JudikaturVfGH

E300/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
17. März 2022

Spruch

I. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird im Umfang der Gebührenbefreiung stattgegeben.

II. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, insoweit damit die Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Setzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben gemäß Art2 EMRK sowie gemäß Art3 EMRK, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Tadschiken angehört und im Jahr 2012 in das Bundesgebiet einreiste.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27. April 2015 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. November 2017 wurde der Beschwerdeführer wegen §§142 Abs1, 143 Abs1 2. Fall und §83 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

4. Mit Bescheid vom 28. September 2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.) und entzog ihm die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Dem Beschwerdeführer wurde eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VI.). Zudem wurde ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt VII.). Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 20. November 2019 als unbegründet abgewiesen.

5. Am 8. Oktober 2020 stellte der Beschwerdeführer den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

6. Mit Bescheid vom 16. Juni 2021 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erließ gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

7. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17. Dezember 2021 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe ab, dass das Einreiseverbot auf die Dauer von sieben Jahre befristet wird.

8. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde entspricht hinsichtlich der Gründe betreffend den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2021, E4227/2021, zugrunde liegenden Beschwerde, die sich gegen eine im Wesentlichen gleichlautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wendet.

2. Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, insbesondere auf die Rz 12 ff. der Entscheidungsgründe seines zu E4227/2021 am 16. Dezember 2021 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen. Daraus ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass insbesondere auf Grund der – im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes verfügbaren – Kurzinformation der Staatendokumentation vom 19. Juli 2021 von einer extremen Volatilität der Sicherheitslage in Afghanistan auszugehen war, in der Rückkehrer nach Afghanistan einer realen Gefahr einer Verletzung ihrer verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art2 und 3 EMRK ausgesetzt wären (vgl VfGH 30.9.2021, E3445/2021). Angesichts der aktuellen Berichtslage, wonach die Lage in Afghanistan (nach wie vor) volatil bleibe (vgl zB das Update der EASO Country Guidance Afghanistan aus November 2021) sieht sich der Verfassungsgerichtshof nicht veranlasst, von dieser Auffassung abzugehen (siehe auch VfGH 16.3.2022, E273/2022).

3. Indem das Bundesverwaltungsgericht unzutreffend von einer im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK zulässigen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers ausgegangen ist, verstößt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, soweit sie sich auf die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und – daran anknüpfend – auf die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, gegen das Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK, ferner darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden gemäß Art3 EMRK, und ist insoweit aufzuheben.

4. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Verhängung eines auf die Dauer von sieben Jahren befristeten Einreiseverbotes bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Der Beschwerdeführer behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, insoweit damit die Beschwerde gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan und gegen die Setzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben gemäß Art2 EMRK sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden gemäß Art3 EMRK, verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

4. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung ist stattzugeben.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

7. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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