JudikaturVfGH

V316/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
18. März 2022

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol die Feststellung, dass §4 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 18. März 2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl 33/2020, in eventu §4 Abs1, Abs2, Abs4 und Abs5 dieser Verordnung gesetzwidrig war.

II. Rechtslage

1. §2 und §4 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 16/2020 (§4) lauteten wie folgt:

"Betreten von bestimmten Orten

§2. Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die Verordnung ist

1. vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,

2. vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder

3. von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf den politischen Bezirk oder Teile desselben erstreckt.

Das Betretungsverbot kann sich auf bestimmte Zeiten beschränken.

Inkrafttreten

§4. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.

(2) Hat der Bundesminister gemäß §1 eine Verordnung erlassen, gelangen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, betreffend die Schließung von Betriebsstätten im Rahmen des Anwendungsbereichs dieser Verordnung nicht zur Anwendung.

(3) Die Bestimmungen des Epidemiegesetzes 1950 bleiben unberührt.

(4) Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes können vor seinem Inkrafttreten erlassen werden, dürfen jedoch nicht vor diesem in Kraft treten."

2. §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, lautete in der Stammfassung wie folgt:

"§3. (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt.

(2) Abs1 gilt nicht für Gastgewerbetriebe, welche innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:

1. Kranken-und Kuranstalten;

2. Pflegeanstalten und Seniorenheime;

3. Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und Kindergärten;

4. Betrieben, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige genützt werden dürfen.

(3) Abs1 gilt nicht für Beherbergungsbetriebe, wenn in der Betriebsstätte Speisen und Getränke ausschließlich an Beherbergungsgäste verabreicht und ausgeschenkt werden.

(4) Abs1 gilt nicht für Campingplätze und öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn dort Speisen und Getränke ausschließlich an Gäste des Campingplatzes bzw öffentlicher Verkehrsmitteln verabreicht und ausgeschenkt werden.

(5) Abs1 gilt nicht für Lieferservice."

Der Verfassungsgerichtshof stellte mit Erkenntnis vom 29. September 2021, V188/2021 ua, fest, dass §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, gesetzwidrig war, und sprach gemäß Art139 Abs6 zweiter Satz B VG aus, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

3. Die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 18. März 2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes (im Folgenden: Verordnung des LH von Tirol), LGBl 33/2020, kundgemacht am 18. März 2020, lautete auszugsweise wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Auf Grund von §2 Z2 des Covid-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, wird verordnet:

§1

(1) Zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte im gesamten Landesgebiet nach Maßgabe der §§2 bis 5 unter Gewährleistung der Versorgungssicherheit und des freien Warenverkehrs für alle Gemeinden verboten.

(2) Durch diese Verordnung werden die für die Gemeinden des Paznauntals und die Gemeinde St. Anton am Arlberg mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck, Bote für Tirol vom 14. März 2020, Stück 10b, Nr 128, sowie für die Gemeinde Sölden mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst, Bote für Tirol vom 18. März 2020, Stück 11a, Nr 155, nach dem Epidemiegesetz 1950 verordneten verkehrsbeschränkenden Maßnahmen nicht berührt.

§2

(1) Österreichische Staatsbürger und Staatsangehörige anderer Staaten, die nicht über einen Wohnsitz in Tirol verfügen, haben das Landesgebiet unverzüglich zu verlassen, sofern sie nicht einer beruflichen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung von kritischer Infrastruktur oder der Versorgungssicherheit nachgehen.

(2) Österreichischen Staatsbürgern und Staatsangehörigen anderer Staaten, die über einen Wohnsitz in Tirol verfügen und sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung nicht im Landesgebiet aufhalten, ist die Einreise gestattet. Dies gilt auch für Personen, die im Landesgebiet einer beruflichen Tätigkeit zur Aufrechterhaltung von kritischer Infrastruktur oder der Versorgungssicherheit nachgehen.

(3) Österreichischen Staatsbürgern und Staatsangehörigen anderer Staaten, die über einen Wohnsitz im Landesgebiet verfügen und sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung im Landesgebiet aufhalten, ist das Verlassen des Landesgebietes untersagt und haben sie sich unverzüglich zu ihrem Wohnsitz zu begeben. Das Verlassen des Landesgebietes ist bei Vorliegen von triftigen Gründen zur Deckung von Grundbedürfnissen im Sinne des §4 Abs5 gestattet.

(4) Als Wohnsitz im Sinn dieser Verordnung gelten der Hauptwohnsitz, der Nebenwohnsitz oder der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts im Landesgebiet.

§3

(1) Die Zufahrt zu und die Abfahrt aus den Gemeinden im Landesgebiet werden verboten.

(2) Abs1 gilt nicht für:

[…]

d) Fahrten aus triftigen Gründen zur Deckung von Grundbedürfnissen im Sinn des §4 Abs5.

[…]

§4

(1) Das Verlassen des eigenen Wohnsitzes (§2 Abs4) ist verboten.

(2) Ausgenommen vom Verbot nach Abs1 ist das Verlassen des eigenen Wohnsitzes aus triftigen Gründen zur Deckung von Grundbedürfnissen. Das Verlassen des eigenen Wohnsitzes ist dabei auf ein zeitlich und örtlich unbedingt notwendiges Minimum zu beschränken.

(3) Ab dem Verlassen des eigenen Wohnsitzes ist, abgesehen von Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, gegenüber anderen Personen ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten. Bei der Benützung von Kraftfahrzeugen zu nicht privaten Zwecken, die außer dem Lenkplatz Plätze für mehr als vier Personen aufweisen, oder bei Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist ein Abstand von mindestens einem Meter gegenüber anderen Personen einzuhalten.

(4) Beim Verlassen des eigenen Wohnsitzes aus triftigem Grund zur Deckung von Grundbedürfnissen ist das Überschreiten der Grenze des jeweiligen Gemeindegebietes verboten. Ein Übertreten der Grenzen des Gemeindegebietes zu dem im §2 [Anm. gemeint wohl: §3] Abs2 litd genannten Zweck ist nur dann zulässig, wenn nachweislich die Grundbedürfnisse nicht innerhalb der Grenzen des Gemeindegebietes gedeckt werden können. Dies ist im Falle von Kontrollen durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes glaubhaft zu machen.

(5) Triftige Gründe zur Deckung von Grundbedürfnissen, die ein Verlassen des eigenen Wohnsitzes rechtfertigen, sind die Ausübung beruflicher Tätigkeiten, die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen (zB Arztbesuch, medizinische Behandlungen, Therapie), sonstige Handlungen zur Versorgung der Grundbedürfnisse (zB Lebensmitteleinkauf, Gang zur Apotheke oder zum Geldautomat, Besuch bei Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen in ihrem jeweiligen privaten Bereich) und Handlungen zur Versorgung von Tieren. Diese triftigen Gründe sind im Falle von Kontrollen durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes glaubhaft zu machen.

[…]

§7

(1) Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft soweit im Abs2 und 3 nichts anderes bestimmt ist.

(2) Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf des 28. März 2020 für die Gemeinden im Paznauntal und die Gemeinde St. Anton am Arlberg in Kraft.

(3) Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf des 2. April 2020 für die Gemeinde Sölden in Kraft.

(4) Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf des 5. April 2020 außer Kraft."

4. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Reutte über verkehrsbeschränkende Maßnahmen nach dem Epidemiegesetz 1950 vom 14. März 2020, kundgemacht im Boten für Tirol Nr 125/2020, lautete auszugsweise wie folgt:

"§1

a) Für die Bewohner der Gemeinden sowie für die in den Gemeinden aufhältigen Personen wird die Beförderung mit jenen Kursen des Kraftfahrlinienverkehrs, welche der Abwi[ck]lung des Schibusverkehrs dienen, sowie mit Seilbahnanlagen verboten.

