JudikaturVfGH

E3398/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
01. Juli 2022

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin wurde am 24. Februar 2003 geboren und ist italienische Staatsangehörige. Die Mutter der Beschwerdeführerin hat mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 2. Mai 2019 durch Anzeige gemäß §64a Abs18 StbG mit Wirksamkeit vom 15. April 2014 die (österreichische) Staatsbürgerschaft erworben. Der Vater der Beschwerdeführerin ist italienischer Staatsangehöriger. Die Beschwerdeführerin lebt mit ihrer Familie in Mailand und besucht seit dem Jahr 2007 dort eine deutschsprachige Schule. Eine Wohnsitzmeldung der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet lag zu keinem Zeitpunkt vor.

2. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schreiben vom 22. Februar 2021 (eingebracht am 23. Februar 2021) die Verleihung der Staatsbürgerschaft und stützt sich dabei auf §12 Abs1 Z3 StbG.

Mit Bescheid vom 12. April 2021 wies die belangte Behörde den Antrag ab. Die Voraussetzungen des §12 Abs1 Z3 StbG lägen nicht vor, weil die Beschwerdeführerin im Entscheidungszeitpunkt der Behörde nicht (mehr) minderjährig sei.

Das Verwaltungsgericht Wien bestätigte mit Erkenntnis vom 19. Juli 2021 diese Entscheidung. §12 Abs1 Z3 StbG räume einen Anspruch auf eine Verleihung der Staatsbürgerschaft in jenen Fällen ein, in denen an sich nach §17 StbG ein Rechtsanspruch auf Erstreckung der Verleihung bestehe, diese aber allein deshalb nicht möglich sei, weil der hiefür maßgebliche Elternteil die Staatsbürgerschaft bereits erworben hat. Der Verwaltungsgerichtshof habe zu §12 Abs1 Z3 StbG festgehalten, dass in diesem Zusammenhang auch die Tatbestandsvoraussetzungen nach §17 Abs1 StbG zu prüfen seien, wozu ua die Minderjährigkeit des Kindes gehöre (zB VwSlg 14.253 A/1995). Außerdem handle es sich beim Einbürgerungstatbestand des §12 Abs1 Z3 StbG um eine "selbständige Verleihung" (s VwGH 19.9.2013, 2011/01/0164) und nicht um einen Fall der Erstreckung.

Es sei unstrittig, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr minderjährig (gewesen) sei. Dem Beschwerdevorbringen, wonach es bei der Beurteilung des Umstandes der Minderjährigkeit nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Erwerbes der Staatsbürgerschaft durch den maßgeblichen Elternteil bzw den Zeitpunkt der Antragstellung ankomme, sei nicht zu folgen. Der Verwaltungsgerichtshof habe klargestellt, dass es bei der Beurteilung der Minderjährigkeit im Kontext des §12 Abs1 Z3 StbG nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankomme, sondern die Behörde bzw das Verwaltungsgericht verpflichtet sei, seine Entscheidung auf Grundlage der Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt zu treffen (vgl etwa VwGH 22.8.2007, 2005/01/0779; 20.9.2011, 2009/01/0058), selbst wenn die Volljährigkeit im Laufe des anhängigen Verfahrens eintritt (s VwGH 16.5.2007, 2006/01/0701; 23.9.2009, 2007/01/0289).

3. Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Grund der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung (§17 Abs1 iVm §12 Abs1 Z3 StbG) behauptet wird. Die Rechtsansicht, wonach bei der Beurteilung der Minderjährigkeit auf den Entscheidungszeitpunkt abzustellen ist, sei sachlich nicht gerechtfertigt: Dadurch werde das Verfahrensrisiko in einem unverhältnismäßigen Ausmaß der Verleihungswerberin zugewiesen. Der Entscheidungszeitpunkt hänge von einer Vielzahl an (willkürlichen) Faktoren ab (zB Erkrankung des zuständigen Sachbearbeiters, höhere Gewalt). Außerdem werde die Verleihung nicht ausschließlich vom innerstaatlichen Verfahren zeitlich determiniert. Die Entlassung aus dem bisherigen Staatsbürgerschaftsverband stelle im Regelfall eine der Voraussetzungen der Verleihung dar, wobei der damit verbundene Zeitaufwand dem Verleihungswerber zugerechnet werde.

