V53/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. §5 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020, idF BGBl II Nr 107/2020 war gesetzwidrig.
II. Die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.
III. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit seinem auf Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag begehrt der Verwaltungsgerichtshof, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass
"§5 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020 idF BGBl II Nr 107/2020, gesetzwidrig war".
II. Rechtslage
§2 und §3 Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG) lauten in der Stammfassung BGBl I 12/2020:
"Betreten von bestimmten Orten
§2. Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die Verordnung ist
1. vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,
2. vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder
3. von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf den politischen Bezirk oder Teile desselben erstreckt.
Das Betretungsverbot kann sich auf bestimmte Zeiten beschränken.
Strafbestimmungen
§3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
(2) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß §1 untersagt ist, nicht betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 30 000 Euro zu bestrafen. Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte höchstens von der in der Verordnung genannten Zahl an Personen betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.
(3) Wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß §2 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen."
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes (im Folgenden: COVID-19-Maßnahmenverordnung-98), BGBl II 98/2020, idF BGBl II 107/2020 lauten auszugsweise wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):
"§1. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.
[…]
§5. Das Betreten von Sportplätzen ist verboten.
[…]
§7. (1) Diese Verordnung tritt mit 16. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 13. April 2020 außer Kraft.
(2) Die Änderungen durch die Novelle BGBl II Nr 107/2020 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft."
III. Anlassverfahren, Antrag und Vorverfahren
1. Beim Verwaltungsgerichtshof sind außerordentliche Revisionen der Bezirkshauptmannschaft Bregenz (im Folgenden: BH Bregenz) gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 16. Juni 2021, LVwG-1-211/2021-R8 sowie gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 16. Juni 2021, LVwG-1-210/2021-R8, beide betreffend ein Verwaltungsstrafverfahren nach dem COVID-19-MG, anhängig.
1.1. Den beiden Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg liegt jeweils ein Straferkenntnis der BH Bregenz vom 24. März 2021 zugrunde, wonach über die beiden Mitbeteiligten jeweils eine Geldstrafe in Höhe von € 145,– und für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von einem Tag und 18 Stunden verhängt wurde, weil sie am 24. März 2020 um 10:35 Uhr auf Höhe des Basketballplatzes bei den Klimmzugstangen in 6972 Fußach, Müß 99, einen Sportplatz betreten hätten, obwohl zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 das Betreten von Sportplätzen durch Verordnung gemäß §2 Z1 COVID-19-MG, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 108/2020 in der Zeit vom 20. März 2020 bis 13. April 2020 verboten sei.
1.2. Mit den beiden angefochtenen Erkenntnissen gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg den von den Mitbeteiligten erhobenen Beschwerden Folge, behob das jeweils angefochtene Straferkennntnis und stellte die Verwaltungsstrafverfahren ein, weil die ihnen vorgeworfenen Taten, nämlich das Betreten von Sportplätzen entgegen §5 der Verordnung gemäß §2 Z1 COVID-19-MG, zum Tatzeitpunkt keine Verwaltungsübertretung nach §3 Abs3 COVID-19-MG dargestellt hätten. Weiters sprach das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg jeweils aus, dass gegen die Erkenntnisse eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
1.3. Gegen diese Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg wurden die beiden außerordentlichen Revisionen der BH Bregenz als amtsrevisionswerbende Partei wegen Rechtswidrigkeit deren Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht.
1.4. Aus Anlass dieser Verfahren stellt der Verwaltungsgerichtshof, der diese Amtsrevisionen wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs verbunden hat, den vorliegenden Antrag gemäß §139 Abs1 Z1 B VG an den Verfassungsgerichtshof.
2. Der Verwaltungsgerichtshof führt zur Zulässigkeit seines Antrages im Wesentlichen aus, dass das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg bei seinen Entscheidungen §5 COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 anzuwenden gehabt habe, um zu prüfen, ob eine Verwaltungsübertretung stattgefunden hat. Die Entscheidung über beide Revisionen hänge daher von der angefochtenen Norm, nämlich §5 leg cit, ab. Der Verwaltungsgerichtshof gehe daher davon aus, dass diese Bestimmung in seinem Verfahren präjudiziell sei. Die Tatsache, dass §5 der erwähnten Verordnung mittlerweile außer Kraft getreten sei, hindere den vorliegenden Antrag nicht. Das Außerkrafttreten lasse nicht auf eine Änderung des Unwerturteils über die verbotene Handlung durch den Verordnungsgeber schließen.
3. Seine Bedenken im Hinblick auf das aus dem Gleichheitssatz ableitbare Sachlichkeitsgebot sowie das Determinierungsgebot nach Art18 B VG, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, legt der Verwaltungsgerichtshof auf das Wesentliche zusammengefasst wie folgt dar:
3.1. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes mangle es im Hinblick auf §5 der zitierten Verordnung an einer entsprechenden aktenmäßigen Dokumentation hinsichtlich der vom Verordnungsgeber gesetzten Maßnahme. In den vorgelegten Verordnungsakten werde in einem Dokument unter der Rubrik "Sachverhalt" lediglich ausgeführt, dass im Auftrag des Büros des Herrn Bundesministers die gegenständliche Verordnung dahingehend abgeändert werde, dass nunmehr ein Betretungsverbot explizit für Sportplätze, Spielplätze und ähnliche Einrichtungen gelte. In dem betreffenden Verwaltungsakt würden sich keine weiteren relevanten Ausführungen oder Unterlagen finden, sondern lediglich E-Mails bezüglich Überlegungen zu §3 der zitierten Verordnung sowie die vom zuständigen Bundesminister unterfertigte Verordnung, jeweils ohne Anmerkungen.