Ausgenommen sind jene Kurse, die zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehres dienen.

b) Weiters wird für die Bewohner der Gemeinden sowie für die in diesen Gemeinden aufhältigen Personen der Besuch sämtlicher in den Gemeindegebieten befindlichen Gastgewerbebetriebe, die rein der Unterhaltung dienenden Aktivitäten darbieten, verboten. Diese Maßnahmen gelten innerhalb der Betriebsräume und außerhalb auf den Freiterrassen, Gastgärten und den vorgelagerten Freiflächen.

Alle Gastgewerbebetriebe zu touristischen Zwecken, insbesondere Gast- und Beherbergungsbetriebe, Hotelbetriebe, Appartementhäuser, Restaurants, Cafés, Bars, Chalets, Airbnb, Privatzimmervermietungen und dergleichen sowie Campingplätze sind zu schließen.

Davon ausgenommen ist die Verabreichung von Speisen zur Grundversorgung der Bevölkerung.

[…]

§3

(1) Die Bestimmungen dieser Verordnung, mit Ausnahme des §1 litb, treten mit Ablauf des 15. März 2020 in Kraft.

(2) §1 litb dieser Verordnung tritt mit Ablauf des 16. März 2020 in Kraft.

(3) Die §§1 und 2 dieser Verordnung treten mit Ablauf des 13. April 2020 außer Kraft.

[…]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Beim Landesverwaltungsgericht Tirol ist zur Zahl LVwG-2021/23/2982 eine Bescheidbeschwerde in der Angelegenheit der Entschädigung des Verdienstentganges nach §20 iVm §32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) hinsichtlich eines Gastgewerbe- und Beherbergungsbetriebes für den Zeitraum vom 17. März 2020 bis zum 13. April 2020 anhängig:

Die Bezirkshauptmannschaft Reutte sprach dem Entschädigungswerber und nunmehrigen Beschwerdeführer des Anlassverfahrens mit Bescheid vom 17. Oktober 2021 lediglich Entschädigung für den Verdienstentgang für die entfallenen Einnahmen aus dem Beherbergungsbetrieb, eingeschränkt auf den Zeitraum vom 17. März 2020 bis zum 25. März 2020, zu. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Die Bezirkshauptmannschaft Reutte begründete die Abweisung des Antrages auf Entschädigung des Verdienstentganges, soweit er sich auf den Einnahmenanteil aus dem Gastgewerbebetrieb bezog, damit, dass am 17. März 2020 die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl II 96/2020, in Kraft getreten sei und diese in §3 das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe untersagt hätte.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Entschädigungswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol den vorliegenden, zu V316/2021 protokollierten Antrag gemäß Art139 Abs1 Z1 B VG an den Verfassungsgerichtshof.

3. Das Landesverwaltungsgericht Tirol begründet seinen Antrag wie folgt (ohne Hervorhebungen im Original):

"2. Zur Zulässigkeit

Die BH Reutte ordnet mit Verordnung vom 14. März 2020, kundgemacht auf der Internetseite der Bezirkshauptmannschaft Reutte und bekannt gemacht im Boten für Tirol unter Nr 125, gestützt auf §20 Abs1 und 4 EpiG Betriebsschließung an. Die Verordnung trat mit 15. März 2020 in Kraft.

§1 litb dieser VO lautet:

'Weiters wird für die Bewohner der Gemeinden sowie für die in diesen Gemeinden aufhältigen Personen der Besuch sämtlicher in den Gemeindegebieten befindlichen Gastgewerbebetriebe, die rein der Unterhaltung dienenden Aktivitäten darbieten, verboten. Diese Maßnahmen gelten innerhalb der Betriebsräume und außerhalb auf den Freiterrassen, Gastgärten und den vorgelagerten Freiflächen. Alle Gastgewerbebetriebe zu touristischen Zwecken, insbesondere Gast- und Beherbergungsbetriebe, Hotelbetriebe, Appartementhäuser, Restaurants, Cafés, Bars, Chalets, Airbnb, Privatzimmervermietungen und dergleichen sowie Campingplätze sind zu schließen. Davon ausgenommen ist die Verabreichung von Speisen zur Grundversorgung der Bevölkerung.'

Am 26.3.2020 wurde mit Verordnung der BH Reutte über die Aufhebung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 13. März 2020, Bote für Tirol Nr 125/2020 kundgemacht an den Amstafeln aller Gemeinden des Bezirks Reutte sowie der Bezirkshauptmannschaft Reutte, bekannt gemacht im Boten für Tirol Nr 179/2020, die Verordnung vom 14.3.2020 aufgehoben.

Unstrittig ist, dass diese verordnete Betriebsschließung einen Vergütungsanspruch für den Bereich des Beherbergungsbetriebes zugunsten der Mitbeteiligten gemäß §32 Abs1 Z5 EpiG (beginnend mit 15. März 2020) begründete.

Einem Vergütungsanspruch für den Bereich des Gastgewerbes stand allerdings vorerst §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19, BGBl II 96/2020 entgegen, da §4 Abs2 COVID-19-MG vorsah, dass die Bestimmungen des EpiG betreffend die Schließung von Betriebsstätten nicht zur Anwendung gelangen, wenn der BM gemäß §1 leg cit eine Verordnung erlässt, und zwar im Anwendungsbereich dieser Verordnung.

Mit Erkenntnis vom 29.7.2021 [gemeint wohl: 29.09.2021] zu Zahl V188/2021, stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19, BGBl II 96/2020 gesetzwidrig war (Spruchpunkt I.).

In dieser Entscheidung sprach der VfGH weiters gestützt auf Art139 Abs6 B VG in Spruchpunkt II. aus, dass die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, wodurch die Anlassfallwirkung erweitert wird (s Aichlreiter,Art139 B VG, in Kn[eihs]/Lienbacher [Hrsg], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht [1. Lfg 2001] Rz 32)

Zur Wirkung dieses Ausspruches, dass die als gesetzwidrig festgestellte Verordnung auch unmittelbar auf den hier vorliegenden Sachverhalt nicht mehr anzuwenden ist, ist auf die vorliegende Rechtsprechung des VwGH zu verweisen, zumal für derartige im Spannungsbereich zwischen EpiG und Covid-19-Maßnahmengesetz einzuordnende Sachverhalte bereits eine höchstgerichtliche Judikatur vorliegt (siehe bspw VwGH 7.4.2021, Ra 2021/09/0048 und VwGH 30.5.2011, 2010/12/0034, zur Rückwirkung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung) [Zitierung wie im Antrag]:

'Der VfGH stellte mit seinem Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V411/2020, kundgemacht vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz am 29. Juli 2020, BGBl II Nr 340/2020, fest, dass die Wortfolge "wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt" sowie der vierte Satz – "Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben." - in §2 Abs4 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBI. II Nr 96/2020, idF BGBl II Nr 151/2020, gesetzwidrig waren. Er sprach gemäß Art139 Abs6 zweiter Satz B VG aus, dass die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind. Diese aufgehobenen Bestimmungen sind daher nicht mehr anzuwenden; auf diese Bestimmungen lässt sich schon deshalb ein Ersatzanspruch im Verwaltungsweg nicht stützen.'

Zusammengefasst liegt der Schließung des Beherbergungs- und Gastgewerbebetriebes der Beschwerdeführerin vor dem Hintergrund der vorab aufgezeigten Judikatur der Höchstgerichte somit letztlich keine Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu Grunde. Dies führt - nach dem bisher Gesagte[n] - zur Heranziehung der auf das EpiG gestützten VO der BH Reutte, welche einen Entschädigungsanspruch begründet.

