JudikaturVfGH

E189/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
01. März 2022

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Leben sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616, bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Paschtunen angehört, sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekennt und aus der Provinz Nangarhar stammt. Am 13. November 2016 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 26. Februar 2018 ab, erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest und setzte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit angefochtener Entscheidung vom 9. Dezember 2021 wies es die Beschwerde des Beschwerdeführers ab und führt in der Beweiswürdigung unter der Rubrik "Zu einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat" ua wörtlich Folgendes aus (Wiedergabe ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"[…] Zur jüngsten Machtübernahme der Taliban ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht allein aufgrund dieses Umstandes keinen Grund für eine de facto automatische Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung zu erkennen vermag. Das trifft umso mehr auf jene – dem gegenständlichen Sachverhalt vergleichbare – Konstellationen zu, in denen Beschwerdeführer über Schul- und Berufserfahrung sowie [über] familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügen. Zudem gehört der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Paschtunen an, somit der zahlenmäßig größten Ethnie in Afghanistan, deren Grundlage das sog 'Paschtunwali' ist […].

Zwar wird keineswegs verkannt, dass die Machtübernahme der Taliban eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Bezug auf einige Gruppen, insbesondere die der Frauen, der schiitischen Hazara oder der Menschenrechtsaktivisten, mit sich brachte. Gleichfalls folgt daraus jedoch, dass sich die allgemeine Sicherheitslage insofern geändert hat, als die von den Taliban verübten Anschläge und Übergriffe nicht mehr (jedenfalls nicht mehr in dieser Intensität) vorkommen, da diese ihr Ziel erreicht haben. Ebenfalls ist dabei zu bedenken, dass der Beschwerdeführer selbst gläubiger Sunnit ist. Auch die Taliban sind mehrheitlich Sunniten, was sich daher risikomindernd für den Beschwerdeführer auswirken muss. Wie den Länderfeststellungen entnommen werden kann, ist die Zahl der zivilen Opfer seit der Machtübernahme der Taliban deutlich zurückgegangen.

Im Wesentlichen übereinstimmend legen alle Berichte dar, dass von möglichen Vergeltungsmaßnahmen oder Bedrohungen der Taliban nur bestimmte Bevölkerungsgruppen betroffen sind. Dazu zählen laut der EASO Guidance von November 2021 etwa Menschenrechtsverteidiger, Frauen, ethnische und religiöse Minderheiten, Angehörige der früheren Regierung oder deren ausländische[...] Unterstützer. Der Beschwerdeführer zählt aber zu keiner dieser Gruppen. In Bezug auf die Sicherheitslage kann der Beschwerdeführer daher ebenso wie die übrige Bevölkerung Afghanistans wieder einen normalen Alltag aufnehmen. […]

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt ferner nicht, dass die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan bereits vor der Machtübernahme der Taliban sehr angespannt war. Diese angespannte Lage hat sich durch die Machtübernahme der Taliban insofern noch verstärkt, als beispielsweise der Internationale Währungsfonds (IWF) Afghanistan – nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban – den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt hat […]. Demgegenüber ist aber auch zu berücksichtigen, dass bei einer internationalen Geberkonferenz am 13. September 2021 die internationale Gemeinschaft über 1 Milliarde US Dollar an Nothilfen für Afghanistan zugesagt hat […]. UN Humanitarian Air Service hat seit der Wiederaufnahme der Flüge am 28. August 2021 297 Flüge für humanitäre Helfer und wichtige Fracht durchgeführt und 1.865 Passagiere befördert […]. Am 2. November 2021 begann UNHCR mit dem Lufttransport von Winterhilfsmitteln nach Kabul: […]. Trotz mehrerer Sicherheitsvorfälle, die durch einen nichtstaatlichen Akteur im Land verursacht wurden, konnte UNHCR seine humanitären Aktivitäten und Schutzprogramme in fast allen Provinzen Afghanistans fortsetzen […].