4. Die Wiener Landesregierung und das Verwaltungsgericht Wien haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG), BGBl 311/1985 (WV), idF BGBl I 110/2021 lauten auszugsweise wie folgt:

"Verleihung

§10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

1. er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war;

2. er nicht durch ein inländisches oder ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die der Verurteilung durch das ausländische Gericht zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auch nach dem inländischen Recht gerichtlich strafbar sind und die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl Nr 210/1958, entsprechendem Verfahren ergangen ist;

3. er nicht durch ein inländisches Gericht wegen eines Finanzvergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist;

4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;

5. durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft die internationalen Beziehungen der Republik Österreich nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art8 Abs2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann und

8. er nicht mit fremden Staaten in solchen Beziehungen steht, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft die Interessen der Republik schädigen würde.

(1a) Eine gemäß Abs1 Z2 oder 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie in Strafregisterauskünfte an die Behörde nicht aufgenommen werden darf. Eine gemäß Abs1 Z2 oder 3 maßgebliche Verurteilung liegt vor, wenn sie wegen einer Jugendstraftat erfolgt.

(1b) Nicht zu vertreten hat der Fremde seinen nicht gesicherten Lebensunterhalt insbesondere dann, wenn dieser auf einer Behinderung oder auf einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit beruht, wobei dies durch ein ärztliches Gutachten nachzuweisen ist.

(2) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden nicht verliehen werden, wenn

1. bestimmte Tatsachen gemäß §53 Abs2 Z2, 3, 5, 8, 9 und Abs3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl I Nr 100, vorliegen; §53 Abs5 FPG gilt;

2. er mehr als einmal wegen einer schwerwiegenden Verwaltungsübertretung mit besonderem Unrechtsgehalt, insbesondere wegen §99 Abs1 bis 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl Nr 159, wegen §37 Abs3 oder 4 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl I Nr 120/1997, §366 Abs1 Z1 i.V.m. Abs2 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl Nr 194, wegen §§81 bis 83 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), BGBl Nr 566/1991, oder wegen einer schwerwiegenden Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes 2005, des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl I Nr 100/2005, des Grenzkontrollgesetzes (GrekoG), BGBl Nr 435/1996, oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl Nr 218/1975, rechtskräftig bestraft worden ist; §55 Abs1 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG), BGBl Nr 52/1991, gilt;

3. gegen ihn ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung anhängig ist;

4. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß §67 FPG besteht;

5. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

6. gegen ihn das mit einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG einhergehende Einreiseverbot weiterhin aufrecht ist oder gegen ihn in den letzten 18 Monaten eine Ausweisung gemäß §66 FPG rechtskräftig erlassen wurde oder

7. er ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können.

(3) Einem Fremden, der eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, darf die Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden, wenn er

1. die für das Ausscheiden aus seinem bisherigen Staatsverband erforderlichen Handlungen unterläßt, obwohl ihm diese möglich und zumutbar sind oder

2. auf Grund seines Antrages oder auf andere Weise absichtlich die Beibehaltung seiner bisherigen Staatsangehörigkeit erwirkt.

(4) […]

(5) Der Lebensunterhalt (Abs1 Z7) ist dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt vom Fremden nachgewiesen werden, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen. Im geltend gemachten Zeitraum müssen die eigenen Einkünfte des Fremden ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des §293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und durch Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in §292 Abs3 ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß §291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. Wird in den letzten geltend gemachten sechs Monaten unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt Kinderbetreuungsgeld gemäß den Bestimmungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes – KBGG, BGBl I Nr 103/2001, bezogen, so gilt in dem Zeitraum in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, der Lebensunterhalt jedenfalls als hinreichend gesichert.