Allerdings erweist sich vor diesem Hintergrund nun eine Entscheidung des VwGH als entscheidungswesentlich (Erkenntnis vom 16.11.2021, Ro 2021/03/0018). In diesem die Salzburger Rechtslage betreffenden Erkenntnis kommt der VwGH zum Schluss, dass '...weder das EpiG noch das COVID-19-MG ausdrückliche Regelungen dafür vorsahen, in welchem Verhältnis eine auf §20 EpiG gestützte (regionale) Verordnung des BH zu einer ebenfalls in Kraft stehenden Verordnung des LH betreffend das Betretungsverbot von Beherbergungsbetrieben für Touristen und Touristinnen im gesamten Bundesland Salzburg (gestützt auf §2 Z2 COVID-19-MG) stand. Insbesondere legten die damals geltenden Gesetze nicht fest, dass mit dem Inkrafttreten der Verordnung des LH die bereits bestehende Verordnung des BH außer Kraft treten sollte. Allerdings hatte das Inkrafttreten der Verordnung des LH aber Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch der Mitbeteiligten nach §32 Abs1 EpiG, der sich aus der Betriebsschließung durch die BH ergab: Es besteht nach der genannten Norm ein Vergütungsanspruch nur soweit, als durch die Betriebsschließung gemäß §20 EpiG ein Verdienstentgang eingetreten ist (arg.: '...und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.'). Die Verordnung der BH musste also kausal für den Verdienstentgang der Mitbeteiligten sein. Soweit der Verdienstentgang auch und unabhängig von der Betriebsschließung gemäß §20 EpiG durch andere Ursachen (hier: der Verordnung des LH) entstanden war, fehlte es im Umfang dieser alternativen Verursachung an der notwendigen Kausalität.'

Auch in Tirol bestanden für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum 15.3.2020 bis 26.3.2020 derartige Verordnungen des Landeshauptmannes, nämlich LGBl Nr 33/2020 und LGBl Nr 35/2020.

Die Verordnung des Landeshauptmannes nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes wurde mit LGBl Nr 33/2020 am 18.3.2020 kundgemacht und trat am 19.3.2020 in Geltung.

Nachfolgend wurde diese Verordnung durch die am 20.3.2020 in LGBl 35/2020, kundgemachte Verordnung des Landeshauptmannes vom 20. März 2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes ersetzt. Die Verordnung LGBl Nr 35/2020 trat für die verfahrensgegenständliche Gemeinde am 21.3.2020 in Kraft, wurde durch LGBl Nr 41/2020 geändert und wurde schließlich mit LGBl Nr 44/2020 mit Ablauf des 6.4.2020 aufgehoben.

Sowohl die Verordnung LGBl Nr 33/2020 als auch die Verordnung LGBl Nr 35/2020 waren bereits Gegenstand von Normprüfungen durch den Verfassungsgerichtshof:

Mit Erkenntnis vom 25.2.2021 zu Zahl V570/2020 hat der VfGH festgestellt, dass §1 (1) und §2 (1) der Verordnung LGBL Nr 33/2020 rechtswidrig waren und gleichzeitig ausgesprochen, dass die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

Auch einzelne Bestimmungen der VO LGBl 35/2020 waren mehrfach Prüfgegenstand in Verfahren nach Art139 B VG vor dem Verfassungsgerichtshof:

• Mit Erkenntnis vom 10.12.2020 zu Zahl V512/2020 hat der VfGH §4 (1), (2) und (5)

• Mit Erkenntnis vom 10.12.2020 zu Zahl V535/2020 hat der VfGH §3 und §4 (4) (bis zum Ablauf des 4.4.2020)

• Mit Erkenntnis vom 16.6.2021 zu Zahl V81/2021 hat der VfGH §4 (3) erster Satz

jeweils als gesetzwidrig festgestellt und gleichzeitig ausgesprochen, dass die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

Betrachtet man nun den Zeitraum von 15.3.2020 bis 26.3.2020, waren zum damaligen Zeitpunkt folgende Verordnungen auf Gastgewerbebetriebe im Bezirk Reutte anwendbar:

- Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Reutte über verkehrsbeschränkende Maßnahmen nach dem Epidemiegesetz 1950 für den Bezirk Reutte, in Geltung von 16.3.2020 bis 25.3.2020;

- die Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol nach §2 Z2 des COVID-19- Maßnahmengesetzes, LGBl Nr 33/2020, in Geltung von 19.3.2020 bis zum Ablauf des 20.3.2020;

- die Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol vom 20. März 2020 nach §2 Z2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl Nr 35/2020, in Geltung von 21.3.2020 bis zum Ablauf des 6.4.2020;

- die Verordnung des Bundesminsters für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung von COVID-19, BGBI II Nr 96/2020, in Geltung von 17.3.2020 bis 30.4.2020.

Durch die oben genannten Entscheidungen des VfGH sind die für Gastgewerbebetriebe maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung LGBl Nr 35/2020 sowie der ebenfalls für Gastgewerbebetriebe anwendbare §3 der Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung von COVID-19 nicht mehr anzuwenden.

Für Beherbungsbetriebe im Bezirk Reutte waren im selben Zeitraum die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Reutte über verkehrsbeschränkende Maßnahmen nach dem Epidemiegesetz 1950 für den Bezirk Reutte sowie die Verordnungen des Landeshauptmannes LGBl Nr 33/2020 und LGBl Nr 35/2020 maßgeblich.

Dies bedeutet somit, dass in Beachtung der sich aus der Entscheidung des VwGH ergebenden Kausalität die Frage der Rechtmäßigkeit der am 19. und 20.3.2020 in Geltung gewesenen VO des Landeshauptmannes von Tirol, LGBl 33/2020 von Bedeutung für den Vergütungsanspruch der Beschwerdeführerin ist (zur Wirkung einer allfälligen Feststellung der Gesetzwidrigkeit dieser Norm durch den VfGH darf auch auf den [n]achfolgenden Punkt 5. verwiesen werden).

3. Rechtslage

[…]

4.1. Prozessvoraussetzungen:

Unstrittig ist, dass die von der BH Reutte in Anwendung des EpiG verordnete Betriebsschließung einen Vergütungsanspruch zugunsten der Mitbeteiligten gemäß §32 Abs1 Z5 EpiG (beginnend mit 15. März 2020) begründete.

Diesem Anspruch stand vorerst die VO BGBI 96/2020 entgegen. Diese wurde vom VfGH für rechtswidrig erklärt und gleichzeitig gemäß §139 Abs6 B VG ausgesprochen, dass diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

Der vorab zitierten Judikatur des VwGH folgend s[t]eht auch die Verordnung des Landeshauptmannes nach dem Covid-19-MG, LGBl Nr 33/2020, auf Grund ihrer Kausalität einem Vergütungsanspruch entgegen.

Während alle wesentlichen Bestimmungen der VO LGBl 35/2020 mittlerweile vom VfGH als gesetzwidrig festgestellt wurden und jeweils gemäß Art139 Abs6 B VG ausgesprochen wurde, dass diese Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind (es darf auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden), liegt zur nahezu wortidenten Vorgängerbestimmung des §4 VO LGBl 33/2020 mangels Anfechtung noch keine Rechtsprechung des VfGH vor.

Die Verordnung des Landeshauptmannes vom 18.3.2020 wurde zwar mit Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.3.2020, LGBl Nr 35/2020 aufgehoben, allerdings erweist sie sich für den Zeitraum 19.3 und 20.3.2020 unter Hinweis auf die sich aus der vorab zitierten Entscheidung des VwGH (Erkenntnis vom 16.11.2021, Ro 2021/03/0018) hinsichtlich ihrer Kausalität dennoch als rechtlich relevant.

