V281/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Antrag
Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B VG begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge §1 Abs5 und 6 der Wiener COVID-19-Maßnahmenbegleitverordnung 2021, LGBl 33/2021, idF LGBl 48/2021 als verfassungs- und gesetzwidrig aufheben.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung des Landeshauptmannes von Wien über begleitende Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (Wiener COVID-19-Maßnahmenbegleitverordnung 2021 – im Folgenden: Wr. COVID 19-MaßnahmenbegleitVO), LGBl 33/2021, idF LGBl 48/2021 lauteten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben) auszugsweise:
"Artikel I
Betreten und Befahren von bestimmten Orten und Betriebsstätten sowie Benützen von Verkehrsmitteln
(1) Zusätzlich zu den Regelungen der 2. COVID-19-Maßnahmenverordnung ist das Betreten, Befahren und Benützen von
(2) Dem Betreiber der Einrichtung oder Betriebsstätte, dem Verantwortlichen für einen bestimmten Ort oder dem Verantwortlichen für eine Zusammenkunft ist
(3) Zusätzlich zu §4 Abs1a der 2. COVID-19-Maßnahmenverordnung haben Kunden beim Betreten, Befahren und Verweilen in Kundenbereichen von Betriebsstätten in geschlossenen Räumen sowie in Verbindungsbauwerken baulich verbundener Betriebsstätten (zB Einkaufszentren, Markthallen) eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) ohne Ausatemventil oder eine Maske mit mindestens gleichwertig genormtem Standard zu tragen.
(4) Abs3 gilt auch für
Besucher von Theatern, Kinos, Varietees, Kabaretts, Konzertsälen- und Arenen sowie von Einrichtungen zur Religionsausübung haben in geschlossenen Räumen eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen. Dies gilt nicht für Zusammenkünfte gemäß Abs6.
(5) Zusätzlich zu §5 Abs1a der 2. COVID-19-Maßnahmenverordnung ist das Betreten, Befahren und Benützen von Betriebsstätten der Gastgewerbe, in denen mit einer vermehrten Durchmischung und Interaktion der Kunden zu rechnen ist (Einrichtungen der 'Nachtgastronomie'), wie insbesondere Diskotheken, Clubs und Tanzlokale zum Zwecke des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen nur unter folgenden Voraussetzungen zulässig:
Dem Inhaber, Betreiber der Einrichtung oder Betriebsstätte oder dem Verantwortlichen ist
(6) Zusätzlich zu §12 der 2. COVID-19-Maßnahmenverordnung sind Zusammenkünfte mit mehr als 500 Teilnehmern nur zulässig, wenn der Verantwortliche die Teilnehmer nur einlässt, wenn sie
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Der Antragsteller führt in seinem Antrag aus, dass er weder geimpft noch genesen sei und er auf Grund der angefochtenen Verordnung als Privatperson und als Geschäftsmann keinen Zugang zur Nachtgastronomie und zu Events ab 500 Personen habe. Davor sei ihm dies mit einem Antigentest oder PCR-Test möglich gewesen.
1.1. Die Zulässigkeit seines Antrages begründet der Antragsteller – auf das Wesentliche zusammengefasst – damit, dass sich die angefochtene Verordnung unmittelbar nachteilig auf seine Rechtsposition auswirke, "indem sie eine unverhältnismäßige Verschärfung des Eingriffs durch die vorangegangene Wiener COVID 19-Maßnahmenbegleitverordnung 2021, LGBl Nr 33/2021 zuletzt geändert durch LGBl Nr 48/2021, in das Privatleben des Antragsstellers bewirkt" habe. Es liege somit eine unmittelbare, rechtlich ausreichend bestimmte und aktuelle Betroffenheit der rechtlich geschützten Interessen des Antragstellers vor. Überdies sei es dem Antragsteller unzumutbar, ein Strafverfahren durch Besuch einer Einrichtung der Nachtgastronomie oder eines Events ab 500 Personen ohne den durch die angefochtene Verordnung geforderten 2G-Nachweis zu provozieren.
1.2. In der Sache rügt der Antragsteller die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen sowie eine Verletzung in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Achtung seines Privat- und Familienlebens sowie auf Erwerbsfreiheit.
2. Der Landeshauptmann von Wien hat eine Äußerung erstattet, in der er die Zurückweisung des Antrages, in eventu dessen Abweisung begehrt.
