JudikaturVfGH

E1042/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 2022

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Pressefreiheit verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein österreichischer Staatsbürger, verfügt über einen seit 1. Juni 2017 auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Werkvertrag betreffend den "Sonn- und Feiertagsverkauf" von Tageszeitungen über sogenannte "stumme Verkäufer" mit einer näher bezeichneten Zustellservice GmbH. Diese ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft einer näher bezeichneten Logistik GmbH, die wiederum eine hundertprozentige Tochtergesellschaft eines näher bezeichneten Zeitungs- und Zeitschriftenverlages ist. Die werkvertraglich festgelegten Aufgaben des Beschwerdeführers umfassen – nach den insoweit unbestritten gebliebenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes Wien – das Aufstellen von Zeitungsständern, das Anbringen der Zeitungstaschen, das Befüllen der Taschen sowie das Einholen und Abliefern der (ungeöffneten) Kassenbehälter sowie der nicht verkauften Zeitungen in einem einvernehmlich festgelegten Zustellgebiet an Sonn- und Feiertagen. Der Beschwerdeführer hat für diese Tätigkeit ein eigenes und geeignetes Transportfahrzeug beizustellen. Auf Grund der werkvertraglichen Vereinbarung steht es dem Beschwerdeführer frei, unter Haftung für eine vertragskonforme Leistungserbringung seine werkvertraglichen Pflichten auf Subunternehmer zu übertragen. Sein Werklohn richtet sich nach der Zahl der aufgestellten Verkaufsvorrichtungen und ergibt sich aus einem von der Auftraggeberin festgelegten Preisleistungsverzeichnis.

2. Am 23. September 2018 wurden der Beschwerdeführer und eine ihm zuarbeitende Hilfsperson bei Erfüllung der werkvertraglichen Pflichten im Zuge einer Polizeikontrolle im Wiener Ortsgebiet angehalten. Im Zulassungsschein des Kfz des Beschwerdeführers war kein gewerblicher Verwendungszweck eingetragen, auch verfügte der Beschwerdeführer über keine im Gewerbeinformationssystem (GISA) registrierte Berechtigung zur Ausübung eines Gewerbes. In der Folge wurde auf Grund des Verdachtes der Übertretung des §366 Abs1 Z1 GewO 1994 gegen den Beschwerdeführer wegen Ausübung des Kleintransportgewerbes ohne Gewerbeberechtigung Anzeige bei der zuständigen Behörde erstattet.

3. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 17. September 2019 wurde über den Beschwerdeführer eine Verwaltungsstrafe in Höhe von € 380,– (Ersatzfreiheitsstrafe von 8 Stunden) gemäß §366 Abs1 Z1 GewO 1994 "iVm §23 Abs4 GütBefG" verhängt, weil er das Gewerbe Beförderung von Gütern mit Kfz im innerstaatlichen Verkehr ohne Gewerbeberechtigung ausgeübt habe.

4. Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 25. Jänner 2021 mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass im Spruch die Wortfolge "Beförderung von Gütern mit Kfz im innerstaatlichen Verkehr" durch die Wortfolge "Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen (oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern), deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt" ersetzt wird, und dass "die Übertretungsnorm §366 Abs1 Z1 und die Strafsanktionsnorm §366 Einleitungssatz GewO 1994, jeweils idF BGBl I Nr 94/2017, lauten."

4.1. Zum Strafgrund führt das Verwaltungsgericht Wien zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer gewerbsmäßig iSd §1 Abs2 GewO 1994 tätig sei und die Tätigkeit des Beschwerdeführers auch nicht nach §2 Abs1 Z18 GewO 1994 vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommen sei, weil sie nicht unter einen der beiden dort umschriebenen Tatbestände falle.

4.2. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Tätigkeit sei vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich geschützten Medienfreiheit als Kleinverkauf iSd §2 Abs1 Z18 GewO 1994 einzuordnen, treffe nicht zu. Seine Aufgaben beträfen den Kern des Güterbeförderungsgewerbes und hätten – anders als etwa jene eines Kolporteurs – keinen nennenswerten Bezug zur Abwicklung von Kaufverträgen.