Auch wenn die Verordnung bereits außer Kraft getreten ist, ist sie auf Grund ihrer Kausalität zum Geltungszeitpunkt nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts bei der Entscheidung im hier vorliegenden Beschwerdeverfahren dennoch anzuwenden und daher präjudiziell.

Gegen §4 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol, LGBl 33/2020, bestehen Bedenken ob ihrer Gesetzmäßigkeit. Es ist daher gemäß Art89 Abs2 B VG iVm Art135 Abs4 B VG der gegenständliche Antrag nach Art139 Abs1 Z1 B VG an den Verfassungsgerichtshof zu stellen.

4.2. In der Sache:

Inhaltlich bestehen dieselben Bedenken, die bereits zur Anfechtung der wortgleichen Bestimmung in der Nachfolgeverordnung LGBl 35/2020 geführt und die den Verfassungsgerichtshof zur Aufhebung dieser Norm bewogen haben (siehe hiezu das zu Zahl V512/2020 geführte Verfahren).

Nach der Bundesverfassung (Art18 Abs2 B VG) sind Verordnungen nur 'auf Grund der Gesetze' zu erlassen. Das heißt, dass eine Verordnung bloß präzisieren darf, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde (etwa VfSlg 11.639/1988 und die dort zitierte Vorjudikatur sowie VfSlg 14.895/1997). Soll ein Gesetz mit Durchführungsverordnung vollziehbar sein, müssen daraus also alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung ersehen werden können (Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhaltes durch das Gesetz: VfSlg 4644/1964, 4662/1964, 5373/1966, 7945/1976); eine bloße formalgesetzliche Delegation, die der Verwaltungsbehörde eine den Gesetzgeber supplierende Aufgabe zuweist, stünde mit Art18 Abs1 (und 2) B VG in Widerspruch (zB VfSlg 4072/1961, 14.512/1996 und 16.902/2003 sowie VfSlg 17.476/2005).

Die Grenze zwischen einer noch ausreichenden materiellen Bestimmtheit des Gesetzes und einer formalen Delegation wird in einzelnen Fällen nicht immer leicht zu bestimmen sein.

Entscheidungskriterium ist hier stets die Frage, ob die im Verordnungsweg getroffene (Durchführungs-)Regelung auf ihre inhaltliche Gesetzmäßigkeit überprüft werden kann (zB VfSlg 1932/1950, 2294/1952, 4072/1961, 11.859/1988).

Dabei sind in Ermittlung des Inhalts des Gesetzes alle zur Verfügung stehenden Auslegungsmöglichkeiten auszuschöpfen: Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen lässt, was im konkreten Fall rechtens ist, verletzt die Bestimmung die in Art18 B VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl VfSlg 8395/1978, 11.639/1988, 14.644/1996, 15.447/1999 und 16.137/2001).

In den Erläuterungen zum selbständigen Antrag der Abgeordneten August Wöginger und Sigrid Maurer, BA, nach §26 GOG-NR, 396/A XXVII. GP, wird zu §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ausgeführt, dass 'auch die Möglichkeit bestehen (soll), das Betreten bestimmter Orte zu untersagen. Dies können etwa Kinderspielplätze, Sportplätze, See- und Flussufer oder konsumfreie Aufenthaltszonen sein. Diese Orte können in der Verordnung abstrakt ("Kinderspielplätze", "Sportplätze") oder durch eine genaue Ortsangabe (zB betreffend bestimmte konsumfreie Zonen, Ortsgebiete, Gemeinden) oder eine Kombination aus beidem (Kinderspielplätze in einem bestimmten Bundesland) umschrieben werden.'

§2 COVID-Maßnahmengesetz eröffnet somit die Möglichkeit durch Verordnung das Betreten 'bestimmter Orte' durch Verordnung zu untersagen. Als bestimmte Orte gelten nach den Erläuterungen der Antragsteller etwa Kinderspielplätze, Sportplätze, See- und Flussufer oder konsumfreie Aufenthaltszonen.

Die gesetzliche Ermächtigung des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz ist nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 14.07.2020, V363/2020-25) von vornherein dahingehend begrenzt, dass mit der Ermächtigung, das Betreten bestimmter Orte zu untersagen, nur das Zusammentreffen von Menschen eben an bestimmten Orten unterbunden werden kann. §2 COVID-19-Maßnahmengesetz geht also vom Grundsatz der Freizügigkeit aus und ermächtigt den Verordnungsgeber dazu, diese Freizügigkeit durch Betretungsverbote bestimmter Orte einzuschränken, wobei das Gesetz auch deutlich macht, welche Merkmale diese Orte, deren Betreten der Verordnungsgeber zum Zweck der Verhinderung von COVID-19 untersagen kann, aufweisen müssen, nämlich, dass die Nutzung dieser Orte zum persönlichen Zusammentreffen mehrerer Menschen außerhalb der eigenen Wohnung führt.

Der Verordnungsgeber kann dabei die Orte, deren Betreten er zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 untersagt, konkret oder abstrakt umschreiben, er kann für Außenstehende auch, wie die Erläuterungen deutlich machen, das Betreten regional begrenzter Gebiete wie Ortsgebiete oder Gemeinden untersagen; es ist ihm aber verwehrt, durch ein allgemein gehaltenes Betretungsverbot des öffentlichen Raumes außerhalb der eigenen Wohnung (im weiten Sinn des Art8 EMRK) ein – wenn auch entsprechend der räumlichen Ausdehnung der Verordnung gemäß §2 Z2 oder 3 COVID-19-Maßnahmengesetz regional begrenztes – Ausgangsverbot schlechthin anzuordnen. Damit ist die gesetzliche Ermächtigung des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz dahingehend begrenzt, dass das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden darf, nicht aber, dass Menschen auf Grundlage des §2 COVID-19-Maßnahmengesetz dazu verhalten werden können, an einem bestimmten Ort, insbesondere auch in ihrer Wohnung, zu verbleiben.

Zumal daher nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes das COVID-19-Maßnahmengesetz eine Ermächtigung zum Untersagen des Verlassens der eigenen Wohnung nicht enthält, wurde die angefochtene Verordnung ohne gesetzliche Ermächtigung erlassen.

In dem beim Landesverwaltungsgericht Tirol mit Beschwerde bekämpften Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Reutte wäre das Bestehen eines Vergütungsanspruches im Rahmen der Kausalität unter Zugrundelegung einer Verordnung zu beurteilen, der die gesetzliche Grundlage fehlt."

4. Der Landeshauptmann von Tirol hat als verordnungserlassende Behörde die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der die Zulässigkeit des Antrages bestritten wird:

"1. Zur fehlenden Stichhaltigkeit der Begründung der Zulässigkeit des Antrags durch das LVwG Tirol:

Voraussetzung eines Antrags nach Art89 Abs2 iVm 139 Abs1 Z1 B VG ist unter anderem, dass das antragstellende Gericht die Verordnung in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Gesetzmäßigkeit der Verordnung eine Vorfrage für die anhängige Rechtssache ist (§57 Abs2 VfGG). Das LVwG Tirol geht zur Beurteilung der Präjudizialität der COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 für den vorliegenden Fall davon aus, dass auf Grund des Erkenntnisses des VfGH vom 29.09.2021, V188/2021, mit dem §3 der COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 nachträglich als gesetzwidrig festgestellt wurde, dies auch Auswirkungen auf die Frage des Entschädigungsanspruchs nach §32 Ep[i]G habe.

