegung des einschlägigen Unionsrechts vor, um die offenen Fragen zu den Rechtsfolgen eines Spätrücktritts zu klären; es wurde außerdem der Ruf nach der Gesetzgebung laut, die innerstaatlich für Rechtssicherheit sorgen solle.
7.1. Ziel der mit Initiativantrag in die Wege geleiteten Novellierung durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 51/2018 war in erster Linie, für rechtssichere Rücktrittsformulare zu sorgen, damit die in Zukunft abgeschlossenen Versicherungsverträge bestandfest sind und den Versicherern die Möglichkeit bieten, die Prämien längerfristig im Interesse der Gesamtheit der Versicherungsnehmer zu veranlagen. Die Novelle hat daher die zuvor fünf unterschiedlichen Rücktrittsrechte nach §§5b, 5c und 165a VersVG sowie §3 und §3a des Konsumentenschutzgesetzes vereinheitlicht und durch ein einziges Rücktrittsrecht (vgl nunmehr §5c VersVG idgF) ersetzt. Gleichzeitig wurde eine 'Musterrücktrittsbelehrung' aufgenommen, mit deren Verwendung Versicherungsunternehmen wie Versicherungsnehmer jedenfalls abgesichert wären.
7.2. Mit der Novelle wurden aber auch die finanziellen Folgen eines Rücktritts geregelt. Damit sollte einerseits das unionsrechtlich vorgeprägte Rücktrittsrech[t] wirksam ausgestaltet werden; anderseits sollt[e] die Spekulation mit dem (Spät )Rücktritt zu Lasten der vertragstreuen Versicherungsnehmer hintangehalten werden.
7.2.1. Der neu geschaffene §176 Abs1a VersVG sieht daher für den Fall, dass nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist erfüllt sind (vgl §5c VersVG idgF), eine abgestufte Regelung vor, die nach dem Zeitpunkt des Rücktritts differenziert. Erfolgt der Rücktritt gemäß §176 Abs1a erster Satz VersVG innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss, so erhält der Versicherungsnehmer die für das erste Jahr gezahlten Prämien rückerstattet. Bei einem Rücktritt ab dem zweiten bis zum fünften Jahr nach Vertragsabschluss erhält der Versicherungsnehmer den Rückkaufswert nach §176 Abs3 VersVG ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und ohne Abzug nach §176 Abs4 VersVG. Für einen Rücktritt nach Ablauf von fünf Jahren ab Vertragsabschluss trifft §176 Abs1a VersVG keine Aussage.
7.2.2. Im Wissen, dass viele Verfahren iZm den (finanziellen) Folgen eines Spätrücktritts anhängig waren, wollte die Gesetzgebung nicht in bestehende Verfahren eingreifen. Mit der Novelle wurden daher die Folgen des §176 Abs1a VersVG für bestehende Verträge auf Rücktritte beschränkt, die ab dem 1. Jänner 2019 erklärt wurden. Das Gesetz wurde am 15. August 2018, also rund 4½ Monate vor seinem Inkrafttreten kundgemacht. Das bedeutete zum einen, dass alle Verfahren, in denen auf Rückzahlung von Prämien wegen eines Rücktritts geklagt wurde und die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes anhängig waren, weiterhin nach dem bis dahin geltenden Recht zu beurteilen waren und sind. Zum anderen hatten alle Versicherungsnehmer, die einen Rücktritt noch nach dem alten Recht abwickeln wollten, noch 4½ Monate Zeit, – durch einfache, formlose Erklärung – ihren Rücktritt zu erklären und ihren Anspruch geltend zu machen.
7.2.3. Mit der Novelle wurde damit eine klare Regelung für die Zukunft geschaffen, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Möglichkeit, innerhalb eines Zeitraums von 4½ Monaten noch eine Abwicklung nach dem 'Altrecht' zu erwirken. Damit wurde Rechtssicherheit für Versicherungsnehmer wie auch Versicherer geschaffen; denn Versicherungsnehmer hatten nicht (mehr) die Möglichkeit, weiterhin abzuwarten, wie sich die veranlagten Vermögenswerte entwickeln, und gleichsam als 'Rückfallposition' nach Belieben zu jedem Zeitpunkt ihr Recht auf (Spät-)Rücktritt auszuüben und dabei 4% Zinsen auf sämtliche Prämien zu lukrieren.
Genau diese Möglichkeit scheint die Klägerin des gegenständlichen Verfahrens aber beibehalten zu wollen. Eine solche Möglichkeit ist indes unionsrechtlich nicht geboten: Der EuGH betont, dass die Mitgliedstaaten beim Erlass der entsprechenden Rechtsvorschriften dafür sorgen müssen, dass im Hinblick auf den mit den Richtlinien über die Lebensversicherungen verfolgten Zweck die praktische Wirksamkeit gewährleistet ist; die 'rechtlichen Wirkungen, die die Ausübung des Rücktrittsrechts nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht hat, müssen, damit die praktische Wirksamkeit des Rücktrittsrechts gewährleistet ist, so beschaffen sein, dass sie den Versicherungsnehmer nicht davon abhalten, sein Rücktrittsrecht auszuüben' (vgl EuGH 19.12.2019, verbundene Rechtssachen C 355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner ua , Rn. 100 und 104). Der EuGH hat gleichzeitig festgehalten, dass 'Vorteile, die ein Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, […] außer Betracht [bleiben]. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren.' (vgl EuGH 19.12.2019, verbundene Rechtssachen C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner ua , Rn. 120).
II. Rechtslage
[…]
III. Sachverhalt und Klagevorbringen
[…]
IV. Zu den Prozessvoraussetzungen
1. Allgemeines
Gemäß Art137 B VG erkennt der VfGH über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind (vgl etwa VfGH 23.2.2015, A7/2014; 11.6.2015, A3/2015; 24.9.2019, A12/2019). Der VfGH ist im Verfahren gemäß Art137 B VG auch für anspruchsbegründende Handlungen oder Unterlassungen zuständig, die unmittelbar der Gesetzgebung zuzurechnen sind (sog legislatives Unrecht, vgl dazu etwa VfGH 23.11.2012, A15/11 uva.).
2. Fehlende Zuständigkeit des VfGH
2.1. Für Staatshaftungsansprüche, die wegen legislativen Unrechts geltend gemacht werden, hat der VfGH bereits wiederholt klargestellt, dass diese nur dann in seine Zuständigkeit fallen, wenn der behauptete Schaden unmittelbar und ausschließlich der Gesetzgebung zuzurechnen ist (vgl etwa VfSlg 18.824/2009, 18.600/2008 uva.).
Der Bund hegt Zweifel, dass diese erste grundlegende Voraussetzung erfüllt ist:
2.2. Der EuGH judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass 'ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privatpersonen anhängig ist, bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es so weit wie möglich anhand von Wortlaut und Zweck der Richtlinie auslegen muss, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist'. Die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, findet nur in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (EuGH 18.1.2022, Rs C-261/20, Thelen Technopark Berlin , Rn. 27 f. m.w.N.).
2.3. Im vorliegenden Fall ist nach Auffassung des Bundes eine entsprechende Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts möglich:
Der OGH hat §176 VersVG idF vor der Novelle BGBl I Nr 51/2018 (genauer: die Beschränkung der Auszahlung bei Rücktritt auf den Rückkaufswert) nicht auf diejenigen Fälle angewendet, in denen eine ausreichende Belehrung unterblieben ist (vgl dazu näher OGH 7 Ob 19/20z; 7 Ob 11/20y; 7 Ob 10/20a; 7 Ob 15/20m; 7 Ob 20/20x; 7 Ob 40/20p; RIS-Justiz RS0133027; diese Entscheidungen sind nach der Novelle BGBl I Nr 51/2018 ergangen, nachdem die Rechtsstreitigkeiten zunächst unterbrochen worden waren, um die Entscheidung des EuGH in den verb. Rs C-355/18 ua, Rust-Hackner ua , abzuwarten). Dies zeigt, dass die frühere Rechtlage unionsrechtskonform ausgelegt werden konnte. Gleiches müsste sinngemäß für §176 Abs1a und 5 VersVG in der Fassung der Novelle BGBl I Nr 51/2018 gelten, sollte dieser – entgegen der Auffassung des Bundes, vgl dazu die Ausführungen unter Punkt V. – einer unionsrechtskonformen Auslegung bedürfen (vgl in diesem Sinne offenbar OLG Innsbruck, 4 R 100/21v).
2.4 Vor diesem Hintergrund ist der behauptete Schaden allerdings nicht mehr unmittelbar der Gesetzgebung, sondern einer fehlerhaften Vollziehung zuzurechnen. Soweit nämlich die Möglichkeit bestanden hätte, den behaupteten Schaden durch unionsrechtskonforme Handhabung staatlichen Rechts abzuwenden, ist die Verletzung des Unionsrechts nicht allein von der Gesetzgebung zu verantworten (vgl dazu Frank , Art137 B VG, in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (2007) Rn. 28 m.w.N.).
Die Klage wäre daher schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen (vgl in diesem Sinne etwa VfSlg 16.107/2001, 17.002/2003, 17.611/2005).
3. Unsubstantiierte Klage
Darüber hinaus erscheint das Vorbringen der Klägerin zur behaupteten Unionsrechtswidrigkeit als unsubstantiiert (vgl dazu etwa VfGH 23.2.2015, A7/2014, VfSlg 18.734/2009 u.v.a.).
3.1. Zum einen lässt sich dem Klagsvorbringen nicht genau entnehmen, worin der qualifizierte Verstoß gegen Art4 Abs3 EUV bestehen soll.
3.2. Zum anderen hat es die Klägerin unterlassen, näher darzulegen, ob und bejahendenfalls wann die Versicherungsnehmer einen Rücktritt von der jeweils abgeschlossenen Versicherung erklärt haben. Da der Rücktritt Voraussetzung für das Entstehen der in der Klage geltend gemachten Ansprüche ist, kann sohin nicht abschließend beurteilt werden, ob tatsächlich ein Schaden eingetreten ist.
4. Fehlendes Feststellungsinteresse
Das in §38 VfGG vorausgesetzte Feststellungsinteresse liegt insbesondere dann nicht vor, wenn der strittige Anspruch – so wie offenbar im gegenständlichen Fall – bereits zur Gänze mit Leistungsklage geltend gemacht werden könnte (VfSlg 1356/1930). Vor diesem Hintergrund geht der Bund davon aus, dass der von der Klägerin gestellte Antrag auf Feststellung einer Haftung des Bundes für sämtliche zukünftigen, derzeit nicht bekannten Schäden zurückzuweisen wäre.
5. Ergebnis
Aus den genannten Gründen ist der Bund zusammenfassend der Auffassung, dass die Zuständigkeit des VfGH im vorliegenden Fall nicht gegeben ist bzw die Klage als unzulässig zurückzuweisen wäre.
Für den Fall, dass der VfGH diese Auffassung nicht teilen sollte, wird im Folgenden zur Frage der inhaltlichen Begründetheit des Klagevorbringens Stellung genommen:
V. Zur inhaltlichen Begründetheit des Klagevorbringens
1. Allgemeines
1.1. Das Klagebegehren wird dem Grunde und der Höhe nach zur Gänze bestritten. Im Einzelnen wird dazu Folgendes ausgeführt:
1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des VfGH (vgl etwa VfGH 11.6.2015, A3/2015) ist Voraussetzung eines Staatshaftungsanspruchs, dass es durch das Verhalten von Organen eines Mitgliedstaats zu einer Verletzung einer unionsrechtlichen Norm gekommen ist, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und dass ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem Einzelnen entstanden ist (vgl EuGH, Rs C-46/93 ua, Brasserie du Pêcheur , Rn. 51; EuGH, Rs C-5/94, Hedley Lomas , Rn. 32; EuGH, Rs C-224/01, Köbler , Rn. 51 sowie jüngst auch EuGH, Rs C-261/20, Thelen Technopark Berlin , Rn. 44; EuGH, Rs C-181/20, VYSOČINA WIND , Rn. 69 mwN).
Dabei besteht jedoch keine reine Unrechtshaftung; ein Verstoß gegen Unionsrecht ist vielmehr nur dann haftungsbegründend, wenn er 'hinreichend qualifiziert' ist (vgl etwa EuGH 5.3.1996, Rs C-46/93 ua, Brasserie du Pêcheur , Rn. 55; EuGH 8.10.1996, Rs C-178/94 ua, Dillenkofer , Rn. 21 ff.; 17.10.1996, Rs C 283/94 ua, Denkavit , Rn. 48, 50 ff.).
2. Kein (hinreichend qualifizierter) Unionsrechtsverstoß
2.1.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht (nur) dann hinreichend bzw offenkundig qualifiziert[,] 'wenn er trotz des Erlasses eines Urteils, in dem der zur Last gelegte Verstoß festgestellt wird, eines Urteils im Vorabentscheidungsverfahren oder einer gefestigten einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, aus denen sich die Pflichtwidrigkeit des fraglichen Verhaltens ergibt, fortbestanden hat' (vgl jüngst EuGH, Rs C-261/20, Thelen Technopark Berlin , Rn. 47).
Diese Voraussetzung ist im gegenständlichen Fall nicht erfüllt:
2.1.2. Die Klägerin behauptet im Wesentlichen, dass aus der Entscheidung des EuGH in den verbundenen Rechtssachen C-355/18 ua, Rust-Hackner ua die Unionsrechtswidrigkeit des §176 Abs1a und 5 VersVG i.d.F. der Novelle BGBl I Nr 51/2018 folge (vgl dazu etwa S. 26 der Klage, wo ausgeführt wird, dass die 'Verletzung unionsrechtlicher Schutzgesetze aus [den Richtlinien über die Lebensversicherung] durch […] die Regelungen der §176 Abs1a und 5 VersVGÄG sowie des §191c Abs22 und 23 VersVGÄG aufgrund der Entscheidung des EuGH C 355/18 bis C-357/18 und C-479/18 vom 19. Dezember 2019 ( Rust-Hackner ua ) schon festgestellt wurde').