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt weiters nicht, dass das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu den Themenbereichen 'Wohnungsmarkt und Lebenserhaltungskosten' bzw 'Arbeitsmarkt' ausdrücklich darauf hinweist, dass die möglichen Auswirkungen durch die Machtübernahme der Taliban noch nicht abgesehen werden können, womit aber eine Verschlechterung der allgemeinen Versorgungslage in Afghanistan in näherer Zukunft nicht auszuschließen ist. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, dass durch die Machtübernahme der Taliban die Grund- und Versorgungslage in ganz Afghanistan von heute auf morgen jedenfalls 'einbrechen' wird, erscheint dem Bundesverwaltungsgericht nicht zulässig. Dies erhellt sich schon aufgrund pragmatischer Erwägungen, wonach die Taliban auf gefestigte Strukturen, welche die Vorgängerregierung geschaffen hat, aufbauen werden (müssen). Somit sind aber auch die unter dem Kapitel 'Grundversorgung und Wirtschaft' enthaltenen Länderberichte, die zwangsläufig noch die Versorgungslage in Afghanistan vor der Machtübernahme der Taliban schildern, nach wie vor aktuell. Derzeit ist somit die Versorgungslage jedenfalls noch so weit aufrecht, dass die existenziellen Grundbedürfnisse vom größten Teil der Bevölkerung gedeckt werden können. Im gegenständlichen Fall kommt hinzu, dass sich die Kernfamilie sowie ein Onkel ms. des Beschwerdeführers in Afghanistan aufhalten. Folglich müssen sich diese Familienmitglieder des Beschwerdeführers – wie der Rest der Bevölkerung – ihren Lebensstandard in Afghanistan sichern. Warum es dann aber ausgerechnet dem Beschwerdeführer – als offenbar einzigem Familienmitglied – nicht möglich sein sollte, nach Afghanistan zurückzukehren und dort wieder zu leben, erschließt sich für das Bundesverwaltungsgericht nicht. […]"

In der rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise Folgendes aus (Wiedergabe ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"[…] Wie den Feststellungen zu entnehmen ist, haben die Taliban die Macht in Afghanistan mittlerweile übernommen. Insofern ist daher (zumindest für bestimmte Bevölkerungsgruppen) von einer Beruhigung der Sicherheitslage im Staatsgebiet auszugehen. Die bisher dort stattfindenden Anschläge oder Auseinandersetzungen gründeten im Wesentlichen auf dem Machtkampf der afghanischen Regierung und ihrer ausländischen Verbündeten mit (hauptsächlich) den Taliban (und teils anderen islamistischen Gruppierungen). Nach dem Abzug der ausländischen Streitkräfte, dem Zusammenbruch des afghanischen Staates und seiner Streitkräfte sowie der Machtübernahme durch die Taliban ist aber nicht mehr davon auszugehen, dass Anschläge oder Auseinandersetzungen in größerer Zahl stattfinden. Es gibt derzeit auch keine Berichte dazu, dass größere Auseinandersetzungen stattfinden, auch wenn vereinzelt terroristische Anschläge verübt werden. Auch die Länderfeststellungen legen dar, dass die Zahl ziviler Opfer nach der Machtübernahme der Taliban deutlich zurückgegangen ist. Größere Anschläge durch die Taliban sind ebenfalls nicht mehr zu erwarten, zumal die Taliban ihr Ziel erreicht haben. Dabei wird nicht verkannt, dass sich die Sicherheitslage für gewisse Gruppen durch die Machtübernahme der Taliban verschlechtert hat. Der Beschwerdeführer ist aber nicht dazu zu zählen. […] Der Beschwerdeführer kann darüber hinaus durch den Kontakt mit seiner Familie auch bereits vor seiner Rückkehr über die aktuelle Sicherheitslage und die bestehenden Vorschriften informiert werden und seine Anreise dementsprechend planen und vorbereiten. Kabul ist über den internationalen Flughafen über den Luftweg auch wieder sicher erreichbar. Ebenfalls ist eine Einreise auf dem Landweg möglich.