Auf Grund des Ausspruchs nach Art139 Abs6 zweiter Satz B VG, wonach die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind, sei dies zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts unter Berücksichtigung der Judikatur des VwGH auch im Hinblick auf die COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 wesentlich. Daher sei die Frage der Gesetzmäßigkeit dieser Verordnung von Bedeutung für den Vergütungsanspruch im anhängigen Verfahren.

Dem ist aus folgenden Gründen entgegenzutreten:

a) Nach §57 Abs2 VfGG muss die vom antragstellenden Gericht vorgelegte Norm Erzeugungsbedingung für den zu setzenden Akt sein (Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht, 11.A. [2015] Rz 1110). Dem vorliegenden Fall liegt ein Antrag auf Entschädigung nach §20 iVm §32 Ep[i]G zugrunde, über den unter Berücksichtigung der Bestimmung des §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG abgesprochen wurde. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen der Entscheidung sind somit §32 Ep[i]G bezüglich der Geltendmachung des Anspruchs und §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG hinsichtlich des anspruchsbegründenden Zeitraumes.

Dabei ist anzumerken, dass hier §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG (nunmehr §13 Abs2 des derzeit geltenden COVID-19-MaßnahmenG) nicht einschlägig ist, da es auf die Erlassung einer Verordnung durch den Bundesminister abstellt. Vorliegend ergibt sich eine vergleichbare Rechtswirkung jedoch auf Grund der Rechtsprechung des VwGH, die unter Anwendung der schadenersatzrechtlichen Kausalitätsvoraussetzungen zu demselben Ergebnis im Hinblick auf die Geltung von auf das COVID-19-MaßnahmenG gestützten Verordnungen des Landeshauptmannes, mit denen Betretungsverbote erlassen werden, kommt (siehe VwGH 16.11.2021, Ro 2021/03/0018; dazu näher gleich im Folgenden unter Pkt. b).

Nun hat der vom VfGH als gesetzwidrig festgestellte §3 der COVID-19-MaßnahmenV BGBl II Nr 96/2020 das Betreten von Betriebsstätten des Gastgewerbes untersagt. Entgegen der Auffassung es LVwG Tirol wird diese Bestimmung im vorliegenden Fall jedoch nicht unmittelbar auf den Sachverhalt angewandt, zumal nicht über ein nach der damaligen Verordnung untersagtes Betreten eines Gastgewerbebetriebes (etwa in Form eines Straferkenntnisses) abgesprochen wird. Das vorliegende Verfahren betrifft daher insbesondere keinen Anlassfall im Sinn der Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg 10.616/1985, 10.954/1986) des eingangs zitierten Erkenntnisses. Daran vermag auch die von der belangten Behörde angewandte Regelung des §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG nichts zu ändern: Die Bestimmung knüpft (lediglich) tatbestandlich an die Erlassung einer Verordnung nach §1 leg cit an. Nun wurde eine solche Verordnung vom zuständigen Bundesminister mit BGBl I[I] Nr 96/2020 mit 17.03.2020 erlassen und war zweifellos zum damaligen Zeitpunkt bis zu ihrer Aufhebung mit 30.04.2020 in Geltung. Im Hinblick auf die Beurteilung eines Vergütungsanspruchs nach dem Ep[i]G ist sohin die anknüpfende Bedingung des §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG, nämlich die Erlassung einer Verordnung, im relevanten Zeitraum erfüllt. Die betreffende Verordnung war auch im gesamten relevanten Zeitraum tatsächlich in Geltung und entfaltete hinsichtlich der von ihr normierten Betretungsverbote die entsprechenden Rechtswirkungen.

Die Schlussfolgerung des antragstellenden Gerichts, dass auf Grund der Feststellung des VfGH im Erkenntnis vom 29.09.2021, V188/2021, rückwirkend für das gegenständliche Entschädigungsverfahren gar keine Verordnung des Bundesministers zu Grunde gelegen wäre (S. 4), ist daher unzutreffend, weil diese zum damaligen Zeitpunkt sehr wohl in Geltung stand, Rechtswirkungen entfaltete und im Sinn des §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG 'erlassen' war. Darauf verweist auch das LVwG Tirol selbst, wenn es dazu widersprüchlich ausführt, dass zum damaligen Zeitpunkt unter anderem auch die Verordnung des Bundesministers jedenfalls für den Zeitraum vom 17.03.2020 bis 30.04.2020 anwendbar gewesen sei (S. 5).

Die nachträgliche Feststellung der Gesetzwidrigkeit des §3 der genannten Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof kann nach Auffassung des Landeshauptmannes von Tirol nicht dazu führen, dass in einem Entschädigungsverfahren nach §32 Ep[i]G nunmehr davon auszugehen wäre, dass keine entsprechende Verordnung existiert hätte (s dazu auch unter Punkt III.3). Insbesondere scheint der Schluss des antragstellenden Gerichts, dass dadurch im angeführten Zeitraum – retrospektiv – nur die Verordnung nach dem Ep[i]G gegolten hätte, nicht zutreffend.

b) Nicht zu überzeugen vermögen in diesem Zusammenhang insbesondere auch die vom antragstellenden Gericht gezogenen Schlüsse aus der von ihm angeführten Judikatur des VwGH: So betrifft das Erkenntnis des VwGH vom 07.04.2021, Ra 2021/09/0048, lediglich die Abgrenzung von Betriebsschließungen nach dem Ep[i]G von den auf Grundlage des COVID-19-MaßnahmenG angeordneten Betretungsverboten unter Verweis auf die Vorjudikatur. Überdies hatte sich die Revisionswerberin zur Geltendmachung ihres Anspruchs direkt auf §2 Abs4 der COVID-19-MaßnahmenV BGBl II Nr 96/2020 berufen, was vorliegend eben gerade nicht der Fall ist. Das Erkenntnis des VwGH vom 30.05.2011, 2010/12/0034, setzt sich wiederum nur mit der Frage auseinander, inwieweit der zweite und dritte Satz des Art139 Abs6 B VG auch auf die nachträgliche Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung durch den VfGH anwendbar ist. Dies wird jedoch im vorliegenden Fall nicht bestritten, zudem handelt auch dieses Erkenntnis von einem Fall, in dem die Verordnung direkt (konkret zur Bemessung von Pensionsversicherungsbeiträgen) auf einen Sachverhalt angewandt wurde.

Das antragstellende Gericht führt darüber hinaus auch das Erkenntnis des VwGH vom 16.11.2021, Ro 2021/03/0018, als entscheidungswesentlich an. Dieses Erkenntnis behandelt das Verhältnis einer Verordnung der Bezirkshauptmannschaft über Betriebsschließungen nach dem Ep[i]G zu einer zeitweise parallel dazu geltenden Verordnung des Landeshauptmannes über Betretungsverbote nach dem COVID-19-MaßnahmenG. Der Gerichtshof stellt dabei zum einen fest, dass zwischen den beiden Verordnungen kein Derogationsverhältnis bestehe, zum anderen, dass das Inkrafttreten der Verordnung des Landeshauptmannes nach dem COVID-19-MaßnahmenG aber Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch insofern habe, als bei gleichzeitiger Geltung beider Verordnungen im Anlassfall nur jener Verlust entstanden sei, der aus der Nichtbeherbergung von Gästen resultieren konnte, die durch die Verordnung des Landeshauptmannes nicht erfasst war, weil die auf §20 Ep[i]G gestützte Verordnung der Bezirkshauptmannschaft nur insoweit kausal für den eingetretenen Schaden sein konnte. Dazu ist zunächst anzumerken, dass die dem Erkenntnis zugrundeliegende Verordnung des Landeshauptmannes von Salzburg nach dem COVID-19-MaßnahmenG in ihrem §2 ausdrücklich das Betreten von Beherbergungsbetrieben verboten hatte. Die vom LVwG Tirol vorliegend angefochtenen Bestimmungen der COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 sahen demgegenüber ein allgemeines Verbot des Verlassens des eigenen Wohnsitzes mit Ausnahme der Deckung von Grundbedürfnissen vor, wobei in diesen Fällen das Überschreiten der Grenze des jeweiligen Gemeindegebietes untersagt war. Im Übrigen stellte der VwGH in diesem Erkenntnis (lediglich) klar, wie für den Zeitraum zweier parallel geltender Verordnungen über eine Betriebsschließung gemäß §20 Ep[i]G bzw ein Betretungsverbot nach dem COVID- 19-MaßnahmenG für bestimmte (auch) von der Betriebsschließung erfasste Orte die Berechnung des Anspruchs nach §32 Ep[i]G zu erfolgen hat.