3.2. Es sei somit nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in den vorgelegten Verordnungsakten keinerlei aktenmäßige Dokumentation enthalten, welche als Entscheidungsgrundlage für die Erlassung der fraglichen Verordnungsbestimmung gedient habe, weshalb nicht ersichtlich sei, welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von COVID-19 den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung, das Betreten von Sportplätzen zu untersagen, geleitet haben.
3.3. Fehle es einer Verordnung an jeglicher aktenmäßigen Dokumentation jener Gründe, die die verordnungserlassende Behörde zur Setzung bestimmter Maßnahmen (im konkreten Fall der Anordnung des Verbotes des Betretens von Sportplätzen) veranlasst haben, sei die Verordnung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes schon aus diesem Grund gesetzwidrig (vgl etwa VfGH 9.3.2021, V530/2020).
3.4. Der Verwaltungsgerichtshof sei daher der Ansicht, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung mangels entsprechender aktenmäßiger Dokumentation seiner Entscheidungsgrundlagen seinen gesetzlichen Grundlagen nicht entsprechen dürfte und somit – weil zwischenzeitig außer Kraft getreten – aus diesem Grund gesetzwidrig gewesen wäre.
4. Die beim Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligten Parteien haben eine Äußerung erstattet und zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Erlassung der gegenständlichen Verordnung nicht die notwendigen Erkenntnisquellen vorgelegen hätten, um ein generelles Betretungsverbot von Sportplätzen zu rechtfertigen. Der Verordnungsgeber habe eine Beurteilung unterlassen, inwieweit das Betretungsverbot zur Verhinderung der COVID-19-Pandemie geeignet sei und ob nicht weniger beschränkende Maßnahmen ausreichend seien. §5 der zitierten Verordnung überschreite daher seine gesetzliche Ermächtigung, weshalb diese Bestimmung gesetzwidrig sei und gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freizügigkeit nach Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs3 4. ZPEMRK verstoße.
5. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat als verordnungserlassende Behörde ausgeführt, dass er im vorliegenden Fall – vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §§4 und 6 COVID-19-Maßnahmenverordnung-98, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 107/2020 (vgl VfSlg 20.398/2020) – ein inhaltliches Vorbringen für aussichtslos erachte. Dadurch solle jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die COVID-19-Maßnahmenverordnung-98, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 107/2020 inhaltlich als gesetz- oder verfassungswidrig angesehen werde. Hinsichtlich der auf die angefochtene Verordnung Bezug habenden Akten verweist der BMSGPK auf die entsprechenden Beilagen zum zur Zahl V350-354/2020 protokollierten Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. §5 COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 untersagt das Betreten von Sportplätzen. Dem Verwaltungsgerichtshof ist nicht entgegenzutreten, wenn er davon ausgeht, dass er im Anlassverfahren die – inzwischen außer Kraft getretene – Verordnung hinsichtlich des Betretungsverbotes von Sportplätzen anzuwenden hat (vgl VfGH 10.3.2021, V583/2020 ua mwN). Da der Verwaltungsgerichtshof mit Blick auf die den beiden Erkenntnissen zugrunde liegenden Verfahren denkmöglich bloß das Verbot, Sportplätze zu betreten, anzuwenden hat, ist der Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, dass §5 COVID-19-Maßnahmenverordnung-98, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 107/2020 gesetzwidrig war, zulässig.
1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist der Antrag zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist auch begründet:
2.2.1. Der antragstellende Verwaltungsgerichtshof hegt – auf das Wesentliche zusammengefasst – das Bedenken, das angefochtene Betretungsverbot von Sportplätzen würde nicht den gesetzlichen Vorgaben des §2 COVID-19-MG genügen. Insbesondere sei in den betreffenden Verordnungsakten keinerlei aktenmäßige Dokumentation enthalten und die einliegenden Schriftstücke entsprächen nicht der vom Verfassungsgerichtshof geforderten Dokumentationspflicht.
2.2.2. Der BMSGPK führt in seiner Äußerung zum Gegenstand in der Sache aus, dass er im vorliegenden Fall – vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §§4 und 6 COVID-19-Maßnahmenverordnung-98, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 107/2020 (vgl VfSlg 20.398/2020) – ein inhaltliches Vorbringen als aussichtslos erachte. Dadurch solle jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung inhaltlich als gesetz- oder verfassungswidrig angesehen werde. Trotz entsprechender Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes hat der BMSGPK keine Akten zum Zustandekommen der angefochtenen Verordnungsbestimmung gemäß §2 Z1 COVID-19-MG vorgelegt, sondern lediglich auf die entsprechenden Beilagen zum Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu V350-354/2020 verwiesen.