2.1. Hinsichtlich der Zulässigkeit führt der Landeshauptmann von Wien aus, der Antragsteller habe es unterlassen, seine unmittelbare Betroffenheit hinreichend konkret darzulegen. Rein abstrakte Behauptungen des Antragstellers, in den Anwendungsbereich einer Norm zu fallen, würden die Voraussetzungen des §57 Abs1 letzter Satz VfGG nicht erfüllen, auch wenn bestimmte Annahmen naheliegend seien. Der Antragsteller führe lediglich aus, dass er, obwohl weder geimpft noch genesen, "als Privatperson und Geschäftsmann dennoch Zugang zur Nachtgastronomie und zu Events ab 500 Personen haben [möchte]." Diese bloß abstrakte Behauptung genüge den Voraussetzungen einer Konkretisierung seiner aktuellen Betroffenheit nicht, zumal sich die weiteren Darlegungen in Bezug auf das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit in einer allgemeinen Annahme erschöpften, an der "Teilnahme an geschäftsbezogenen Veranstaltungen in der Nachtgastronomie bzw bei Großveranstaltungen über 500 Personen" verhindert zu sein. Eine Begründung, warum solche Veranstaltungen für den Antragsteller von Relevanz seien, unterbleibe hingegen; genauso wie die Bekanntgabe, welche konkreten Veranstaltungen der Nachtgastronomie bzw Veranstaltungen mit einer Teilnehmerzahl von mehr als 500 Personen er überhaupt besuchen wolle.
2.2. Auch in der Sache tritt der Landeshauptmann von Wien dem Antragsvorbringen entgegen.
3. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.
IV. Zulässigkeit
1. Der Antrag ist nicht zulässig.
2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‐VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
3. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist also, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.
Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).
4. Nach §57 Abs1 letzter Satz VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, darlegen, inwieweit die angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Bei der Prüfung der aktuellen Betroffenheit hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 10.353/1985, 14.227/1995, 15.306/1998, 16.890/2003, 18.357/2008, 19.919/2014, 19.971/2015). Anträge, die dem Erfordernis des §57 Abs1 VfGG nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl VfSlg 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007) nicht im Sinne von §18 VfGG verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (vgl etwa VfSlg 12.797/1991, 13.717/1994, 17.111/2004, 18.187/2007, 19.505/2011, 19.721/2012).
5. Diesem Erfordernis gemäß §57 Abs1 VfGG wird der Antrag nicht gerecht:
5.1. Der Antragsteller begehrt die Aufhebung des §1 Abs5 und 6 Wr. COVID-19-MaßnahmenbegleitVO idF LGBl 48/2021 und begründet seine unmittelbare Betroffenheit mit dem pauschalen Vorbringen, es sei ihm als Privatperson und Geschäftsmann auf Grund der angefochtenen Bestimmungen der Zutritt zur Nachtgastronomie und zu Events ab 500 Personen versagt. Mit diesem allgemein gehaltenen Vorbringen zur Betroffenheit behauptet der Antragsteller jedoch lediglich die Anwendbarkeit der angefochtenen Bestimmungen. Damit ist es ihm nicht gelungen, seine unmittelbare und aktuelle Betroffenheit für ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hinreichend konkret darzulegen (vgl idS VfGH 23.2.2021, V533/2020). So besteht das Erfordernis solcher Darlegungen auch dann, wenn bestimmte Annahmen im Hinblick auf die maßgebliche Situation naheliegen mögen (vgl VfSlg 14.309/1995, 14.817/1997, 19.613/2011; VfGH 21.9.2020, V365/2020; 21.9.2020, V375/2020; 1.10.2020, V405/2020; 1.10.2020, G271/2020 ua; 23.2.2021, V533/2020; 29.9.2021, V601/2020; 15.12.2021, V248/2021). Rein abstrakte Behauptungen, in den Anwendungsbereich einer Norm zu fallen, genügen dem Inhaltserfordernis des §57 Abs1 letzter Satz VfGG nicht.
5.2. Da es sich bei diesem Mangel um kein behebbares Formgebrechen, sondern um ein Prozesshindernis handelt, erweist sich der Antrag schon aus diesem Grund als unzulässig.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist zurückzuweisen, ohne dass das Vorliegen der übrigen Prozessvoraussetzungen näher zu prüfen ist.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.