4.3. Eine erweiterte Auslegung des §2 Abs1 Z18 GewO 1994 im Hinblick auf den ersten Ausnahmetatbestand der "Herausgabe, des Herstellens und des Verbreitens periodischer Druckwerke durch das Medienunternehmen des Medieninhabers" scheitere am Wortlaut der Ausnahmebestimmung, weil dem Beschwerdeführer keine Medieninhabereigenschaft bzw sonstige organisatorische Verbindung mit einem Medieninhaber zukomme.

4.4. Im Ergebnis finde die Ausnahmeregelung des §2 Abs1 Z18 GewO 1994 schon nach ihrem Wortlaut, jedenfalls aber nach ihrem unmissverständlichen Zweck, nämlich der verfassungskonformen Behandlung des Pressegewerbes, auf die Tätigkeit des Beschwerdeführers keine Anwendung. Es bestünden auch im Lichte der Medienfreiheit (Art13 StGG, Art10 EMRK) keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die konkrete Ausgestaltung des §2 Abs1 Z18 GewO 1994. Die eigene unternehmerische Tätigkeit des Beschwerdeführers sei als solche "weder in organisatorischer noch in sachlicher Hinsicht Zielobjekt der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Presse- bzw Medienfreiheit". Der vorliegende Anlassfall lasse erkennen, "dass eine nicht behördlich registrierte und daher weitgehend unkontrollierte Ausübung einer solchen Tätigkeit für die Begehung (typischerweise mit verdeckter Gewerbeausübung einhergehender) schwerer Verwaltungsübertretungen, wie insbesondere der Steuer- und Abgabenhinterziehung, der illegalen Beschäftigung von Ausländern, des Lohndumpings sowie der rechtswidrigen 'Einsparung' von Sozialversicherungsmeldungen bzw -beiträgen geradezu prädestiniert wäre." Die Nichtanwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des §2 Abs1 Z18 GewO 1994 und die daraus resultierende Anwendbarkeit der Gewerbeordnung auf die gewerbsmäßige Transport- und Montagetätigkeit des Beschwerdeführers sei daher im "Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Rechte anderer (Art10 Abs2 EMRK) als erforderlich und verhältnismäßig anzusehen." Die durch das Verwaltungsgericht Wien vorgenommene Auslegung sei auch deshalb verhältnismäßig, weil es dem aus der Sphäre des Medienunternehmens stammenden Auftraggeber zumutbar sei, "einen Vertragspartner mit einer ([den] gesetzeskonformen Betrieb zumindest vorab indizierenden) Gewerbeberechtigung zu wählen."

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit (Art13 StGG, Art10 EMRK) sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG, Art7 B VG) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5.1. Begründend führt der Beschwerdeführer – auf das Wesentliche zusammengefasst – aus, das Verwaltungsgericht Wien habe der Ausnahmebestimmung des §2 Abs1 Z18 GewO 1994 einen denkunmöglichen Inhalt unterstellt, indem es seine Tätigkeit in enger Auslegung nicht als Kleinverkauf einordnete. Der Gesetzgeber habe im Lichte des Art13 Abs2 StGG mit §2 Abs1 Z18 GewO 1994 bestimmte Tätigkeiten der "Presse" von der Gewerbeordnung ausgenommen. Bei einer verfassungskonformen Auslegung des Begriffes Kleinverkauf sei der gesamte Vertriebsweg vom Medieninhaber bis zum Käufer von der Gewerbeordnung ausgenommen. Die durch den Beschwerdeführer ausgeübte Tätigkeit sei ausschließlich pressebezogen und beschränke sich nicht allein auf den Transport von Zeitungen an bestimmte Ablageorte. Vielmehr würden die Tätigkeiten des Aufstellens und Anbringens der Verkaufstaschen, des Befüllens mit den bereitzustellenden periodischen Druckwerken sowie der Entgegennahme des Kaufpreises in untrennbarem Zusammenhang mit dem Abschluss und der Abwicklung des Kaufvertrages stehen. Eine einschränkende Auslegung der Ausnahmebestimmung über den Kleinverkauf könne – entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes Wien – auch nicht durch das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Verwaltungsübertretungen gerechtfertigt werden.