2.2.3. Die angefochtene Verordnungsbestimmung findet ihre gesetzliche Grundlage in §2 Z1 COVID-19-MG in der Stammfassung BGBl I 12/2020 (bis 4. April 2020) bzw idF BGBl I 23/2020 (ab 5. April 2020).
2.2.4. Der Verfassungsgerichtshof hat zu den Verordnungsermächtigungen des COVID-19-MG idF vor BGBl I 104/2020 bereits mehrfach ausgesprochen (siehe grundlegend VfSlg 20.399/2020; vgl weiters VfGH 1.10.2020, V405/2020; 10.3.2021, V583/2020 ua mwN), dass sie dem Verordnungsgeber einen Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen haben, ob und wieweit er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 auch erhebliche Grundrechtseinschränkungen für erforderlich hält, weshalb der Verordnungsgeber seine Entscheidung als Ergebnis einer Abwägung mit den einschlägigen grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen zu treffen hat. Der Verordnungsgeber ist nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes angesichts der inhaltlich weitreichenden Ermächtigung verpflichtet, die Wahrnehmung seines Entscheidungsspielraumes im Lichte der gesetzlichen Zielsetzungen insoweit nachvollziehbar zu machen, als er im Verordnungserlassungsverfahren festzuhalten hat, auf welcher Informationsbasis über die nach dem Gesetz maßgeblichen Umstände die Verordnungsentscheidung fußt und die vorgegebene Abwägungsentscheidung erfolgt ist. Die diesbezüglichen Anforderungen dürfen naturgemäß nicht überspannt werden; sie haben sich maßgeblich danach zu bestimmen, was in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Zeitfaktor entsprechende Bedeutung zu.
2.2.5. All dies hat der Verfassungsgerichtshof bei seiner Prüfung, ob die Verwaltungsbehörde den gesetzlichen Vorgaben bei Erlassung der angefochtenen Verordnung entsprochen hat, zu berücksichtigen. Damit sind für die Beurteilung des Verfassungsgerichtshofes insoweit der Zeitpunkt der Erlassung der entsprechenden Verordnungsbestimmung und die diesen zugrunde liegende aktenmäßige Dokumentation maßgeblich (vgl etwa VfGH 10.3.2021, V583/2020 ua).
2.2.6. In den betreffenden Verordnungsakten hinsichtlich der Novellierung der COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 liegt lediglich ein Dokument mit dem Titel "Sachverhalt zu 2020-0.187.005" vom 17. März 2020 ein. Daraus geht hervor, dass "[i]m Auftrag des Büro[s des BMSGPK]" die Verordnung dahingehend abgeändert werde, dass nunmehr ua ein "Betretungsverbot explizit für Sportplätze, Spielplätze und ähnliche Einrichtungen" normiert wird. Ausführungen oder Dokumentationen, denen zu entnehmen wäre, welche Gründe die Entscheidungsträger zur Erlassung des Betretungsverbotes von Sportplätzen geleitet haben und die es ermöglichen würden, im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und im Hinblick auf die gesetzliche Grundlage des §2 COVID-19-MG diese Entscheidung nachvollziehbar zu machen, finden sich im Verordnungsakt nicht.
Der Umstand allein, dass mit §2 COVID-19-MG ausdrücklich eine gesetzliche Grundlage geschaffen wurde, durch Verordnung das "Betreten von bestimmten Orten" – so auch von Sportplätzen – zu untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist, ersetzt eine Dokumentation mit dem Ziel der Nachvollziehbarkeit der Erforderlichkeit des Verbotes gerade nicht (vgl auch VfGH 15.12.2021, V229/2021 zum Betretungsverbot von Kinderspielplätzen im Stadtgebiet von Graz).
2.2.7. Der Verordnungsgeber hat es somit gänzlich unterlassen, jene Umstände, die ihn bei Einführung eines Betretungsverbotes von Sportplätzen bestimmt haben, im oben dargelegten Sinne zu dokumentieren. Für den Verfassungsgerichtshof ist daher nicht nachvollziehbar, welche Entscheidungsgrundlagen den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung geleitet haben und weshalb die verordnungserlassende Behörde die mit der angefochtenen – bereits außer Kraft getretenen – Bestimmung getroffene Maßnahme für erforderlich gehalten hat. Deshalb ist festzustellen, dass §5 COVID-19-Maßnahmenverordnung-98 gesetzwidrig war.
2.2.8. Die angefochtene Verordnungsbestimmung ist gemäß §13 Abs2 Z2 COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl II 197/2020, mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft getreten. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art139 Abs4 B VG auf die Feststellung zu beschränken, dass die angefochtene Bestimmung gesetzwidrig war.
V. Ergebnis
1. Es ist daher festzustellen, dass §5 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020, idF BGBl II 107/2020 gesetzwidrig war.
2. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlasst, von der ihm durch Art139 Abs6 zweiter Satz B VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die unter Punkt 1. genannte Verordnungsbestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B VG und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Den beteiligten Parteien sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, da es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (vgl VfSlg 19.019/2010 mwN).