Dazu genügt der Hinweis, dass sich aus dieser Entscheidung des EuGH schon deswegen kein offenkundig qualifizierter Verstoß des §176 Abs1a und 5 VersVG idF der Novelle BGBl I Nr 51/2018 gegen Vorschriften des Unionsrechts ableiten lässt, weil den verbundenen Rechtssachen C-355/18 ua, Rust-Hackner ua , – wie unter Punkt I. bereits dargelegt wurde – §176 VersVG in der Fassung vor der Novelle BGBl I Nr 51/2018 zugrunde lag. Aus Feststellungen zur alten Rechtslage können keine Rückschlüsse auf die neue Rechtslage, insbesondere auf den mit der Novelle BGBl I Nr 51/2018 neu eingeführten §176 Abs1a VersVG idgF, gezogen werden.
2.2. Im Übrigen geht der Bund davon aus, dass §176 Abs1a VersVG idgF den Vorgaben des Unionsrechts, wie sie der EuGH in seiner Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen C-355/18 ua, Rust-Hackner ua präzisiert hat, entspricht und vor diesem Hintergrund nicht nur kein qualifizierter, sondern vielmehr gar kein Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt:
2.2.1. Mit §176 Abs1a VersVG idgF wird – im Unterschied zur früheren Rechtslage – eine differenzierte Regelung vorgesehen. Wie unter Punkt I.7.2. näher dargelegt wurde, sieht §176 Abs1a VersVG idgF für den Fall des Spätrücktritts nach der bisherigen Vertragslaufzeit differenzierende Rechtsfolgen vor. Wie oben unter Punkt I. 7.2.3. ausgeführt, müssen die rechtlichen Wirkungen, die die Ausübung des Rücktrittsrechts hat, – um die praktische Wirksamkeit des Rücktrittsrechts zu gewährleisten – so ausgestaltet sein, dass sie den Versicherungsnehmer nicht davon abhalten, von seinem Recht Gebrauch zu machen. Das abgestufte Modell des §176 Abs1a VersVG trägt diesen Vorgaben für ein solches praktisch wirksames Rücktrittsrecht gebührend Rechnung; es stellt insbesondere sicher, dass auch ein fehlerhaft über das Rücktrittsrecht belehrter Versicherungsnehmer nicht davon abgehalten wird, auch zu einem späteren Zeitpunkt von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen und damit letztlich – was übergeordnetes Ziel der unionsrechtlichen Vorgaben über die Lebensversicherung ist – den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auswählen kann.
2.2.2. Im Unterschied zur alten Rechtslage kann §176 VersVG idgF nicht vorgehalten werden, dass er 'für den Rücktritt und die Kündigung des Vertrags dieselben rechtlichen Wirkungen vorsieht', was 'dem unionsrechtlich vorgesehenen Rücktrittsrecht somit jegliche praktische Wirksamkeit' nähme (vgl EuGH 19.12.2019, verb. Rs C-355/18 ua, Rust-Hackner ua , Rn. 107). Eine nach der Vertragsdauer abgestufte Regelung der Rechtsfolgen des Rücktritts, wie sie §176 VersVG vorsieht, ist für den Versicherungsnehmer deutlich attraktiver als die Regelungen über die Kündigung eines solchen Vertrags (vgl Potacs , Rechtwirkungen eines 'Spätrücktrittes' contra legem?, Versicherungsrundschau Nr 9/2021, 27 [31]). Selbst wenn man das Gesetz so auslegen würde, dass nach dem fünften Jahr bei Rücktritt 'nur' der Rückkaufswert zu erstatten wäre, würde das nichts an dieser Feststellung ändern: Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass der Versicherungsnehmer in diesem Fall bereits für eine geraume Zeit einen Versicherungsschutz und damit einen vermögenswerten Vorteil in Anspruch genommen hat. Dieser Umstand darf bei der Ausgestaltung einer verhältnismäßigen Regelung [gemeint: §176 Abs1 VersVG idgF] nicht außer Betracht gelassen werden (vgl dazu wiederum Potacs , a.a.O., 31).
2.2.3. Anders als die Klägerin behauptet (vgl dazu etwa S. 25 der Klage) verlangt das Unionsrecht im Falle eines Spätrücktritts auch nicht zwingend eine vollständige bereicherungsrechtliche Rückabwicklung des betreffenden Versicherungsvertrags. Wie bereits mehrfach ausgeführt wurde, hat die nationale Gesetzgebung bei der Ausgestaltung der Rechtsfolgen einzig darauf zu achten, dass diese die praktische Ausübung des Rücktrittsrechts nicht unterlaufen. Wie soeben gezeigt, entspricht §176 VersVG diesen Vorgaben.
2.2.4. Der Vollständigkeit halber weist der Bund abschließend darauf hin, dass §176 VersVG idgF keine abschließende Regelung der Folgen von Informationspflichtverletzungen des Versicherers trifft. Unabhängig von der Regelung des §176 VersVG steht dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit zur Irrtumsanfechtung offen; daneben ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die Regelungen zu Informationspflichten als Schutzgesetze zu qualifizieren sind, bei deren schuldhafter Verletzung der Versicherer schadenersatzpflichtig wird. Dies könnte zur Folge haben, dass der Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Naturalrestitution hat, der auf Rückzahlung des Geleisteten gerichtet ist.
2.3. Zusammenfassend ergibt sich, dass kein (hinreichend qualifizierter) Verstoß gegen Unionsrecht vorliegt.
3. Zum Schaden
3.1. Zur Schadenshöhe
Die Höhe des geltend gemachten Schadens wird bestritten.
3.1.1. Ganz allgemein stellt sich die Frage, ob bei den von der Klägerin vertretenen Versicherungsnehmern überhaupt ein Schaden entstanden ist. Sollten die Versicherungsnehmer nämlich keinen Rücktritt erklärt haben, kommen weder die Rechtsfolgen des von der Klägerin für unionswidrig erachteten §176 Abs1a VersVG idgF noch jene des §176 VersVG idF vor der Novelle BGBl I Nr 51/2018 zur Anwendung. Damit bestünde kein Schaden, der eingeklagt werden könnte.
3.1.2. Sollten die Versicherungsnehmer dagegen tatsächlich einen Rücktritt erklärt haben, so wäre man nach dem Zeitpunkt desselben differenzieren:
• Wurde der Rücktritt vor dem 1. Jänner 2019 erklärt, so ist §176 Abs1a VersVG idgF nicht anzuwenden. Wie unter Punkt IV. 2. dargelegt, war die alte, vor der Novelle BGBl I Nr 51/2018 bestehende Rechtslage einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich, weshalb wiederum von keinem Schaden auszugehen ist.
• Wurde der Rücktritt nach dem 1. Jänner 2019 erklärt, ist der Versicherungsvertrag aber noch vor dem 31. Dezember 2018 geschlossen worden und hätte der Versicherungsnehmer also grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, den Rücktritt nach Kundmachung, aber noch vor Inkrafttreten der Novelle 2018 – und damit unter Anwendung der unionsrechtskonform ausgelegten alten Rechtslage – zu erklären, so ist diesbezüglich wohl davon auszugehen, dass der jeweilige Versicherungsnehmer seiner Schadensminderungspflicht (vgl dazu §1304 ABGB sowie EuGH, Rs C-445/06, Danske Slagterier , Rn. 61) nicht nachgekommen ist.
• Nur, wenn die Versicherung nach dem 31. Dezember 2018 abgeschlossen und also auch der Rücktritt nach diesem Zeitpunkt erklärt wurde, kommen die Rechtsfolgen des §176 Abs1a VersVG uneingeschränkt zur Anwendung: Diese Voraussetzungen werden allerdings nur bei den wenigsten der von der Klägerin vertretenen Versicherungsnehmer[n] erfüllt sein.
Trotz dieser Darlegungen lässt die Klage jegliche Konkretisierung dahingehend vermissen, ob und bejahendenfalls wann jeweils ein Rücktritt von den jeweiligen Versicherungsverträgen erklärt worden ist.
3.2. Mögliche Verjährung des Schadens
Die Bund hat schließlich Zweifel, ob der behauptete Schaden nicht bereits verjährt ist:
3.2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist in Staatshaftungssachen in Ermangelung eigener Verjährungsvorschriften im Unionsrecht die dreijährige Verjährungsfrist des §6 AHG anzuwenden (vgl VfSlg 17.576/2005, 18.889/2009 und 19.034/2010).
Die Verjährungsfrist nach dem AHG beginnt mit der Kenntnis des Schadens; die Kenntnis des Schädigers ist nicht erforderlich, wenn die behauptete Schadensverursachung durch ein Organ des Rechtsträgers auf der Hand liegt; der Beginn der Verjährungsfrist wird auch nicht bis zur völligen Gewissheit eines Prozesserfolges hinausgeschoben, sondern die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem der Geschädigte ausreichend Gewissheit über ein rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten hat oder weiß, ohne eigene Aktivität seinen Wissensstand nicht mehr erhöhen zu können: Dabei darf er nicht untätig bleiben, sondern muss allenfalls auch sachverständigen Rat einholen (siehe zB OGH 12.10.2004, 1 Ob 286/03w; 21.5.2013, 1 Ob 56/13m jeweils mwN).
3.2.2. Sollte – wie die Klägerin an mehreren Stellen der Klage insinuiert (vgl dazu etwa den Verweis auf diverse Pressekorrespondenzen auf S. 15 ff der Klage) und wie auch in der Literatur verschiedentlich vertreten wird (vgl dazu Maderbacher , 'Neues' zum Spätrücktritt von Lebensversicherungsverträgen, VbR 2020, 10,) – der angebliche Unionsrechtsverstoß aufgrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-209/12, Endress , bereits bei Kundmachung der Novelle BGBl I Nr 51/2018 hinlänglich bekannt gewesen sein, wäre der behauptete Schaden zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage tatsächlich bereits verjährt gewesen.
4. Ergebnis
Zusammenfassend sind die materiellen Voraussetzungen für eine Staatshaftungsklage nicht erfüllt. Die Klage wäre daher – sollte der Verfassungsgerichtshof sie entgegen der Ansicht des Bundes für zulässig erachten – mangels (hinreichend qualifizierten) Verstoßes gegen Unionsrecht, mangels eines Kausalzusammenhangs zwischen dem behaupteten Schaden und dem behaupteten legislativen Unrecht sowie allenfalls auch mangels Schadens abzuweisen."
4. Am 9. Februar 2022 gab die Europäische Kommission bekannt, dass gegen Österreich zur Zahl INFR[2021]4069 ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nicht-Umsetzung von EU-Recht in Bezug auf Lebensversicherungsverträge eingeleitet werde. Die von der Europäischen Kommission veröffentliche Mitteilung zum Aufforderungsschreiben (INF/22/601) lautet (auszugsweise) wie folgt:
"Die Kommission fordert Österreich auf, seine nationalen Rechtsvorschriften zum Schutz von Verbrauchern, die Lebensversicherungen abschließen, mit dem EU-Recht und der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs in Einklang zu bringen. Gemäß der Solvabilität-II-Richtlinie (Richtlinie 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit) haben Kunden, die einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen haben, das Recht, innerhalb einer 14- bis 30-tägigen Frist ihre Meinung zu ändern und vom Vertrag zurückzutreten. Das Versicherungsunternehmen muss die Kunden vor Vertragsabschluss über ihr Rücktrittsrecht informieren. Der Gerichtshof stellte klar, dass die Rücktrittsfrist nicht beginnt, wenn der Kunde nicht über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde (C 209/12, Endress), und dass der Kunde in einem solchen Fall das Recht hat, sein Rücktrittsrecht unbefristet auszuüben, und zwar auch Jahre nach Vertragsschluss. Im Jahr 2019 ergänzte der Gerichtshof, dass den Verbrauchern eine längere Bedenkzeit zusteht, wenn die von der Versicherungsgesellschaft bereitgestellten Informationen derart gravierende Fehler aufweisen, dass der Kunde keine Entscheidung treffen kann (C-355/18 bis C-357/18 und C 479/18, Rust-Hackner u. a.). Der Gerichtshof präzisierte auch die Rückzahlungsansprüche von Kunden, die ihre Lebensversicherung gemäß diesen Bestimmungen kündigen. Da die nationalen österreichischen Rechtsvorschriften noch immer nicht vollständig mit der Solvabilität-II-Richtlinie und den Urteilen des Gerichtshofs in Einklang stehen, genießen Verbraucher/innen in Österreich möglicherweise nicht den Schutz, auf den sie Anspruch haben. Die Kommission hat daher beschlossen, ein Aufforderungsschreiben an Österreich zu richten […]"
5. In weiterer Folge beschloss der Nationalrat am 19. Mai 2022 die Versicherungsvertragsgesetz-Novelle 2022 (VersVG-Nov 2022), die am 1. August 2022 in Kraft trat. Diese hat zusammengefasst (vgl aber auch Pkt. II.2.) zum Inhalt, dass dem Versicherungsnehmer für den Fall eines Rücktrittes nach §5c VersVG ein "ewiges Rücktrittsrecht" zusteht. Darüber hinaus ist diesfalls nicht nur der Rückkaufswert zu erstatten, sondern der Versicherungsnehmer hat Anspruch auf die Rückzahlung der eingezahlten Prämien (bereicherungsrechtliche Rückabwicklung). Die Neuregelung durch die VersVG-Novelle 2022 gilt rückwirkend für Rücktrittserklärungen, die nach dem 31. Dezember 2018 erfolgten (§191c Abs24 VersVG).
6. Vor diesem Hintergrund forderte der Verfassungsgerichtshof die klagende Partei mit Verfügung vom 22. Juni 2022 auf, bis zum 1. August 2022 bekanntzugeben, ob bzw in welchem Umfang sie sich durch die VersVG-Novelle 2022 als klaglos gestellt erachte.
7. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2022 gab die klagende Partei bekannt, dass die geltend gemachten Ansprüche durch die VersVG-Novelle 2022 bis auf den Kostenersatzanspruch als erledigt anzusehen seien. Die Klage werde daher auf den Ersatz der Kosten eingeschränkt. Begründend führt die klagende Partei dazu das Folgende aus:
" 1. Durch die durch den Gesetzgeber beschlossene VersVG-Nov 2022 idF BGBI. I 70/2022, insbesondere durch die Novellierung des §176 VersVG sieht sich die klagende Partei, unter der Voraussetzung des tatsächlichen Inkrafttretens der Novelle per 1. August 2022, insoweit klaglos gestellt, als den einzelnen Zedenten als Versicherungsnehmer[n] der in der Klage geltend gemachte Schaden in Höhe von EUR 1.630.002,44 nicht mehr entsteht und ein Feststellungsinteresse für allfällige durch die alte Rechtslage entstandene Schäden ebenfalls nicht mehr besteht. Die im Rahmen der Staatshaftungsklage nach Art137 B VG geltend gemachten Ansprüche werden sohin mit Ausnahme des Kostenersatzanspruches als erledigt angesehen.
2. Da zum Zeitpunkt der Klagseinbringung jedenfalls Anlass zur Klageführung bestand, sind die Kosten der Klage sowie der vorliegenden Stellungnahme zu ersetzen. Soweit das VfGG keine anderen Bestimmungen enthält, sind gemäß §35 VfGG die Bestimmungen der ZPO sinngemäß anzuwenden. In sinngemäßer Anwendung des §50 Abs2 ZPO sind einer Partei im Verfahren vor dem VfGH im Falle einer materiellen Klaglosstellung Kosten zuzusprechen (vgl VfSlg 15.069/1998). Es besteht daher bei Klaglosstellung durch die Versicherungsvertragsgesetz-Novelle 2022 die Verpflichtung zum Kostenersatz betreffend die Klage sowie [diese] Stellungnahme.
3. Nach §1333 Abs2 ABGB kann der Gläubiger den Ersatz anderer, vom Schuldner verschuldeter und ihm erwachsener Schäden geltend machen, insbesondere die notwendigen Kosten zweckentsprechender außergerichtlicher Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen, soweit diese in einem angemessenen Verhältnis zur betriebenen Forderung stehen.
4. Die Sammelklage ist ein nach österreichische[m] Recht zweifelsfrei anerkanntes Konstrukt. Mit vorliegender Klage wurden aufgrund der objektiven Klagehäufung gemeinsam mehrere Ansprüche mehrerer Versicherungsnehmer im Wege einer Inkassozession an die klagende Partei zur klagsweisen Geltungsmachung übertragen und in einer Sammelklage österreichischer Prägung geltend gemacht. Bei einer solchen Inkassozession handelt es sich um eine echte, wenn auch treuhänderische, Abtretung, die dem Zessionar nach außen hin das volle Forderungsrecht überträgt.
5. Ein Schaden [ist] vom Schädiger auch dann zu ersetzen, wenn der unmittelbar Verletzte keinen Vermögensnachteil erleidet, weil ein Dritter aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen zum Verletzten das wirtschaftliche Risiko trägt (vgl RIS-Justiz RS0022608 [T7]). Die Tatsache, dass der Schaden aufgrund einer vertraglichen Regelung nicht beim unmittelbar Angegriffenen, sondern bei einem Dritten eintritt, vermag den Schädiger nicht zu entlasten (vgl RIS-Justiz RS0022830; RIS-Justiz RS0042936). Es schadet hier daher nicht, dass die Geltendmachung des Schadens an die klagende Partei abgetreten wurde.
6. Die Höhe des geltend gemachten Anspruchs kann auf die schadenersatzrechtliche Erstattung derjenigen Kosten gestützt werden, die von der klagenden Partei im Zuge der Inkassozession zur Einbringung und Betrieb der fremden Forderung außergerichtlich zusätzlich aufgewendet und gegenüber der klagenden Partei durch beauftragte Dritte in Rechnung gestellt wurden.
7. Die klagende Partei unterhält weder eigene Abteilungen noch Personal für Datenverarbeitung, Programmierung, Rechtsberatung, Rechtsdienstleistungen, Öffentlichkeitsarbeit oder Finanzmathematik. Daher musste sie für den Betrieb der notwendigen außergerichtlichen Maßnahmen und zum Betrieb der von ihr für die Zedenten einzuziehenden Forderungen zusätzlich kostenpflichtige Dienstleistungen Dritter in Anspruch nehmen.
8. Für die Verwaltung und Prüfung der beizutreibenden Forderungen musste die klagende Partei ein Casemanagement beauftragen, welches die Ansprüche von ca 700 Anfragen von Versicherungsnehmern rechtlich prüft (zB ob im konkreten Fall Belehrungsfehler bestehen und sonstige Anspruchsvoraussetzungen wie etwa das Nichtbestehen von Vinkulierungen vorliegen), die Vollständigkeit und Richtigkeit der eingereichten Unterlagen untersucht, die Höhe berechneter Ansprüche prüft, die Korrespondenz zwischen den Zedenten zu den beizuziehenden Ansprüchen führt, Anfragen der Zedenten zu den beizutreibenden Forderungen für die klagende Partei beantwortet, die Richtigkeit und Vollständigkeit der für die beizuziehenden Forderungen erforderlichen Inkassozessionsverträge und Unterlagen gewährleistet, die Integration der für die Beiziehung der zedierten Forderungen erforderlichen Beiträge der Pressearbeit, Programmierer und Aktuare überwacht sowie die für die Klage erforderlichen Daten und Unterlagen zur Begründung bestehender Ansprüche zusammenstellt und an die Prozessvertreter der klagenden Partei zur Einbringung der Klage verantwortlich übergibt sowie die damit zusammenhängende Korrespondenz für die klagende Partei führt.
Beweis: […]
9. Für die Erfassung, Bearbeitung, Verwaltung und Prüfung der beizutreibenden Forderungen musste die klagende Partei Programmierer beauftragen, welche eine anlassbezogene Plattform erstellen, die das Datenaufkommen der hohen Zahl von Anfragen, Ansprüchen und beizuziehenden Forderungen erfasst und in weiterer Folge verwaltet, die strukturierte und kostensparende Prüfung von Unterlagen durchführt, sowie die Berechnung von Ansprüchen, den Abschluss von Inkassozessionsverträgen und die Abwicklung einer strukturierten Korrespondenz mit Anfragen mit Versicherungsnehmern und beizuziehenden Forderungen ermöglicht, serielle Unterlagen und Dokumente automatisiert erstellt, die die strukturierte Übergabe der für die Klage erforderlichen Daten und Unterlagen und die technische Übergabe von strukturierten Daten und Unterlagen an die Prozessvertreter der klagenden Partei zur Einbringung der Klage gewährleistet sowie eine Verbindung zu der an die Plattform anzupassende Website der klagenden Partei schaffen.
Beweis: […]
10. Die klagende Partei musste zur Vorbereitung beizuziehender Forderungen von mit ihr in Kontakt stehenden weiteren rund 2.000 Versicherungsnehmern über geeignete Kanäle wie Versendungen, Soziale Medien, Newsletter und Presse durch Öffentlichkeitsarbeit kommunizieren und über aktuelle Entwicklungen informieren, die Fragen zu beizutreibenden Forderungen betrafen, wie etwa den Gang der anhängigen Staatshaftungsklage, aktuelle Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zu Fragen des Spätrücktritts oder der VersVG-Nov 2022.
Beweis: […]
11. Ferner musste die klagende Partei zur Ermittlung der Höhe der beizuziehenden Forderungen einen Aktuar hinzuziehen, der ein versicherungsmathematisches Modell zur Berechnung der Forderungshöhe und ein Programm zur Anspruchsberechnung erstellt, den Programmierern zur Implementierung in die Anwendungen übergibt sowie in Absprache mit dem Casemanagement ergänzt und anpasst.
Beweis: […]
12. Die Kosten der zweckentsprechenden Maßnahmen stellen sich jedenfalls auch als notwendig und verhältnismäßig dar, da eine Anspruchsverfolgung mittels Sammelklage gegenüber der Republik Österreich bei Schaffung einer unionsrechtswidrigen Rechtslage jedenfalls erforderlich ist. Würde man aufgrund der Klaglosstellung durch Änderung der Rechtslage – die Möglichkeit zu einer solchen steht naturgemäß nur dem Gesetzgeber offen – die notwendigen Kosten zweckentsprechender außergerichtlicher Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen der klagenden Partei nicht zusprechen, wäre damit ein gefährliches Präjudiz geschaffen. Im Ergebnis sind daher in insgesamt EUR 285.904,14 neben den Kosten der Klage sowie der Stellungnahme zu ersetzen.
Beweis: […]
13. Es ist kein Grund ersichtlich, warum bei legislativem Unrecht bzw einer darauffolgenden Klaglosstellung eine Minderung oder gar ein Entfall der Kosten von zweckentsprechenden außergerichtlichen Betreibungs- und Einbringungsmaßnahmen stattfinden sollte. Überdies hätte es der Gesetzgeber alleinig in der Hand, möglicherweise wie im vorliegenden Fall über mehrere Jahre, quasi 'unbestraft' eine unionsrechtswidrige Rechtslage bestehen zu lassen und diese erst bei Einla[n]gen einer Staatshaftungsklage nach Art137 B VG entsprechend abzuändern. Das Ausmaß der zu ersetzenden Kosten hängt nicht von der Intensität des Verschuldens ab (vgl Reischauer in Rummel, ABGB 3 §1333 ABGB Rz 24). Für die Ausführungen hinsichtlich Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden kann daher auf die Staatshaftungsklage nach Art137 B VG vom 31. Dezember 2021 verwiesen werden. In Hinblick auf das Verschulden steht jedenfalls angesichts der klaren Aussagen des Staatssekretärs im Bundesministerium für Finanzen ********** in der Parlamentssitzung vom 21. März 2018 sowie der Abgeordneten der Regierungsparteien wie dem Finanzsprecher ********** und dem Abgeordneten Peter Wurm in der Parlamentskorrespondenz vom 4. Juli 2018 außer Zweifel, dass der Bund schuldhaft handelte. Da der Bund grundsätzlich zu rechtmäßigem Handeln verpflichtet ist, gilt für ihn ein hoher Sorgfaltsmaßstab.
14. Die klagende Partei stellt daher den
Antrag[,]
das Verfahren auf die Kosten des Verfahrens einzuschränken, eine Kostenfestsetzung durchzuführen und die beklagte Partei zum Ersatz der Kosten idH EUR 285.904,14 zuzüglich der Kosten der Klage sowie des aufgetragenen Schriftsatzes gemäß angehängtem Kostenverzeichnis binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin gemäß §19a RAO bei sonstiger Exekution zu verpflichten.
In eventu:
15. Bei der Klageerhebung im Rahmen einer Sammelklage nach österreichischem Recht handelt es sich im weiteren Sinne auch um die Einziehung fremder Forderungen, weshalb für die konkrete Berechnung der zweckentsprechenden außergerichtlichen Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen, welche die klagende Partei in ihrer Eigenschaft als betreibender Zessionar gesetzt hat, per analogiam auf die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Höchstsätze der Inkassoinstituten gebührenden Vergütungen idF BGBI. I 141/1996 idF BGBl II 103/2005 (im Folgenden 'Inkassokosten-VO[']) zurückgegriffen wird. Dies wird auch dadurch untermauert, dass der deutsche BGH eine Inkassodienstleistung annimmt, wenn abgetretene Forderungen ausschließlich oder vorrangig in Form eines sogenannten 'Sammelklage-Inkasso' gerichtlich eingezogen werden sollen (vgl BGH 13.7.2021, II ZR 84/20).
16. Für Forderungen über EUR 727,00 können gemäß §3 Z1 Inkassokosten-VO bis zu 8% als allgemeine Bearbeitungskosten geltend gemacht werden. In Anbetracht des zum Zeitpunkt der Klageerhebung berechtigten Interesses der Rechtsverfolgung mittels Sammelklage stellen sich aufgrund der Komplexität der Anspruchsprüfung und notwendigen aktuarischen Berechnungen allgemeine Bearbeitungskosten pauschal in der Höhe von 8% der übertragenen Forderungen von EUR 1.630.002,44 als verhältnismäßig und notwendig dar. Sohin betragen die allgemeinen Bearbeitungskosten EUR 130.400,20, welche von der Beklagten, zusätzlich zum Kostenersatz betreffend Klage sowie dieser Stellungnahme, zu ersetzen sind.
17. In analoger Anwendung des §3 Z6 Inkassokosten-VO kann vom Schuldner ferner noch für die Vorhaltung der Daten der beizuziehenden Forderungen eine Evidenzhaltungspauschale gefordert werden. Diese beträgt pro angefangenes Vierteljahr bei Forderungen über EUR 364,00 bis zu EUR 20,35 pro Forderung. Eine Zusammenrechnung der Forderungen findet bei verschiedenen, wenn auch gleichartigen Verträgen nicht statt (vgl RIS-Justiz RS0037905 [T26]; RIS-Justiz RS0037648 [T15]). Dies ist insbesondere auch bei Sammelklagen nach österreichische[m] Recht der Fall (vgl OGH 4 Ob 116/05w). Aufgrund des jeweilig unterschiedlichen Zeitpunkts, ab welche[m] Kosten der Evidenzhaltung der Forderungen zu ersetzen sind, ist für die Berechnung von für alle Forderungen pauschal festgesetzten drei angefangenen Kalendervierteljahren auszugehen. Sohin betragen die Evidenzhaltungskosten für die 72 geltend gemachten Forderungen unter Heranziehung einer Berechnungsgrundlage in der Höhe EUR 20,35 pro Forderung im genannten Zeitraum insgesamt EUR 4.395,60.