5.2. Schließlich sei auch bei einer Einordnung der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Verbreiten bzw Vertrieb periodischer Druckwerke bei einer gleichheitskonformen Interpretation davon auszugehen, dass die Ausnahmebestimmung des §2 Abs1 Z18 GewO 1994 anwendbar sei. Wenn der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Medienfreiheit ua das Verbreiten von periodischen Druckwerken durch das Medienunternehmen von der Anwendung der Gewerbeordnung ausnehme, könne es aus verfassungsrechtlicher Perspektive keinen Unterschied machen, ob dieses "Verbreiten" durch das Medienunternehmen des Medieninhabers selbst erfolge oder an die Stelle eines unter Umständen unrentablen eigenen Vertriebssystems der Vertrieb durch externe Dritte trete.

6. Der Magistrat der Stadt Wien und das Verwaltungsgericht Wien haben die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift bzw Äußerung jedoch abgesehen.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 – GewO 1994, BGBl 194/1994 (WV), idF BGBl I 65/2020 lauten auszugsweise wie folgt:

"I. Hauptstück

Allgemeine Bestimmungen

1. Geltungsbereich

(1) Dieses Bundesgesetz gilt, soweit nicht die §§2 bis 4 anderes bestimmen, für alle gewerbsmäßig ausgeübten und nicht gesetzlich verbotenen Tätigkeiten.

(2) Eine Tätigkeit wird gewerbsmäßig ausgeübt, wenn sie selbständig, regelmäßig und in der Absicht betrieben wird, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, gleichgültig für welche Zwecke dieser bestimmt ist; hiebei macht es keinen Unterschied, ob der durch die Tätigkeit beabsichtigte Ertrag oder sonstige wirtschaftliche Vorteil im Zusammenhang mit einer in den Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes fallenden Tätigkeit oder im Zusammenhang mit einer nicht diesem Bundesgesetz unterliegenden Tätigkeit erzielt werden soll.

(3) Selbständigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes liegt vor, wenn die Tätigkeit auf eigene Rechnung und Gefahr ausgeübt wird.

[...]

(1) Dieses Bundesgesetz ist – unbeschadet weiterer ausdrücklich angeordneter Ausnahmen durch besondere bundesgesetzliche Vorschriften – auf die in den nachfolgenden Bestimmungen angeführten Tätigkeiten nicht anzuwenden:

[…]

[…]

V. Hauptstück

Strafbestimmungen

(1) Eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe bis zu 3 600 € zu bestrafen ist, begeht, wer

[…]"

III. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Nach §366 Abs1 Z1 GewO 1994 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer ein Gewerbe ausübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben. Notwendige Voraussetzung für eine Bestrafung nach diesem Tatbestand ist jedoch, dass der Geltungsbereich der GewO 1994 eröffnet ist (vgl §1 GewO 1994). Die Gewerbeordnung gilt für alle gewerbsmäßig ausgeübten und nicht gesetzlich verbotenen Tätigkeiten, soweit nicht die §§2 bis 4 leg cit anderes bestimmen. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich mit der Frage der Selbstständigkeit des Beschwerdeführers – unter Heranziehung des dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegten Werkvertrages – hinreichend auseinandergesetzt und ist in vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass das inkriminierte Verhalten des Beschwerdeführers gewerbsmäßig iSd §1 Abs2 GewO 1994 erfolgt ist.

2. §2 Abs1 Z18 GewO 1994 nimmt bestimmte Arten bzw Tätigkeiten des "Pressegewerbes" vom Geltungsbereich der Gewerbeordnung aus. So sind deren Bestimmungen auf "die Herausgabe, das Herstellen und das Verbreiten periodischer Druckwerke durch das Medienunternehmen des Medieninhabers sowie auf den Kleinverkauf solcher Druckwerke" nicht anzuwenden. Für diese "pressebezogenen" Tätigkeiten ist demnach weder eine Anmeldung bei der zuständigen Gewerbebehörde noch eine gewerberechtliche Bewilligung erforderlich.

3. Die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verstößt gegen die Pressefreiheit (Art13 StGG, Art10 EMRK), wenn sie ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer verfassungswidrigen Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat. Denkunmöglichkeit liegt dann vor, wenn die Entscheidung mit einem so schweren Fehler belastet ist, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn dem Gesetz fälschlicherweise ein verfassungswidriger, die Pressefreiheit missachtender, Inhalt unterstellt wurde (vgl zu Art10 EMRK ua VfSlg 11.651/1987, 13.122/1992, 14.218/1995, 14.561/1996, 16.555/2002, 19.742/2013).