Zwar verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass es der UNHCR noch im August 2021 – aufgrund der damaligen volatilen Lage in Afghanistan – als nicht angemessen erachtete, internationalen Schutz auf Grundlage einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verweigern (vgl UNHCR Position on Returns to Afghanistan, August 2021, Pkt. 4.). Ebenso wenig die jüngst ergangenen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes, in denen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes im Hinblick auf die Nichtgewährung des subsidiären Schutzes aus dem Grund aufgehoben wurden, da zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes von einer 'extremen Volatilität' der Sicherheitslage in Afghanistan auszugehen war, sodass jedenfalls eine Situation vorlag, die den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr einer Verletzung seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art2 und 3 EMRK ausgesetzt hätte (vgl VfGH 24.09.2021, E3047/2021 und VfGH 30.09.2021, E3445/2021). Jedoch sind sowohl die Stellungnahme des UNHCR als auch die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in den zitierten Erkenntnissen im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit den Kampfhandlungen vom Juli bzw August 2021 ergangen und daher im gegenwärtigen Zeitpunkt schon wieder als 'überholt' zu betrachten. In gleicher Weise als nicht mehr aktuell ist auch die Entscheidung des EGMR vom 02.08.2021 zu qualifizieren, in der der EGMR im Fall R.A. gegen Österreich mittels vorläufiger Maßnahme die Abschiebung eines afghanischen Asylwerbers bis 31.08.2021 aussetzte.

In ähnlicher Weise ist in der EASO Country Guidance vom November 2021 einleitend festgehalten, dass die Länderinformationen, auf welche sich der Bericht bezieht, grundsätzlich auf Ereignisse bis zum 31.08.2021 beschränkt [sind]. Diesem Dokument ist zwar ferner zu entnehmen, dass im Zeitpunkt der Verfassung des Berichts eine innerstaatliche Fluchtalternative als nicht anwendbar angesehen wird. Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass in außergewöhnlichen Umständen eine Person keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung haben oder keine reale Gefahr eines ernsthaften Schadens nach einer Wiederansiedelung in einem bestimmten Teil des Landes bestehen kann, wobei die Unsicherheit der derzeitigen Situation berücksichtigt werden muss.

Das EASO legt auch dar, dass die Situation in Afghanistan zum Zeitpunkt des Verfassens des Berichts nach wie vor volatil sei, was eine abschließende Bewertung schwierig mache. Das wird auch vom Bundesverwaltungsgericht keineswegs verkannt, dennoch liegt nicht mehr eine derartige Volatilität vor, wie sie der Verfassungsgerichtshof bei seinen Entscheidungen im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Vormarsch der Taliban und der Übernahme ganz Afghanistans vor Augen hatte. Die Situation in Afghanistan ist zwar daher durchaus nach wie vor volatil, allerdings nicht mehr in dieser Intensität.

Das EASO führt dann auch weiter aus, dass folgende Punkte bei den Entscheidungen berücksichtigt werden sollten: Die begrenzte Verfügbarkeit von verlässlichen Informationen beziehungsweise deren Widersprüchlichkeit und die Unterberichterstattung aus verschiedenen Landesteilen Afghanistans; die Ungewissheit der Vorhersehbarkeit des Handelns der Taliban und die verbesserten Fähigkeiten der Taliban in Bezug auf eine Verfolgung; die Berücksichtigung des künftigen Risikos willkürlicher Gewalt im in Betracht kommenden Teil des Landes, aber auch im gesamten Land unter Berücksichtigung der aktuellsten Informationen (S. 43). Das EASO berücksichtigt dabei nur die Berichtslage bis Ende August 2021 (S. 106). Die gegenständliche Entscheidung berücksichtigt dagegen entsprechend der höchstgerichtlichen Vorgaben Berichte bis zum Tag der Entscheidung. Das EASO hält auch fest, dass bei Personen, die nicht unter die Personengruppe fallen, die Asyl benötigt, eine individuelle Einzelfallprüfung nötig ist (S. 118). Das EASO geht daher offensichtlich nicht davon aus, dass jedem Afghanen subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Es legt dann dar, dass dabei das Alter, das Geschlecht, die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers, die ökonomische Situation, das Wissen über das Gebiet und der Beruf (S. 119) zu berücksichtigen sind. Eine umfassende Beurteilung dieser Umstände zeigt, wie oben näher dargelegt, beim Beschwerdeführer, dass für ihn keine Vulnerabilitäten vorliegen und er in den sicheren Kreis seiner Familie zurückkehren kann, deren Versorgung gesichert ist und die für ihn ohne Risiko gut erreichbar ist, weshalb eine reale Gefahr einer Verletzung der in §8 AsylG genannten Rechte nicht vorliegt.