18. Ebenso sind die Auftraggebergebühren im Sinne des §2 Inkassokosten-VO bei analoger Anwendung dieser Verordnung zu ersetzen. Die Auftraggebergebühr darf jenen Höchstbetrag, der sich aus der Summe der in §2 Inkassokosten-VO genannten Höchstsätze ergibt, nicht übersteigen. Aufgrund der die in §2 Inkassokosten-VO genannten Höchstsätze übersteigenden Erlösbeteiligung des Finanzierers ist gemäß §2 Z1 Inkassokosten-VO von Auftrag[g]ebergebühren in der Höhe von 6% der zum Einzug übertragenen Forderung auszugehen. Sohin betragen die Auftraggebergebühren der zur Geltendmachung abgetretenen Forderungen in der Höhe von EUR 1.630.002,44 insgesamt EUR 97.800,15. Im Ergebnis sind daher in analoger Anwendung der Inkassokosten-VO insgesamt EUR 232.595,95 neben den Kosten der Klage sowie der Stellungnahme zu ersetzen.
19. Für die Ausführungen hinsichtlich Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Kosten der Betreibung sowie hinsichtlich Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden kann daher auf die Staatshaftungsklage nach Art137 B VG vom 31. Dezember 2021 sowie auf obige Ausführungen verwiesen werden.
20. Die klagende Partei stellt daher in eventu den
Antrag[,]
das Verfahren auf die Kosten des Verfahrens einzuschränken, eine Kostenfestsetzung durchzuführen und die beklagte Partei zum Ersatz der Kosten idH EUR 232.595,95 zuzüglich der Kosten der Klage sowie des aufgetragenen Schriftsatzes gemäß angehängtem Kostenverzeichnis binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin gemäß §19a RAO bei sonstiger Exekution zu verpflichten".
8. Die beklagte Partei erstattete in weiterer Folge eine ergänzende Gegenschrift, in der das Kostenbegehren sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach bestritten wird. Dazu wird seitens der beklagten Partei Folgendes vorgebracht:
"I. Ergänzendes Vorbringen der Klägerin
[…]
II. Zum ergänzenden Klagevorbringen
Die ergänzenden Klagebegehren werden dem Grunde und der Höhe nach zur Gänze bestritten. Im Einzelnen wird dazu Folgendes ausgeführt:
1. Nach §27 erster Satz des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 (VfGG) findet ein Prozesskostenersatz nur statt, wenn er im VfGG ausdrücklich vorgesehen ist. Daran anknüpfend verfügt §41 VfGG den Prozesskostenersatz in Verfahren nach Art137 B VG. Darin heißt es:
'§41. Dem unterliegenden Teil kann auf Antrag der Ersatz der Prozesskosten auferlegt werden. Der Ersatz von Kosten kann auf Antrag auch der klagenden Partei auferlegt werden, wenn sie die von ihr eingebrachte Klage vor Beginn der öffentlichen mündlichen Verhandlung zurückzieht und der beklagten Partei bereits Kosten erwachsen sind.'
1.1. Im gegenständlichen Verfahren stellt sich vorweg die Frage, ob man die Erklärung der Klägerin[,] klaglos gestellt zu sein, nicht als Klagsrückziehung umdeuten könnte (vgl in diesem Sinne VfGH 6.3.1998, G291/97 - G292/97): Diesfalls würde gemäß §41 zweiter Satz VfGG nicht die Klägerin, sondern die beklagte Partei unter bestimmten Umständen einen Anspruch auf Prozesskostenersatz haben.
1.2. Verneint man die Möglichkeit einer Umdeutung, käme alleine eine Anwendung des §41 erster Satz VfGG in Betracht. Indes zielt §41 erster Satz VfGG auf ein 'Unterliegen' (hier des Bundes) ab. An einem solchen fehlt es. Folglich stünde der Klägerin kein Prozesskostenersatz zu. Dies gilt umso mehr, als im Lichte des §27 erster Satz iVm §41 erster Satz VfGG eine sinngemäße Anwendung der Zivilprozessordnung (ZPO) gemäß §35 VfGG nicht in Betracht kommt.
1.3. An dieser Stelle kann im Übrigen eine Parallele zu §65a VfGG gezogen werden. Dieser normiert den Prozesskostenanspruch bei Verfahren nach Art140 Abs1 Z1 litc B VG. Darin heißt es:
'§65a. Wurde das Gesetzesprüfungsverfahren auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet (Art140 Abs1 Z1 litc B VG), eingeleitet, so sind ihr im Fall des Obsiegens die erwachsenen Prozesskosten im Fall eines Bundesgesetzes vom Bund, im Fall eines Landesgesetzes vom betreffenden Land zu ersetzen.'
Der VfGH stellt in seiner Rechtsprechung zu Prozesskosten bei Individualanträgen auf ein formales 'Obsiegen' ab. So geht er insbesondere davon aus, dass bei einer nachträglichen – sprich nach Einbringung des Individualantrages vorgenommenen – Änderung der angefochtenen Gesetzesbestimmung im Sinne des noch anhängigen Gesetzesprüfungsverfahrens, dem Begehren auf Prozesskostenersatz nicht stattzugeben ist, 'weil §65a VfGG einen solchen Ersatz nur im Fall des Obsiegens des Antragstellers vorsieht' (VfSlg 11.488/1987 mwN; VfGH 6.3.1998, G291/97 - G292/97).
Konsequenterweise müsste Gleiches sinngemäß für den vorliegenden Fall gelten. Damit wäre trotz der Novellierung des VersVG, die (so die Klägerin) zu einer Klaglosstellung führt, mangels eines formalen 'Unterliegens' im Sinne des §41 erster Satz VfGG, kein Prozesskostenersatz zuzuerkennen.
2. Sollte man dennoch im gegenständlichen Verfahren eine sinngemäße Anwendung der ZPO bejahen, so erweist sich der von der Klägerin relevierte §50 Abs2 ZPO als nicht einschlägig. §50 Abs2 ZPO lautet wie folgt:
'§. 50.
(1) (...)
(2) Fällt bei einem Rechtsmittel das Rechtsschutzinteresse nachträglich weg, so ist dies bei der Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Klärung von Tatsachen einen unverhältnismäßigen Verfahrensaufwand erfordern, so ist über den Kostenersatz nach freier Überzeugung zu entscheiden (§273).'
2.1. Nach dem Wortlaut des §50 Abs2 ZPO wird auf das Vorliegen eines Rechtsmittelverfahrens abgestellt (vgl OGH 7.7.1992, 4 Ob 1024/92 und die zu RIS-RS00361022 dokumentierte Folgejudikatur). Art137 B VG verlangt demgegenüber eine direkte Anrufung des VfGH, ohne zuvor einen Rechtsmittelweg ausgeschöpft zu haben.
2.2. Selbst wenn man im Ausgangsverfahren im Wege einer doppelten Analogie die Möglichkeit einer sinngemäßen Anwendung des §50 Abs2 ZPO bejahte – zunächst analoge Anwendung der ZPO, ferner analoge Anwendung des §50 Abs2 ZPO – übersieht die Klägerin, dass ihr nach dieser Bestimmung nur dann ein Prozesskostenersatz zusteht, wenn sie im gegenständlichen Verfahrensabschnitt ab Klagseinbringung bis Klagseinschränkung hypothetisch obsiegt hätte (vgl Fucik in Rechberger/Klick[a], ZPO 5 §50 Rn. 2). Dies ist nicht der Fall: Unabhängig von der mit 1. August 2022 in Kraft getretenen VersVG-Novelle 2022, BGBl I Nr 70/2022 verweist der Bund auf seine Ausführungen in den Teilen IV (zu den Prozessvoraussetzungen) und V (zur inhaltlichen Begründetheit des Klagevorbringen[s]) seiner Gegenschrift vom 7. Februar 2022 (vgl Anhang). Daraus folgt, dass die Klage bereits als unzulässig zurückzuweisen gewesen wäre, jedenfalls aber die materiellen Voraussetzungen für eine Staatshaftungsklage nicht erfüllt waren. Der Klägerin stehen somit schon dem Grunde nach keine Ersatzansprüche (auch kein Kostenersatz) zu.
3. Was die geltend gemachten Prozesskosten anbelangt, fällt auf, dass sich die Klägerin explizit auf §1333 Abs2 ABGB bezieht (s 2 des Schriftsatzes der Klägerin vom 29. Juli 2022). Dieser lautet wie folgt:
'Besonders durch die Verzögerung der Zahlung.
Gesetzliche Zinsen und weitere Schäden
§1333. (1) (...)
(2) Der Gläubiger kann außer den gesetzlichen Zinsen auch den Ersatz anderer, vom Schuldner verschuldeter und ihm erwachsener Schäden geltend machen, insbesondere die notwendigen Kosten zweckentsprechender außergerichtlicher Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen, soweit diese in einem angemessenen Verhältnis zur betriebenen Forderung stehen.'
3.1. Ausgehend vom Wortlaut des §1333 Abs2 ABGB dürfte die Klägerin übersehen haben, dass Forderungen nach dieser Bestimmung keine prozessualen Forderungen darstellen, sondern (materiell-rechtliche) Schadenersatzforderungen sind, die bei Einklagung der Hauptforderung als Nebenforderungen geltend gemacht werden können.
Im vorliegenden Fall ist eine Geltendmachung dieser Forderungen unterblieben. Sie waren von der Staatshaftungsklage nicht umfasst und können durch die nunmehr von der Klägerin vorgenommene 'Einschränkung auf Kosten' auch nicht verfahrensgegenständlich werden. Vielmehr wird, geradezu gegenteilig, mit einer 'Einschränkung auf Kosten' zu erkennen gegeben, dass keine materiell-rechtlichen Forderungen (mehr) geltend gemacht werden.
3.2. Die Klägerin hat ihre Nebenforderungen auch nicht nachträglich (nach Einschränkung auf Kosten) im gleichen Verfahren geltend gemacht, sondern wörtlich zum Ausdruck gebracht, dass 'die im Rahmen der Staatshaftungsklage nach Artikel 137 B VG geltend gemachten [materiell-rechtlichen] Ansprüche [...] sohin mit Ausnahme des Kostenersatzanspruches als erledigt angesehen [werden]'. Ein solchermaßen eindeutig erklärter Anspruchsverzicht könnte im Zivilrecht sogar die Grundlage für ein Verzichtsurteil bilden ( Klauser/Kodek , JN – ZPO 18 , §394 ZPO E3).
3.3. Im Übrigen ist fraglich, ob jener Aufwand, der sich aus der Sammlung und gemeinsamen Geltendmachung der Einzelforderungen ergibt, dem Schuldner angelastet werden kann, ob diese Kosten also 'notwendig' im Sinne des §1333 Abs2 ABGB sind. Gerade die pauschal geltend gemachten Kosten für 'Casemanagement', 'Programmierung' und 'Öffentlichkeitsarbeit' sieht der Bund höchst problematisch, weshalb diese Kosten auch der Höhe nach explizit bestritten werden.
4. Der Vollständigkeit halber weist der Bund im Hinblick auf das Eventualbegehren der Klägerin (vgl Seite 5 ff der Stellungnahme der Klägerin vom 29. Juli 2022) darauf hin, dass eine analoge Anwendung der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Höchstsätze der Inkassoinstituten gebührenden Vergütungen bereits am Fehlen einer Rechtslücke scheitert.
4.1. Ferner stellt die genannte Verordnung keine Anspruchsgrundlage im Verhältnis Gläubiger – Schuldner dar; sie legt auf Basis der Gewerbeordnung 1994 (im Folgenden: GewO 1994) lediglich Höchstgrenzen im Verhältnis Gläubiger – Inkassoinstitut fest. Als Anspruchsgrundlage gegenüber dem Schuldner käme sohin wiederum nur §1333 Abs2 ABGB in Betracht, wobei diesbezüglich auf die obigen Ausführungen unter Punkt 3 verwiesen werden kann.
4.2. Nicht ersichtlich ist zudem, inwiefern aus gewerberechtlichen, nur für Inkassoinstitute geltenden Entgelt-Höchstgrenzen etwas für die Rechtfertigung von Forderungen in bestimmter Höhe gewonnen werden sollte. Nach §118 Abs2 GewO 1994 sind Inkassoinstitute nicht berechtigt, Forderungen gerichtlich einzutreiben oder sich Forderungen abtreten zu lassen, auch wenn die Abtretung nur zu Zwecken der Einziehung erfolgen sollte. Unabhängig davon sind nach §118 Abs3 GewO 1994 Inkassoinstitute zur Einziehung einer fremden Forderung, die dem Ersatz eines Schadens ohne Beziehung auf einen Vertrag (§1295 ABGB) dient, nur berechtigt, wenn diese Forderung unbestritten ist. Insofern unterscheidet sich die Tätigkeit von Inkassoinstituten grundlegend von der Tätigkeit der Klägerin. Die von der Klägerin entfalteten Tätigkeiten (Abtretung, Klagsführung, Eintreibung bestrittener außervertraglicher Forderungen) wären Inkassoinstituten explizit untersagt. Eine analoge Heranziehung von Entgeltbestimmungen kommt daher nicht in Betracht.
III.
Die Bundesministerin für EU und Verfassung stellt somit den
Antrag,
der Verfassungsgerichtshof wolle das von der Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 29. Juli 2022 vorgebrachte Begehren auf Kostenersatz (in der Höhe von EUR 285.904,14 zzgl. der Kosten der Klage sowie des aufgetragenen Schriftsatzes gemäß angehängtem Kostenverzeichnis) einschließlich des Eventualbegehrens auf Kostenersatz (in der Höhe von € 232.595,95 zzgl. der Kosten der Klage sowie des aufgetragenen Schriftsatzes gemäß angehängtem Kostenverzeichnis) als unbegründet abweisen.