Die vom antragstellenden Gericht angeführten Erkenntnisse des VwGH geben also entgegen den Ausführungen des LVwG Tirol auf S. 3 keinerlei Aufschluss darüber, inwiefern eine vom VfGH nachträglich als gesetzwidrig festgestellte Verordnung im hier vorliegenden Sachverhalt als nicht 'erlassen' im Sinn des §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG bzw als die Kausalität einer Betriebsschließung nach dem Ep[i]G für den eingetretenen Schaden nicht (mehr) ausschließend (siehe nochmals VwGH 16.11.2021, Ro 2021/03/0018) anzusehen wäre. Vielmehr scheint diese Frage soweit ersichtlich in der Judikatur bislang noch unbeantwortet (s näher dazu unten Punkt III.3).

2. Keine Einschlägigkeit der angefochtenen Bestimmung; kein Betretungsverbot von Gastgewerbe- oder Beherbergungsbetrieben über §4 COVID-19-MaßnahmenV Tirol, LGBl Nr 33/2020:

Die vom antragstellenden Gericht angefochtenen Bestimmungen des §4 der COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 enthielten das Verbot des Verlassens des eigenen Wohnsitzes mit Ausnahme der Deckung von Grundbedürfnissen. Weiters wurde in diesen Fällen das Überschreiten der Grenze des jeweiligen Gemeindegebietes untersagt. Unklar ist nun, inwiefern diese Bestimmung denkmöglich zur Entscheidung über Entschädigungsansprüche nach dem Ep[i]G heranzuziehen sein kann, zumal die Entschädigung ausdrücklich an die Betriebsschließung anknüpft. Die angefochtene Bestimmung sieht weder eine solche vor, noch enthält sie Betretungsverbote von Gastgewerbe- oder Beherbergungsbetrieben nach dem COVID-19-MaßnahmenG, wie sie den Verordnungen der oben angeführten Entscheidungen des VwGH zugrunde lagen.

Zwar ist die Bestimmung gleichlautend mit jener der ihr nachfolgenden COVID-19-MaßnahmenV Tirol, LGBl 35/2020, doch sind die im Antrag angeführten Erkenntnisse des VfGH dazu nicht übertragbar, weil die Sachverhalte jeweils den Verstoß gegen eben das Verbot des Verlassens des eigenen Wohnsitzes betrafen. Den Verfahren zu den Erkenntnissen des VfGH vom 10.12.2020, V512/2020 und V535/2020, vom 25.02.2021, V570/2020 und vom 16.06.2021, V81/2021 zur COVID-19-MaßnahmenV Tirol, LGBl Nr 35/2020 lagen weder ein Betreten von Gastgewerbe- oder Beherbergungsbetrieben noch die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen zugrunde.

Allenfalls könnte das in der angefochtenen Bestimmung geregelte Verbot des Verlassens des eigenen Wohnsitzes – in Anlehnung an die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Individualantrags – eine faktische Reflexwirkung auf einen Gastgewerbe- oder Beherbergungsbetrieb darstellen, die jedoch als bloß wirtschaftliche Auswirkung keinen Eingriff in rechtlich geschützte Interessen eines Antragstellers darstellen (s etwa Aichlreiter, Art139 B VG, in Kneihs/Lienbacher [Hg], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht [2001] Rz 18). Nach ständiger Rechtsprechung des VfGH zum Individualantrag (VfSlg 9876/1983, 8060/1977, 8292/1978, 8670/1979, 10.096/1984, 16.097/2001, 18.371/2008) wird mit derartigen, bloß faktischen Auswirkungen keine rechtliche Betroffenheit und damit keine Antragslegitimation begründet. Dies scheint auch für die Frage der Präjudizialität im vorliegenden Fall bedeutsam, zumal die Bestimmung wie dargelegt gar nicht den Betrieb eines Gastgewerbes oder Beherbergungsbetriebes untersagt bzw deren Betreten unmittelbar verboten hätte.

3. Zur Wirkung der nachträglichen Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung auf tatbestandliche Anknüpfungen daran; Tatsache der 'Erlassung' einer Verordnung nicht vom Ausspruch des VfGH nach Art139 Abs6 zweiter Satz B VG betroffen:

Der Antrag des LVwG Tirol stützt sich zur Beurteilung der Präjudizialität auf den Ausspruch des VfGH im Erkenntnis vom 29.09.2021, V188/2021, wonach die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung des §3 der COVID-19-MaßnahmenV BGBl II Nr 96/2020 nicht mehr anzuwenden ist. Das antragstellende Gericht geht offenbar davon aus, dass Entschädigungsverfahren nach §32 Ep[i]G vom Ausspruch des VfGH mitumfasst sind (S. 3). In weiterer Folge wird vor dem Hintergrund der VwGH-Judikatur (aus der das freilich – wie oben zu III.1.b) dargelegt – nicht abzuleiten ist) die Frage der Gesetzeskonformität auch der COVID-19- MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 als präjudiziell gesehen.

Die zugrundeliegende Annahme des antragstellenden Gerichts scheint insofern verfehlt, als im vorliegenden Verfahren nicht etwa die Übertretung der COVID-19-MaßnahmenV BGBl II Nr 96/2020 oder einer Verordnung des Landeshauptmannes Gegenstand ist, sondern eine Entschädigung nach §32 Ep[i]G. Wie diese unter Berücksichtigung der im fraglichen Zeitraum in Geltung gestandenen Verordnungen nach dem COVID-19-MaßnahmenG zu berechnen ist, hat der VwGH im angeführten Erkenntnis vom 16.11.2021, Ro 2021/03/0018, dargelegt. Wenn jedoch das LVwG Tirol die Verordnung des Landeshauptmannes als präjudiziell erachtet, verkennt es damit schon die hier nicht einschlägige Wirkung des Ausspruchs im Erkenntnis VfGH 29.09.2021, V188/2021 (bzw zu VfGH vom 10.12.2020, V512/2020 und V535/2020 in Bezug auf die COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 35/2020).

Dies aus folgenden Gründen:

a) An der für §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG relevanten und geltungsbegründenden Tatsache der seinerzeitigen 'Erlassung' einer Verordnung des zuständigen Bundesministers vermag auch die nachträgliche Feststellung ihrer Gesetzwidrigkeit nichts zu ändern. Die zentrale Frage ist vielmehr die Wirkung eines Ausspruches nach Art139 Abs6 B VG auf Normen, die nicht Gegenstand des feststellenden Erkenntnisses sind: Der beim LVwG Tirol anhängige Bescheid stützt sich im Gegensatz zu VfGH 29.09.2021, V188/2021 bzw dessen Anlassfall wie zuvor beschrieben nicht auf die Verordnung des Bundesministers oder des Landeshauptmanns. Daher handelt es sich weder um einen Anlassfall, noch eine Konstellation, die vom Ausspruch des VfGH nach Art139 Abs6 zweiter Satz B VG umfasst wäre. Dies gilt in gleicher Weise für die vom antragstellenden Gericht hier als präjudiziell angenommenen COVID-19- MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 und LGBl Nr 35/2020.