[…] Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Nangarhar, wo sich seine Kernfamilie sowie sein Onkel ms. nach wie vor aufhalten. Der Beschwerdeführer kann somit in sein Heimatdorf zurückkehren. Falls dieses aufgrund derzeit nicht intakter Verbindungen nicht zu erreichen ist, kann der Beschwerdeführer […] in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, konkret in die […] Städte Kabul oder Mazar e Sharif, verwiesen werden.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen ledigen, arbeitsfähigen und gesunden jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Bildung im Rahmen einer Koranschule und arbeitete bereits in der Landwirtschaft. […]"

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses sowie die Gewährung von Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 ZPO beantragt wird.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet:

2. Das gemäß Art2 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Leben wird durch ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn es auf einer Art2 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage oder auf einer diesem Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht sowie auch bei groben Verfahrensfehlern. In gleicher Weise verletzt ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes das gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, wenn eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in Anwendung eines der genannten Verfassungsvorschrift widersprechenden Gesetzes ergangen ist, wenn sie auf einer dem genannten Grundrecht widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn dem Verwaltungsgericht grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind (vgl VfSlg 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005).

3. Der Verfassungsgerichtshof geht – in Zusammenhang mit Art3 EMRK – in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (s etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 [319]; 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua, ÖJZ 1992, 309 [309]; 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 [436 f.]) davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden in welcher Form immer außer Landes zu schaffen, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er gebracht werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl VfSlg 13.314/1992, 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997). Nichts anderes ist im Hinblick auf Art2 EMRK anzunehmen, wenn dem Fremden im Zielland mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tötung droht (s etwa EGMR 8.11.2005, Fall Bader ua, NLMR 2005/6, 273 [274]; 23.3.2016 [GK], Fall F.G., NLMR 2016/2, 105 [105 f.]).

Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Erkenntnisses könnte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer in den gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten unter anderem verletzen, wenn das Erkenntnis auf einer den genannten Grundrechten widersprechenden Auslegung des Gesetzes beruht oder wenn dem Verwaltungsgericht grobe Verfahrensfehler unterlaufen sind.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eine Art2 und 3 EMRK zuwiderlaufende Anwendung des §8 Abs1 AsylG 2005 vorgenommen:

4.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

4.2. Das Bundesverwaltungsgericht stellt in seinem Erkenntnis vom 9. Dezember 2021 fest, dass der Beschwerdeführer nicht habe glaubhaft machen können, dass ihm im Falle der Rückkehr in seine Heimatprovinz Nangarhar bzw in die Städte Kabul oder Mazar e Sharif ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Diese Feststellung versucht das Bundesverwaltungsgericht auf das Wesentliche zusammengefasst damit zu begründen, dass infolge der Machtübernahme durch die Taliban von einer Beruhigung der Sicherheitslage im Herkunftsstaat zumindest für bestimmte Bevölkerungsgruppen auszugehen sei. Finanzielle Unterstützung des Beschwerdeführers durch Familienangehörige sei möglich. Trotz einer nicht auszuschließenden Verschlechterung der allgemeinen Versorgungslage würden "die Taliban" auf "gefestigte" Versorgungsstrukturen "schon aufgrund pragmatischer Erwägungen […] aufbauen […] (müssen)". Länderberichte, die die Versorgungslage "vor der Machtübernahme der Taliban" schildern würden, seien daher nach wie vor aktuell. Die internationale Gemeinschaft habe zuletzt über eine Milliarde US Dollar an Nothilfen für Afghanistan zugesagt, humanitäre Hilfsprogramme durch UNHCR seien wieder aufgenommen worden.