IV.
Im Hinblick auf §41 VfGG (in Verbindung mit §35 VfGG und §42 Abs2 ZPO) wird von der Geltendmachung von Kosten abgesehen".
9. Mit Eingabe vom 1. September 2022 gab die klagende Partei bekannt, dass das Finanzamt (nachträglich) ihre Befreiung von der Umsatzsteuer aufgehoben habe, sodass die von ihr genannten Beträge zuzüglich 20 % USt begehrt würden.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 2. Dezember 1958 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VersVG), BGBl 2/1959, idF BGBl I 51/2018 lauteten:
"Rücktrittsrecht
§5c. (1) Der Versicherungsnehmer kann vom Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen, ohne Angabe von Gründen zurücktreten.
(2) Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts beginnt mit dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer darüber informiert worden ist, jedoch nicht bevor der Versicherungsnehmer folgende Informationen erhalten hat:
1. den Versicherungsschein (§3),
2. die Versicherungsbedingungen,
3. die Bestimmungen über die Festsetzung der Prämie, soweit diese nicht im Antrag bestimmt ist, und über vorgesehene Änderungen der Prämie sowie
4. eine Belehrung über das Rücktrittsrecht (Abs3).
(3) Die nach Abs2 Z4 zu erteilende Rücktrittsbelehrung muss enthalten:
1. Informationen über die Rücktrittsfrist und deren Beginn,
2. die Anschrift des Adressaten der Rücktrittserklärung,
3. einen Hinweis auf die Regelungen der Abs4 bis 6.
Die Rücktrittsbelehrung genügt jedenfalls diesen Anforderungen, wenn das Muster gemäß Anlage A verwendet wird.
(4) Der Rücktritt ist in geschriebener Form gegenüber dem Versicherer zu erklären. §45 Abs1 Z2 bleibt unberührt. Die Rücktrittsfrist ist gewahrt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb der Frist abgesendet wird.
(5) Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.
(6) Hat der Versicherer vorläufige Deckung gewährt, so gebührt ihm die der Dauer der Deckung entsprechende Prämie.
(7) Die vorstehenden Absätze gelten nicht für Versicherungsverträge über Großrisiken gemäß §5 Z34 VAG 2016.
[…]
§176. (1) Wird eine Kapitalversicherung für den Todesfall, die in der Art genommen ist, daß der Eintritt der Verpflichtung des Versicherers zur Zahlung des vereinbarten Kapitals gewiß ist, durch Rücktritt, Kündigung oder Anfechtung aufgehoben, so hat der Versicherer den auf die Versicherung entfallenden Rückkaufswert zu erstatten.
[Anm: (1a)] Sind nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist gemäß §5c Abs2 erfüllt, so gebührt dem Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt von einer Kapitalversicherung
– innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien;
– ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss der Rückkaufswert ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und des Abzugs gemäß §176 Abs4. Trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko, so kann der Versicherer allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste berücksichtigen.
(2) Das gleiche gilt bei einer Versicherung der in Abs1 bezeichneten Art auch dann, wenn nach dem Eintritt des Versicherungsfalls der Versicherer von der Verpflichtung zur Zahlung des vereinbarten Kapitals frei ist. Im Fall des §170 Abs1 ist jedoch der Versicherer zur Erstattung des Rückkaufswerts nicht verpflichtet.
(2a) Bei der Berechnung des Rückkaufswertes eines Vertrages, der von einem Versicherungsvermittler (§137 Abs1 GewO 1994) vermittelt wurde, der zum Zeitpunkt des Versicherungsvertrages nicht in das Register eingetragen war, darf die Provision nicht berücksichtigt werden.
(2b) Bei der Berechnung der prämienfreien Versicherungsleistung für einen Vertrag, der von einem Versicherungsvermittler (§137 AbsGewO 1994) vermittelt wurde, der zum Zeitpunkt des Versicherungsvertrages nicht in das Register eingetragen war, darf die Provision nicht berücksichtigt werden.
(3) Der Rückkaufswert ist nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik auf Grund der Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation für den Schluß der laufenden Versicherungsperiode als Zeitwert der Versicherung zu berechnen. Prämienrückstände werden vom Rückkaufswert abgesetzt.
(4) Der Versicherer ist zu einem Abzug nur berechtigt, wenn dieser vereinbart und angemessen ist.
(5) Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung innerhalb des ersten Jahres beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten nicht berücksichtigt werden. Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung nach dem ersten Jahr und vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen.
(6) Der Vermittler hat in den Fällen des Abs5 erster Satz keinen Anspruch auf Provision samt Nebengebühren. Der Vermittler hat in den Fällen des Abs5 zweiter Satz Anspruch auf jenen Teil der Provision samt Nebengebühren, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) entspricht. Eine Vereinbarung, wonach dem Vermittler ein höherer Provisionsanspruch zusteht, ist unwirksam. Der Vermittler hat dem Versicherer eine Provision insoweit zurückzuzahlen, als sie das Ausmaß des anteiligen Provisionsanspruchs übersteigt. Die voranstehenden Bestimmungen sind auf Vereinbarungen, nach denen der Versicherungsnehmer die Provision unmittelbar dem Vermittler zu leisten hat, sinngemäß anzuwenden.
[…]
§191c. (1) […]
(22) §5a Abs2, §5c, §15a Abs2, §176 Abs1a, §176 Abs5 und Abs6, §178 Abs1 und Anlage A in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 51/2018 treten mit 01.01.2019 in Kraft. §5b Abs2 bis 6 und §165a treten mit Ablauf des 31.12.2018 außer Kraft. §5c, §176 Abs1a und Anlage A sind auf Versicherungsverträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2018 geschlossen werden. §5b Abs2 bis 6, §5c und §165a in der Fassung vor dem Bundegesetz BGBl I Nr 51/2018 sind – vorbehaltlich des Abs23 – auf Versicherungsverträge weiterhin anzuwenden, die vor dem 01.01.2019 abgeschlossen wurden.
(23) Für einen Rücktritt von einer Kapitalversicherung nach den §§5b, 5c und 165a in der Fassung vor dem Bundesgesetzblatt BGBl I Nr 51/2018, der ab dem 01.01.2019 erklärt wird, gelten die Rechtsfolgen gemäß §176 Abs1a."
2. Die nunmehr maßgeblichen Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes idF der Versicherungsvertragsgesetz-Novelle 2022, BGBl I 70/2022, lauten:
"Rücktrittsrecht
§5c. (1) Der Versicherungsnehmer kann vom Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen, bei Lebensversicherungen innerhalb von 30 Tagen, ohne Angabe von Gründen zurücktreten.
(2) Die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts beginnt mit dem Tag, an dem der Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und der Versicherungsnehmer darüber informiert worden ist, jedoch nicht bevor der Versicherungsnehmer folgende Informationen erhalten hat:
1. den Versicherungsschein (§3),
2. die Versicherungsbedingungen,
3. die Bestimmungen über die Festsetzung der Prämie, soweit diese nicht im Antrag bestimmt ist, und über vorgesehene Änderungen der Prämie sowie
4. eine Belehrung über das Rücktrittsrecht (Abs3).
(3) Die nach Abs2 Z4 zu erteilende Rücktrittsbelehrung muss enthalten:
1. Informationen über die Rücktrittsfrist und deren Beginn,
2. die Anschrift des Adressaten der Rücktrittserklärung,
3. einen Hinweis auf die Regelungen der Abs4 bis 6.
Die Rücktrittsbelehrung genügt jedenfalls diesen Anforderungen, wenn das Muster gemäß Anlage A verwendet wird. Eine Rücktrittsbelehrung, die derart fehlerhaft ist, dass sie dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit nimmt, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, ist einer fehlenden Belehrung gleichzuhalten.
(4) Der Rücktritt ist in geschriebener Form gegenüber dem Versicherer zu erklären. §45 Abs1 Z2 bleibt unberührt. Die Rücktrittsfrist ist gewahrt, wenn die Rücktrittserklärung innerhalb der Frist abgesendet wird.
(5) Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht. Abs3 letzter Satz ist anzuwenden.
(6) Hat der Versicherer vorläufige Deckung gewährt, so gebührt ihm die der Dauer der Deckung entsprechende Prämie.
(7) Die vorstehenden Absätze gelten nicht für Versicherungsverträge über Großrisiken gemäß §5 Z34 VAG 2016.
[…]
§176. (1) Wird eine Kapitalversicherung für den Todesfall, die in der Art genommen ist, daß der Eintritt der Verpflichtung des Versicherers zur Zahlung des vereinbarten Kapitals gewiß ist, durch Rücktritt, Kündigung oder Anfechtung aufgehoben, so hat der Versicherer den auf die Versicherung entfallenden Rückkaufswert zu erstatten.
(1a) Abs1 ist bei einem Rücktritt nach §5c nicht anzuwenden.
(2) In den Fällen des Abs1 außer bei einem Rücktritt nach §5c hat der Versicherer den auf die Versicherung entfallenden Rückkaufswert auch dann zu erstatten, wenn nach dem Eintritt des Versicherungsfalls der Versicherer von der Verpflichtung zur Zahlung des vereinbarten Kapitals frei ist. Im Fall des §170 Abs1 ist jedoch der Versicherer zur Erstattung des Rückkaufswerts nicht verpflichtet.
(2a) Bei der Berechnung des Rückkaufswertes eines Vertrages, der von einem Versicherungsvermittler (§137 Abs1 GewO 1994) vermittelt wurde, der zum Zeitpunkt des Versicherungsvertrages nicht in das Register eingetragen war, darf die Provision nicht berücksichtigt werden.
(2b) Bei der Berechnung der prämienfreien Versicherungsleistung für einen Vertrag, der von einem Versicherungsvermittler (§137 AbsGewO 1994) vermittelt wurde, der zum Zeitpunkt des Versicherungsvertrages nicht in das Register eingetragen war, darf die Provision nicht berücksichtigt werden.
(3) Der Rückkaufswert ist nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik auf Grund der Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation für den Schluß der laufenden Versicherungsperiode als Zeitwert der Versicherung zu berechnen. Prämienrückstände werden vom Rückkaufswert abgesetzt.
(4) Der Versicherer ist zu einem Abzug nur berechtigt, wenn dieser vereinbart und angemessen ist.
(5) Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung innerhalb des ersten Jahres beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten nicht berücksichtigt werden. Wird eine kapitalbildende Lebensversicherung nach dem ersten Jahr und vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, so dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen.
(6) Der Vermittler hat in den Fällen des Abs5 erster Satz keinen Anspruch auf Provision samt Nebengebühren. Der Vermittler hat in den Fällen des Abs5 zweiter Satz Anspruch auf jenen Teil der Provision samt Nebengebühren, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit (Prämienzahlungsdauer) entspricht. Eine Vereinbarung, wonach dem Vermittler ein höherer Provisionsanspruch zusteht, ist unwirksam. Der Vermittler hat dem Versicherer eine Provision insoweit zurückzuzahlen, als sie das Ausmaß des anteiligen Provisionsanspruchs übersteigt. Die voranstehenden Bestimmungen sind auf Vereinbarungen, nach denen der Versicherungsnehmer die Provision unmittelbar dem Vermittler zu leisten hat, sinngemäß anzuwenden.
[…]
§191c. (1) […]
(22) §5a Abs2, §5c, §15a Abs2, §176 Abs1a, §176 Abs5 und Abs6, §178 Abs1 und Anlage A in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 51/2018 treten mit 01.01.2019 in Kraft. §5b Abs2 bis 6 und §165a treten mit Ablauf des 31.12.2018 außer Kraft. §5c, §176 Abs1a und Anlage A sind auf Versicherungsverträge anzuwenden, die nach dem 31.12.2018 geschlossen werden. §5b Abs2 bis 6, §5c und §165a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 51/2018 sind – vorbehaltlich des Abs23 – auf Versicherungsverträge weiterhin anzuwenden, die vor dem 01.01.2019 abgeschlossen wurden.
(23) Für einen Rücktritt von einer Kapitalversicherung nach den §§5b, 5c und 165a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 51/2018, der ab dem 01.01.2019 erklärt wird, gelten die Rechtsfolgen gemäß §176 Abs1a.
(24) §5c Abs3 und Abs5 sowie §176 Abs1a und Abs2 treten in der Fassung der Versicherungsvertrags-Novelle 2022 (VersVG-Nov 2022), BGBl I Nr 70/2022, mit 1. August 2022 in Kraft und sind auf Fälle anzuwenden, in denen der Rücktritt nach dem 31. Dezember 2018 erklärt wurde. Für Verträge, die nach dem 31. Dezember 2018 und vor dem 1. August 2022 geschlossen wurden, genügt die Verwendung des Musters gemäß Anlage A in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 51/2018 den Anforderungen des §5c Abs3; für Verträge, die nach dem 31. Juli 2022 geschlossen werden, ist das Muster in der Fassung der VersVG-Nov 2022 zu verwenden. §176 Abs1 ist auch auf die Folgen eines Rücktritts von einer Kapitalversicherung nach den §§5b, 5c und 165a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 51/2018, der nach dem 31. Dezember 2018 erklärt wurde, nicht anzuwenden."
3. Art15 der Zweiten Richtlinie 90/619/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung), ABl. 1990 L 330, 50, in der durch die Richtlinien 92/96/EWG und 2002/65/EG hergestellten Fassung (in weiterer Folge: 2. Lebensversicherungs-RL) lautete:
"Artikel 15
(1) Jeder Mitgliedstaat schreibt vor, dass der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags von dem Zeitpunkt an, zudem er davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist von 30 Kalendertagen verfügt, um von dem Vertrag zurückzutreten.
Die Mitteilung des Versicherungsnehmers, daß er vom Vertrag zurücktritt, befreit ihn für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen.