Sofern dem Erkenntnis VfGH 29.09.2021, V188/2021, bzw einer allfälligen Feststellung nach 139 Abs6 B VG zur COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 überhaupt eine Wirkung auf diese Bestimmungen zukommen kann, dann nur dergestalt, dass sie die Tatsache der 'Erlassung' einer Verordnung (§4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG) in Frage stellen würde. Darüber hat der VfGH jedoch weder in dem angeführten Erkenntnis noch soweit ersichtlich in seiner bisherigen Judikatur zum Umfang der Anlassfall-Wirkung oder eines Ausspruchs nach Art139 Abs6 zweiter Satz B VG abgesprochen.

Die bislang dazu (und damit indirekt auch für die hier relevante Beurteilung der Präjudizialität) in Judikatur und Literatur diskutierten Auswirkungen aufhebender oder feststellender Erkenntnisse betrafen lediglich Fragen des zeitlichen Rahmens, sohin welche anhängigen Fälle noch in den Genuss der Anlassfallwirkung kommen oder nicht (vgl etwa Rohregger, Art140 B VG, in Korinek/Holoubek et al. [Hg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht [2003] Rz 318 ff). Soweit ersichtlich handelte es sich dabei jedoch stets um Fälle dergestalt, dass dieselbe Norm auf einen vergleichbaren Sachverhalt anzuwenden gewesen wäre. Dies gilt nicht zuletzt auch für den Anlassfall zu VfGH 29.09.2021, V188/2021, dem ein Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien wegen einer Übertretung der §§3 und 1 COVID-19-MaßnahmenG iVm §3 der COVID-19-MaßnahmenV BGBl II Nr 96/2020 zu Grunde lag (VfGH 29.09.2021, E4135/2020). Gleiches gilt für die Erkenntnisse des VfGH zur COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 35/2020, vom 10.12.2020, V512/2020 und V535/2020, auch liegt keine Konstellation wie etwa zu VfGH 26.11.2020, E2355/2020 vor.

Die in den angeführten Erkenntnissen zugrunde gelegenen Sachverhalte und deren rechtliche Beurteilung sind mit der hier vorliegenden Konstellation im Entschädigungsverfahren nach §32 Ep[i]G nicht vergleichbar. Dennoch geht das antragstellende Gericht offenbar davon aus, dass als gesetzwidrig festgestellte Verordnungen auch im Hinblick auf die Anknüpfung des §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG nicht mehr anzuwenden bzw auf Grund dessen auch als rückwirkend aus der Rechtsordnung eliminiert anzusehen wären.

b) Maßgeblich für die vorliegende Konstellation scheint die Abgrenzung der Entstehung einer Rechtsvorschrift (mit Eintritt der notwendigen Erzeugungsbedingungen) von ihrem zeitlichen Geltungs- und Rechtsfolgenbereich (Potacs, Rechtstheorie, 2.A. [2019] 61 ff; Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht Rz 487 ff): So kann eine Norm etwa mit ihrer Kundmachung Bestandteil der Rechtsordnung werden und zwar unabhängig davon, ob diese zu dem Zeitpunkt in Geltung steht oder nicht (VfSlg 4049/1961). Nichts anderes gilt umgekehrt für die Aufhebung (analog die Feststellung der Gesetzwidrigkeit) einer Norm, die ihren Geltungs- und Rechtsfolgenbereich – mitunter rückwirkend – beseitigt, ihre rechtliche Existenz jedoch nicht tangiert. Im Gegensatz zur Beseitigung ihres Geltungs- und Rechtsfolgenbereichs, ist die seinerzeitige Entstehung, sohin die – hier relevante – bloße Tatsache ihrer Erlassung nicht betroffen (insofern differenzierend Laurer, Zeitliche Aspekte der Aufhebung von Gesetzen und Verordnungen durch den VfGH, in FS Walter [1991] 405 [408 und 428]). Dies gilt im Übrigen auch in Extremfällen etwa rückwirkend derogierender Gesetze, die nicht dazu führen, dass die andere Norm niemals Bestandteil der Rechtsordnung gewesen wäre (ebdt., 415). Vielmehr setzt die Aufhebung einer Norm (sofern es sich nicht um einen Nicht-Akt handelt) ihre vormalige Existenz, einschließlich des Geltungs- und Rechtsfolgenbereichs überhaupt voraus (vgl Merkl, Die gerichtliche Prüfung von Gesetzen und Verordnungen, in Gesammelte Schriften, Bd. II/1 [1999] 393 [407]).

Nun erfolgt die 'Erlassung' einer Verordnung unter Berücksichtigung der notwendigen Erzeugungsbedingungen in der Regel mit der Ausgabe des Kundmachungsorgans (VfSlg 14.503/1996), im vorliegenden Fall sohin der BGBl II Nr 96/2020 bzw LGBl Nr 33/2020 und 35/2020. Der Ausspruch der Rückwirkung der nachträglichen Feststellung durch den VfGH nach Art139 Abs6 zweiter Satz B VG bedeutet, dass die Rechtsfolgen der bereits außer Kraft getretenen Vorschrift für die während des zeitlichen Bedingungsbereichs der Verordnung verwirklichten Tatbestände nicht mehr eintreten, in Ausweitung der Anlassfall-Wirkung somit der Geltungs- und Rechtsfolgenbereich rückwirkend beseitigt wird (Rohregger, Art140 B VG Rz 342; Rohregger/Schuch, Die Rechtswirkungen aufhebender Erkenntnisse im verfassungsgerichtlichen Verfahren, in Holoubek/Lang [Hg.], Das verfassungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen [2010] 297 [318]). Dies ändert aber nichts an der Tatsache ihrer Erlassung und seinerzeitigen Geltung. An diese knüpfen nun jedoch §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG bzw, soweit es um die Frage des Ausschlusses der Kausalität einer Betriebsschließung nach §20 Ep[i]G durch Verordnungen über Betretungsverbote nach dem COVID-19-MaßnahmenG geht, die Judikatur des VwGH an (siehe wiederum VwGH 16.11.2021, Ro 2021/03/0018). Und weil auch aufgehobene bzw nachträglich als gesetzwidrig festgestellte Verordnungen mit dem Zeitpunkt ihrer Erlassung Bestandteil der Rechtsordnung wurden und während ihrer zeitlichen Geltungsdauer Rechtswirkungen entfaltet haben, ist dies auch bei der Interpretation von Normen, die ihrerseits tatbestandlich an deren Erlassung bzw Geltung anknüpfen (wie vorliegend §4 Abs2 COVID-19-MaßnahmenG), bzw im Rahmen der Kausalitätsprüfung bei der Zuerkennung von Vergütungsansprüchen nach §32 Ep[i]G weiterhin zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall liegt daher keine 'Anwendung' der Verordnung auf 'verwirklichte Tatbestände' im Sinn des Art139 Abs6 zweiter Satz B VG vor. Bei den verwirklichten Tatbeständen kann es sich nur um jene handeln, die von der gesetzwidrigen Norm, genauer: von ihrem Geltungs- und Rechtsfolgenbereich, selbst umfasst waren. Auch die bisher vom VfGH als Anwendung von als gesetzwidrig aufgehobenen bzw festgestellten Bestimmungen qualifizierten Fälle betrafen stets die Anwendung der betroffenen Norm auf einen Sachverhalt dergestalt, dass eine Rechtsfolge (zB eine Strafe oder die Verweigerung einer Bewilligung) unmittelbar darauf gestützt wurde (vgl etwa die in der Judikatur hierzu zitierten Erkenntnisse VfSlg 12.954/1991, 15.401/1999, 19.419/2011, ua).

