JudikaturVfGH

E3846/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
14. Juni 2022

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer stellte am 21. Juli 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte vor, dass er Angehöriger der Volksgruppe der Rohingya sei und daher in Myanmar und Bangladesch verfolgt werde.

2. Mit Bescheid vom 24. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei und setzte eine Frist zur freiwilligen Ausreise.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 8. September 2021 als unbegründet ab. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine Bedrohung "aus einer nicht nachvollziehbaren Abstammung von Rohingyas oder aus politischen Gründen" glaubhaft zu machen. Diese Beurteilung gründet das Bundesverwaltungsgericht auf folgende, auszugsweise wiedergegebene Feststellungen:

"Festgestellt wird, dass die Identität des BF nicht geklärt ist.

Festgestellt wird, dass der volljährige BF behauptet in Myanmar geboren zu sein, vermutlich am 01.03.1984, und dass er mit seiner Familie im Jahr 1992 nach Bangladesch in ein Camp gekommen sei.

Der BF legte zum Beweis seiner Abstammung ein Rohingya-Familienbuch vor, welches jedoch Zweifel an seiner Abstammung bewirkte. Festgestellt wird, dass das Familienbuch Kennzeichen einer repatriierten Familie aufwies. […]

Es wird nicht festgestellt, dass der BF ein Rohingya ist.

Festgestellt wird hingegen, dass der BF unter der Vorlage eines als offensichtlich 'repatriiert' gekennzeichneten Familienbuches eine Abstammung aus Myanmar behauptet.

Der BF hat sonst keinerlei Identitätsnachweise vorgelegt, somit sind auch das behauptete Geburtsdatum und der Name des BF rein deklaratorisch.

Festgestellt wird, dass Dokumente jeglicher Art, somit auch (repatriierte) Familienbücher von Rohingyas, in Bangladesch ohne Probleme erworben werden können (Länderinformation).

Festgestellt wird, dass der BF nicht glaubhaft darlegen konnte, weshalb er im Besitz des originalen Familienbuches ist. Festgestellt wird, dass immer der Vater des BF das Familienbuch verwahrte. Festgestellt wird, dass die Familie das Familienbuch für die Unterstützungen (Essen, Kleidung, medizinische Versorgung etc.) im Camp benötigt hätte.

Festgestellt wird, dass der BF nach seinen Angaben nicht politisch tätig war und keiner Partei angehörte.

Festgestellt wird, dass gegen den BF keine Anzeige und kein Haftbefehl existiert, sowie, dass der BF nicht von einem Gericht oder der Polizei gesucht wird.

Festgestellt wird, dass der BF 'nicht direkt' von angeblichen Regierungsanhängern zu Attentaten angestiftet wurde und nach seinen Angaben auch keines verübte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF von bengalischen Behörden gesucht wird.

Ein weiteres konkretes, die Flucht auslösendes Vorbringen wurde nicht erstattet.

Es wird auf Grund der aktuellen Länderberichte festgestellt, dass im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch der BF einer unmittelbaren (staatlichen) Bedrohung nicht ausgesetzt ist. Einer allfälligen Belästigung durch die Familie der Ehefrau könnte der BF durch innerstaatliches Ausweichen begegnen. "

Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hält das Bundesverwaltungsgericht für nicht gegeben.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der ua die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, dass das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass er nicht der Volksgruppe der Rohingya angehöre und nicht ausreichend ermittelt habe, welche Gefahren ihm bei einer Rückkehr nach Bangladesch drohen würden.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

3. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

4. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

5. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

6. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya in Bangladesch der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt sei. Als Beleg für seine Zugehörigkeit legte er ein sogenanntes "Familienbuch" vor. Er sei in Myanmar geboren und als Kind mit seiner Familie nach Bangladesch in ein Camp gekommen. In weiterer Folge sei er an eine bengalische Familie verkauft worden, bei der er aufgewachsen sei. In Bangladesch habe er später in einem kleinen Geschäft und als Hilfsarbeiter gearbeitet. 2011 habe er eine Bengalin geheiratet, sei jedoch von ihrer Familie bedroht worden. Regierungsanhänger hätten außerdem versucht, ihn zu einem Attentat anzustiften und gedroht, ihn widrigenfalls zur Polizei zu bringen.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führt zur Person des Beschwerdeführers aus, dass dessen Identität nicht geklärt sei, nicht festgestellt werde, ob der Beschwerdeführer ein Rohingya sei und festgestellt werde, dass dieser behaupte, in Myanmar geboren zu sein. In der rechtlichen Beurteilung geht das Bundesverwaltungsgericht demgegenüber bei der Asylrelevanz des Vorbringens davon aus, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen bengalischen Staatsangehörigen "als solcher ist der BF anzusehen" handelt, ohne in der Beweiswürdigung darzulegen, wie es zu dieser (dislozierten) Feststellung gelangt, obwohl der Beschwerdeführer angab, er sei staatenlos. Auf Grund dieser widersprüchlichen Ausführungen zur Person des Beschwerdeführers ist für den Verfassungsgerichtshof nicht ersichtlich, von welchen Annahmen das Bundesverwaltungsgericht ausgeht (vgl VfGH 29.11.2021, E3695/2021; 1.3.2022, E3799/2021).

8. Hinzu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen zum Teil im Konjunktiv trifft bzw die Aussagen des Beschwerdeführers bloß wiedergibt ("Festgestellt wird, dass der BF behauptet"; "Festgestellt wird, dass der BF selbst darlegte"). Bei dieser Vorgehensweise ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar, welches Vorbringen vom Bundesverwaltungsgericht als glaubhaft erachtet wurde und worauf sich in weiterer Folge die Beurteilung dieses Vorbringens als nicht glaubhaft stützt. Das Erkenntnis ist daher einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich und folglich mit Willkür belastet (vgl VfGH 25.2.2021, E2687/2020; 29.11.2021, E3695/2021; 1.3.2022, E3799/2021).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Rückverweise