4.3. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes war insbesondere auf Grund der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 19. Juli 2021 von einer extremen Volatilität der Sicherheitslage in Afghanistan auszugehen, sodass jedenfalls eine Situation vorlag, in der Rückkehrer nach Afghanistan einer realen Gefahr einer Verletzung ihrer verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art2 und 3 EMRK ausgesetzt wären (vgl VfGH 30.9.2021, E3445/2021). Angesichts der aktuellen Berichtslage, wonach die Lage in Afghanistan (nach wie vor) volatil bleibe (vgl zB das Update der EASO – Country Guidance Afghanistan aus November 2021), sah sich der Verfassungsgerichtshof zuletzt nicht veranlasst, von dieser Auffassung abzugehen (vgl VfGH 16.12.2021, E4227/2021).

4.4. Auch die dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zugrunde gelegte Berichtslage zeigt nicht auf, dass nunmehr eine anderslautende Einschätzung zu treffen wäre:

4.4.1. Das Bundesverwaltungsgericht geht von einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Nangarhar aus. Trotz der weiterhin gegebenen Volatilität der Lage im gesamten Staatsgebiet hat es das Bundesverwaltungsgericht aber unterlassen, nachvollziehbare Feststellungen zur sicheren Erreichbarkeit dieser Region für den Beschwerdeführer zu treffen (zur notwendigen Auseinandersetzung mit der Frage der sicheren Erreichbarkeit des Herkunftsortes bzw der innerstaatlichen Fluchtalternative vgl etwa VfSlg 20.296/2018 mwN; sowie zuletzt VfGH 7.10.2021, E3022/2020; 8.6.2021, E149/2021 mwN). Die Aussage im angefochtenen Erkenntnis, dass "die Unsicherheit auf Reisen in Afghanistan im Wesentlichen auf den Angriffen und den Kontrollen der Taliban [beruhte]", auf Grund der "Machtübernahme der Taliban […] aber nicht mehr davon auszugehen [ist], dass diese Angriffe und Kontrollen nach wie vor in dieser Art und Weise sowie Intensität durchgeführt werden", greift jedenfalls zu kurz, zumal sie keine Deckung in den im angefochtenen Erkenntnis zitierten Länderberichten findet.

4.4.2. EASO hob in der Country Guidance aus November 2021 (S 9, 43) hervor, dass, wenngleich die Häufigkeit sicherheitsrelevanter Vorfälle und die Anzahl an zivilen Opfern seit der Machtübernahme der Taliban zurückgegangen seien, das Risiko künftiger willkürlicher Gewalt in jedem Teil des Landes mit Bedacht und auf Grundlage der aktuellsten Informationen hinsichtlich der Dynamik in der jeweiligen Region sowie im gesamten Staatsgebiet zu bewerten sei. Zur aktuellen Sicherheits- wie auch zur Versorgungslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers finden sich im angefochtenen Erkenntnis jedoch keinerlei Feststellungen (zur Notwendigkeit der Heranziehung aktueller Länderberichte im Asylverfahren, insbesondere bei Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage, vgl etwa VfGH 12.12.2018, E3930/2018 mwN). Die Prüfung einer mit Blick auf Art2 und 3 EMRK gegebenenfalls bestehenden Gefährdungslage erfolgt vielmehr ausschließlich pauschal für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan. Eine solche pauschale Beurteilung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan wird aber den Anforderungen an eine am Maßstab der Art2 und 3 EMRK vorzunehmende Beurteilung der Rückkehrsituation in Bezug auf solche Staaten, in denen die Sicherheits- und Versorgungslage instabil ist und von Provinz zu Provinz variiert, nicht gerecht (siehe VfSlg 20.141/2017; VfGH 8.6.2021, E2627/2020).