c) Würde der Verfassungsgerichtshof der Auffassung des antragstellenden Gerichts folgen, so hätte der Ausspruch nach Art139 Abs6 zweiter Satz B VG weitreichende Konsequenzen auf die frühere Rechtslage überhaupt: Zahlreiche Gesetzesbestimmungen stützen sich (in verfassungsrechtlich zulässiger Weise: VfSlg 11.632/1988) zu ihrem Inkrafttreten oder zur Abgrenzung ihres zeitlichen Geltungsbereichs auf die Erlassung einer Verordnung (zB §16 Abs1 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, §34 Abs11 lita Bundesstraßengesetz 1971, §14 Abs1 c Gelegenheitsverkehrs-Gesetz 1996, §80 Abs1 Saatgutgesetz 1997, §14 Abs5 und §15 Abs5 Tiroler COVID-19-Gesetz, ua; ferner §12 Abs2 1. COVID-19-JuBG hinsichtlich des Laufs von Fristen sowie zahlreiche Artikel etwa des 4. COVID-19-Gesetzes, BGBl I Nr 24/2020). Würde eine mitunter viele Jahre später erfolgende nachträgliche Feststellung ihrer Gesetzwidrigkeit eine Wirkung dergestalt haben, dass die Verordnung nachträglich zu dem Zeitpunkt als gar nicht erlassen bzw rechtlich nicht existent gälte, so würde dies auch die Geltung der sich darauf stützenden gesetzlichen Bestimmungen, zum Teil auch deren Inkrafttreten überhaupt, in Frage stellen.

d) Das LVwG Tirol hat sich mit diesen Fragen nicht auseinandergesetzt und seinen Antrag in dieser Hinsicht nicht näher begründet. Es beschränkt sich lediglich auf die Darlegung einzelner Erkenntnisse des VwGH zum Verhältnis von Verordnungen nach dem Ep[i]G und dem COVID-19-MaßnahmenG, ohne die Rechtswirkung des Erkenntnisses VfGH 29.09.2021, V188/2021, bzw einer allfälligen Feststellung der Gesetzwidrigkeit der COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 auf die hier relevante Anknüpfung an ihre Erlassung darzulegen.

4. Unzulässigkeit des vorliegenden Antrags des LVwG Tirol:

Zusammenfassend handelt es sich nach Ansicht des Landeshauptmannes von Tirol daher im vorliegenden Fall um keinen Anlassfall der vom antragstellenden Gericht angeführten Erkenntnisse VfGH 29.09.2021, V188/2021, sowie vom 10.12.2020, V512/2020 und V535/2020 oder einem diesen gleichgelagerten Fall, der vom Ausspruch des VfGH nach Art139 Abs6 zweiter Satz B VG umfasst wäre, weil dies nichts an der für das Entschädigungsverfahren nach §32 Ep[i]G allein wesentlichen Tatsache der Erlassung einer Verordnung über Betretungsverbote nach dem COVID-19-MaßnahmenG sowie ihrer Geltung und Wirksamkeit im relevanten Zeitraum ändert.

Daher scheint – die Feststellung der Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen und die vom antragstellenden Gericht (wie dargelegt unzulässiger Weise) angenommene Relevanz eines Ausspruches des VfGH nach Art139 Abs6 zweiter Satz B VG zur Nichtanwendung als gesetzmäßig festgestellter Verordnungen nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz im Entschädigungsverfahren nach §32 Ep[i]G vorausgesetzt – die Schlussfolgerung des antragstellenden Gerichts, dass im angeführten Zeitraum wegen rückwirkenden 'Wegfalls' von Betretungsverboten nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz (nach §3 der COVID-19-MaßnahmenVO, BGBl II Nr 96/2020 und nach den COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 und 35/2020) retrospektiv nur (mehr) die Verordnung nach dem Ep[i]G gegolten hätte, was infolge (nunmehr) uneingeschränkter Kausalität der Betriebsschließung nach §20 Ep[i]G für den eingetretenen Schaden zu einem ungekürzten Entschädigungsanspruch nach dem Ep[i]G führte, nicht zutreffend. Hinzu kommt, dass die vorliegend angefochtenen Bestimmungen gar keine Betretungsverbote für Gastronomie- bzw Beherbergungsbetriebe enthalten.

Aus den dargelegten Gründen ist die Frage der Gesetzmäßigkeit der COVID-19-MaßnahmenV Tirol LGBl Nr 33/2020 im gegenständlichen Entschädigungsverfahren nicht unmittelbar anzuwenden und daher auch nicht präjudiziell im Sinn des §57 Abs2 VfGG und der Antrag unzulässig."

5. In der Sache führt der Landeshauptmann von Tirol aus, dass die angefochtene Bestimmung inhaltsgleich mit jener Bestimmung der nachfolgenden Verordnung LGBl 35/2020 sei, zu der der Verfassungsgerichtshof bereits mit Erkenntnissen vom 10. Dezember 2020, V512/2020 und V535/2020, festgestellt habe, dass sie gesetzwidrig war. Aus diesem Grund werde von einer Stellungnahme in der Sache abgesehen.

6. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat keine Äußerung erstattet.

7. Die Parteien des Verfahrens vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht Tirol haben von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

IV. Erwägungen

1. Der Antrag ist nicht zulässig:

2. Der Verfassungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass er nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Ein solcher Fall liegt hier vor:

3. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht Tirol hat im Anlassverfahren über einen geltend gemachten Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges nach §20 iVm §32 EpiG für eine Betriebsschließung zu entscheiden, die in der auf Grundlage des EpiG ergangenen Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 14. März 2020 gründet.

4. §4 der angefochtenen, auf §2 Z2 des COVID-19-MG gestützten Verordnung des LH von Tirol hat – auf das hier Wesentliche zusammengefasst – in seinem zeitlichen Geltungsbereich Personen das Verlassen des eigenen Wohnsitzes grundsätzlich verboten (Abs1), ausgenommen "aus triftigen Gründen zur Deckung von Grundbedürfnissen" (Abs2 und 5) im Gemeindegebiet (Abs4) unter Einhaltung eines bestimmten Mindestabstandes (Abs3).

5. Das Landesverwaltungsgericht Tirol sieht die Relevanz der angefochtenen Verordnungsbestimmung für sein Verfahren mit Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 16.11.2021, Ro 2021/03/0018) darin, dass der Umfang des auf die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Reutte kausal und allein zurückzuführenden Verdienstentganges davon abhänge, ob die angefochtene Verordnungsbestimmung des Landeshauptmannes von Tirol damals in Existenz stand oder nicht: Würde der Verfassungsgerichtshof ihre Rechtswidrigkeit feststellen, wäre der entstandene Verdienstentgang infolge der Anlassfallwirkung allein durch die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Reutte verursacht.

6. Damit spricht das Landesverwaltungsgericht Tirol aber bloß mittelbare, wirtschaftliche Auswirkungen der angefochtenen Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol auf der Tatsachenebene an. Solche wirtschaftlichen Auswirkungen führen nicht dazu, dass das Landesverwaltungsgericht Tirol diese Verordnung, die Gastgewerbetreibende auch nicht zu Adressaten hatte, im Sinne von Art89 Abs2 iVm Art135 Abs4 B VG "anzuwenden" hätte. Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat den Umfang des Verdienstentganges zu bestimmen, der allein auf die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 14. März 2020 zurückzuführen ist. Aus diesem Grund ist es denkunmöglich, dass das antragstellende Verwaltungsgericht die angefochtene Verordnung anzuwenden hatte.

7. Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Rückverweise