(6) (Verfassungsbestimmung) […]

§11a. (1) […]

(4) Einem Fremden ist nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet und unter den Voraussetzungen des §10 Abs1 Z2 bis 8, Abs2 und 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn

2. er im Besitz der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), BGBl Nr 909/1993, ist;

3. […]

§12. (1) Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des §10 Abs1 Z2 bis 8, Abs2 und 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn er

1. nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft (§§32 bis 34) oder des Verzichts auf die Staatsbürgerschaft (§37) Fremder ist und entweder

a) seit mindestens 30 Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat oder

b) seit mindestens 15 Jahren seinen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet hat und seine nachhaltige persönliche und berufliche Integration nachweist;

2. die Staatsbürgerschaft zu einer Zeit, da er nicht voll handlungsfähig war, auf andere Weise als durch Entziehung nach §§32 oder 33 verloren hat, seither Fremder ist, sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Verleihung der Staatsbürgerschaft binnen zwei Jahren nach Erlangung der vollen Handlungsfähigkeit beantragt oder

3. die Staatsbürgerschaft nach §17 durch Erstreckung der Verleihung nur deshalb nicht erwerben kann, weil der hierfür maßgebliche Elternteil (Wahlelternteil) bereits Staatsbürger ist und die Voraussetzungen nach §16 Abs1 Z2 vorliegen. Vom Erfordernis der Niederlassung nach §16 Abs1 Z2 lita ist abzusehen, wenn der maßgebliche Elternteil (Wahlelternteil) nachweislich den Mittelpunkt der Lebensinteressen und seinen ständigen und rechtmäßigen Aufenthalt seit mindestens zwölf Monaten im Ausland hat.

(2) […]

§17. (1) Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist unter den Voraussetzungen der §§10 Abs1 Z2 bis 8, Abs2 und 3 sowie 16 Abs1 Z2 auf die Kinder des Fremden, sofern die Kinder minderjährig, ledig und nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach §§32 und 33 Fremde sind, zu erstrecken, wenn

1. der Mutter gemäß §143 ABGB, oder

2. dem Vater gemäß §144 Abs1 ABGB

die Staatsbürgerschaft verliehen wird.

(1a) […]"

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Der in Art7 Abs1 B VG österreichischen Staatsbürgern gewährleistete Gleichheitsgrundsatz ist auf Fallkonstellationen, in denen es um die rechtliche Klärung des von den Eltern abgeleiteten Status der österreichischen Staatsbürgerschaft von Kindern geht, anwendbar (VfSlg 19.704/2012; 19.745/2013; 19.765/2013). Staatliche Regelungen, die die Erlangung (Erwerb oder Verleihung) der Staatsbürgerschaft in solchen Fällen von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, müssen daher im Einklang mit Art7 Abs1 B VG ausgestaltet sein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes stellt es eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz dar, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt (zB VfSlg 17.344/2004).

§12 Abs1 StbG ist eine lex specialis zu den allgemeinen Verleihungsbestimmungen des §10 StbG. Eine der hier geregelten Sonderkonstellationen – die Unmöglichkeit der Erstreckung der Verleihung, weil der hiefür maßgebliche Elternteil bereits Staatsbürger ist (Abs1 Z3) – ist im vorliegenden Fall einschlägig.

Durch §12 Abs1 Z3 StbG soll ein Anspruch auf selbständige Verleihung der Staatsbürgerschaft in jenen Fällen eingeräumt werden, in denen ein durch §17 StbG eingeräumter Rechtsanspruch auf Erstreckung der Verleihung auf die Kinder nur daran scheitert, dass dem Elternteil die Staatsbürgerschaft schon verliehen wurde. §12 Abs1 Z3 StbG dient der Herstellung einer einheitlichen Staatsbürgerschaft innerhalb der Familie (vgl Erläut zur RV der Staatsbürgerschaftsgesetz-Novelle 1983, 1272 BlgNR 15. GP, 13 und EB zur RV 497 BlgNR 10. GP, 24). Inhaltlich wirkt die Verleihung nach §12 Abs1 Z3 StbG wie eine "nachträgliche" Erstreckung der Verleihung von einem Elternteil auf dessen Kinder. Für eine solche sind die Voraussetzungen nach §17 Abs1 StbG zu prüfen, damit ua die Minderjährigkeit des Kindes (vgl VwGH 7.10.1993, 93/01/0264; VwSlg 14.253 A/1995).