3.1. Ein solcher Fehler ist dem Verwaltungsgericht Wien bei der Anwendung der verfassungsrechtlich unbedenklichen Ausnahmeregelung des §2 Abs1 Z18 GewO 1994 unterlaufen:

3.1.1. Das Verwaltungsgericht Wien geht in seiner Entscheidung davon aus, die Aufgaben des Beschwerdeführers hätten – anders als jene eines Kolporteurs – keinen nennenswerten Bezug zur Abwicklung von Kaufverträgen und beträfen den Kern des Güterbeförderungsgewerbes. Das Verwaltungsgericht Wien erachtet dieses Auslegungsergebnis bereits auf Grund des Wortlautes des §2 Abs1 Z18 GewO 1994, jedenfalls aber auf Grund des "unmissverständlichen" Zwecks der Regelung der im Lichte der Medienfreiheit gebotenen, "verfassungskonformen" Behandlung des Pressegewerbes als zwingend: Die eigene unternehmerische Tätigkeit des Beschwerdeführers sei als solche "weder in organisatorischer noch in sachlicher Hinsicht Zielobjekt der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Presse- bzw Medienfreiheit".

3.1.2. Mit dieser Auffassung verkennt das Verwaltungsgericht Wien den Schutzbereich der Pressefreiheit in Bezug auf die Verbreitung und den Verkauf periodischer Druckwerke:

Die Pressefreiheit umfasst insoweit zunächst das in Art13 Abs2 StGG verankerte Verbot, den Betrieb der Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften an eine behördliche Bewilligung zu binden. Dieses sog Konzessionsverbot nimmt jedenfalls die Aufnahme und den Betrieb der gewerblichen Tätigkeit als Herausgeber vom Gebot einer präventiven behördlichen Genehmigung dieser Erwerbstätigkeit aus (vgl VfSlg 2362/1952). Bereits mit ArtV litp des Kundmachungspatents zur GewO 1859 wurde auch der "Verschleiß" periodischer Druckwerke, dh insbesondere von Zeitungen, vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommen. Der Gesetzgeber hat diese Ausnahme vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung vor dem Hintergrund der durch Art13 StGG im Jahr 1867 eingeführten Pressefreiheit aufrechterhalten (vgl die Erläut zur RV der GewO 1973, 395 BlgNR 13. GP, 189; aus der Literatur siehe dazu Stolzlechner et al , GewO 4 , 2020, §2 Rz 93; Schramek , §2 GewO, in: Ennöckl/Raschauer/Wessely [Hrsg.], GewO I, 2015, Rz 118). Die Ausnahmeregelung für bestimmte "pressebezogene" Tätigkeiten wurde durch §2 Abs1 Z18 GewO 1973 unter Ersetzung des Wortes "Verschleiß" durch "Kleinverkauf" übernommen. Damit sollte lediglich klargestellt werden, dass zwar der Kleinverkauf, nicht aber der Großhandel mit periodischen Druckschriften von den Bestimmungen der Gewerbeordnung ausgenommen ist (vgl die Erläut zur RV der GewO 1973, 395 BlgNR 13. GP, 108 f.). Die Distribution von periodischen Druckwerken an Letztverbraucher, dh insbesondere der Verkauf von Zeitungen an Letztverbraucher, wird seit jeher nicht von einer vorherigen gewerberechtlichen Genehmigung abhängig gemacht, und die gänzliche Ausnahme des Kleinverkaufes vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung bewirkt, dass auch kein gewerberechtlicher Anmeldevorbehalt zum Tragen kommt.

Die in Art13 Abs2 StGG normierte Pressefreiheit ist im Lichte von Art10 EMRK auszulegen. Die Meinungsfreiheit schützt gemäß Art10 EMRK den gesamten Prozess der Sammlung und Verbreitung von Informationen durch die Presse, insbesondere die journalistischen Gestaltungsmittel und Quellen sowie – was den hier relevanten Zusammenhang betrifft – ihre Distribution über beliebige Vertriebswege einschließlich der Verbreitung von Zeitungen an öffentlichen Orten (vgl Holoubek , Kommunikationsfreiheit, in Merten/Papier [Hrsg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2009, §195 Rz 12; Berka , Präambel, in: Berka et al [Hrsg.], Mediengesetz – Praxiskommentar 4 , 2019, Rz 12; Holoubek/Gärner/Grafl , Recht der Massenmedien, in: Holoubek/Potacs [Hrsg.], Öffentliches Wirtschaftsrecht I 4 , 2019, 1351, 1385; VfSlg 11.314/1987). Neben dem Medieninhaber und den ihm zuzurechnenden Personen sind auch externe Hilfskräfte, welche die Distribution periodischer Druckwerke an Letztverbraucher vornehmen, als vom Schutzbereich der Pressefreiheit erfasst anzusehen. Insbesondere die Tätigkeit von (selbständigen) Kolporteuren ist unzweifelhaft vom Schutzbereich der Pressefreiheit erfasst (vgl VfSlg 11.314/1987).