Die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen werden gemäß dem auf den Versicherungsvertrag nach Artikel 4 anwendbaren Recht geregelt, insbesondere was die Modalitäten betrifft, nach denen der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, daß der Vertrag geschlossen ist.
(2) Bei Verträgen mit einer Laufzeit von höchstens sechs Monaten oder wenn der Versicherungsnehmer aufgrund seines Status oder wegen der Umstände, unter denen der Vertrag geschlossen wird, dieses besonderen Schutzes nicht bedarf, können die Mitgliedstaaten von der Anwendung von Absatz 1 absehen. Die Mitgliedstaaten legen in ihren Rechtsvorschriften die Fälle fest, in denen Absatz 1 nicht zur Anwendung gelangt."
4. Art31 und auszugsweise Anhang II der Dritten Richtlinie 92/96/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG über Lebensversicherungen (in der Folge: 3. Lebensversicherungs-RL), ABl. 1992 L 360, 1, lauteten:
"Artikel 31
(1) Vor Abschluß des Versicherungsvertrags sind dem Versicherungsnehmer mindestens die in Anhang II Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen.
(2) Der Versicherungsnehmer muß während der gesamten Vertragsdauer über alle Änderungen der in Anhang II Buchstabe B aufgeführten Angaben auf dem laufenden gehalten werden.
(3) Der Mitgliedstaat der Verpflichtung kann von den Versicherungsunternehmen nur dann die Vorlage von Angaben zusätzlich zu den in Anhang II genannten Auskünften verlangen, wenn diese für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig sind.
(4) Die Durchführungsvorschriften zu diesem Artikel und zu Anhang II werden von dem Mitgliedstaat der Verpflichtung erlassen.
[…]
ANHANG II
INFORMATIONEN FÜR DIE VERSICHERUNGSNEHMER
Dem Versicherungsnehmer sind die nachfolgenden Informationen entweder (A) vor Abschluß des Vertrages oder (B) während der Laufzeit des Vertrages mitzuteilen. Die Informationen sind eindeutig und detailliert schriftlich in einer Amtssprache des Mitgliedstaats der Verpflichtung abzufassen.
Diese Informationen können jedoch in einer anderen Sprache abgefasst werden, sofern der Versicherungsnehmer dies wünscht und es nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist oder sofern der Versicherungsnehmer das anwendbare Recht frei wählen kann.
A. Vor Abschluß des Vertrages mitzuteilende Informationen
[…]
Informationen über die Versicherungspolicen
[…]
a.13 Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittrechts
[…]"
5. Art185 und 186 der Richtlinie 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit, ABl. 2009 L 335, 1 (in weiterer Folge: Solvabilität II-RL), lauten auszugsweise:
"Artikel 185
Informationen für die Versicherungsnehmer
(1) Dem Versicherungsnehmer sind vor Abschluss des Lebensversicherungsvertrags zumindest die in den Absätzen 2, 3 und 4 genannten Informationen mitzuteilen.
(2) Folgende Informationen sind über Lebensversicherungen mitzuteilen:
a) Firma und Rechtsform der Gesellschaft;
b) Name des Mitgliedstaats, in dem sich der Sitz und gegebenenfalls die Zweigniederlassung befindet, die die Police ausstellt;
c) Anschrift des Sitzes und gegebenenfalls der Zweigniederlassung, die die Police ausstellt;
d) ein konkreter Verweis auf den Bericht über Solvabilität und Finanzlage gemäß Artikel 51, der dem Versicherungsnehmer auf einfache Weise den Zugang zu diesen Angaben ermöglicht.
(3) Folgende Informationen sind bezüglich der Versicherungspolicen mitzuteilen:
a) Beschreibung jeder Garantie und jeder Option;
b) Laufzeit der Police;
c) Einzelheiten der Vertragsbeendigung;
d) Prämienzahlungsweise und Prämienzahlungsdauer;
e) Methoden der Gewinnberechnung und Gewinnbeteiligung;
f) Angabe der Rückkaufwerte und beitragsfreien Leistungen und das Ausmaß, in dem diese Leistungen garantiert sind;
g) Informationen über die Prämien für jede Leistung, und zwar sowohl Haupt- als auch Nebenleistungen, wenn sich derartige Informationen als sinnvoll erweisen;
h) für fondsgebundene Policen die Angabe der Fonds (in Rechnungseinheiten), an die die Leistungen gekoppelt sind;
i) Angabe der Art der den fondsgebundenen Policen zugrunde liegenden Vermögenswerte;
j) Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittsrechts;
k) allgemeine Angaben zu der auf die Policenart anwendbaren Steuerregelung;
l) Bestimmungen zur Bearbeitung von den Vertrag betreffenden Beschwerden der Versicherungsnehmer, der Versicherten oder der Begünstigten des Vertrags, gegebenenfalls einschließlich des Hinweises auf eine Beschwerdestelle; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten;
m) das für den Vertrag maßgebende Recht für den Fall, dass die Parteien keine Wahlfreiheit haben oder, wenn die Parteien das maßgebende Recht frei wählen können, das von dem Lebensversicherungsunternehmen vorgeschlagene Recht.
(4) Außerdem sind spezifische Informationen vorzulegen, um ein richtiges Verständnis der vom Versicherungsnehmer übernommenen vertragsspezifischen Risiken zu ermöglichen.
[…]
Artikel 186
Rücktrittszeitraum
(1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags von dem Zeitpunkt an, zu dem sie davon in Kenntnis gesetzt werden, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügen, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten.
Die Mitteilung des Versicherungsnehmers, dass er vom Vertrag zurücktritt, befreit ihn für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen.
Die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen werden gemäß dem auf den Versicherungsvertrag anwendbaren Recht geregelt, insbesondere was die Modalitäten betrifft, nach denen der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist.
(2) Die Mitgliedstaaten können in folgenden Fällen beschließen, dass Absatz 1 nicht zur Anwendung gelangt:
a) bei Verträgen mit einer Laufzeit von höchstens sechs Monaten;
b) wenn der Versicherungsnehmer aufgrund seines Status oder wegen der Umstände, unter denen der Vertrag geschlossen wird, dieses besonderen Schutzes nicht bedarf.
Wenn die Mitgliedstaaten die in Unterabsatz 1 beschriebene Möglichkeit in Anspruch nehmen, so legen sie dies in ihren Rechtsvorschriften fest."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Gemäß Art137 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.
1.2. Die klagende Partei macht vermögensrechtliche Ansprüche von Versicherungsnehmern gegen den Bund geltend, die diese im Wege der Inkassozession an die klagende Partei abgetreten haben. Die klagende Partei stützt den Anspruch auf den Titel der unionsrechtlichen Staatshaftung, weil der Bund durch das Bundesgesetz, mit dem das Versicherungsvertragsgesetz, das Konsumentenschutzgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz 2016 geändert werden (VersVGÄG), BGBl I 51/2018, vorsätzlich gegen Bestimmungen der 2. und 3. Lebensversicherungs RL sowie der Solvabilität II-RL verstoßen habe. Der Gesetzgeber habe mit dieser Novelle das unionsrechtlich gebotene Rücktrittsrecht der Versicherungsnehmer durch eine Beschränkung der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung in Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union "wirtschaftlich entwertet". Die klagende Partei macht somit einen Staatshaftungsanspruch gegen den Bund wegen "legislativen Unrechts" im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes geltend (s VfSlg 18.950/2009 und die darin zitierte Vorjudikatur).
1.3. Der Verfassungsgerichtshof ist für die Wahrnehmung von legislativem Unrecht nur dann zuständig, wenn der Akt, der die unionsrechtliche Staatshaftung auslöst, unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist (vgl zB VfSlg 18.824/2009 unter Hinweis auf VfSlg 16.107/2001, 17.002/2003).
1.3.1. In diesem Sinne hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen (vgl ua VfSlg 18.600/2008), dass "es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung [bleibt], wenn der behauptete Schaden an ein verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln [anknüpft]". Eine auf Gemeinschafts(Unions )recht gestützte Staatshaftungsklage unterliegt der Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte auch dann, wenn die schadenskausale Handlung der Vollziehung durch ein gemeinschafts(unions )rechtswidriges Gesetz (zwingend) vorherbestimmt ist (VfSlg 16.107/2001, 17.611/2005, 18.020/2006, 18.600/2008).
1.3.2. In seiner grundlegenden Entscheidung VfSlg 16.107/2001 hat der Verfassungsgerichtshof zudem Folgendes ausgeführt:
"Vielmehr besteht eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes in diesem Fall bloß dann, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen nicht einem hoheitlich tätig gewordenen Vollzugsorgan oder einem privatrechtsförmig tätig gewordenen Staatsorgan, sondern unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen sind, etwa weil eine Ermächtigung eines Staatsorgans zu einer entsprechenden Tätigkeit gesetzlich (zB bei Untätigbleiben des Gesetzgebers bei der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben) gar nicht vorgesehen ist. Immer dann aber, wenn der Kläger seinen Anspruch auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts stützt, die er der Vollziehung zurechnet, so sind grundsätzlich – anderes mag in Ansehung des §2 Abs3 AHG iVm Art137 B VG gelten (was aber in diesem Verfahren dahingestellt bleiben kann) – die Amtshaftungsgerichte zuständig (so zutreffend Rebhahn , aaO, S 176); gleiches gilt mutatis mutandis, wenn das Staatsorgan, dem der Kläger das anspruchsbegründende gemeinschaftsrechtswidrige Staatshandeln zurechnet, privatrechtsförmig tätig wurde: auch diesfalls sind die ordentlichen Gerichte zuständig, darüber zu befinden."
1.4. Aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ergibt sich, dass eine Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte (nur) dann gegeben ist, wenn der behauptete Verstoß gegen Unionsrecht der Ebene der Vollziehung zuzurechnen ist. Diesfalls besteht – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – ein Amtshaftungsanspruch, wenn der geltend gemachte Schaden insbesondere im Wege der unmittelbaren Anwendbarkeit unionsrechtlicher Bestimmungen oder einer unionsrechtskonformen Auslegung des Gesetzes zu vermeiden gewesen wäre. Konnte der behauptete Verstoß gegen Unionsrecht auf Ebene der Vollziehung hingegen nicht vermieden werden, ist der Verstoß unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen und bleibt es bei der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art137 B VG (vgl VfSlg 18.824/2009).
1.5. Unter Bezugnahme auf diese Judikatur bestreitet die beklagte Partei die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes auf das Wesentliche zusammengefasst mit der Begründung, das geltende Recht sei einer unionsrechtskonformen Auslegung durch die ordentlichen Gerichte zugänglich:
Der Oberste Gerichtshof habe §176 VersVG idF vor der Novelle BGBl I 51/2018 nicht auf jene Fälle angewendet, in denen eine ausreichende Belehrung der Versicherungsnehmer unterblieben sei (unter Verweis auf OGH 19.2.2020, 7 Ob 19/20z; 24.4.2020, 7 Ob 11/20y; 7 Ob 10/20a; 7 Ob 15/20m; 27.5.2020, 7 Ob 20/20x; 7 Ob 40/20p; vgl zuletzt auch 16.2.2022, 7 Ob 185/21p). Diese Entscheidungen seien ergangen, nachdem die Rechtsstreitigkeiten zunächst unterbrochen gewesen seien, um die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rs C-355/18 ua, Rust-Hackner ua , abzuwarten. Dies zeige, dass die frühere Rechtslage unionsrechtskonform ausgelegt habe werden können. Entsprechendes sei auch hinsichtlich der Rechtslage idF BGBl I 51/2018 anzunehmen. Vor diesem Hintergrund sei der behauptete qualifizierte Verstoß gegen Unionsrecht, sollte er überhaupt vorliegen, was von der beklagten Partei bestritten werde, nicht (ausschließlich) der Gesetzgebung, sondern einer allenfalls fehlerhaften Vollziehung durch die ordentlichen Gerichte zuzurechnen. Die Klage sei daher zurückzuweisen, weil der Verfassungsgerichtshof für die Geltendmachung des behaupteten Anspruches nicht zuständig sei.
1.6. Die beklagte Partei weist mit diesem Vorbringen zutreffend darauf hin, dass es für die Frage, ob der Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung über die vorliegende Staatshaftungsklage berufen ist, darauf ankommt, ob die Rechtslage – sollte sich die Beschränkung der Rückabwicklung von Lebensversicherungsverträgen auf den Rückkaufswert in bestimmten Konstellationen als unionsrechtswidrig herausstellen – durch die ordentlichen Gerichte in einem allfälligen Verfahren gegen den Versicherer unionsrechtskonform ausgelegt werden kann.
1.7. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes käme eine unionsrechtskonforme Auslegung des §176 Abs1, 1a und 5 VersVG idF BGBl I 51/2018 – träfe die von der klagenden Partei behauptete Unionsrechtswidrigkeit der Beschränkung der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung auf den Rückkaufswert zu – jedenfalls nicht in Betracht:
Nach dem klaren Wortlaut und dem Willen des historischen Gesetzgebers der Novelle BGBl I 51/2018 sollte der Versicherungsnehmer in bestimmten Konstellationen nach einem Rücktritt vom Lebensversicherungsvertrag auf den Ersatz des Rückkaufswertes beschränkt werden. So heißt es in den Erläuterungen zu dem Initiativantrag (vgl 302/A BlgNR 26. GP, 6), der letztlich zur Beschlussfassung des §176 Abs1a VersVG idF BGBl I 51/2018 führte: "Bei einem Spätrücktritt ab dem zweiten bis zum fünften Jahr nach Vertragsabschluss soll der Versicherungsnehmer den Rückkaufswert nach §176 Abs3 VersVG ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und ohne Abzug nach §176 Abs4 erhalten. Bei einem Rücktritt nach Ablauf von fünf Jahren ab Vertragsabschluss erhält der Versicherungsnehmer den Rückkaufswert gemäß §176 Abs1 VersVG."