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in unterschiedlichen Konstellationen ausgesprochen, dass es bei sonstigem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht von verschiedensten Zufälligkeiten oder manipulativen Umständen abhängen darf, ob ein gesetzlicher Rechtsanspruch entweder eintritt oder wegfällt (vgl VfSlg 10.620/1985) oder ob einem entsprechenden Antrag stattgegeben wird (vgl VfSlg 7708/1975; 7813/1976; vgl für eine Fallkonstellation im Schutzbereich des Art83 Abs2 B VG bzw des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit auch VfSlg 13.698/1994). Insbesondere gilt dies in Fällen, in denen zwar rechtzeitig vor einem bestimmten Zeitpunkt ein Antrag gestellt wird, es aber von manipulativen und vom Antragsteller nicht beeinflussbaren Umständen abhängen kann, ob in der Folge auch rechtzeitig eine entsprechende Entscheidung über diesen Antrag erfolgen kann oder nicht (s VfSlg 17.344/2004). Im Zusammenhang mit einer (Übergangs-)Vorschrift betreffend die Möglichkeit des Staatsbürgerschaftserwerbes nach der Mutter durch Anzeige ist der Verfassungsgerichtshof dementsprechend auch davon ausgegangen, dass die konkrete Regelung nicht zu auf Zufälligkeiten beruhenden Ergebnissen führen darf (VfSlg 20.145/2017).

Berücksichtigt man, dass für einen Antrag gemäß §12 Abs1 Z3 StbG Voraussetzungen bestehen, deren Realisierung einige Zeit in Anspruch nehmen kann (so ist etwa nach §10 Abs1 Z7 StbG nachzuweisen, dass der Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist), so dass der Zeitpunkt einer Antragstellung (rechtzeitig) vor Erreichen der Volljährigkeit nicht allein in der Hand der Antragstellenden liegt, ist vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht ersichtlich, warum der Rechtsanspruch nach §12 Abs1 Z3 StbG davon abhängig gemacht werden darf, wie lange ein entsprechendes staatsbürgerschaftsbehördliches und gegebenenfalls in der Folge verwaltungsgerichtliches Verfahren dauert (vgl auch EuGH 16.7.2020, verb. Rs C 133/19, C-136/19 und C 137/19, Belgischer Staat [Regroupement familial - Enfant mineur] ). Der verwaltungsrechtliche Säumnisschutz bietet hier keine ausreichende Abhilfe, weil er unangemessene Säumnis hintanhalten und nicht eine Entscheidung zu einem bestimmten Zeitpunkt garantieren soll. Hätte §12 Abs1 Z3 StbG daher einen solchen Inhalt, wäre er verfassungswidrig.

2.2. Ein derartiges Ergebnis lässt sich aber vermeiden, indem davon ausgegangen wird, dass nach §12 Abs1 Z3 iVm §17 Abs1 StbG für die spezifische Voraussetzung der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung bei der Staatsbürgerschaftsbehörde abzustellen ist (der Verwaltungsgerichtshof nimmt in vergleichbaren Zusammenhängen eine entsprechende Auslegung vor, s. zu §46 Abs1 Z2 NAG VwGH 9.9.2020, Ra 2017/22/0021). §12 Abs1 Z3 StbG ist auch einer solchen verfassungskonformen Interpretation zugänglich.

2.3. Indem das Verwaltungsgericht Wien dies verkannt und somit §12 Abs1 Z3 iVm §17 Abs1 StbG einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, wurde die Beschwerdeführerin durch das angefochtene Erkenntnis in ihrem Recht nach Art7 Abs1 B VG verletzt, womit dieses Erkenntnis aufzuheben ist.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

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