G378/2021 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Wortfolge "51 Abs1" in §34 Abs2, die Wortfolge "und Wohnkostenbeihilfe" sowie der Satz "Diese hat den Antrag an das Heerespersonalamt weiterzuleiten." in §34 Abs3, §34 Abs4 und die Wortfolge "§34 Abs3" in §77 Abs1 Z2 Zivildienstgesetz 1986, BGBl Nr 679 (WV), idF BGBl I Nr 163/2013 werden als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2023 in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Die aufgehobenen Bestimmungen sind nicht mehr anzuwenden.
V. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Entscheidungsgründe
I. Anträge
Mit den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B VG gestützten Anträgen begehrt das Bundesverwaltungsgericht,
"die Wortfolge '51 Abs1' in §34 Abs2 ZDG, die Wortfolgen 'und Wohnkostenbeihilfe' und 'Diese hat den Antrag an das Heerespersonalamt weiterzuleiten.' in §34 Abs3 ZDG, §34 Abs4 sowie die Wortfolge '§34 Abs3' in §77 Abs1 Z2 ZDG
in eventu
die Wortfolgen 'Bestimmungen des 5. Hauptstückes des HGG 2001 sowie dessen' und '51 Abs1' in §34 Abs2 ZDG, die Wortfolgen 'und Wohnkostenbeihilfe' und 'Diese hat den Antrag an das Heerespersonalamt weiterzuleiten.' in §34 Abs3 ZDG, §34 Abs4 sowie die Wortfolge '§34 Abs3' in §77 Abs1 Z2 ZDG
in eventu
die Wortfolge '51 Abs1' in §34 Abs2 ZDG, §34 Abs3 erster und dritter Satz ZDG, §34 Abs4 ZDG sowie die Wortfolge '§34 Abs3' in §77 Abs1 Z2 ZDG;
in eventu
die Wortfolgen 'Bestimmungen des 5. Hauptstückes des HGG 2001 sowie dessen' und '51 Abs1' in §34 Abs2 ZDG, §34 Abs3 erster und dritter Satz ZDG, §34 Abs4 sowie die Wortfolge '§34 Abs3' in §77 Abs1 Z2 Zivildienstgesetz 1986
als verfassungswidrig aufzuheben".
II. Rechtslage
Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die mit dem jeweiligen Hauptantrag angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
§34 ZDG, BGBl 679/1986 (WV), idF BGBl I 163/2013 und §77 Abs1 ZDG, BGBl 679/1986 (WV), idF BGBl I 146/2015 lauten (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"§34. (1) Der Zivildienstpflichtige, der
1. einen ordentlichen Zivildienst oder
2. einen außerordentlichen Zivildienst gemäß §8a Abs6 im Anschluss an einen in Z1 genannten Zivildienst leistet,
hat Anspruch auf Familienunterhalt, Partnerunterhalt und Wohnkostenbeihilfe, wie er einem Wehrpflichtigen nach §23 HGG 2001 zusteht.
(2) Auf den Familienunterhalt, den Partnerunterhalt und die Wohnkostenbeihilfe sind die Bestimmungen des 5. Hauptstückes des HGG 2001 sowie dessen §§50, 51 Abs1 , 54 Abs1 bis 5 und 55 nach Maßgabe des Abs3 anzuwenden. Dabei treten an die Stelle
1. der militärischen Dienststelle die Einrichtung, die im Zuweisungsbescheid angegeben ist (§11 Abs1) und
3. der Wirksamkeit der Einberufung im Sinne des §23 Abs3 HGG 2001 die Genehmigung des Zuweisungsbescheides.
(3) Zur Erlassung von Bescheiden über Familienunterhalt, Partnerunterhalt und Wohnkostenbeihilfe von Zivildienstpflichtigen ist das Heerespersonalamt zuständig. Der Antrag auf Zuerkennung oder Änderung von Familienunterhalt, Partnerunterhalt oder Wohnkostenbeihilfe kann auch bei der Gemeinde eingebracht werden, in der der Zivildienstpflichtige seinen Hauptwohnsitz hat. Diese hat den Antrag an das Heerespersonalamt weiterzuleiten. Die Auszahlung des Familienunterhalts, des Partnerunterhaltes und der Wohnkostenbeihilfe erfolgt durch die Zivildienstserviceagentur. Die dem Zivildienstleistenden gebührenden Geldleistungen sind so rechtzeitig zu überweisen, dass ihm diese am Dienstantrittstag für den laufenden Monat, für die übrige Zeit jeweils am ersten jeden Monats im Voraus zur Verfügung stehen.