Angesichts des klaren Wortlautes des §176 VersVG idF BGBl I 51/2018 und des Willens des Gesetzgebers verbietet es sich nach allgemeinen Auslegungsregeln, die Bestimmung unter Berufung auf eine richtlinienkonforme Auslegung (contra legem) unangewendet zu lassen (so auch Potacs , Rechtswirkungen eines "Spätrücktrittes" contra legem?, VR 2021 H 9, 27 [32 f.]).
1.8. Für die Frage der Zulässigkeit der vorliegenden Klage bedeutet dies, dass eine Zurechnung des von der klagenden Partei behaupteten Verstoßes gegen Unionsrecht zur Vollziehung (der ordentlichen Gerichtsbarkeit) ausscheidet:
Den ordentlichen Gerichten wäre – träfe die behauptete Unionsrechtswidrigkeit zu – eine "Sanierung" des §176 VersVG idF BGBl I 51/2018 im Auslegungsweg nicht möglich gewesen, weil dies eine unzulässige Auslegung contra legem dargestellt hätte. Im Unterschied zu der oben zitierten Judikatur (vgl ua VfSlg 18.600/2008) wäre der behauptete Verstoß gegen Unionsrecht somit auf Ebene der Vollziehung nicht zu vermeiden gewesen. Eine Zurechnung des behaupteten Unionsrechtsverstoßes an die Vollziehung – und damit eine Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte – kommt im vorliegenden Zusammenhang daher nicht in Betracht (vgl VfSlg 18.824/2009). Der Verfassungsgerichtshof ist somit zur Entscheidung über die vorliegende Staatshaftungsklage berufen.
1.9. Im Übrigen ist der beklagten Partei auch nicht darin beizupflichten, wenn sie davon ausgeht, dass die Klage nicht hinreichend substantiiert sei. Die klagende Partei hat einerseits in hinreichender Weise einen qualifizierten Verstoß des Gesetzgebers gegen Unionsrecht vorgebracht. Darüber hinaus ergibt sich – entgegen dem Vorbringen der beklagten Partei in ihrer Gegenschrift – aus der Beilage ./A in nachvollziehbarer Weise, ob und zu welchem Zeitpunkt die Versicherungsnehmer (Zedenten) von ihren Versicherungsverträgen zurückgetreten sind.
1.10. Da somit weder die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde noch die der ordentlichen Gerichte gegeben ist und auch ansonsten nichts hervorgekommen ist, was an der Zulässigkeit zweifeln ließe, ist die vorliegende, auf Art137 B VG gestützte Klage zulässig.
2. In der Sache
2.1. Die klagende Partei hat ihre Klage, soweit damit Schäden von Versicherungsnehmern (Zedenten), die von ihren Lebensversicherungsverträgen nach dem 31. Dezember 2018 bis zum 31. Juli 2022 zurückgetreten sind, geltend gemacht werden, dem Grunde nach zu Recht erhoben.
2.1.1. Die Versicherungsnehmer (Zedenten) haben in den Jahren 1995 bis 2020 Lebensversicherungsverträge mit Versicherern abgeschlossen. Dem Vorbringen der klagenden Partei zufolge wurden sie entgegen der jeweils geltenden Rechtslage bei Abschluss der Lebensversicherungsverträge nicht oder nicht hinreichend belehrt. Die beklagte Partei bestreitet nicht, dass die Versicherungsnehmer fehlerhaft belehrt worden sind.
2.1.2. Voraussetzung einer Staatshaftung für legislatives Unrecht ist es, wie der Verfassungsgerichtshof – der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union folgend – wiederholt ausgesprochen hat (s etwa die Zusammenfassung in VfSlg 18.243/2007; vgl weiters VfSlg 18.805/2009 und 18.950/2009), dass es durch das Verhalten von Organen eines Mitgliedstaats zur Verletzung einer unionsrechtlichen Norm gekommen ist, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und dass ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem Einzelnen entstanden ist (vgl EuGH 19.11.1991, Rs C-6/90 und C-9/90, Francovich ua , Slg. 1991, I-5357; 5.3.1996, Rs C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pêcheur , Slg. 1996, I-1029 [Rz 51]; 23.5.1996, Rs C-5/94, Hedley Lomas , Slg. 1996, I-2553 [Rz 32]; 8.10.1996, Rs C 178/94 ua, Dillenkofer ua , Slg. 1996, I-4845; 25.1.2007, Rs C-278/05, Carol Marilyn Robins ua , Slg. 2007, I-1053). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union besteht dabei aber keine reine Unrechtshaftung; vielmehr ist ein Verstoß gegen Unionsrecht nur dann haftungsbegründend, wenn er "hinreichend qualifiziert" ist (EuGH, Brasserie du Pêcheur , Rz 55; Dillenkofer ua , Rz 21 ff.; 17.10.1996, Rs C-283/94 ua, Denkavit , Slg. 1996, I-5063 [Rz 48, 50 ff.]; 4.7.2000, Rs C-424/97, Haim , Slg. 2000, I-5123; uva.).
Nach der ständigen Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH, Brasserie du Pêcheur , I-1162) sind folgende Voraussetzungen zur Geltendmachung eines Staatshaftungsanspruchs erforderlich:
"Ist ein Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Gesetzgeber zuzurechnen, der auf einem Gebiet tätig wird, auf dem er im Hinblick auf normative Entscheidungen über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, so hat der Geschädigte einen Entschädigungsanspruch, sofern die verletzte gemeinschaftsrechtliche Vorschrift bezweckt, ihm Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem dem einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht."
2.1.3. Angesichts der Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rs Endress (EuGH 19.12.2013, C-209/12) sowie in der Rs Rust-Hackner ua (EuGH 19.12.2019, C-355/18 ua) hegt der Verfassungsgerichtshof keine Zweifel daran, dass die von der klagenden Partei ins Treffen geführten Bestimmungen der 2. und 3. Lebensversicherungs-RL sowie der Solvabilität II-RL bezweck(t)en, dem Versicherungsnehmer Rechte, nämlich ein Rücktrittsrecht vom Lebensversicherungsvertrag im Falle einer fehlenden oder rechtswidrigen Belehrung vor Vertragsabschluss, zu verleihen (vgl zu dieser Voraussetzung VfSlg 19.688/2012 mwN).
Der Versicherungsnehmer muss entsprechend den Vorgaben des Art185 Solvabilität II-RL vom Versicherer vor Vertragsabschluss schriftlich über näher bezeichnete Umstände, insbesondere über die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und des Rücktrittsrechtes, belehrt werden. Wird der Versicherungsnehmer nicht oder nicht ordnungsgemäß aufgeklärt, steht ihm das Rücktrittsrecht (unbefristet) zu (EuGH 19.12.2013, C 209/12, Rs Endress ; OGH 2.9.2015, 7 Ob 107/15h). Tritt der Versicherungsnehmer vom Versicherungsvertrag zurück, ist er gemäß Art186 Abs1 Solvabilität II-RL für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen befreit.
2.1.4. Der österreichische Gesetzgeber hat die Folgen eines solchen Vertragsrücktrittes vor Inkrafttreten der Novelle Bundesgesetz BGBl I 51/2018 in §176 Abs1 VersVG in dem Sinne geregelt, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer im Falle eines Rücktrittes, einer Kündigung oder einer Anfechtung des Versicherungsvertrages den Rückkaufswert zu erstatten habe. Diese Regelung wurde im Schrifttum als unionsrechtswidrig beurteilt (vgl Berger/Maderbacher , Zum Rücktritt von Lebensversicherungsverträgen. Anmerkungen aus unionsrechtlicher Sicht, ÖJZ2018, 391 [397 f.]), weil die Gewährung (bloß) des Rückkaufwertes einer Vertragsauflösung ex nunc entspreche und die wirtschaftlichen Folgen des Rücktrittes damit vom Versicherungsnehmer zu tragen seien. Dies könne ihn iSd Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rs Endress davon abhalten, sein Rücktrittsrecht auch effektiv wahrzunehmen.
Angesichts dieser und weiterer unionsrechtlicher Bedenken stellten mehrere österreichische Gerichte Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union, der diese in der Rs Rust-Hackner ua beantwortete. In dieser Entscheidung sprach der Gerichtshof der Europäischen Union unter anderem aus, Art15 Abs1 der 2. Lebensversicherungs-RL und Art185 Abs1 der Solvabilität II RL seien dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach "der der Versicherer einem Versicherungsnehmer, der von seinem Vertrag zurückgetreten ist, lediglich den Rückkaufswert zu erstatten hat".
2.1.5. Parallel zu diesem Vorabentscheidungsverfahren wurde der österreichische Gesetzgeber tätig, um die Folgen eines (Spät-)Rücktrittes vom Lebensversicherungsvertrag neu zu regeln. Aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass der Grund für diese Neuregelung die bestehende Unsicherheit über die Rechtsfolgen eines Vertragsrücktrittes durch den Versicherungsnehmer sei (vgl BlgNR 302/A 26. GP, 6). Aus diesem Grund sei es geboten, mit einer ausdrücklichen Regelung für "Rechtssicherheit" zu sorgen. Die Novelle BGBl I 51/2018 wurde am 14. August 2018 kundgemacht. Diese bis zum Inkrafttreten der VersVG-Novelle 2022 maßgebliche Rechtslage stellte sich wie folgt dar:
2.1.5.1. §176 Abs1a erster Satz VersVG regelte die Rechtsfolgen des Rücktritts von einer kapitalbildenden Lebensversicherung für den Fall, dass nicht alle Voraussetzungen für den Beginn der Rücktrittsfrist gemäß §5c VersVG erfüllt sind (sogenannter "Spätrücktritt"). Diesfalls standen dem Versicherungsnehmer im Falle eines Vertragsrücktrittes innerhalb eines Jahres nach Vertragsabschluss die für das erste Jahr gezahlten Prämien zu. Ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres nach Vertragsabschluss gebührte dem Versicherungsnehmer der Rückkaufswert ohne Berücksichtigung der tariflichen Abschlusskosten und des Abzugs gemäß §176 Abs4 VersVG.
2.1.5.2. Der Fall eines Rücktrittes nach fünf Jahren wurde von §176 Abs1a VersVG nicht ausdrücklich geregelt. Nach den Materialien sollte der Versicherungsnehmer diesfalls den Rückkaufswert gemäß §176 Abs1 VersVG erhalten (vgl 302/A BlgNR 26. GP, 6).
2.1.5.3. §176 Abs5 VersVG enthält zusätzliche Regelungen zur Berechnung des Rückkaufwertes nach einem Rücktritt von einer kapitalbildenden Lebensversicherung. Wird eine solche Lebensversicherung innerhalb des ersten Jahres beendet, dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten nicht berücksichtigt werden. Wird die Lebensversicherung nach dem ersten Jahr und vor dem Ablauf von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Laufzeit beendet, dürfen bei der Berechnung des Rückkaufswerts die rechnungsmäßig einmaligen Abschlusskosten höchstens mit jenem Anteil berücksichtigt werden, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Laufzeit und dem Zeitraum von fünf Jahren oder der vereinbarten kürzeren Laufzeit entspricht. Ebenso sind diese Kosten bei der Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung für die Berechnung der Grundlage der prämienfreien Versicherungsleistung höchstens nach dem Verhältnis zwischen der tatsächlichen Prämienzahlungsdauer und dem Zeitraum von fünf Jahren oder einer vereinbarten kürzeren Prämienzahlungsdauer zu berücksichtigen.
2.1.5.4. Trägt der Versicherungsnehmer das Veranlagungsrisiko (sogenannte fondsgebundene Lebensversicherung), konnte der Versicherer gemäß §176 Abs1a zweiter Satz VersVG idF BGBl I 51/2018 allfällige bis zum Rücktritt eingetretene Veranlagungsverluste berücksichtigen.
2.1.6. Am 9. Februar 2022 leitete die Europäische Kommission wegen dieser Rechtslage zur Zahl INFR(2021)4069 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich auf Grund der mangelhaften Umsetzung von Unionsrecht im Versicherungsvertragsgesetz ein. Die von der Europäischen Kommission veröffentlichte Mitteilung zum Aufforderungsschreiben (INF/22/601) lautete auszugsweise wie folgt:
"Die Kommission fordert Österreich auf, seine nationalen Rechtsvorschriften zum Schutz von Verbrauchern, die Lebensversicherungen abschließen, mit dem EU-Recht und der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs in Einklang zu bringen. Gemäß der Solvabilität-II-Richtlinie (Richtlinie 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit) haben Kunden, die einen Lebensversicherungsvertrag abgeschlossen haben, das Recht, innerhalb einer 14- bis 30-tägigen Frist ihre Meinung zu ändern und vom Vertrag zurückzutreten. Das Versicherungsunternehmen muss die Kunden vor Vertragsabschluss über ihr Rücktrittsrecht informieren. Der Gerichtshof stellte klar, dass die Rücktrittsfrist nicht beginnt, wenn der Kunde nicht über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde (C 209/12, Endress), und dass der Kunde in einem solchen Fall das Recht hat, sein Rücktrittsrecht unbefristet auszuüben, und zwar auch Jahre nach Vertragsschluss. Im Jahr 2019 ergänzte der Gerichtshof, dass den Verbrauchern eine längere Bedenkzeit zusteht, wenn die von der Versicherungsgesellschaft bereitgestellten Informationen derart gravierende Fehler aufweisen, dass der Kunde keine Entscheidung treffen kann (C-355/18 bis C-357/18 und C 479/18, Rust-Hackner u. a.). Der Gerichtshof präzisierte auch die Rückzahlungsansprüche von Kunden, die ihre Lebensversicherung gemäß diesen Bestimmungen kündigen. Da die nationalen österreichischen Rechtsvorschriften noch immer nicht vollständig mit der Solvabilität-II-Richtlinie und den Urteilen des Gerichtshofs in Einklang stehen, genießen Verbraucher/innen in Österreich möglicherweise nicht den Schutz, auf den sie Anspruch haben. […]"
2.1.7. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Regelung der Rechtsfolgen eines (Spät-)Rücktrittes vom Lebensversicherungsvertrag in §176 VersVG idF BGBl I 51/2018 den unionsrechtlichen Vorgaben entsprach.