4.4.3. Soweit das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer in einer Alternativbegründung – für den Fall, dass sein Heimatort "aufgrund derzeit nicht intakter Verbindungen nicht zu erreichen ist" – auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul oder Mazar e Sharif verweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass eine solche laut der – auch im angefochtenen Erkenntnis zitierten – Einschätzung von EASO (vgl EASO, Country Guidance, November 2021, S 36, 125) grundsätzlich in keinem Teil Afghanistans angenommen werden könne. Ebenso erachtete der UNHCR es zuletzt als nicht angemessen, internationalen Schutz auf Grundlage einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verweigern (vgl UNHCR, Position on Returns to Afghanistan, August 2021, Pkt. 4).

4.4.4. Derartigen Länderberichten, wie insbesondere auch den Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR) und der "EASO Country Guidance", ist bei der Beurteilung der Situation im Rückkehrstaat bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, besondere Beachtung zu schenken (vgl VfGH 22.9.2021, E2640/2021; 12.12.2019, E3369/2019; 12.12.2019, E2692/2019; 4.3.2020, E4399/2019 jeweils mwN; vgl auch VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 17.12.2019, Ra 2019/18/0278 ua). Das bedeutet insbesondere, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit den aus diesen Länderberichten hervorgehenden Problemstellungen im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, und zwar in Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen hat.

4.4.5. Der angefochtenen Entscheidung lässt sich jedoch in keiner Weise entnehmen, auf Grund welcher Berichtslage das Bundesverwaltungsgericht – entgegen der auch im angefochtenen Erkenntnis zitierten Einschätzungen von UNHCR und EASO – von der Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den genannten Städten ausgeht. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes in diesem Kontext beschränken sich im Wesentlichen auf die Erwägung, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen jungen Mann ohne Vulnerabilitäten handle. Spezifische Berichte zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul und Mazar e Sharif, welche allenfalls die Annahme einer möglichen Niederlassung in diesen Städten für Angehörige der genannten Personengruppe stützen könnten, finden sich im angefochtenen Erkenntnis jedoch nicht.

4.5. Die Annahmen des Bundesverwaltungsgerichtes, dass eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Beschwerdeführers oder eine unzureichende Versorgungssituation nicht vorlägen, lassen sich aus den im angefochtenen Erkenntnis zitierten Länderfeststellungen demnach nicht ableiten.

4.6. Vor dem Hintergrund der zitierten Berichtslage, wonach sich die Lage in Afghanistan weiterhin als volatil erweist, eine abschließende Bewertung möglicher Gefährdungsszenarien demnach schwierig ist und eine innerstaatliche Fluchtalternative nach jüngsten Einschätzungen von UNHCR und EASO grundsätzlich nicht anzunehmen ist, wäre jedenfalls eine spezifische Auseinandersetzung damit erforderlich gewesen, welche Rückkehrsituation der Beschwerdeführer in seiner Herkunftsprovinz Nangarhar respektive in Kabul oder Mazar e Sharif tatsächlich vorfinden würde. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich insbesondere nicht mit der Frage auseinander, inwiefern der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die genannten Regionen Gefahr laufen würde, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. In diesem Zusammenhang werden vom Bundesverwaltungsgericht beispielsweise auch Hinweise auf willkürliche Kontrollen und Bestrafungen bis hin zu gezielten Hinrichtungen nicht thematisiert, obwohl sie sich in den im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichten finden.

4.7. Auch die – ebenfalls nur pauschal auf das gesamte Staatsgebiet bezogene – Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Versorgungslage in Afghanistan ist für den Verfassungsgerichtshof mit Blick auf die aktuelle Berichtslage nicht nachvollziehbar (vgl zB das Situation Update von UNHCR "Afghanistan situation: Emergency preparedness and response in Iran" vom 8. Dezember 2021, wonach 55 Prozent der afghanischen Bevölkerung mit extremer Ernährungsunsicherheit konfrontiert seien).

4.8. Indem das Bundesverwaltungsgericht demnach in verfassungswidriger Weise von einer im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK zulässigen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers ausgegangen ist, verstößt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, soweit sie sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, gegen das Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK, ferner darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), und ist insoweit aufzuheben.

5. Die Behandlung der Beschwerde wird im Übrigen, soweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Der Beschwerdeführer behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Leben sowie darauf, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436, enthalten. Ein Ersatz der Eingabegebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Rückverweise