(4) Über Beschwerden gegen Bescheide des Heerespersonalamtes gemäß Abs3 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht. "
"§77. (1) Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist hinsichtlich
1. des §10 Abs3, §37a Abs3, §44, §45, §47, §52 Abs2 sowie §54 Abs1 die Bundesregierung;
2. des §5 Abs1 bis 3, 4 letzter Halbsatz, §6 Abs5, §32 Abs6, §34 Abs3 sowie §76a Abs2 der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport;
3. des §5a Abs3 Z1 der Bundesminister für Landesverteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Inneres,
4. des §38 Abs4 der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Soziales,
5. des §12a Abs1 der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler,
6. der §§5a Abs2, 24, 42, 58 bis 60 und 71 der Bundesminister für Justiz.
7. der §§33 und 35 der Bundesminister für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Inneres,
8. des §55 Abs2 der Bundesminister für Arbeit und Soziales oder für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, je nach Art der Einrichtung,
9. der §§51 Abs1 letzter Satz und Abs2 zweiter Satz und 57 Abs1 der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen,
10. des §72 entweder die Bundesregierung oder der Bundesminister für Finanzen oder der Bundesminister für Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen, je nachdem, auf welche Gebühr oder Abgabe sich diese Bestimmung bezieht, und
11. der übrigen Bestimmungen der Bundesminister für Inneres
betraut.
[…]"
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Den Anträgen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden mit Bescheiden der Zivildienstserviceagentur näher genannten Einrichtungen zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes zugewiesen. Mit Bescheiden des Heerespersonalamtes wurden ihre Anträge auf Zuerkennung der Wohnkostenbeihilfe gemäß §34 ZDG iVm §31 HGG 2001 (teilweise) abgewiesen. Aus Anlass der dagegen erhobenen Beschwerden stellte das Bundesverwaltungsgericht die vorliegenden Gesetzesprüfungsanträge.
2. Das Bundesverwaltungsgericht verweist zur Begründung seiner Anträge auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 2021, G47/2021 ua. Angesichts der darin festgestellten Verfassungswidrigkeit der Zuständigkeit des Heerespersonalamtes zur Entscheidung über Entschädigungsansprüche Zivildienstleistender hege das antragstellende Gericht auch Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der gemäß §34 Abs2 und 3 ZDG iVm §51 Abs1 HGG 2001 vorgesehenen Zuständigkeit des Heerespersonalamtes zur Entscheidung über Ansprüche auf Wohnkostenbeihilfe Zivildienstleistender.
3. Die Bundesregierung hat im zur Zahl G378/2021 protokollierten Verfahren eine Äußerung erstattet, in der dem Antrag des Bundesverwaltungsgerichtes der Sache nach nicht entgegengetreten wird. Im Hinblick auf die Zulässigkeit des Antrages wird angemerkt, dass im Fall der Aufhebung der Zeichenfolge "§51 Abs1" in §34 Abs2 ZDG im verbleibenden Gesetzestext ein überflüssiger Beistrich bestehen bliebe. Soweit mit dem ersten und dritten Eventualantrag auch die Wortfolge "Bestimmungen des 5. Hauptstückes des HGG 2001 sowie dessen" in §34 Abs2 leg cit angefochten werde, hätte dies zur Folge, dass im verbleibenden Gesetzestext der notwendige Verweis auf das Heeresgebührengesetz entfiele, sodass sich die in §34 Abs2 leg cit enthaltenen Verweise auf (nicht einschlägige) Bestimmungen des Zivildienstgesetzes bezögen, wodurch die Bestimmung einen unverständlichen Inhalt erhielte.
4. Der Verfassungsgerichtshof führte – im Hinblick auf §19 Abs3 Z4 VfGG – zu den zu G16/2022, G27/2022, G44/2022 und G179/2022 protokollierten Anträgen des Bundesverwaltungsgerichtes kein weiteres Verfahren durch.