2.1.8. Die klagende Partei ist zusammengefasst der Ansicht, §176 VersVG idF BGBl I 51/2018 habe in qualifizierter Weise gegen Unionsrecht verstoßen. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in der Rs Rust-Hackner ua entschieden, dass der Bund keine Regelung treffen dürfe, wonach der Versicherer dem Versicherungsnehmer im Falle eines Vertragsrücktrittes lediglich den Rückkaufswert zu erstatten habe. Dem Versicherungsnehmer dürften die Veranlagungsverluste der Lebensversicherung nicht zugewiesen werden, weil dies die faktische Effektivität des Rücktrittsrechtes beeinträchtige. Im Gesetzgebungsprozess sei mehrfach auf die Unionsrechtswidrigkeit der geplanten Regelung hingewiesen worden, weswegen der Verstoß durch den Bundesgesetzgeber vorsätzlich begangen worden sei.
2.1.9. Die beklagte Partei hält diesem Vorbringen entgegen, dass die Rechtslage idF BGBl I 51/2018 nicht unionsrechtswidrig gewesen sei:
Aus dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rs Rust-Hackner ua zur Rechtslage vor dem Bundesgesetz BGBl I 51/2018 könnten keine Rückschlüsse auf die Unionsrechtskonformität der Rechtslage idF BGBl I 51/2018 gezogen werden. Der Gesetzgeber habe mit §176 VersVG idF BGBl I 51/2018 eine zeitlich differenzierte Regelung geschaffen. Das Unionsrecht fordere lediglich, die rechtlichen Auswirkungen des Rücktrittsrechtes so auszugestalten, dass sie den Versicherungsnehmer nicht davon abhielten, von seinem Recht auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Das abgestufte Regelungsmodell des §176 Abs1a VersVG habe diesen Vorgaben für ein praktisch wirksames Rücktrittsrecht gebührend Rechnung getragen. Es habe sichergestellt, dass der Versicherungsnehmer nicht davon abgehalten werde, zu einem späteren Zeitpunkt von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen.
Im Gegensatz zur Rechtslage vor dem Bundesgesetz BGBl I 51/2018 sei der Rücktritt für den Versicherungsnehmer nach der Rechtslage idF BGBl I 51/2018 wesentlich attraktiver ausgestaltet gewesen als die Kündigung des Versicherungsvertrages. Selbst wenn man das Gesetz so ausgelegt hätte, dass der Versicherungsnehmer bei einem Rücktritt nach dem fünften Jahr "lediglich" den Rückkaufswert erhalte, sei zu berücksichtigen, dass er diesfalls bereits für eine geraume Zeit einen Versicherungsschutz und damit einen vermögenswerten Vorteil in Anspruch genommen habe. Dies müsse bei der gesamthaften Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Rechtslage idF BGBl I 51/2018 berücksichtigt werden.
Das Unionsrecht verlange im Gegensatz zum Vorbringen der klagenden Partei nicht, dass der Versicherungsvertrag nach allgemeinen bereicherungsrechtlichen Grundsätzen rückabzuwickeln sei. Darüber hinaus habe §176 VersVG idF BGBl I 51/2018 keine abschließende Regelung der Rechtsfolgen von Informationspflichtverletzungen durch den Versicherer dargestellt. Insbesondere konnten dem Versicherungsnehmer zusätzlich Ansprüche aus einer Irrtumsanfechtung sowie Schadenersatzansprüche zustehen.
2.1.10. Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des §176 Abs1a und Abs5 VersVG idF BGBl I 51/2018 in qualifizierter Weise gegen Unionsrecht und die Vorgaben des Gerichtshofes der Europäischen Union verstoßen hat.
2.1.10.1. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in der Rs Rust-Hackner in Beantwortung der hier insbesondere relevanten vierten Vorlagefrage Folgendes ausgeführt:
"Art15 Abs1 der Richtlinie 90/619 in der durch die Richtlinie 92/96 geänderten Fassung, Art35 Abs1 der Richtlinie 2002/83 und Art185 Abs1 der Richtlinie 2009/138 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Versicherer einem Versicherungsnehmer, der von seinem Vertrag zurückgetreten ist, lediglich den Rückkaufswert zu erstatten hat."
2.1.10.2. Diese Ausführungen ergingen zu §176 Abs1 VersVG, der durch die Novelle BGBl I 51/2018 nicht geändert worden ist. Wie die beklagte Partei in ihrer Gegenschrift ausführt, richteten sich die Rechtsfolgen im Falle eines Rücktrittes vom Versicherungsvertrag ab dem sechsten Jahr nach Vertragsabschluss nicht nach §176 Abs1a VersVG idF BGBl I 51/2018. Nach den Materialien sollte der Versicherungsnehmer diesfalls vielmehr den Rückkaufswert gemäß §176 Abs1 VersVG erhalten (vgl 302/A BlgNR 26. GP, 6).
Diese Rechtslage hat der Gerichtshof der Europäischen Union jedoch bereits als unionsrechtswidrig erkannt, indem er ausgesprochen hat, dass der Versicherungsnehmer nicht auf den Ersatz des Rückkaufswertes nach §176 Abs1 VersVG beschränkt werden darf. Eine zeitliche Differenzierung hat der Gerichtshof der Europäischen Union dabei gerade nicht vorgenommen, sodass die Rechtslage jedenfalls bei einem Vertragsrücktritt ab dem sechsten Jahr nach Vertragsabschluss offenkundig unionsrechtswidrig war (ebenso Schöppl , EuGH-Entscheidung "Rust-Hackner" – Neues in der Debatte um Spätrücktritte von Lebensversicherungsverträgen, wbl 2020, 313 [318]: "zweifellos europarechtswidrig").
2.1.10.3. Die Rechtslage idF BGBl I 51/2018 hat aber auch bei einem Vertragsrücktritt ab dem zweiten bis zum fünften Jahr nach Vertragsabschluss gegen die unionsrechtlichen Vorgaben verstoßen:
Auch hier ordnete der Gesetzgeber im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union an, dass dem Versicherungsnehmer der Rückkaufswert zu erstatten ist. Im Gegensatz zum Rückkaufswert nach §176 Abs1 VersVG wurde dieser zwar für den Versicherungsnehmer günstiger berechnet, weil der Versicherer die tariflichen Abschlusskosten und den Abzug gemäß §176 Abs4 VersVG nicht berücksichtigen durfte (§176 Abs1a VersVG idF BGBl I 51/2018). Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Versicherungsnehmer durch die genannte Regelung das wirtschaftliche Risiko des Vertragsrücktrittes zu tragen hatte. Dementsprechend konnten Versicherungsnehmer von der Ausübung ihres Rücktrittsrechtes abgehalten werden, nämlich in jenen Fällen, in denen der Ersatz (bloß) des Rückkaufswertes nach §176 Abs1a VersVG idF BGBl I 51/2018 wirtschaftlich nicht attraktiv war. Damit war aber entgegen der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union eine Rechtslage geschaffen, welche die Wirksamkeit des unionsrechtlichen Rücktrittsrechtes beeinträchtigte (vgl Berger/Maderbacher , aaO, 397 f.).
2.1.11. Entgegen dem Vorbringen der beklagten Partei ist der Anspruch der klagenden Partei nicht verjährt.
2.1.11.1. Die beklagte Partei führt in diesem Zusammenhang aus, dass die dreijährige Verjährungsfrist bereits mit der Kundmachung des Bundesgesetzes BGBl I 51/2018 am 14. August 2018 zu laufen begonnen haben könnte, zumal die behauptete Unionsrechtswidrigkeit dem Vorbringen der klagenden Partei entsprechend bereits zu diesem Zeitpunkt evident gewesen sei. Die am 31. Dezember 2021 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachte Klage sei daher verspätet erhoben worden, weswegen der geltend gemachte Anspruch verjährt sei.
2.1.11.2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrmals ausgesprochen, dass bei Staatshaftungsklagen die Bestimmung des §6 AHG anzuwenden ist, also abseits von hier nicht relevanten Sonderfällen eine Verjährung nach drei Jahren ab Kenntnis des Schadens eintritt (VfSlg 18.889/2009 mwN).
Die Novelle BGBl I 51/2018 wurde am 14. August 2018 im Bundesgesetzblatt I kundgemacht. Sie trat (erst) am 1. Jänner 2019 in Kraft. Wie die beklagte Partei in ihrer Gegenschrift zutreffend ausführt, war der Hintergrund dieser knapp viereinhalbmonatigen Legisvakanz, dass den Versicherungsnehmern die Möglichkeit gegeben werden sollte, eine Abwicklung ihrer Versicherungsverträge nach "Altrecht" (also idF vor BGBl I 51/2018) zu erwirken. Bis zum 31. Dezember 2018 bestand somit die Möglichkeit, noch unter Geltung der alten Rechtslage vom Versicherungsvertrag zurückzutreten. Bei dieser Rechtslage kann nicht davon gesprochen werden, dass der Schaden, den die Versicherungsnehmer erlitten haben sollen, bereits vor dem 1. Jänner 2019 eingetreten ist. Dies kann vielmehr erst mit dem Inkrafttreten des §176 Abs1a VersVG idF BGBl I 51/2018 der Fall gewesen sein, weswegen die Verjährungsfrist frühestens am 1. Jänner 2019 zu laufen begonnen hat. Die am 31. Dezember 2021 beim Verfassungsgerichtshof erhobene Klage ist daher rechtzeitig erhoben worden; der geltend gemachte Anspruch ist nicht verjährt.
2.1.12. Die beklagte Partei bringt darüber hinaus vor, dass die Versicherungsnehmer (Zedenten) teilweise nicht von ihren Lebensversicherungsverträgen zurückgetreten seien, ein Staatshaftungsanspruch aber erst geltend gemacht werden könne, wenn es zu einem Vertragsrücktritt gekommen sei. Sollten die Versicherungsnehmer tatsächlich ihren Rücktritt erklärt haben, sei nach dem Zeitpunkt desselben zu differenzieren.
2.1.12.1. Sei der Rücktritt vor dem 1. Jänner 2019 erklärt worden, sei §176 Abs1a VersVG idF BGBl I 51/2018 nicht anzuwenden. Die frühere Rechtslage sei, wie der Oberste Gerichtshof festgestellt habe, einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich, weswegen von keinem Schaden auszugehen sei. Sei der Rücktritt ab dem 1. Jänner 2019 erklärt, der Versicherungsvertrag aber bis zum 31. Dezember 2018 geschlossen worden, hätte der Versicherungsnehmer grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, den Rücktritt nach Kundmachung, aber noch vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 51/2018 zu erklären. Diesfalls treffe den Versicherungsnehmer wohl eine Schadensminderungspflicht nach §1304 ABGB. Nur wenn der Versicherungsvertrag nach dem 31. Dezember 2018 abgeschlossen und der Rücktritt nach diesem Zeitpunkt erklärt worden sei, kämen die Rechtsfolgen des §176 Abs1a VersVG idF BGBl I 51/2018 uneingeschränkt zur Anwendung. Diese Voraussetzungen seien nur bei den wenigsten der von der klagenden Partei vertretenen Versicherungsnehmer (Zedenten) erfüllt.
2.1.12.2. Der beklagten Partei ist darin beizupflichten, dass ein Staatshaftungsanspruch nur hinsichtlich jener Versicherungsnehmer in Betracht kam, die ihren Rücktritt vom Versicherungsvertrag nach dem 31. Dezember 2018 erklärt haben, weil nur hinsichtlich dieser Versicherungsnehmer der durch die als unionsrechtswidrig erkannte Bestimmung verursachte Schaden als Folge eines Vertragsrücktrittes beziffert werden konnte. Der Anspruch der klagenden Partei bestand daher – vor der VersVG-Novelle 2022 – nur insoweit zu Recht, als die Versicherungsnehmer (Zedenten) nach dem 31. Dezember 2018 bis zum 31. Juli 2022 von ihren Lebensversicherungsverträgen zurückgetreten sind.
2.2. Die klagende Partei hat nach dem Inkrafttreten der VersVG-Novelle 2022 ihr Klagebegehren auf Kosten eingeschränkt.
Kostenersatzansprüche sind bei Klagen gemäß Art137 B VG vom Erfolgsprinzip beherrscht; sie hängen demnach vom Prozessausgang ab (vgl zB VfGH 25.2.2020, A27/2019 mwN).
Die klagende Partei hat ihre Klage – wie oben dargestellt – nur insoweit zu Recht erhoben, als die Versicherungsnehmer (Zedenten) nach dem 31. Dezember 2018 bis zum 31. Juli 2022 von ihren Lebensversicherungsverträgen zurückgetreten sind. Die Summe der geltend gemachten Ansprüche, auf die diese Voraussetzung nach den vorgelegten Beilagen zutrifft, beträgt € 94.921,17. Alle anderen Zedenten sind entweder von ihren Lebensversicherungsverträgen gar nicht oder bereits vor dem 1. Jänner 2019 zurückgetreten oder haben den behaupteten Schaden nicht näher beziffert. Die von ihnen geltend gemachte Schadenssumme beträgt somit € 1.535.081,27.
Die klagende Partei ist sohin nur mit einem verhältnismäßig geringfügigen Teil ihres Anspruches als obsiegend, im Übrigen aber als unterliegend anzusehen, sodass ihr keine Kosten zuzusprechen sind (vgl §§41, 35 VfGG iVm §43 Abs2 ZPO; VfSlg 16.858/2003, 16.949/2003; VfGH 25.2.2020, A27/2019).
IV. Ergebnis
1. Das auf Ersatz der Prozesskosten eingeschränkte Klagebegehren ist daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.