E4052/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungs-würdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Somalia und gegen den Ausspruch, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger. Am 23. Juni 2015 stellte er im Bundesgebiet erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, weil er im Herkunftsland Verfolgung durch verfeindete Clans fürchte. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde der Antrag zur Gänze abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Jänner 2020 ebenfalls abgewiesen.
Am 1. Oktober 2020 stellte der Beschwerdeführer in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz, woraufhin er nach Österreich rücküberstellt wurde und am 9. April 2021 einen Folgeantrag stellte. Ergänzend zum Vorbringen im Erstverfahren brachte er vor, dass seine Eltern, die im Herkunftsland gelebt hätten, mittlerweile von einer verfeindeten Gruppierung ermordet worden seien. Zudem gab er im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA an, Einschlafprobleme zu haben und diese medikamentös zu behandeln.
2. Mit Bescheid vom 25. August 2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Status des Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten gemäß §68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ihm wurde keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß §57 AsylG 2005 erteilt, gegen ihn wurde gemäß §10 Abs1 Z3 leg cit iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia gemäß §46 leg cit zulässig ist und gemäß §55 Abs1a leg cit keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt.
In der dagegen erhobenen Beschwerde wies der Beschwerdeführer darauf hin, "dass er psychisch erkrankt ist und psychiatrische Behandlung in Anspruch nehmen muss und regelmäßig Medikamente einnehmen muss. Er hat die belangte Behörde auf diesen Umstand hingewiesen und auch vorgebracht, welche Medikamente er einnehmen muss. Er hatte zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides keinen medizinischen Befund, jedoch wurde am Tag der Bescheiderlassung und noch vor Bescheidzustellung ein psychologischer Befundbericht der klinischen Psychologin seiner Grundversorgungseinrichtung verfasst, welcher dieser Beschwerde beiliegt." Aus dem erwähnten Befundbericht vom 25. August 2021 geht hervor, dass der Beschwerdeführer an Konzentrations- und Schlafstörungen leide. Er erfahre paranoide Einstellungen gegenüber anderen Menschen und habe Angst, attackiert oder vergiftet zu werden. Zwar habe er keine Suizidgedanken, jedoch mehrmals daran gedacht, sich die Hände abzuschneiden. Trotz medikamentöser Behandlung mit näher bezeichneten Beruhigungsmitteln und Antidepressiva habe sich die Symptomatik verschlechtert.
3. Mit Erkenntnis vom 21. September 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers führt es wie folgt aus:
"Hinsichtlich des Gesundheitszustandes des BF sind ebenfalls keine wesentlichen Änderungen seit rechtskräftigem Abschluss seines vorangegangenen Asylverfahrens eingetreten, sodass [dies] keine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung sein[e]r Rechte nach Art3 EMRK bedeuten würde. […] Zum Vorbringen, wonach er Medikamente zum Einschlafen nehme - ohne jedoch eine Diagnose nennen zu können bzw einen Befund vorzulegen - ist anzumerken, dass hiebei keine derartig schweren gesundheitlichen Beschwerden vorliegen, welche eine Rückkehr in den Herkunftsstaat unmöglich machen würden."
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
Begründend wird im Wesentlichen erneut auf den Befundbericht der klinischen Psychologin vom 25. August 2021 sowie auf den Umstand hingewiesen, dass dieser im angefochtenen Erkenntnis keine Erwähnung finde. Das Bundesverwaltungsgericht habe seine Ermittlungspflicht verletzt, indem es von näheren Nachforschungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers – mittels Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder Einholung eines fachärztlichen Gutachtens – abgesehen habe. Bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung und nach wie vor befinde sich der Beschwerdeführer in therapeutischer und medizinischer Behandlung. Das Bundesverwaltungsgericht habe es verabsäumt, vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte – die eine äußerst mangelhafte medizinische Versorgungslage in Somalia skizzierten – die Auswirkungen der Erkrankung des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr in sein Herkunftsland sowie das Bestehen entsprechender Behandlungsmöglichkeiten zu erörtern.
5. Die belangte Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung aber Abstand genommen.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch ebenfalls abgesehen und auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
II. Erwägungen
A. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und den Ausspruch, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, richtet, begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind angesichts eines Folgeantrages im Asylverfahren Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (vgl zB VfGH 27.2.2020, E4327/2019; 10.3.2020, E611/2020 jeweils mwN).
2.2. Der Beschwerdeführer hat bereits im Rahmen der Einvernahme im verwaltungsbehördlichen Verfahren darauf hingewiesen, dass er an einer psychischen Erkrankung leide. Zugleich hat er die Verpackungen der ihm verschriebenen Medikamente vorgelegt. Mit Einbringung der Beschwerde wurde – unter Hinweis auf den Befundbericht einer klinischen Psychologin – erneut die psychische Beeinträchtigung des Beschwerdeführers thematisiert. Der dem Bundesverwaltungsgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung somit vorliegende Bericht gibt darüber Auskunft, dass sich der Beschwerdeführer wegen Schlaf-, Konzentrations- und Motivationsschwierigkeiten sowie Problemen im sozialen Zusammenleben auf Grund paranoider Einstellungen gegenüber seinen Mitmenschen in psychologischer Behandlung befindet und Medikamente einnimmt. Dennoch hat sich seine Symptomatik verschlechtert.
Diese (im vorangegangenen Verfahren nicht hervorgetretenen) Sachverhaltselemente werden vom Bundesverwaltungsgericht nicht ansatzweise einer Würdigung unterzogen. Dies obgleich des Umstandes, dass aus den dem Erkenntnis zugrunde liegenden Länderberichten ersichtlich ist, dass die medizinische Versorgungslage im gesamten Herkunftsstaat äußerst mangelhaft ist und die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt zählt.
2.3. Für den Verfassungsgerichtshof ist nicht nachvollziehbar, inwiefern das Bundesverwaltungsgericht, angesichts der vorgebrachten und mittels psychologischem Befundbericht untermauerten psychischen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit einschlägigen und aktuellen Länderberichten zu Somalia, zum Ergebnis gelangt, dass sich seit dem Abschluss des ersten Asylverfahrens keine wesentlichen Sachverhaltsänderungen ergeben hätten (zur Ermittlungspflicht bezüglich des Verdachts auf Krankheiten und ihre Behandelbarkeit im Herkunftsstaat vgl zB VfGH 25.2.2019, E4141/2018 ua mwN; 11.6.2019, E3796/2018; 9.3.2021, E3791/2020; 18.3.2022, E948/2021 mwN).
2.4. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes liegt somit hinsichtlich der bei jedem Antrag auf internationalen Schutz (erneut) vorzunehmenden Refoulementprüfung kein unveränderter Sachverhalt vor, der die Zurückweisung des Antrages wegen entschiedener Sache rechtfertigen könnte. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen und dadurch sein Erkenntnis mit Willkür belastet.
B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Somalia und gegen den Ausspruch, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, abgewiesen wurde, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass insoweit auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.