IV. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:
1. Zur Zulässigkeit der Anträge
1.1. Die jeweiligen (gleichlautenden) Hauptanträge des Bundesverwaltungsgerichtes, mit denen die Aufhebung der Wortfolge "51 Abs1" in §34 Abs2, der Wortfolge "und Wohnkostenbeihilfe" sowie des Satzes "Diese hat den Antrag an das Heerespersonalamt weiterzuleiten." in §34 Abs3, §34 Abs4 sowie die Wortfolge "§34 Abs3" in §77 Abs1 Z2 ZDG begehrt wird, sind zulässig.
Zwar wird die zur Anfechtung begehrte Fassung der jeweiligen Bestimmungen in den Anträgen nicht bezeichnet, jedoch werden die maßgeblichen Rechtsvorschriften (darunter auch die angefochtenen Bestimmungen) in den Anträgen des Bundesverwaltungsgerichtes abgedruckt, sodass eindeutig zu erkennen ist, dass die Anfechtung der genannten Bestimmungen in der Fassung BGBl I 163/2013 begehrt wird (vgl VfGH 7.3.2022, G201/2021 ua).
An der Zulässigkeit der Hauptanträge ändert auch der von der Bundesregierung monierte Umstand, dass infolge der Aufhebung der Zeichenfolge "51 Abs1" ein überflüssiger Beistrich in §34 Abs2 ZDG bestehen bleibe (wie dies im Übrigen auch infolge der Aufhebung der Zeichenfolge "§34 Abs3" in §77 Abs1 Z2 ZDG der Fall ist), nichts (vgl VfSlg 16.893/2003, 17.943/2006).
Soweit sich das Bundesverwaltungsgericht zur Begründung seiner Anträge im Wesentlichen auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 2021, G47/2021 ua, beruft und die darin enthaltenen Begründungselemente wörtlich zitiert, kann darin ebenfalls kein die Zulässigkeit der Anträge beeinträchtigender Mangel erkannt werden (vgl zur Zulässigkeit der Darlegung der Bedenken durch bloße Verweisung auf Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 8308/1978, 11.859/1988, 12.648/1991, 16.780/2003).
1.2. Damit erübrigt es sich, auf die Eventualanträge einzugehen.
2. In der Sache
2.1. Die Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes sind auch begründet.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 17. Juni 2021, G47/2021 ua, festgestellt, dass "angesichts des vom Verfassungsgesetzgeber vorgefundenen und zugrunde gelegten Systems der seit der ZDG-Novelle 1994, BGBl 187, im Verfassungsrang bestehenden Norm des §1 Abs5 ZDG die Bedeutung beizumessen ist, dass (auch) sämtliche im Zusammenhang mit dem Zivildienst stehende Verwaltungsaufgaben nicht von Behörden besorgt werden dürfen, die – wie das Heerespersonalamt – organisatorisch dem Bundesminister für militärische Landesverteidigung unterstehen, zumal diese Behörde funktionell den Zwecken des Bundesheeres dient". Die in §34b Abs2 ZDG enthaltene Regelung, die die Zuständigkeit zur Entscheidung über Entschädigungsansprüche außerordentlicher Zivildienstleistender an das Heerespersonalamt übertrug, wurde daher als verfassungswidrig aufgehoben.
2.3. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinen Anträgen zutreffend darlegt, sind die dargestellten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes in gleicher Weise auch auf die in den vorliegenden Verfahren angefochtenen Bestimmungen, die die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Anspruch auf Wohnkostenbeihilfe Zivildienstleistender dem Heerespersonalamt zuweisen, zu übertragen.
V. Ergebnis
1. Die Wortfolge "51 Abs1" in §34 Abs2, die Wortfolge "und Wohnkostenbeihilfe" sowie der Satz "Diese hat den Antrag an das Heerespersonalamt weiterzuleiten." in §34 Abs3, §34 Abs4 und die Wortfolge "§34 Abs3" in §77 Abs1 Z2 ZDG, BGBl 679/1986 (WV), idF BGBl I 163/2013 sind daher wegen Verstoßes gegen §1 Abs5 ZDG, BGBl 679/1986 (WV), idF BGBl I 106/2005 als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B VG.
3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B VG.
4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.