Vor diesem Hintergrund ist der Beurteilung des Verwaltungsgerichtes Wien, wonach bei der Tätigkeit des Beschwerdeführers – mit Blick auf die ausdrücklich im Lichte der Presse- bzw Medienfreiheit erfolgte Interpretation – der Transport der Zeitungen im Vordergrund stehe, nicht zu folgen:

Der Umstand, dass der spezifische Vertriebsweg des Verkaufes von Zeitungen an Letztverbraucher durch die Bereitstellung von Selbstbedienungstaschen auf Straßen auch den Transport dieser Verkaufsbehältnisse verlangt, reicht nicht hin, diese Tätigkeit vom Begriff Kleinverkauf und in der Folge vom Schutzbereich der Pressefreiheit gemäß Art13 Abs2 StGG gänzlich auszunehmen, wie dies das Verwaltungsgericht Wien als geboten erachtet (arg.: "weder in organisatorischer noch in sachlicher Hinsicht Zielobjekt der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Presse- bzw Medienfreiheit"). Im Lichte der Pressefreiheit kann es gerade nicht darauf ankommen, ob der Zeitungsverkauf an Letztverbraucher im Wege des Straßenverkaufes, an einem Zeitungsverkaufsstand oder – wie im vorliegenden Fall – über Selbstbedienungstaschen, dh über sogenannte "stumme Verkäufer", erfolgt. Es stellt ein Wesensmerkmal des Zeitungsverkaufes über Selbstbedienungseinrichtungen dar, dass beim konkreten Kaufabschluss nur der Letztverbraucher am Verkaufsort anwesend ist. Der Transport und das Aufstellen der Selbstbedienungseinrichtungen, das Befüllen der Verkaufstaschen sowie das Anbringen der Kassenbehälter stellen für das Zustandekommen des konkreten Zeitungsverkaufes notwendige und mit der Distribution an Letztverbraucher eng verbundene Arbeitsschritte dar, sodass die im vorliegenden Zusammenhang zu beurteilende Tätigkeit als vom Schutzbereich der Pressefreiheit gemäß Art13 Abs2 StGG umfasst anzusehen ist.

3.2. Indem das Verwaltungsgericht Wien davon ausging, die Tätigkeit des Beschwerdeführers habe "keinen nennenswerten Bezug zur Abwicklung von Kaufverträgen" und betreffe im Kern nicht die Pressefreiheit, hat es §2 Abs1 Z18 GewO 1994 einen denkunmöglichen Inhalt unterstellt.

3.3. Angemerkt sei, dass es dem Gesetzgeber nicht grundsätzlich verwehrt ist, die Distributionswege von Massenmedien aus Gründen öffentlicher Interessen zu beschränken (vgl EGMR 13.2.2003, Fall Cetin ua , Appl 40.153/98 und 40.160/98 [Z57 ff.]; 10.1.2006, Fall Halis Dogan , Appl 50.693/99 [Z34] mwN). Auch die Pressegewerbe können sonstigen – dh nicht von den absoluten Schranken des Konzessionsverbotes erfassten – Beschränkungen unterliegen (Art10 Abs2 EMRK). Ein damit verbundener Eingriff ist gemessen an Art13 StGG iVm Art10 Abs2 EMRK nur insofern zulässig, als er gesetzlich vorgesehen ist, nicht gegen ein absolutes Eingriffsverbot iSd Art13 Abs2 StGG (bzw Z2 Beschluss ProvNV) verstößt und zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet und verhältnismäßig ist (siehe zB Berka/Binder/Kneihs , Die Grundrechte 2 , 2019, 676; vgl zum Erfordernis einer Bewilligung zur Benützung einer öffentlichen Verkehrsfläche zu "verkehrsfremden" Zwecken zB VfSlg 11.651/1988, 11.733/1988).

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Pressefreiheit verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

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