E4568/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein aus Kirkuk stammender Staatsangehöriger des Irak, gehört der kurdischen Volksgruppe an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte er am 13. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 9. Oktober 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, und setzte eine vierzehntägige Frist zur freiwilligen Ausreise.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 11. November 2021 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht verneinte eine asylrelevante Verfolgung, da der Beschwerdeführer eine solche nicht glaubhaft machen habe können. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erachtete das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben, da auf Grund des festgestellten Sachverhaltes eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak keine reale Gefahr einer Verletzung von Art3 EMRK bedeuten würde.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
A. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr der Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 der Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Neben der politischen Lage bzw Sicherheitslage im Herkunftsland können das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit einer Versorgung im Zielstaat unter dem Gesichtspunkt des Art3 EMRK relevant sein (vgl VfSlg 19.602/2011 mwN).
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung davon aus, dass die Situation im Irak und insbesondere in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, Kirkuk, auf Grund regelmäßiger Anschläge als angespannt zu betrachten sei. Es werde häufig von Anschlägen des sogenannten Islamischen Staates (IS) berichtet und den aktuellen Länderinformationen sei zu entnehmen, dass die Aktivitäten des IS in einigen Gebieten des Gouvernements Kirkuk wieder zunähmen. Jedoch finde der Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle außerhalb der Stadt, insbesondere im Süden der Provinz, statt. Die Lage in Kirkuk-Stadt sei hingegen so sicher wie schon lange nicht mehr.
2.3. Zur Sicherheitslage in Kirkuk werden in der angefochtenen Entscheidung auszugsweise das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak (Version 4, 15. Oktober 2021), die EASO-Country Guidance: Iraq, common analysis and guidance note (Jänner 2021), die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak, Kirkuk, Sicherheitslage, Lage von sunnitischen Turkmenen, Lage von Frauen vom 28. April 2021 und zur Sicherheits- und Menschenrechtslage in Kirkuk vom 2. April 2020 sowie der EASO-Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Sicherheitslage (Oktober 2020) wiedergegeben. Diesen ist mit Blick auf Kirkuk im Wesentlichen zu entnehmen, dass sich Zellen des IS im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert hätten und Aktivitäten des IS in vielen Gebieten der Gouvernements Salah ad Din, Kirkuk, Anbar und Ninewa zunähmen. Das Gouvernement Kirkuk gehöre neben Salah ad Din zu den Schwerpunkten des IS. Angriffe seien unter anderem in Form von IED-Bombenanschlägen gegen Zivilisten in der Stadt Kirkuk, Mörsergranaten in Dörfern und Städten, Bomben und explosiven Sprengfallen, Entführungen von Bauern gegen Lösegeld und Erpressung von Zivilisten erfolgt. Weiters seien IS-Anschläge auf Zivilpersonen und Sicherheitskräfte entlang der Hauptstraßen der Provinz gemeldet worden. Der IS stelle nach wie vor eine erhebliche Bedrohung für die Sicherheit im Irak dar, vor allem in den nördlichen Provinzen. Die interethnischen Spannungen hielten ebenfalls an. Auch Kurden außerhalb der Kurdischen Region im Irak seien von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen betroffen.
2.4. Vor dem Hintergrund dieser in das Verfahren eingeführten Länderinformationen kann dem Bundesverwaltungsgericht nicht gefolgt werden, wenn es den Herkunftsort Kirkuk für eine Rückkehr des Beschwerdeführers als hinreichend sicher erachtet (vgl VfGH 22.9.2021, E1070/2021; 30.11.2021, E3746/2021; 15.12.2021, E3375/2021; 18.3.2022, E4409/2020).
2.5. Soweit sich die Entscheidung auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, auf die Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung unter Setzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie somit mit Willkür belastet und insoweit aufzuheben.
B. Im Übrigen, also soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde – soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.